Die Nachrufe auf Boris Jelzin gelten einem Staatsmann, der das Staatswesen, in dem er an die Macht gekommen war, so gründlich reformiert hat, dass es hinterher nicht mehr vorhanden war. So einer heißt „Radikalreformer“. Die herzlichsten Komplimente für diese außergewöhnliche Leistung stammen begreiflicherweise aus dem freien Westen. Einem Mann, der den Nato-Häuptlingen den Sieg im Kalten Krieg einfach geschenkt, der ihnen jeden Kriegsaufwand erspart hat, indem er die Weltmacht von oben herab zersägt hat, dem muss man ganz einfach Größe hinterhersagen.
Der russische Staat hat den Kapitalismus eingeführt mit der Berechnung, dass sich über den Erfolg privater Geschäftssubjekte auch der nationale Erfolg einstellt. Beides tritt aber auseinander, und es entsteht der Verdacht, dass die Oligarchen Russland ausnutzen, statt ihm zu dienen. Ein Machtkampf zwischen Staat und Kapital ist die Folge: Russland will die nationalen Ressourcen für sein strategisches Interesse einsetzen, das Land zur Energiemacht auszubauen, und beansprucht dafür die Aufsicht über das Rohstoffgeschäft.
Nach der Auflösung des Warschauer Pakts und der Selbstzerstörung der Sowjetunion hat die EU keine historische Sekunde gezögert, ihren Anspruch anzumelden: Die aus dem Moskauer Regime entlassene Staatenwelt vom Baltikum bis zur ihrerseits „ethnisch“ zerlegten Tschechoslowakei gehört – zu – ihr. Dass diese Länder ihrer gesamten inneren Verfassung nach zu dem exklusiven Club „westlicher“ Nationen überhaupt nicht passten, spielte für den Entschluss zu ihrer Eingemeindung keine Rolle – oder vielmehr eine nachdrücklich bestärkende.
Die Schwierigkeiten des WTO-Verhandlungsprozesses bestehen in nichts anderem als der imperialistischen Konkurrenz um den neuen Status Chinas in der Welt. Welchen Status China beansprucht und welche Mittel es dafür vorzuweisen hat – also Auskünfte über die Leistungsbilanz der kapitalistischen Konkurrenznation China. Die WTO: Chinas Hebel zur politisch-strategischen Eroberung des Weltmarktes.
Der russische Kapitalismus: „Korruption“ und „Oligarchen“ in einem für geschäftsunfähig erklärten Staat. Die russische Staatsmacht: Krieg im eigenen Land zur Demonstration souveräner Selbstbehauptung. Die Demokratie in Russland: Kampf um die Monopolisierung privatisierter politischer Befehlsgewalt
Der Westen wacht darüber, dass der Ukraine die Fortführung traditioneller Beziehungen zu Russland verunmöglicht wird, ohne Kredit zur Kompensierung des Energieausfalls, den die Abwendung von Russland zur Folge hat, zu gewähren. Zum Dank für die Westanbindung wird die Ukraine zur Verschrottung ihrer Atomraketen und zur Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages genötigt.
Etliche Millionen Arme – das hat diese Regierung, die sich dem Kapitalismus verschrieben hat, erreicht. Doch der EU reicht das nicht: Sie dringt auf Abbau staatlicher Subventionen in der Kohle- und Stahlindustrie und auf Reform des Sozialwesens. Der Aufstand der Unzufriedenen ist Polens Ordnungsproblem.
Die Entlarvung der „Hintergründe“ der Entlassungen Jelzins gibt Auskunft über den Grad von Verfall der ererbten sowjetischen Weltmacht. Ergebnis der marktwirtschaftlichen Reformen ist die Auslieferung des Reichtums in Form von Devisen an einen Haufen neureicher Milliardäre.
Dass die Anwendung der Prinzipien der Marktwirtschaft in Russland keine blühenden Landschaften, sondern einen einzigen Verfall von Land und Leuten zu Wege brachte, das kann nicht an diesen Prinzipien liegen, sondern muss – ein Betrugsfall sein. Dank Spiegel wissen wir auch, wie der ablief.
Der IWF hilft Russland mit neuem Kredit aus der Klemme. Der geht gleich an die internationalen Gläubiger; so darf Russland weitermachen im Schuldengeschäft und darf auch gleich seine Zustimmung zum Kosovo-Krieg abliefern. Wer „hilft“ da eigentlich wem?!