Was sich in Sachen kapitalistischer Fortschritt technisch und ökonomisch tut – großenteils gar nicht von allein, sondern von ihnen auf den Weg gebracht –, ist für die Staaten, die mächtigen insbesondere und vor allen anderen, in mehrfacher Hinsicht von größter Bedeutung, dringlichst betreuungs-, kontroll-, lenkungsbedürftig, weil essenziell für ihre Konkurrenz untereinander: die ökonomische, die weltmarktstrategische, die militärische – kurz: für ihre „Zukunft“.
Der GegenStandpunkt analysiert in fünf Kapiteln die Fortschritte und Widersprüche der globalen Krisenkonkurrenz, also die ökonomischen und politischen Gegensätze der Staaten, die mit Macht um ihren nationalen kapitalistischen Erfolg ringen:
In Abschnitt A das Programm zur „Vollendung des Binnenmarktes“ als entscheidende Wende für Europa: Eurostaaten nicht mehr als souveräne Nutznießer und Setzer der Bedingungen ihres nationalen Kapitalismus, sondern Unterwerfung unter die Geschäftsgrundlagen eines gemeinschaftlichen Gesamtstandortes. Das bedeutet – politisch zu fixierende – Aufgabe von Souveränitätsrechten, die v.a. auch das Programm der Währungsunion betrifft (Abschnitt B), die Schaffung eines Gemeinschaftsgeldes, für das die Nationen um Standortvorteile konkurrieren und „Entschuldungsopfer“ bringen müssen.
Die Europäische Union als anti-amerikanisches Konkurrenzprojekt. Die Mittel und Zwecke in der Konkurrenz imperialistischer Nationen; die Konkurrenzlage, mit der die Europäischen Nationen in der amerikanischen Nachkriegsweltordnung konfrontiert sind und die sie als Mittel und als Schranke erfahren: Dollar, IWF, GATT; das europäische Gegenprogramm der Schaffung eines vergrößerten Kapitalmarktes: Zollunion, Agrarmarkt, Montanunion; die Prinzipien der Konkurrenz innerhalb des europäischen „Einigungswerks“.
Die NATO feiert ihr 75-jähriges Bestehen als Kriegsbündnis und findet, dass sie notwendiger und lebendiger ist als je zuvor. Sie befindet sich zwar gar nicht unmittelbar im Krieg, bezieht aber den Krieg in der Ukraine als „größte Sicherheitskrise seit Generationen“ auf sich. Der gewaltsam geltend gemachte Einspruch Russlands gegen die NATO-Ostausdehnung hat dem Bündnis wieder die einende Feindschaft zurückgegeben, die ihm mit dem Abdanken seines Systemrivalen abhandengekommen war.
Der Westen tut so, als ob er den Sieg über Russland schon in der Tasche hätte: Beschlagnahmte russische Staatsgelder werden für Abschlagszahlungen auf die bei Sieg fälligen Reparationen benutzt – mit dem schönen Nebeneffekt der Ökonomisierung des Stellvertreterkrieges, der unbedingt weitergehen soll. Mit den Gepflogenheiten des internationalen Eigentumsschutzes – ansonsten der wirkliche Höchstwert aller wertebasierten und regelgeleiteten Weltordnung – ist das zwar nicht so ganz zu vereinbaren.
Bei den diesjährigen Wahlen des Europaparlaments geht es nach Auskunft der Veranstalter wieder einmal um nichts Geringeres als das Schicksal Europas, um die Rettung der Union vor den rechtsradikalen Populisten, die laut Prognosen dieses Mal europaweit so viel Zustimmung ernten könnten wie nie zuvor.
Auf dem EU-Gipfel im Dezember 2023 beschließt das oberste EU-Gremium, förmliche Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien zu eröffnen. Die Ukraine reibt im Abnutzungskrieg gegen Russland zunehmend die Substanz ihrer menschlichen Basis wie ihrer Ökonomie auf, Moldawien ist ein zwischen der auf Russland ausgerichteten Minderheit und der westorientierten Mehrheit intern verfeindetes Elendsquartier.
Ende des letzten Jahres einigte sich der EU-Ministerrat auf eine Reform des „Stabilitäts- und Wachstumspakts“, dem seit Jahrzehnten geltenden supranationalen Kreditregime über die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten. Spätestens mit dem Ukraine-Krieg steht fest, dass die EU auf die bisher gültigen, für Europa günstigen und geklärten Gewalt- und Geschäftsbedingungen nicht mehr bauen kann.