Im Krieg wird die Moralität der bürgerlichen Gesellschaft auf den Kopf gestellt: Was der Mensch im Frieden keinesfalls darf, andere Menschen umbringen, wird ihm nun befohlen; das Recht auf Leben, sein Schutz ein Höchstwert der Verfassung, weicht der Pflicht, es für den Staat hinzugeben. Die Umwertung der Werte macht den Krieg zur ultimativen moralischen Herausforderung. Er provoziert – ausgerechnet – das Bedürfnis nach Rechtfertigung.
Es ist vollbracht. Auf der ganzen Welt sind Natur und Mensch zu Produktivkräften des Kapitals hergerichtet. Bis in den letzten Erdenwinkel hinein sind Charaktermasken des Kapitals tätig sowie Massen, die in Abhängigkeit vom Wachstum ihre mehr oder minder nützliche Armut bewältigen. Geschäft und Gewalt wirken unablässig auf die Subsumtion aller Lebensregungen unter das Bedürfnis nach Geldvermehrung hin, die Konkurrenz treibt die maßgeblichen Akteure zur permanenten Reform. Sodass sie immer wieder und überall positive Bedingungen für das unverzichtbare Wachstum vorfinden.
Kriegsgründe entstehen im Frieden; wann sonst. Umgekehrt ist Frieden der „Zustand“, den Kriege herstellen und der ohne Kriegsfähigkeit und -bereitschaft gar nicht zu haben ist. Das wussten schon die alten Römer; und nach deren Grundsatz – „Si vis pacem, para bellum!“ – handelt noch im 21. Jahrhundert die Nato, wenn sie sich dazu verpflichtet, zwecks Sicherung des Weltfriedens jederzeit zu nicht weniger als sechs Militäreinsätzen gleichzeitig – zwei größeren Kriegen à 60.000 Mann und bis zu vier kleineren mit 20-30.000 Mann Kampftruppen – fähig und bereit zu sein.
Auf welche Vorteile für Amerika, auf welchen greifbaren Nutzen will Trump eigentlich hinaus, wenn er so mit seinen europäischen Alliierten umspringt? Was will, was kann er mit den ominösen „5 %“, mit 15%igen Zöllen, mit 100en-Milliarden-Zusagen über Importe aus und Investitionen in Amerika, mit Freundlichkeiten gegenüber Russlands Präsidenten und unklaren Schutzzusagen für die Ukraine überhaupt „konkret“ erreichen? Vielleicht ist das ja die falsche Frage...
Es hat etwas Lächerliches an sich, wenn der Kanzler eines Staates, dem der Chef der einen großen Weltmacht wiederholt seine Irrelevanz in Kriegsfragen bescheinigt, auf Nachfrage so antwortet, als wäre Israels Überfall auf den Iran so etwas wie eine tapfere Dienstleistung an einem überragenden strategischen Interesse der deutschen Nation. Aber wenn es nur das wäre.
Im Juni 2025 ist es so weit – die Welt darf Zeuge einer doppelten Premiere werden: Zum ersten Mal überhaupt wird das seit langer Zeit vom Westen und seinem nahöstlichen Vorposten bekämpfte iranische Atomprogramm zum Objekt eines offenen Luftkriegs seitens der israelischen Luftwaffe; und zum ersten Mal befiehlt Trump den für den Fall, dass die von ihm eröffnete Atomdiplomatie mit der Teheraner Führung scheitern würde, lange angedrohten Einsatz der amerikanischen Luftwaffe unmittelbar gegen die Islamische Republik.
Krieg kostet. Der Staat, der ihn führt, bezahlt ihn mit Geld, das er nicht übrig hat. Also mit Schulden, für die er bürgt und Zinsen zahlt – mit noch mehr Schulden. Früher hieß das Kriegskredite. Die Abrechnung erfolgte mit dem Frieden. Der hat auch dem Sieger zwar keinen Gewinn gebracht – um Beute in dem Sinn führt der bürgerliche Staat seine Kriege nicht. Gebracht hat ihm sein Sieg allenfalls Entschädigungsleistungen des Verlierers. Für den war seine Niederlage auf jeden Fall der Ruin. So geht es im modernen Kapitalismus nicht mehr zu.
Weit oben auf der außenpolitischen Agenda von Donald Trump steht die Beendigung des Ukraine-Kriegs. Schon im Wahlkampf war seine Ansage: Er wird ihn sofort, an einem Tag beenden, und mit ihm an der Macht wäre er gar nicht erst losgegangen. Das Interessante an der ersten Ankündigung ist das politische Urteil über den Krieg. Trump meint nicht, dass der Job, den Amerika unter seinem Vorgänger da auf sich genommen hat, hinreichend erledigt wäre und man deswegen damit Schluss machen kann. Er hält Amerikas Engagement dort über die letzten drei Jahre überhaupt für verkehrt.
Selbst im Krieg hört der Staat nicht auf, seine Gesellschaft gemäß den Erfordernissen des kapitalistischen Privateigentums zu bewirtschaften. Bis zum äußersten Gewaltakt nimmt er für die Durchsetzung seiner Souveränität seinen grenzüberschreitend aktiven nationalen Kapitalismus in Anspruch.
Wenn Machthaber mit der Macht, die sie haben, was Größeres ins Werk setzen, dann stehen sie gerne „auf der richtigen Seite der Geschichte“. Und wenn sie betonen wollen, dass das, was sie veranstalten, ganz besonders wichtig, ungewohnt und außergewöhnlich ist, dann beschwören sie die „Zeiten“, die eine „Wende“ machen und deswegen fordern.