China in der WTO
Noch ein „großer Sprung nach vorn“ – in der Konkurrenz um kapitalistischen Reichtum und weltpolitische Macht
Die Schwierigkeiten des WTO-Verhandlungsprozesses bestehen in nichts anderem als der imperialistischen Konkurrenz um den neuen Status Chinas in der Welt. Welchen Status China beansprucht und welche Mittel es dafür vorzuweisen hat – also Auskünfte über die Leistungsbilanz der kapitalistischen Konkurrenznation China. Die WTO: Chinas Hebel zur politisch-strategischen Eroberung des Weltmarktes.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- I. Was sich einem „schwierigen WTO-Verhandlungsprozess“ auch entnehmen lässt
- II. Das neue WTO-Mitglied: Leistungsbilanz der kapitalistischen Konkurrenznation China
- III. Die WTO: Chinas Hebel zur politisch-strategischen Eroberung des Weltmarkts
- IV. Die imperialistischen Berechnungen bei und Konsequenzen nach der Zulassung Chinas zur weltweiten Konkurrenz um Reichtum und Macht
China in der WTO
Noch ein „großer Sprung nach vorn“ –
in der Konkurrenz um kapitalistischen Reichtum und
weltpolitische Macht
I. Was sich einem „schwierigen WTO-Verhandlungsprozess“ auch entnehmen lässt
Chinas Interesse ist bedient worden: Nach
fünfzehnjährigen Verhandlungen sind nunmehr auch für
dieses Land die handelsrechtlichen und -diplomatischen
Verkehrsregeln verbindlich, mit denen die führenden
Mächte des kapitalistischen Weltgeschäfts das
grenzüberschreitende Kaufen und Verkaufen – untereinander
wie mit dem Rest der Staatenwelt – reglementieren. Zu
hören war, dass sich die Beförderung dieses Landes zum
WTO-Mitglied ausgesprochen schwierig
und überaus
zäh
gestaltete – allerdings, wie man gleichfalls
erfuhr, nicht allein wegen der ökonomischen
Streitfragen, die da im Bemühen um eine verbindliche
Vereinbarung eines ‚liberalisierten‘ Handelsverkehrs mit
China auf die politische Agenda gelangt sind. Sicher
waren diese Fragen um Zölle, Kontingentierungen,
Einführungsfristen usw. wegen der gegensätzlichen
Berechnungen, die von China und seinen westlichen
Verhandlungspartnern an eine WTO-Mitgliedschaft des
Landes jeweils geknüpft wurden, der Stoff, der sich von
einer Verhandlungsrunde zur nächsten schleppte.
Überlagert aber waren alle diese, den Handelsverkehr im
engeren Sinn betreffenden Streitgegenstände und
Rechtsfragen von dem auf beiden Seiten vorhandenen
Bewusstsein, dass weltwirtschaftliche Handelsfragen
allemal auch weltpolitische Machtfragen sind –
und in diesem speziellen Fall, in dem es um das
Mitmischen einer Macht wie China in der obersten
Regulierungsbehörde des kapitalistischen Weltgeschäfts
geht, ganz besonders. Denn dass all die ausgefeilten
Vereinbarungen und Reglementierungen, auf die sie sich um
ihres Interesses an einer wechselseitigen
ökonomischen Benutzung willen zu einigen verstehen,
einzig und allein dazu gut sind, das Verdienen am
Weltgeschäft möglichst einseitig, nämlich zum
eigenen Vorteil zu gestalten – das wissen die
führenden kapitalistischen Weltwirtschaftsmächte nicht
nur von Haus aus, weil von sich selbst am besten: Das
entging ihnen auch an der chinesischen
Verhandlungsführung nicht, die keinen Zweifel daran ließ,
dass hier eine Macht auf Basis ihres Erfolges
ins Weltgeschäft einzusteigen sucht, Handel treiben und
um die Bedingungen des weltweiten Handelsverkehrs
schachern will, um chinesischen Reichtum zu
mehren. Und dass vom erfolgreichen Ausgang aller
diesbezüglichen Bemühungen wesentlich mit abhängt, was
eine Wirtschaftsnation als politische Macht auf
der Welt zählt und gegen andere vermag – das ist den
imperialistischen Mächten gleichfalls nicht nur von sich
selbst allzu vertraut: Davon, dass auch China in der
weltweiten Wirtschaftskonkurrenz gewinnen will,
um sein weltpolitisches Gewicht zu vergrößern,
konnten sie sich während der ganzen 15 Jahre schon auch
überzeugen.
Daher war für die etablierten kapitalistischen Mächte –
und da insbesondere für ihre in Washington residierende
Führungsmacht – die Frage einer WTO-Mitgliedschaft Chinas
eine politische Entscheidungsfrage besonderen Gewichts.
Zugelassen zum kapitalistischen Weltgeschäft hatte man
die Nation zwar schon vor 25 Jahren, und ihr damit die
bekundete Bereitschaft honoriert, von ihrer dezidierten
Feindschaft gegen das imperialistische
Bereicherungswesen abrücken zu wollen. Man ist sich auch
sicher, dass mit einer vollständigen Integration
Chinas in die WTO-geregelte Weltwirtschaft der
kapitalistische Reformkurs
des ehemaligen
Systemgegners gegen die Gefahr
eines
Rückfalls
noch solider abgesichert wird. Zugleich
aber geben den bewährten kapitalistischen
Weltwirtschaftsmächten die Folgen zu denken, die sie für
den Fall zu gewärtigen haben, dass sie diese Nation zum
gleichberechtigten Mitmachen in ihrer
weltwirtschaftlichen Konkurrenz ermächtigen. Ob diese
schon jetzt nicht gerade unbedeutende Wirtschaftsnation
ökonomisch nicht zu groß und mächtig wird; ob
gegenüber allen kalkulierten ökonomischen Vorteilen eines
geregelten Geschäftsverkehrs mit China nicht doch der
politische Nachteil entscheidend ins Gewicht fällt, dass
sich diese Nation mit ihren Geschäftserfolgen Machtmittel
verschafft, die sie zu einer Größe werden lassen, die das
weltpolitische Kräfteverhältnis durcheinander zu bringen
droht: Das sind die maßgeblichen Gesichtspunkte, unter
denen sie über Chinas Antrag auf WTO-Mitgliedschaft zu
befinden hatten und die dafür verantwortlich waren, dass
der Verhandlungsprozess immer wieder auf die
Grundsatzfrage zurückfiel, ob China
überhaupt in den Status eines vollwertigen
weltwirtschaftlichen Konkurrenzsubjekts erhoben werden
soll.
Jetzt ist dazu der positive Bescheid ergangen, und mit
Zufriedenheit wird in der öffentlichen Urteilsbildung
vermerkt, dass dieser vom sozialistischen
Entwicklungsland
zum sechstgrößten Industriestaat und
zum viertgrößten Exportland der Welt aufgestiegene Staat
nunmehr auch noch rechtsförmlich in den globalen
kapitalistischen Geschäftsverkehr integriert
ist,
die Geschäfte also weiter ihren einvernehmlich geregelten
Gang gehen können. Ob bei denen der schlafende
Drache
mehr zu Furcht
oder zu mehr
Hoffnung
berechtigt, kann man dann getrost
abwägen.
II. Das neue WTO-Mitglied: Leistungsbilanz der kapitalistischen Konkurrenznation China
Tatsächlich verhält es sich mit China so, dass die in
Peking regierende Staatspartei ihr Land für genügend
ausgestattet und hinreichend gerüstet hält, um auch als
Mitglied der WTO in der imperialistischen Welt, in der es
sich seit längerem um seines eigenen kapitalistischen
Fortschritts willen bewegt, erfolgreich zu bestehen. Sie
weiß um die Ansprüche, die aus den Rechtsregeln des
internationalen Handelsverkehrs für China und die weitere
Öffnung
des Landes für die Interessen auswärtiger
Geschäftsleute erwachsen, die diesen riesigen
Markt
für sich nutzen wollen. Sie sieht sich denen
aber in dem Sinne gewachsen, dass sie sich zutraut, diese
Nutzenkalkulation auch umdrehen und ihrerseits das
kapitalistische Weltgeschäft für die chinesische
Marktwirtschaft instrumentalisieren zu können. Dieses
Zutrauen schöpfen die chinesischen Machthaber aus den
Erfolgen, die ihre Nation als Resultat ihrer
bisherigen Karriere in der weltwirtschaftlichen
Konkurrenz nach allen in dieser geltenden Kriterien für
sich verbuchen kann – und die sie erheblich von den
vielen staatlichen Subjekten unterscheidet, denen die
Einbeziehung
in den Weltmarkt nur die Mutation vom
Entwicklungsland
zum Schuldnerstaat
oder
sogar bereits zum definitiv abzuschreibenden staatlichen
Armenhaus beschert hat: In die neue Phase seiner
Einmischung ins globale kapitalistische Geschäftemachen
mit Waren und Geld tritt China erstens als Staat ein, der
über Reichtum in der einzig gültigen, weltmarktgängigen
Form verfügt – die Nation hat in ihren bisherigen
Geschäften mit dem Rest der Welt echtes
kapitalistisches Geld verdient, verfügt damit über
eine Geldmacht, die sie bei internationalen Transaktionen
handlungsfähig erhält. Dieser Staat gebietet zweitens
über ein Land, das er sich mit Erfolg zu einer
kapitalistisch wirtschaftenden Nationalökonomie
hergerichtet hat, und aus beiden seiner Erfolge will er
in und mit der WTO mehr machen.
