Liebhaber von Kultur wissen meist auch, dass sie schon ziemlich lange währt und nicht zuletzt deswegen Achtung genießt. Denn als Reich der Freiheit wird sie geschätzt, von nicht wenigen, und von den in ihr Tätigen schon gleich, für wertvoller und wahrer angesehen, als das schnöde Reich der Notwendigkeiten.
Zahllose Bildungs- und Lehrplanreformen hin, PISA-Testate und Schulevaluierungen her, so richtig zufrieden ist die ‚Wissensgesellschaft‘ mit ihrem hochgeschätzten Schulwesen darüber nicht geworden – im Gegenteil. Die Schule ist, gerade weil man den von ihr eröffneten „Bildungschancen“ enorme Wichtigkeit zuschreibt, permanent Gegenstand von Klagen über und enttäuschten Erwartungen an sie.
Im Jahr 2019 verleiht die Schwedische Akademie den Nobelpreis für Literatur für das Jahr 2018 an Olga Tokarczuk aus Polen und den für das Jahr 2019 an Peter Handke aus Österreich. Wäre allein die polnische Schriftstellerin geehrt worden, wäre der seit Jahren währende Sex- und Korruptionsskandal um die preisverleihende Akademie wohl einfach verebbt. Aber so!
Ein öffentlich-rechtlicher Satire-Fachmann trägt voller Stolz – jedoch nicht ohne Hintersinn – ein Schmähgedicht auf einen ausländischen Potentaten vor, den in Deutschland von links- bis rechtsaußen sowieso schon jeder für die absolute Fehlbesetzung hält. Die deutsche Öffentlichkeit hält das mehrheitlich für total mutig. Sie verrät damit nicht nur einiges über das Recht auf freie Meinungsäußerung und deren öden Gipfel namens Satire, sondern ebenso über den Zusammenhang dieses jedem Menschen eingeborenen Rechtes mit dem nationalistischen Dünkel gegenüber fremden Mächten.
Ein deutscher Dichter erhält den Friedenspreis und kann nicht anders, als dies als Aufforderung zur Beantwortung der nationalen Gretchenfrage „Wie hältst du es mit dem Vaterland“ zu verstehen. Seine Antwort: Deutschland früher: Auschwitz, Schuld, gesühnt. Deutschland heute: schönes Land, Vaterland.
Grass schämt sich öffentlich für Deutschland und stellt dabei die moralische Legitimität der gewählten Politiker in Frage. Damit missbraucht er eindeutig die Freiheit, die der Staat seinen Dichtern gewährt.