1.
Zu dieser, für ein – noch dazu sozialistisches
–
Entwicklungsland
sehr atypischen Position hat
China es gebracht, weil sich die das Land regierenden
Staatssozialisten – anders als ihre realsozialistischen
Kollegen in Osteuropa – nie dem Irrtum hingegeben haben,
mit dem Inventar ihrer Produktionsweise schon alles
Nötige in Händen zu halten, womit sich auf dem Weltmarkt
des Kapitals Geld verdienen ließe.[1] Dass das Kapital, das den
Staat reich machen soll, über das er aber gar nicht
verfügt, nur von außen kommen kann, war schon
auch ihnen klar. Noch viel klarer aber war ihnen, worauf
es dann vordringlich anzukommen hat: Die Nation muss Herr
der fremden Geldmacht sein, wenn sie sich ihr ausliefert,
um sie für sich erfolgreich benutzen zu können – so viel
über die politische Erpressbarkeit, in die ein Staat sich
gegenüber seinen internationalen Gläubigern begibt, hat
sich bei ihnen als Lehre der Ahnväter Lenin, Stalin und
Mao schon erhalten. Sich den kapitalistischen Aufschwung
der eigenen nationalen Ökonomie mit Hilfe des
Kredits auswärtiger Geldbesitzer vorfinanzieren
zu lassen, nur um dann zusehen zu können, wie der
Abtransport von Reichtum in Form von Zins und Tilgung
konsequent ausartet zur Not der weiteren
Kreditbeschaffung allein noch für diesen Zweck und der
Schuldner sich in einer „Schuldenfalle“ wiederfindet:
Dies kam für die chinesische Staatsführung nicht in
Frage. Die Regierenden der KPCh wollten dafür Sorge
tragen, dass der unabweisbar notwendige Kapitalimport
wirklich als Reichtumsquelle der Nation
fungiert, die Öffnung
chinesischer
Reichtumsquellen für auswärts beheimatete
Geschäftsinteressen auch für China
kapitalistisch produktive Effekte nach sich zieht, und
damit diese sich einstellen, haben sie die entsprechenden
politischen Bedingungen gesetzt. Der
Kapitalimport hatte so stattzufinden, dass aus
ihm ein Instrument für einen Warenexport wurde,
mit dem China auf dem Weltmarkt Devisen verdienen konnte,
so dass die Nation gegenüber den Exportnationen des
Kapitals nicht nur Verbindlichkeiten einging, sondern
über den Verkauf der produzierten Waren auch Forderungen
an sie akkumulierte. Dazu machte erst einmal der
chinesische Staat selbst von seiner Verfügungsmacht über
Land und Leute ausgiebig Gebrauch und sein Land für die
internationalen Geschäftemacher für seine Zwecke
attraktiv
: ‚Aus eigener Kraft‘ machte er Teile
desselben für ihre kapitalistische Benutzung zurecht,
sorgte dafür, dass interessierte Anleger aus dem Ausland
von der Energieversorgung bis zu den Hafenanlagen alles
an funktioneller Infrastruktur vorfanden, was sie an
Fazilitäten eines für sie brauchbaren Standorts gewohnt
waren. In diesen Sonderwirtschaftszonen
durften
und sollten sie ihr Kapital dann anlegen, und zwar zu
ausschließlich produktiven unternehmerischen
Zwecken, und auch dies nur zusammen mit einem
chinesischen Geschäftspartner. Die Gründung von
Joint-Venture-Unternehmen, bei denen die kapitalistischen
Partner zum Import von Technologie und Management auf
Weltmarktniveau verpflichtet wurden und bei denen die
Investitionen nach Ablauf einer gewissen Frist an den
chinesischen Mehrheitseigentümer fielen: Das war die
Zauberformel
, mit der die chinesische
Staatsführung aus einigen ihrer Staatsunternehmen auf dem
Weltmarkt erfolgreiche Exportbetriebe verfertigte. Dafür,
dass erfolgreiches kapitalistisches Akkumulieren nicht
nur in der Handvoll von Enklaven stattfand, auf die der
Staat es selbst beschränkte, trug die Führung in Peking
dann auch Sorge. Mit „local content“-Vorschriften, nach
denen Teile für Endmontage und Zulieferung der
importierten Produktionsstätten aus China kommen mussten,
richtete sie zunehmend auch die Um- und Hinterländer der
Sonderwirtschaftszonen zu einem kapitalistischen
Zulieferungsapparat her und implantierte dort die Anfänge
einer genuin chinesischen Akkumulation von Kapital.
Schmackhaft gemacht wurden diese politischen
Restriktionen für das Geldverdienen in China, an denen
Kapitalisten aus Taiwan, Japan, Hongkong und den USA
nicht vorbei kamen, den Interessenten auch – nämlich mit
sehr attraktiven Freiheiten in Bezug auf die Ausübung
ihres Profit heckenden Gewerbes vor Ort: Der chinesische
Staat bot seine billigen Arbeiter zu einer konkurrenzlos
günstigen Benutzung an, indem er die kapitalistische
Kalkulation von vorneherein von kostenpflichtigen
Rücksichtnahmen sozial- oder arbeitsrechtlicher Art
entlastete. Annehmbare Regelungen über den Rücktransfer
des erwirtschafteten Gewinns sowie sonstige steuerliche
Vergünstigungen rundeten das Angebot ab, das dann nicht
wenige internationale Geschäftemacher wahrnahmen.
Die Geschäfte kamen tatsächlich programmgemäß in Gang; Chinas Berechnungen sind aufgegangen. Im selben Maß, in dem kapitalistische Geschäftsleute den stofflichen Reichtum in China und insbesondere das dort ansässige Humankapital für sich nutzten und weiterhin nutzen, ist auch die Nation an ehrlich verdientem Weltgeld reicher geworden und wird es weiter. In den chinesischen Fabriken der – längst über ihre ursprünglichen Grenzen hinaus gewucherten – Sonderwirtschaftszonen wird auf weltmarktmäßig rentablen Arbeitsplätzen inzwischen von Haushalts- und Unterhaltungselektronik bis zu höherwertigen High-Tech-Produkten alles hergestellt, was auf den Märkten in Asien und Übersee Absatz findet. Kapitalisten machen ihre Geschäfte mit dem Export der Waren – und ihr Erfolg dabei saldiert sich in der nationalen Buchführung als positive Handelsbilanz und Exportüberschuss, der den Geldschatz der Nation bildet. Nicht also wie die vielen anderen staatlichen Subjekte, denen die einschlägigen supranationalen Institute der Weltwirtschaft oder sonstige Gläubiger die Kreditwürdigkeit überhaupt erst verschaffen müssen, damit sie dann als WTO-Mitglied im weiteren Fortgang des kapitalistischen Weltgeschäfts endgültig unter die Räder kommen können: Mit einem eigenen Geldschatz, mit selbstverdientem Weltgeld steigt das Land in die WTO ein und sucht in der weiter zu reüssieren.
2.
Zu einem Konkurrenten in der Weltwirtschaft, der sich
auch als vollwertiges WTO-Mitglied seine Chancen
ausrechnen kann, hat sich China jedoch nicht allein durch
seine die Fachwelt beeindruckenden Exporterfolge aus den
Sonderwirtschaftszonen und den an sie angrenzenden
Gebieten qualifiziert. Inzwischen herrschen die
Grundrechnungsarten des Kapitalismus nicht nur in denen,
sondern auch im Rest des Landes, und zwar so, dass der
chinesische Staat sich, was den Import des
kapitalistischen Produktionsverhältnisses betrifft, zu
dessen Nutznießern rechnen kann. Anders nämlich als sein
großer realsozialistischer Nachbar hat er bei der
Transformation
seines Landes zu einem
kapitalistischen Binnenmarkt nicht bloß vorhandenen
nationalen Reichtum zur Aneignung freigegeben, sondern
die herbei befohlene Bereicherung einer neuen nationalen
Geschäftsmafia wie die komplementäre Verelendung seines
Volkes zur systematischen Mehrung des abstrakten
Reichtums der Nation hindirigiert.
a) Womöglich hatte man in den
Reihen der kommunistischen Staatspartei irgendwann einmal
wirklich die Vorstellung, ein Land wie China müsste es
doch hinkriegen, die eigene Bevölkerung zu ernähren. So
richtig Anstoß an den Hungersnöten, die in diesem
rückständigen Agrarland
periodisch Einzug hielten,
nahmen die in China regierenden Kommunisten jedoch aus
einem anderen, für Staatsmänner weit gewichtigeren Grund.
Ein Staat nämlich, dem seine eigene Bevölkerung
regelmäßig zu verhungern droht und der deswegen allein
zur bloßen Bestanderhaltung der wertvollsten Ressource
aller seiner politischen Ambitionen auf den Import von
Lebensmitteln angewiesen ist, bemerkt nicht nur, dass er
ökonomisch einen einzigen Notstand regiert. Der nimmt den
Umstand, dass das Überleben seiner Volksmassen in
beträchtlichem Maß davon abhängt, ob und wie viel Weizen
aus den USA und anderswoher importiert werden kann, vor
allem als Mangel der Souveränität wahr, die er in Bezug
auf seine elementare Machtgrundlage ‚Volk‘ besitzt. In
der freien Verfügung über seine eigene Bevölkerung sieht
er sich an seine Konkurrenten, gegen die er sich
aufstellt, ausgeliefert, und die Emanzipation
ihres Landes von dieser Notlage nahmen die
chinesischen Kommunisten in Angriff. Die Basis einer
machtvollen kapitalistischen Nation China hatte ihr Volk
zu werden, und dafür erschien der KPCh die
westliche
Landwirtschaft mit ihrer
Effektivität
als nachahmenswertes Vorbild. Statt
mit moralischen Direktiven die Massen zu Fleiß bei
Ackerbau und Viehzucht anhalten, den Sachzwang
des Geldes etablieren und Bauern mit der Pflicht zur
Abführung von Steuern auf die Notwendigkeit der
Eigentumsvermehrung festlegen: So hießen die
neuen chinesischen Imperative. Die Volksernährung
ausgerechnet dadurch sicherstellen, dass sie zur
Geldquelle gemacht, über das Interesse an
Geld der Bedarf an Lebensmitteln gedeckt
wird: Das war das Rezept der chinesischen Kommunisten –
dessen Erfolg in Hinblick auf die Devise ‚keine
Hungersnöte mehr!‘ hauptsächlich auf das vorherige
Unwesen ein schlechtes Licht wirft. Praktisch umgesetzt
hat die chinesische Führung ihre Direktiven wiederum ‚aus
eigener Kraft‘. Denn auf den spannenden Test, was von
seinem agrarwirtschaftlichen Versorgungswesen und seinen
sozialistischen Betrieben mit ihrer geplanten
Arbeitsteilung noch übrigbleibt, wenn amerikanische
Großhändler im Verein mit ihren europäischen Kollegen in
die Konkurrenz um die chinesische Zahlungskraft
einsteigen, hat der chinesische Staat es gar nicht erst
ankommen lassen. Damit in China ein „Agrarmarkt“ mit den
segensreichen Effekten, auf die der Staat setzte,
überhaupt zustande kommen und sich auf Dauer erhalten
konnte, war schon seine Kontrollaufsicht über
alles verlangt, was sich im Zuge der Durchsetzung des
marktwirtschaftlichen Prinzips, Produktion und Konsumtion
von Nahrungsmitteln dem Zweck des Geldverdienens
dienstbar zu machen, im Land abspielte. Diese Aufsicht
nahm er wahr und tut dies noch immer,[2] und der Erfolg seines
Bemühens kann sich sehen lassen. Eine riesige Landmasse,
auf der 900 Millionen in Dorfgemeinschaften und
Genossenschaften organisierte Chinesen schlecht und recht
für ihre eigene Ernährung und die des Restvolks vor sich
hinwerkeln, ist das Agrarland China
einfach nicht
mehr. Untrügliche Zeichen des kapitalistischen
Fortschritts, der mit dem staatlich in Kraft gesetzten
kapitalistischen Sachzwang, von Aussaat und Aufzucht bis
zum Verzehr möglichst jedes Fitzelchen im Kreislauf der
landwirtschaftlichen Produktion als Quelle einer privaten
Bereicherung zu nutzen, sind erstens agrarische
Großbetriebe, die bei der Produktion ihrer Exportwaren
auch beim kapitalistisch effektiven Einsatz von Chemie
und Bio-Technologie keinen Vergleich mit den auf dem
Weltmarkt etablierten Giftmischern zu scheuen brauchen.
Zweitens der Umstand, dass neben den landwirtschaftlichen
Kapitalbetrieben größeren Maßstabs immer noch mehr als
die Hälfte der chinesischen Bevölkerung auf dem Land
werkelt. Sie verdient dort immerhin noch so viel Geld,
dass sie dem Staat Steuern zahlen und sich – irgendwie –
über Wasser halten kann, und endlich gibt es auch wieder
ganz viel soziale Differenzierung
innerhalb dieser
bäuerlichen sozialen Schicht
: Die ehemals immer so
uniform vor sich hin wuselnden ‚Blauen Ameisen‘ kann man
inzwischen problemlos in landbesitzende Bauern einerseits
und deren total abhängige Hintersassen andererseits
voneinander scheiden, und die dürfen mit ihren
vorsintflutlichen Werkzeugen den bürgerlichen Blick dann
auch noch an die Lebendigkeit der Tradition
erinnern, die sich inmitten des riesigen
Strukturwandels
erstaunlicherweise am Leben hält. Und
drittens gibt es da noch 200 Millionen Bauern, die nicht
einmal mehr in solche Kategorien hinein passen. Sei es,
weil Agrarunternehmen ihnen ihr Land wegnehmen, um selbst
rentabler wirtschaften zu können, sei es, weil ganze
Landstriche für diesen Zweck nichts hergeben und einfach
abgeschrieben werden, oder sei es, dass sie dort, wo sie
noch auf einem Stück Boden herumkratzen können, mit den
Erträgen ihres Wirtschaftens nicht einmal mehr die Gelder
für Pacht und Saatgut aufbringen können: Sie sind ihre
Erwerbsquelle los, und zwar endgültig. Einerseits
kapitalistisches ‚Bauernlegen‘ wie in jedem ‚modernen
Industriestaat‘, andererseits auf Chinesisch, und da
versinkt eben gleich ein ganzer Volksteil auf dem Land in
seinem Elend, sucht auf Wanderschaft durchs Land seine
letzten Überlebenschancen oder verlumpt einfach so in den
Städten, in die es ihn treibt.
Dort gesellt er sich dann zu dem Bodensatz der 60 – inoffiziell geschätzten – bis 100 – vom Arbeitsministerium berichteten – Millionen aus den industriellen Staatsbetrieben Entlassenen, denn selbstverständlich zeigt auch in deren Kalkulation der Sachzwang des kapitalistisch rentablen Produzierens seine Wirkungen, und auch die fallen umso verheerender aus, je erfolgreicher der um sich greift. Als Ersatz für die ‚eiserne Reisschüssel‘, die ihnen früher einmal ein lebenslanges Auskommen und sogar medizinische Versorgung durch die Betriebe sicherte, ist für die lohnarbeitenden Chinesen entweder – dann nämlich, wenn sie kapitalistisch funktionell sind und sich nützlich machen können – ein Armutsniveau vorgesehen, das gerade mal dazu reicht, um von Tag zu Tag zu überleben. Oder – einfach nichts, und dann haben sie mit der ländlichen Überschussbevölkerung, vielen Rentnern, Kranken und sonstigen kapitalistisch hoffnungslosen Fällen außer ihrem Elend gleich noch etwas gemein und ihrem Staat zu verdanken. Denn selbstverständlich versteht man sich auch in China schon längst – und mindestens so gut wie in allen anderen kapitalistisch zivilisierten Gemeinwesen – darauf, die eigene Skrupellosigkeit bei der gewaltsamen Erzeugung von kapitalistisch funktionellem Elend mit dem staatlichen Zynismus zu ergänzen, die geschaffenen Elendskreaturen als Ordnungsproblem zu behandeln. Haftbar machen lässt ein bürgerlicher Staat sich für die Not seines Menschenmaterials nie und nimmer, die er ihm mit seiner Rechtsgewalt beschert; und wer dann in seinem Elend noch merklich den Rechtsfrieden stört, dem er es zu verdanken hat, wird dafür haftbar gemacht und von der Staatsmacht aus dem Verkehr gezogen. Knast ist immer ein probates rechtsstaatliches Mittel, im Volk für bürgerliche Sittlichkeit zu sorgen, in anderen Zivilisationen wie China kommt die Todesstrafe noch dazu.[3]
b) In der nichtlandwirtschaftlichen Produktion hat der schrittweise Import des kapitalistischen Produktionsverhältnisses einen Sektor zustande kommen lassen, den man hierzulande als private mittelständische Industrie bezeichnen würde. Ursprünglich von staatlichen Institutionen wie lokalen Behörden und Untergliederungen der Armee ins Leben gerufen, günstig mit Kredit und Bauland versorgt und unbehelligt von rechtlichen Vorschriften bezüglich der Grenzen bei der Ausbeutung ihrer Arbeitskräfte, tragen diese Unternehmen inzwischen nicht unerheblich zum chinesischen Gesamtprodukt bei und machen in einigen Bereichen auch den chinesischen Staatsbetrieben Konkurrenz. Auch diesen hat der chinesische Staat die Umstellung auf das Prinzip kapitalistisch rentablen Produzierens abverlangt und mit Hilfe des Kredits ihre Subsumtion unter diesen Maßstab ins Werk gesetzt: Mit den Bankkrediten, die an die Stelle staatlicher Zuteilungen treten, sind sie auf die Erwirtschaftung von geldwerten Überschüssen festgelegt – als Resultat von Produktion und Verkauf ihrer Produkte müssen die Staatsbetriebe einen Gewinn vorweisen, der zumindest den fälligen Zins zu bedienen erlaubt. In dieser Funktion aber, die spekulative Vorwegnahme des Gewinns durch ihre Erlöse zu rechtfertigen, lassen die Betriebe für ihren Staat sehr viele Wünsche offen – allzu viele, wie er an den Schulden bemerkt, die sich in seinem Haushalt ansammeln, und das lässt er seine unternehmerischen Kostgänger nun spüren. Den vielen Krediten, die er über seine Banken solchen Betrieben zukommen ließ, an deren produktiver Tätigkeit er zwar sehr interessiert ist, weil sie die industrielle Basis seiner Nationalökonomie ausmachen, die aber ausweislich ihrer Bilanzen marktwirtschaftlich offensichtlich nicht reüssieren können, lässt er demnächst keine weiteren nachfolgen – auch wenn diese allein schon zur Aufrechterhaltung ihres Betriebs gebraucht werden.[4] Der chinesische Staat jedenfalls geht davon aus, dass die Kreditierung seiner Unternehmen für ihn und die Bilanz in seinem Haushalt eine inzwischen nicht mehr tragbare Belastung darstellt, und das teilt er ihnen praktisch durch den Entzug seines Kredits mit. Staatsbetrieben aus strategisch wichtigen Sektoren – Energie, Telekommunikation, Infrastruktur, Stahlerzeugung, Großhandel – hat er ohnehin schon den Weg geöffnet, sich ihren Kredit bei den neu gegründeten Börsen in Shanghai und Shenzen aus den Taschen privater Anleger zu verschaffen. Den vielen anderen, bleibend unrentablen Unternehmen in seinem Besitz halst er die Last, die sie für ihn darstellen, als ihre neue Bewährungsprobe im Überlebenskampf gegen ihre kapitalistischen Konkurrenten auf: Den sollen sie als das bestehen, was sie sind: Ohne Kredit allein mit dem wirtschaften, was ihr betriebliches Inventar für die Produktion von Stahl, Kohle oder sonst etwas hergibt, sollen sie also versuchen, mit der bloßen Aufzehrung ihrer sachlichen wie menschlichen Produktionsmittel über die Runden zu kommen. Das sollen sie schaffen; wenn sie es nicht tun, dann sollen sie eben allmählich, die einen früher, andere später, zugrunde gehen – wie es sich für schwergewichtige industrielle „Dinosaurier“ gehört, denen die Anpassung an ihre moderne kapitalistische Umwelt einfach nicht gelingen will.
c) Die Rücksichtslosigkeit, die Chinas Regierende im Umgang mit ihren ererbten, Güter produzierenden (Groß-)Unternehmen an den Tag legen, die in nicht unwesentlichem Umfang immer noch den Bestand der chinesischen Nationalökonomie ausmachen, verdankt sich umgekehrt einer Sorgfaltspflicht, die sie gegenüber dem Stoff walten lassen, auf den es in einer kapitalistisch wirtschaftenden Nation vor allem anderen ankommt: Ihrem Geld, der Materie, um deren Vermehrung sich die produktiv wirtschaftenden Unternehmer verdient zu machen haben, lassen sie die aufmerksamste Pflege zuteil werden. Denn auch das hat man im „kommunistischen“ China aus der weltweiten kapitalistischen Praxis gelernt: Geld und Kredit sind bloß in gewissen marktwirtschaftlichen Ideologien, in der kapitalistischen Realität jedoch alles andere als bloße Hilfsmittel eines fröhlichen nationalen Produzierens; sie setzen vielmehr mit politökonomischer Zwangsläufigkeit jedes produktive und Handelsgeschäft zum Hilfsmittel für die Verwirklichung einer finanzkapitalistischen Spekulation auf pure Geldvermehrung herab. Und das gilt auch und erst recht für das Geld, das der Staat drucken lässt und auf dem Kreditweg über die Bankenwelt in seine Gesellschaft hinein schleust, um den nationalen Kapitalkreislauf in Schwung zu bringen und zu halten: Er setzt damit den sachzwanghaften Anspruch auf eine entsprechend schwungvolle Kapitalakkumulation in die Welt und auch gleich verbindliche Maßstäbe für die Wachstumsrate, mit der die nationale Wirtschaft den staatlichen Anspruch zu erfüllen, den vorgegebenen Sachzwang zu rechtfertigen hat. Also wird das Wachstum der ‚realen‘ Wirtschaft hinsichtlich der Dienste prüfend in Augenschein genommen, die es für dasjenige der gültigen Ansprüche auf Geldvermehrung tut, die über die rege Tätigkeit der Bankenwelt in die wirtschaftende Welt kommen.
Dabei macht man sich über die Güte des eigenen Geldes nicht viel vor: Die Identität seiner zirkulierenden Kreditzeichen mit wirklichem, kapitalistisch produziertem Wert postuliert zwar auch der chinesische Staat mit dem Hoheitsakt seiner Geldschöpfung als allergrößte Selbstverständlichkeit; davon aber, dass diese Identität so ohne Weiteres gegeben wäre, geht er selbst keineswegs aus. Was seinen nationalen Reichtum betrifft, befleißigt er sich gewissermaßen einer „doppelten Buchführung“: Das Geld, das ihn auf dem weltwirtschaftlichen Parkett reich macht, bilanziert er in dem – weltweit übrigens zweitgrößten – Devisenschatz, den er sich mit seinen Außenhandelsgeschäften verdient hat; im selben Maße, in dem der wächst, wird China nach außen hin immer kaufkräftiger und kreditwürdiger. Dieser Schatz besteht zwar auch bloß aus einer Ansammlung verschiedener nationaler Geldwaren, doch haben die den herausragenden Status, auch international als wirkliches Geld zu gelten, Weltgeld zu sein. Der Geldreichtum dagegen, der in China selbst wächst, muss sich diese Qualität erst noch erwerben. Und das klappt nie, auch das haben die Pekinger „Kommunisten“ aus den schlechten Erfahrungen der Geldpolitiker in den meisten Ländern der Welt lernen können, wenn es dem im heutigen Weltkapitalismus durchgesetzten und als verbindlich anerkannten freien geschäftlichen Vergleich der nationalen Währungen ausgesetzt wird, ohne sich im internen Gebrauch als das solide, in seiner gesamten Masse durch erstklassige Akkumulationsraten gerechtfertigte und beglaubigte Resultat erwiesen zu haben und als unverwüstlicher Motor nationaler Bereicherung zu bewähren. Auf alle Fälle wollen sie erst sicher sein, dass ihre heimische Geldware sämtlichen kapitalistischen Anforderungen an das definitive Geschäfts- und „Wertaufbewahrungs“-Mittel, welches ein Geld nun mal ist, genügt, und das nicht leihweise, kraft fremder Konzession, sondern auf Grund hervorragender „hausgemachter“ Wachstumsbilanzen, bevor sie ihren Yuan dem alles entscheidenden Härtetest des internationalen Finanzgeschäfts aussetzen. Deswegen lassen sie einstweilen den Austausch eigener Währung gegen fremde Devisen nur beschränkt, für bestimmte Zwecke und zu von ihnen festgelegten Kursen zu, setzen ihren Devisenschatz dafür auch ein, setzen ihn aber nicht aufs Spiel, um ihrem nationalen Zahlungsmittel eine Weltgeldqualität zuzuschreiben, die sie ihm selber noch nicht zutrauen, und seine Dollar- oder Euro-Gleichheit glaubhaft zu machen, wenn sie ihnen selber noch gar nicht ganz glaubhaft vorkommt.
Damit ist die Regierung einerseits gut beraten. Denn zu tun hat sie es damit, dass sehr viel von ihrem vergebenen Kredit an sehr vielen Stellen kein Kapitalwachstum geschaffen hat, sondern bloß dessen Ausbleiben überbrückt, und das nicht vorübergehend, sondern auf Dauer. Unternehmen, die vor dem Konkurs stehen, Banken, die auf uneinbringlichen Forderungen sitzen, und Schulden, die sich bei ihm akkumulieren, belehren den Staat darüber, dass – kaum dass er kapitalistische Bereicherung als Motor der ökonomischen „Entwicklung“ auf den Spielplan gesetzt hat, auch schon prompt – zu viele Ansprüche auf Reichtum in seiner Gesellschaft unterwegs sind und zu wenig kapitalistisches Wachstum von der „realen“ Art zu Stande kommt, das sie in Wert setzt. In dieser Lage uneingeschränkte „Konvertibilität“ zu dekretieren, also – denn das ist der Inhalt dieser „-ibilität“! – per Freigabe der nationalen Geldware für den internationalen geschäftlichen Geldvergleich das gesamte nationale Kreditgebaren pauschal dem überaus kritisch-berechnenden Urteil des Weltfinanzkapitals zu unterwerfen und die gesamte heimische Wirtschaft diesem Urteil zu überantworten, das hieße das Risiko einer Entwertung und Enteignung des intern geschaffenen und bewerteten kapitalistischen Reichtums einzugehen.
Andererseits ist es für eine kapitalistische Nation, die
sich zu ihrem nächsten großen Sprung
bei der
Eroberung des Weltmarkts anschickt, selbstverständlich
ein Unding, nicht über eine auch international zählende
autonome Geldmacht zu verfügen: Dass genau die
es ist, die imperialistischen Staaten erst so richtig den
Zugriff auf den weltweiten Reichtum eröffnet, wussten
Chinas Staatsmänner schon bei ihrem ersten Schritt der
Öffnung
ihres Landes fürs internationale Geschäft
– um selbst nicht zum Opfer dieser Zugriffsmacht zu
werden, haben sie ja eigens ihre Vorkehrungen getroffen.
Und inzwischen sehen sie sich mit ihrem kapitalisierten
Land zumindest schon auf dem Weg dahin, demnächst doch
auch mit ihrem Geld im Vergleich der Gelder zu
bestehen. Sie kalkulieren jedenfalls mit der
Notwendigkeit, dass demnächst auch der chinesische Yuan
ein für die Agenten des internationalen Geldhandelswesens
attraktiver Artikel zu werden hat, und bringen die dazu
erforderlichen Voraussetzungen auf den Weg.
In der Erkenntnis, dass ein Geld, das kein Weltgeld ist,
nur dadurch eines werden kann, dass die Besitzer des
guten Geldes es zu ihrem Geschäftsartikel erküren und
darauf setzen, im Handel mit Kreditpapieren aller Art zu
verdienen, auch wenn sie auf Yuan oder Renminbi lauten,
betreibt der chinesische Staat die entsprechende
Finanzpolitik. Die Regierung kündigt ihren
Banken an, dass der Staat ihnen gegenüber seine Funktion
als unbegrenzter Kreditgeber so nicht weiter
wahrzunehmen vorhat. Er mahnt ihnen gegenüber die Pflicht
an, sich in Anbetracht ihrer vielen faulen
Kredite
zu sanieren, mit denen er selbst sie versorgt
hat.[5] Sie
sollen Bilanzen vorweisen können, die sie nach allen
international geltenden Standards als erfolgreiche
Kreditgeber ausweisen, und darüber die
Geschäftstauglichkeit des Kredits in China generell
bezeugen. Denn dann ist das chinesische Geld auch für das
internationale Finanzkapital attraktiv. Dann
verlockt der Standort China auch Geldkapitalisten aus den
Nationen mit dem guten Geld dazu, die Vermehrung ihres
Vermögens chinesischen Aktien, Fonds und Staatsanleihen
anzuvertrauen, dann wird China zum Finanzplatz
oder, was dasselbe ist, aus China ein
internationaler Finanzplatz, ein
Geldansammelzentrum, das den Staat selbst, seine Banken
und seine Unternehmen mit dem Kredit der ganzen
imperialistischen Welt versorgt. Daher versucht der
chinesische Staat nicht nur bei seinen Banken für die
nötige Solidität zu sorgen, die internationale
Finanziers, die demnächst ins Land kommen sollen, mit
„Vertrauen“ ins Gelingen der Geldgeschäfte versorgen
sollen, die in China gehen. Er bringt auch eine
Börsenreform
auf den Weg, damit das Spekulieren
auf und in China, das er Ausländern bislang verwehrt hat,
in Gang kommt, setzt also darauf, dass er auch da mit
seinem Kredit von dem der anderen profitiert.
Der Devisenschatz, den er akkumuliert hat,
bietet dem chinesischen Staat in doppeltem Sinn die
Gewähr dafür, dass bei den Geschäften, die demnächst in
und mit seinem Geld gehen sollen, absehbarerweise nichts
schief gehen kann – jedenfalls nicht all zu viel all zu
Prinzipielles. Den Finanzkapitalisten, die ihr
Allerheiligstes zu seinen Börsen und
Investitionsstandorten hintragen sollen, garantiert er
mit seinem Vermögen, dass ihr Risiko in engeren Grenzen
bleibt als ihre Gewinnchance; und so viel Sicherheit muss
einfach sein für wagemutige Spekulanten. Umgekehrt
verfügt er über Mittel, um etwaige Misstrauenserklärungen
der Finanzwelt, Spekulationen – politisch motivierte
womöglich – gegen sein kreditfinanziertes
Wirtschaftswachstum und die sich davon ernährende
Geldware abzuwehren. Als Garantiemacht für und gegen
Finanzspekulationen ist die Staatsgewalt aber nicht nur
mit ihrem Vermögen gefordert – das dadurch
endlich seiner einzig sachgerechten Anwendung zugeführt
wird –. Auch und vor allem mit ihren Schulden
haftet sie für Chinas Qualitäten als Weltfinanzplatz.
Denn in die geschäftsentscheidende finanzkapitalistische
Einschätzung der glaubwürdigen Wachstumsträchtigkeit oder
wachstumsträchtigen Glaubwürdigkeit des chinesischen
Nationalkredits geht als erste und wichtigste Kenngröße
das Kreditgebaren der Regierung selber ein: die Art und
Weise, wie sie ihre Auf- und Ausgaben finanziert; die
Masse der Schulden, die sie dafür macht; vor allem aber
der Zweck, für den sie sie macht – ob der Kredit nämlich
kapitalistisch produktiv eingesetzt wird und folglich
auch mit einem ziemlich aufgeblasenen Volumen die
Kreditwürdigkeit der Nation nur erhöhen kann, oder ob die
Regierung sich in Widerspruch zu jeder
marktwirtschaftlichen Staatsräson für kapitalistisch
Unproduktives verschuldet und damit jeglichen Kredit
verspielt. Im chinesischen Staatshaushalt mit
seinen aus der kommunistischen Vor- und Frühgeschichte
überkommenen Restposten gibt es da noch eine Menge zu
bereinigen; das haben die zuständigen Pekinger
Finanzpolitiker längst eingesehen und verkünden deswegen
ihrem geschätzten Volk den Sachzwang, das ganze bisherige
System der Agrar- und Lebensmittelsubventionen, die mehr
als ein Drittel des Budgets ausmachen, ebenso zur
Disposition stellen zu müssen wie bereits
verabschiedete Programme zum Aufbau eines rudimentären
Sozialstaats. Man hätte an sich gerne nicht noch mehr von
dem erzeugt, was hierzulande als sozialer
Sprengstoff
in China ausfindig gemacht wird. Aber die
knappen Kassen des Staates verbieten einfach Ausgaben,
die nach den geltenden Kriterien der kapitalistischen
Weltwirtschaft unproduktiv sind – und in China ohnehin
nur ein Volk am Leben erhielten, von dem der Staat genug
hat. So sieht er es jedenfalls praktisch, geht davon aus,
dass das Elend im Land demnächst noch mehr werden wird,
und kann allein schon deswegen an den Ausgaben
für die innere Sicherheit überhaupt nicht sparen.
Gleichfalls verbietet es sich für einen Staat, der als
internationales Geschäftszentrum etwas hermachen will,
dort zu sparen, wo für das gewünschte Renommee
Investitionen einfach sein müssen. Und welcher Staat kann
es sich da leisten, zwischen seinen wichtigsten
Geschäftszentren und Flughäfen eine Bahn auf Magneten
schweben zu lassen? Mit 400 km/h über Slums einfach
hinwegzurauschen – welcher Standort sonst noch auf der
Welt ist technisch so modern und kapitalistisch auf der
Höhe?
3.
Der Kapitalismus, den die Staatspartei in China machtvoll
herbeiregiert hat, kann sich also nicht nur ausweislich
seiner Exportbilanzen sehen lassen. Den kapitalistischen
Geschäftemachern großen Stils, vielen anderen neuen
Reichen
und noch mehr Mittelständlern
sowie
einem Volksdrittel, das sich in seiner Armut für deren
Reichtum irgendwie nützlich macht, steht ein knappes
Viertel der Bevölkerung gegenüber, das die hiesige
Berichterstattung in ihrer bekannt einfühlsamen Manier
als Chinas Armutsproblem beim Weg in die WTO
identifiziert. Die chinesische Staatsmacht hat davon
allerdings eine andere Wahrnehmung. Bei Besichtigung des
Verteilungswerkes, das im Zuge der praktischen Umsetzung
ihrer Parole: Bereichert euch!
zustande gekommen
ist, bereitet ihr nicht der gigantische menschliche
Abfall Sorgen, den sie mit ihrer Zersetzung aller
althergebrachten Produktions- und Lebensverhältnisse
geschaffen hat, selbstverständlich auch nicht, dass sich
dem gegenüber durchaus ansehnlicher Reichtum in den
Händen Weniger konzentriert: Aus chinesischen Armen
kapitalistisch lohnende Armut zu machen, genau das war
gewollt und beabsichtigt, die übrigen sozialen
Konsequenzen des Einsatzes ihrer Gewalt nimmt die
Staatsmacht kaltlächelnd in Kauf.
Andere dafür nicht, und die betreffen die herrschaftliche Methode, mit der die Staatsgewalt ihrem Volk den Kapitalismus oktroyiert hat. Ihre übers ganze Land verstreuten Parteikader, Unternehmensleiter, Dorf-, Gemeinde- und Provinzvorsteher und die Chefs aller anderen staatlichen Institutionen bis hinauf zum Militär fungierten ja nicht nur als propagandistisches Sprachrohr der neuen Wirtschaftsweise: Sie waren auch deren allererste Agenten in praktischer Hinsicht. In ihrer Verfügungsgewalt über Geld und alle nötigen sachlichen Produktionsmittel und mit ihrer politischen Kommandomacht über die Arbeitskraft im Land besaßen ja erst einmal nur sie die nötigen Mittel, um mit dem Sich-Bereichern loslegen zu können, und genau das taten sie mit denen dann auch. Unternehmer gegen Unternehmer, Dorf gegen Dorf und Provinz gegen Provinz: So, durch eine Konkurrenz der politisch zum Zugriff auf die chinesischen Reichtumsquellen Berechtigten und per Instrumentalisierung dieser Quellen zur Quelle der eigenen kapitalistischen Bereicherung, kam das Wachstum im Land überhaupt in Gang. An diesem Prinzip, die Funktionäre des Staates auch noch zu solchen des Eigentums zu ermächtigen und dessen Mehrung ihrem privaten Geschäftssinn zu überantworten, nimmt der Staat nunmehr Anstoß – oder zumindest an dessen negativen Folgen für sein Gewaltmonopol und seine Dispositionsfreiheit.
Denn mit der erfolgreichen Inszenierung einer überhaupt
nicht „ursprünglichen“, so in China aber auch noch nicht
dagewesenen kapitalistischen Akkumulation sind nicht bloß
– absichtsgemäß – die nach staatlichem Urteil
unzureichend genutzten sachlichen wie menschlichen
Produktivkräfte in den Besitz unternehmungslustiger
Volksgenossen übergegangen, sondern auch etliche seiner
eigenen Einnahmequellen, Steuern und Zölle, in die Hände
von Lokal- und Provinzfürsten geraten, die entgegen aller
offiziellen Absicht sich und ihren Anhang daran
bereichern. Statt einer gesamtstaatlichen
Rechtssicherheit, der gewaltsamen Grundvoraussetzung für
eine gescheite „Marktwirtschaft“ mit einem „Potential“
von – nach menschenrechtlicher Rechnung – über 1
Milliarde „Konsumenten“, herrscht eine fatale Tendenz zur
Zerstückelung des riesigen Landes in quasi autonome
Herrschaftssphären und Teilmärkte. Und das nimmt die
„kommunistische“ Partei der nationalen Einheit nicht hin.
Wo Reichtum unter Einsatz politischer Befugnisse in solch
staatsabträglicher Weise privatisiert oder umgekehrt
politische Macht durch den Einsatz und zum Zwecke
privaten Reichtums der Zentrale entfremdet wird, da liegt
nach ihrem Urteil ein Missbrauch ihres
wundervollen Aufbruchsprogramms vor. Dagegen schreiten
die führenden Kader in Peking ein – mit einer
Expropriation der Expropriateure von oben: Auf
gesetzlichem Verordnungsweg versuchen sie, der
Zentralgewalt in Peking wieder die hoheitliche
Verfügungsmacht über Geld und Kredit, Produktion und
Steuern von den Provinzen des Landes zu verschaffen und
so dafür zu sorgen, dass im ganzen Land der bürgerliche
Rechtszustand gilt, der alle seine Insassen auf ihre
unterschiedlichen, aber in gleicher Weise funktionellen
Dienste für die Mehrung des Eigentums festlegt. Der
Rechtssicherheit
, die sie ihrer Nation pünktlich
zum WTO-Beitritt zu verschaffen beginnen, fügen sie dann
noch eine moralische Fußnote hinzu. Unter dem Titel eines
entschlossenen Kampfes gegen Korruption
machen sie
sich auf die Suche nach den Elementen
, die sich an
der Nationalpflichtigkeit des Eigentums vergangen haben,
und damit spendieren Chinas Machthaber ihrem Volk endlich
auch einmal etwas: In der drakonischen Bestrafung
verdienter Parteigenossen, die sich da ungerechtfertigt
bereichert haben sollen, darf es in vollen Zügen die
Gerechtigkeit genießen, die vom Kapitalismus
auch in China nicht wegzudenken ist.
III. Die WTO: Chinas Hebel zur politisch-strategischen Eroberung des Weltmarkts
Es ist also nicht irgendein Land, das im Falle Chinas bei
der WTO den Antrag auf Mitgliedschaft einreicht. Da wird
eine Nation vorstellig, die sich schon vor ihrem
endgültig kompletten und höchstförmlichen Einstieg ins
kapitalistische Weltgeschäft zu einem nicht
unbeträchtlichen Teil desselben gemacht hat – und die nun
als WTO-Mitglied genau da weitermachen will. Da
spekuliert nicht eine Macht auf Erfolge, die sich im Zuge
des weltweiten Geschäftsverkehrs, dem sie sich nun noch
mehr als bislang zu öffnen
gedenkt, einstellen
oder nicht. Mit China meldet sich eine Nation mit dem
Willen zu Wort, das kapitalistische Geschäft, das mit ihr
schon geht, als ihren Besitzstand
auszubauen, und gibt damit zu verstehen, wie sie
sich ihre weitere Karriere in der imperialistischen
Konkurrenz vorstellt: Die Potenzen, die sie sich erobert
hat, sollen im selben Sinn, nur eben auf größerer
Stufenleiter, ihr Werk tun; der Reichtum, den China
sich verschafft hat, ist das Mittel der Nation,
sich demnächst noch viel mehr von dem Reichtum
anzueignen, der weltweit produziert wird.
Das ist ein Eingriff in die Reichtumsverteilung, zu der es die etablierten imperialistischen Außenhändler in ihrer Konkurrenz gebracht haben, also ein Angriff auf alles, was sie sich jeweils als ihren weltwirtschaftlichen Besitzstand zurechnen – und als solcher Angriff ist der Antrag Chinas, in die WTO aufgenommen zu werden, von dieser Nation auch gewusst und gewollt. In den Verhandlungen mit den führenden kapitalistischen Weltwirtschaftsmächten lässt das Land keinen Zweifel daran, worum es ihm geht. Auf Märkte will es zugelassen werden, die ihm bislang versperrt waren – natürlich, um sie für sich zu erobern, mit noch mehr Exporten noch mehr internationale Zahlungsfähigkeit in Reichtum zu verwandeln, der China gehört, und zwar längst nicht mehr nur mit dem Export von Textilien und Feuerwerkskörpern, sondern mit PC, Flachbildschirmen und anderen High-Tech-Geräten. Auf noch mehr Import ausländischen Kapitals ist China scharf, damit dieses vermehrt seine segensreiche Wirkung tut und möglichst den ganzen Rest des Riesenreiches zum Kapitalstandort aufbaut, mit direkten Investitionen in höchst produktive Fabriken, mit dem Einstieg in chinesische Anleihen und Aktien, über die sich dann auch Staatsbetriebe zu solchen machen ließen, und am besten mit beidem. Um seine ökonomischen Interessen geltend zu machen, will China in die Organisation hinein, in der die Bedingungen des weltweiten Handels ausgemacht werden – nicht, um sie einfach nur mitgeteilt zu bekommen, sondern um sie selbst und gemäß dem eigenen Interesse auch gestalten zu können.
Dass allein der entschlossene Wille einer Nation, am
internationalen und WTO-geregelten Handel gegen die
Konkurrenten zu verdienen, nicht schon den beabsichtigten
Erfolg garantiert, weiß man allerdings in China schon
auch. Dass da im Land auch einiges kaputt gehen kann,
wenn die für Masse wie Produktivität des Kapitals
weltweit den Maßstab setzenden Unternehmen aus den
imperialistischen Metropolen in die chinesische
Peripherie importieren dürfen, was und wie sie wollen,
ist der Führung in Peking nicht nur bekannt: Sie rechnet
sogar damit – und ist daher bestrebt, in den
WTO-Verhandlungen den Preis möglichst herabzudrücken, den
die Nation für die Erweiterung der Stufenleiter ihrer
Weltmarktgeschäfte zu entrichten hat. Nach der Seite hin
ist es kein Witz, wenn China gegenüber der WTO
darauf drängt, als Mitglied im Rang eines
Entwicklungslandes
aufgenommen zu werden: Die vor
allem zur Pflege des eigenen Agrarmarktes beantragte
Sonderstellung, mit weniger Verpflichtungen und
besonderen Rechten gegen die Konkurrenten antreten zu
dürfen, verrät schon ein gewisses Bedürfnis nach
Selbstschutz der Nation gegen die Konkurrenten,
denen sie sich ausliefert. Andererseits ist es
selbstverständlich ein einziger Witz, wenn eine Nation
mit Verweis auf ihre schutzbedürftige, weil im
Konkurrenzvergleich hoffnungslos unterlegene
Landwirtschaft als ein ziemlich hilfloses
‚Entwicklungsland‘ gewürdigt werden will – und daneben zu
verstehen gibt, mit welchen Mächten sie sich schon längst
vergleicht und welches keineswegs nur ökonomische
Kräfteverhältnis sie demnächst nachhaltig zu eigenen
Gunsten zu verändern vorhat:
„Im internationalen Kräfteverhältnis besteht eine erhebliche Unausgewogenheit, die alte ungerechte und unrationelle politische und wirtschaftliche Ordnung in der Welt hat sich noch nicht gründlich geändert, und der Hegemonismus und die Machtpolitik bestehen weiter in der Weltpolitik, Weltwirtschaft und im Sicherheitsbereich und haben sich sogar neu entwickelt.“ (Weißbuch zur Landesverteidigung, Februar 2000)
Ein sehr bezeichnender Blick, der da von China aus auf den Rest der Welt fällt. Nicht nur in wirtschaftlichen Belangen fühlt man sich noch gar nicht auf der Höhe der Erfolge, die einer großen chinesischen Nation zustehen, und sieht sich zu Korrekturmaßnahmen herausgefordert. Auch in allen anderen weltpolitischen Anliegen, die man verfolgt, trifft man auf Hindernisse, an denen man sich stört – und die man aus diesem Grund auch wegzuräumen sich vornimmt. Nichts Geringeres als eine Modifikation des Kräfteverhältnisses, das von einem unschwer zu identifizierenden Hegemon, eben der einen Führungsmacht der imperialistischen Weltordnung, dominiert wird, nimmt China sich vor. Einiges von den Fortschritten, die die USA bei ihrer politischen Kontrolle der Welt unternommen haben, rückgängig zu machen – das ist die politische Mission, auf die diese Nation sich verpflichtet und für deren erfolgreichen Vollzug sie sich ersichtlich auch die erforderliche Stärke zutraut – jetzt schon, und mit den Rechten eines WTO-Mitglieds versehen schon gleich. Das ist die moderne Imperialismuskritik, auf die Mao-Ze-Dongs Erben sich verstehen: Nicht mehr Absage an – ein Einstieg in die kapitalistische Weltwirtschaft hat stattzufinden, der China nicht nur Reichtum verschafft, sondern darüber auch die Perspektive eröffnet, das etablierte Kräfteverhältnis zwischen den Weltmächten ein wenig zu revolutionieren. Den Status einer Atommacht, einer regionalen Großmacht in Asien und eines Mitglieds im Weltsicherheitsrat, zu dem man es erfolgreich gebracht hat, will China zur Vergrößerung des eigenen weltpolitischen Gewichts und Einflusses nutzen; eine Macht werden, die bei keinem Krieg, Konflikt oder sonstigem weltpolitischen Ordnungsfall von Bedeutung mehr zu übergehen ist, in Asien nicht, aber auch nicht auf dem Rest des Globus; als solche Macht dann schon auch dazu imstande sein, gegen die weltpolitischen Konkurrenten eigene Macht- und Ordnungsinteressen geltend zu machen und durchzusetzen. Und da will die Volksrepublik vor allem dafür Sorge tragen, dass das allererste Recht der Nation, ihre hoheitliche Verfügung über Land und Leute, befriedigt wird, sie ihr territoriales Verfügungsrecht also endlich auch über die Insel Taiwan und das Südchinesische Meer erstrecken kann. Dies, den eigenen nationalen Gründungsakt erfolgreich zu vollenden und sich auch sonst zu einer in jeder erdenklichen Hinsicht respektablen Weltmacht zu formieren, ist das politische Programm Chinas, das Hand in Hand geht mit dem seines Aufbruchs zur Weltwirtschaftsmacht.
IV. Die imperialistischen Berechnungen bei und Konsequenzen nach der Zulassung Chinas zur weltweiten Konkurrenz um Reichtum und Macht
Der Antrag Chinas, als vollwertiges WTO-Mitglied zur Konkurrenz auf dem kapitalistischen Weltmarkt zugelassen zu werden, ist eine ökonomische wie politische Herausforderung – und die Macht, an die diese an erster Stelle adressiert ist, die politische wie ökonomische Führungsmacht der imperialistischen Weltordnung, sieht sich entsprechend herausgefordert. Vom Ausgang der Güterabwägung, die die USA nach Maßgabe ihrer Interessen treffen, hängt ab, was aus dem Interesse Chinas wird, und ihre Entscheidungsfindung macht die Weltmacht sich nicht leicht.
Positiv fällt für sie ins
Gewicht und wird China entsprechend angerechnet, dass
sich für das Land mit seiner Wende
hin zur
kapitalistischen Weltwirtschaft die Feindschaft
gegen das System der kapitalistischen Ausbeutung
definitiv erledigt hat, mit der es sich zu Maos Zeiten
aufstellte. Das damalige Vorhaben, einen eigenen
dritten Weg
gehen zu wollen, ein wenig Versorgung
der eigenen Leute zu organisieren und sie nicht der
profitablen Ausnutzung durch kapitalistische
Geschäftemacher zur Verfügung zu stellen, damit auch noch
anderen Entwicklungsländern
auf dem Globus eine
Erfolg versprechende Alternative ihres nationalen
Fortkommens vor Augen zu stellen: Dieses Projekt eines
Sozialismus in China
war ohne die Sicherstellung
des dauerhaften Entzugs des Landes vom Zugriff
der Interessenten an seiner imperialistischen Be- und
Ausnutzung, ohne die Behauptung gegen die Macht
des kapitalistischen Weltsystems nicht zu haben. Mit
diesem Projekt und damit auch mit jeder Erinnerung an
eine Systemfeindschaft des Landes ist schon seit längerem
Schluss, und auch wenn die in China regierende
Staatspartei noch immer ihren unangenehm an die alte Zeit
erinnernden Namen mit sich herumschleppt: Deutlicher als
mit dem Antrag, sich endlich auch nach außen in der
allein selig machenden Wirtschaftsweise bewähren zu
dürfen, kann ein prokapitalistisches Bekenntnis
aus ihrem Mund gar nicht ausfallen. Das beglaubigt
endgültig die Wende
hin zur kapitalistischen Welt,
die China vollzogen hat.
Noch viel positiver fällt auf
dieser Grundlage der Beschluss dieser Nation ins Gewicht,
sich im Zuge ihrer WTO-Vermitgliedschaftung endlich
gescheit zu einer US-amerikanischen Geschäftsgelegenheit
herzurichten. An Handelsbeziehungen zwischen beiden
Ländern ist zwar schon während des langen
WTO-Verhandlungsprozesses nicht gerade wenig zustande
gekommen: Es ist zum größten Teil amerikanisches Kapital,
das in China Anlage gesucht und gefunden hat, und es sind
größtenteils amerikanische Dollars, die China mit seinen
Exporten verdient und in seinen Staatsschatz eingesackt
hat. Aus dem Umstand, dass aufgrund dieser Einseitigkeit
des Handelsverkehrs mit China auf amerikanischer Seite
ein beträchtliches Handelsdefizit hängen bleibt, zieht
man dort den für eine imperialistische Handelsnation
einzig senkrechten Schluss: Für Amerika läuft noch
viel zu wenig Geschäft mit China. Amerikanische
Kapitalisten sollen an China noch mehr verdienen, als sie
es jetzt schon tun, und sich dazu die chinesischen Märkte
und am besten gleich China als ihren Markt
erobern. Und da verspricht die WTO-Mitgliedschaft eines
Handelspartners China doch einiges: Die Unwägbarkeiten,
die eine immer nur von Jahr zu Jahr verlängerte
Meistbegünstigungsklausel den mit Geld und Waren
Handeltreibenden bescherte, entfallen mit dem Eintritt in
die WTO, so gut wie alle Schranken, an denen sich
amerikanische Kapitalisten – Exporteure aus allen
Branchen, Versicherungen, Banken,
Telekommunikationsanbieter usw. – bislang gestört haben,
gibt es demnächst für sie nicht mehr, nach mehrjährigen
Fristen zwar, aber immerhin. Die bestechende Vision von
einem Markt mit 1 Milliarde Menschen
macht – nicht
nur in Amerika – die Runde, und wenn die WTO dazu
verhilft, sie wahr werden zu lassen, steht eines fest:
Dann muss China in der schon auch drin sein.
Weil man dasselbe aber auch von der anderen Seite nehmen kann, nämlich von dem Standpunkt aus, von dem China seine Mitgliedschaft betreibt, geben alle diese schönen Vorteile, die man sich ausrechnet, unmittelbar Anlass zur Sorge. Da fällt dann schon sehr negativ ins Gewicht, dass man mit dem Handel, den man mit China auf erweiterter Stufenleiter zu treiben gedenkt, immerhin einer Macht, die einem jetzt schon ziemlich groß vorkommt, zu einer Größe verhilft, die man erst recht nicht ertragen kann. Natürlich hat man nichts gegen einen „großen Wirtschaftsraum“ als solchen, der kann ja, was die Masse an ausnutzbaren kapitalistischen Geschäftsgelegenheiten betrifft, für sich eigentlich nie groß genug sein. Es ist nur so, dass der ohne die politische Macht, die ihn als ihren Wirtschaftsraum, als Quelle ihrer Machtmittel einrichtet und unterhält, nicht zu haben ist, die vielen Geschäfte, an denen man verdienen will, also immer auch den Souverän stärken, der von ihnen mit profitiert. Die Sorge, China womöglich zu einem ökonomischen Gewicht zu verhelfen, das die eigene Wirtschafts-Macht erheblich relativieren würde, hat man in den USA jedenfalls, und das schlägt sich in den WTO-Verhandlungen entsprechend nieder. Von der Frage, ob man China überhaupt zum Konkurrieren ermächtigen soll, bis hinunter zu den restriktiven Bedingungen, unter denen man sich dazu allenfalls bereit erklären könnte, reichen die gewichtigen Vorbehalte, die ein ums andere Mal von Washington geltend gemacht werden.
Diese werden nur umso gewichtiger, nimmt man zu den Fragen der wirtschaftlichen Konkurrenz noch die politische Intention hinzu, welche die Chinesen bei ihrer strategischen Eroberung des Weltmarkts mit im Auge haben und auch gar nicht verbergen. Sie sagen ja selbst, dass der Aufbruch zur kapitalistischen Weltwirtschaftsmacht für sie der Weg zur Weltmacht ist, der Reichtum, den sie sich in der ökonomischen Konkurrenz erobern, für sie das Mittel ist, in der Konkurrenz der Gewalten das Kräftemessen zu eigenen Gunsten zu gestalten; sie machen gar kein Geheimnis daraus, dass sie das Geld, das sie verdienen wollen, nicht zuletzt wegen der Waffen brauchen, mit denen man überhaupt nur zu einer strategischen politischen Größe wird, die sich mit einigem Realismus an die Verschiebung des globalen Kräfteverhältnisses machen kann – und dies kommt für die amtierende Weltmacht auf keinen Fall in Frage. Dass sich China in der politischen Weltordnung und Hierarchie der Mächte, die ihrer Kontrolle untersteht, in Asien schon zur strategischen Großmacht formiert und den eigenen Verbündeten Japan in die zweite Reihe verfrachtet, ist schon Ärgernis genug; dass das Land sich noch darüber hinaus zu einem anderen Status zu emanzipieren gedenkt, gar zu einem „Pol“ wird in jener „multipolaren Weltordnung“, die seine Regierenden als ihr Ideal der US-amerikanischen Hegemonie entgegensetzen, ist für die USA schlechterdings nicht hinnehmbar. Das ist für sie fast so schlimm, als ob sie es bei diesen imperialistischen Konkurrenzgeiern glatt mit einer Wiederauflage von Mao und dessen Feindschaftserklärung zu tun hätten.
Das ist das Für und Wider, mit dessen Abwägung die
Weltmacht befasst ist, und sie entschließt sich in ihrer
Not zu einer ziemlich geradlinigen Vereinfachung der
Entscheidungslage: Sowohl beim Für als auch beim Wider
sorgt sie konsequent für die Behauptung ihres eigenen
Interessensstandpunkts. Die USA tun das Beste für ihr
ökonomisches Be- und Ausnutzungsinteresse an China und
streiten im WTO-Verhandlungsprozess den Kompromiss aus,
mit dem sie leben können. Daneben kümmern sie sich darum,
dass der weltpolitische Aufbruch, den China sich
vornimmt, unter ihrer ordnungspolitischen Aufsicht und
Kontrolle bleibt. Sie beziehen sich strategisch
auf den Staat, den sie zum Handeltreiben ermächtigen. Sie
halten ihn in ihrer global-strategischen Einhegung und
Umklammerung fest, versuchen, schon
vorausschauend beschränkend einzuwirken auf die
Macht, um die Verschiebung des strategischen
Kräfteverhältnisses möglichst gar nicht erst zustande
kommen zu lassen, zu der China sich aufmacht – und
festigen dazu die Fronten, die sie gegen ihren
Konkurrenten gezogen haben: Mit ihrem NMD-Programm
verteuern sie ihm den Preis, den er für den Aufbau und
die Modernisierung seiner militär-strategischen
Gegenmacht zu entrichten hat; chinesische Einsprüche
gegen ihre Aufrüstung ignorieren sie schlicht.
Demonstrativ unverhohlene Spionageflüge stellen das
selbstverständliche Recht der amerikanischen Weltmacht
unter Beweis, auch fremde Hoheitsgebiete an ihrer
pazifischen Gegenküste zur Zone der eigenen Sicherheit zu
definieren und entsprechend zu kontrollieren. Im Falle
Taiwans entschließen die USA sich nicht nur zu einer
strategischen Neubewertung der Insel, sondern inszenieren
diese auch gleich so, dass noch der dümmste Chinese die
Botschaft versteht: Sie verwehren China die Vollstreckung
seines obersten patriotischen Anliegens, erklären sich
zum militärischen Schutzpatron der Insel und statuieren
damit an dem für China wichtigsten Posten der eigenen
strategischen Arrondierung ein Exempel für den unbedingt
zu wahrenden Respekt vor dem US-Monopol auf Weltordnung.
Da hilft es den Machthabern in Peking wenig, dass sie
sich die Wiederangliederung der Insel ans Festland
tatsächlich auch gewaltlos
und friedlich
vorstellen können – das maßgebliche Urteil darüber, wie
weit politische Arrangements zwischen dem chinesischen
Festland und der Insel jemals gedeihen können, behält
sich Amerika vor. Das Recht zu definieren, was
‚friedlich‘ ist und was nicht, hat die Weltmacht ein für
alle Mal für sich reserviert, und für den – für sie
garantiert immer vorliegenden – Fall, dass ihr ein
festlandschinesischer Griff nach der Insel
gewaltsam
vorkommt, erklärt sie sich für selbst
betroffen und zum Krieg verpflichtet. Dass sie ihren fest
verankerten Flugzeugträger schon jetzt mit neuen Waffen
aufrüstet, versteht sich daher von selbst.
Chinas Drohung, auf die amerikanische Raketenabwehr NMD
und deren demnächst auf Taiwan dislozierte Kleinausgabe
TMD mit einer verstärkten atomaren Gegenrüstung zu
antworten
, scheint auf die etablierte Weltmacht
vorläufig nur sehr mäßigen Eindruck zu machen. Periodisch
Aufregung erzeugt China in Washington viel eher mit dem
skandalösen Umgang, den es mit den Menschenrechten
treibt, und je nach dem, was der Stand der diplomatischen
Beziehungen an absichtsvoll herbeigeführter
Verschlechterung bedarf, erinnert man die Machthaber in
Peking daran, dass sie die Legitimität, die sie für sich
und ihre Herrschaft beanspruchen, in Wahrheit gar nicht
besitzen. Auch das abgrundtiefe Verbrechen, das das Exil
der 14. Inkarnation Buddhas darstellt, hat man
selbstverständlich nicht vergessen, und wo immer die mit
ihrem Schal erscheint, kann man bei Bedarf auch noch mit
dem Hinweis auf eine offene Tibet-Frage
zu
verstehen geben, wie grundsätzlich feindselig
man zur Macht China steht.
Offenbar traut sich die Weltmacht USA im Umgang mit ihrer ambitionierten Konkurrenz aus China einiges zu. Sie setzt darauf, das WTO-Mitglied China ökonomisch be- und ausnutzen zu können, ohne dass sich dabei die weltwirtschaftlichen Verhältnisse zu ihren eigenen Ungunsten verschieben, und sie setzt darauf, die zum Konkurrieren ermächtigte Macht weltpolitisch-strategisch dauerhaft unter Kontrolle zu halten.
Sie scheint also eine gemütliche Sache zu werden, die
imperialistische Konkurrenz unter Einschluss Chinas.
Dieses Land tritt zur Konkurrenz an, um wirtschaftlich
wie politisch die Machtverhältnisse auf der Welt zum
eigenen Vorteil zu renovieren – und die führende
Weltwirtschafts- und Weltordnungsmacht macht eine
erfolgreiche Verhinderung dieses Vorhabens zur
Prämisse der Lizenz zum Konkurrieren, die sie
großzügig gewährt, während sie das Nötige zur praktischen
Umsetzung ihres Standpunkts auf den Weg bringt. Ziemlich
überschaubar, dieses Kräfteverhältnis
, das die
eine Seite partout verändern, die andere keinesfalls
antasten lassen will.
[1] Ausführlich erläutert ist die Einführung des Kapitalismus in China in dem Artikel „Chinas besonderer Weg zum Kapitalismus“, GegenStandpunkt 4-94, S.83
[2] Mit Vorschriften, welche Grundnahrungsmittel in welcher Menge angebaut werden müssen, und mit den Preisen, die er den Erzeugern beim Aufkauf ihrer Produkte zahlt, sorgt der Staat dafür, dass die Produktion der für die Volksversorgung unverzichtbaren Güter – Getreide (Reis), Ölsaaten, Baumwolle – gewährleistet bleibt. Entsprechend regulierte Verkaufspreise sollen dafür sorgen, dass die Bevölkerung das Lebensnotwendige auch kaufen kann, nachdem das früher geltende staatliche Zuteilungssystem für Lebensmittel, medizinische Versorgungsleistungen und Wohnungen nur noch für Rentner, Studenten und Arbeitslose gilt.
[3] Dabei ist es überhaupt nicht so, dass die chinesische Staatsführung beim Umgang mit der Armut, die sie in ihrem Land herbei regiert hat, nicht auch über soziale Gesichtspunkte verfügen würde. Davon, dass zu deren funktioneller Betreuung auch in China so etwas wie ein ‚Sozialstaat‘ – in welcher Kleinausgabe auch immer – ganz brauchbar wäre, geht man selbstverständlich auch in Peking aus. Es ist nur leider so – siehe dazu Abschnitt c) im Text –, dass es auch in China einen „Haushalt“ gibt, der es wegen seiner „Lage“ einfach nicht gestattet, Geld für kapitalistisch Unbrauchbare, Alte und Kranke auszugeben. Auch dies ein einziges Indiz der kapitalistischen Fortschrittlichkeit, der man sich in China verschrieben hat: Was anderswo von Staaten, die gleichfalls mit ihrem Geld Wichtigeres vorhaben, an Einrichtungen zur Armutsbetreuung erst wieder mühsam abgewickelt werden muss, kommt dort erst gar nicht zustande.
[4] Mit ihrer früheren Praxis der Kreditvergabe trug die Staatspartei auch dem Umstand Rechnung, dass sie selbst ihren Unternehmen in der ersten Phase des Systemwechsels das kapitalistische Kalkulieren schwer machte: Neben Gütern, die sie frei verkaufen durften, waren die Betriebe zunächst noch zur Produktion bestimmter Mengen verpflichtet, die ihnen der Staat zu festgesetzten niedrigen Preisen ab- und an andere Unternehmen weiterverkaufte, damit die alte, an Gebrauchswerten orientierte Arbeitsteilung auch unter den neuen Bedingungen vorläufig weiterexistieren konnte. So hatten die Unternehmen zwar marktwirtschaftlich zu kalkulieren, konnten aber weder frei auswählen, was sie produzieren wollten, noch den Preis so gestalten, dass sie mit ihm Gewinn erwirtschafteten. Mittlerweile ist das Nebeneinander von staatlich administrierten und Marktpreisen abgeschafft, Chinas Staatsbetriebe haben den „schmerzhaften Anpassungsprozess“, der allein in einem Jahr 21 Mio. Arbeiter freisetzte, hinter sich und sind nach dem Willen ihres politischen Ziehvaters reif für die Konkurrenz allein nach den Regeln der Marktwirtschaft.
[5] Der Staat steht
seinen Geldinstituten dabei allerdings auch zur Seite,
indem er ihre uneinbringlichen Forderungen an eigens
dafür gegründete Auffanggesellschaften
überträgt, auf dass sie von diesen geschäfts- und
bilanz-unschädlich weggesteckt werden; so steht er
ein letztes Mal
mit seiner Kreditmacht für ihre
Solidität ein.