Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und andere rufen zu einer Demonstration am 25. Februar 2023 in Berlin auf. Die Autorinnen verurteilen den Krieg in der Ukraine im Namen seiner Opfer. Sie fordern seine sofortige Beendigung, weil er immer mehr Leben und Lebensgrundlagen zerstört und womöglich noch weitere, ganz Europa erfassende Kreise zieht. Das ist menschlich gedacht. Politisch ist es gewollt blind.
Im April 2021 legt Sahra Wagenknecht ihr Buch „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ vor, das zum Bestseller avanciert. Die Kandidatin der Linken präsentiert eine grundlegende Abrechnung mit ihrer eigenen erfolglosen Partei sowie dem „linksliberalen“ Milieu im Allgemeinen.
In Chemnitz, Köthen und anderswo werden rechte Parolen geschrien, die ihre antirechten Gegner für abscheulich, aber irgendwie auch für unkritisierbar halten. Nicht wenige lehnen die Auseinandersetzung mit ihnen sowieso ab und halten schon den Versuch einer Widerlegung für dämlich. Beides ist verkehrt.
Zwei aufstrebende Politiker erklären dem deutschen Volk – einmal von rechts, einmal von links – wie es beieinander ist, was ihm fehlt und warum es in Deutschland endlich eine politische Bewegung braucht: Der Rechte, mit einer Bewegung im Rücken, erklärt es der FAZ und ihren klugen Köpfen; die Linke, deren Bewegung einstweilen in der Beschwörung, dass es sie gibt und einer garantiert transparenten, hierarchiefreien Internetplattform besteht, erklärt es dem Volk.
Im Juni des Jahres versammeln sich in Hamburg die für den Weltlauf Zuständigen als „G20“, um den prekären Stand ihres Kooperationswillens zu ergründen, zu definieren und per Kommuniqué als „Stand des Vertrauens“ zwischen sich festzuhalten. Die deutsche Regierung präsentiert sich als Gastgeber der erlauchten Versammlung; wie gut sie dieses Amt wahrnimmt, soll die gesamte Nation, am besten die ganze Weltöffentlichkeit mitbekommen und angemessen würdigen.
Ein Mitarbeiter einer eigens dafür eingerichteten Behörde findet „zufällig“ eine Akte, die den Westberliner Polizisten, der vor 42 Jahren den Studenten Benno Ohnesorg bei einer Demonstration der linken Studentenbewegung gegen den Schah von Persien erschoss, als Stasi-Agenten entlarvt. Prompt geht ein Aufschrei durch den deutschen Blätterwald: Sensationelle Enthüllung!
Das mögen die Journalisten, darauf stürzen sie sich mit größter Begeisterung. Neue Fakten tauchen auf, da fühlen sie sich animiert, sie als Beweismittel für ihre Interpretation des Zeitgeschehens zu nehmen.
Tatsächlich bezahlt ihr längst! Und die Demonstrationsaufrufe benennen das auch: Wenn die Märkte einbrechen, wenn in Industrie und Handel die Geschäfte schrumpfen, dann wenden die Unternehmen Schaden von ihren Bilanzen ab, indem sie ihn an ihre Arbeitskräfte weitergeben: Sie entlassen, verordnen Kurzarbeit, senken Löhne. Sie passen ihre Kosten an die verminderten Geschäftsgelegenheiten an und verteidigen ihre Gewinne.
In einer Sternstunde historisierender Schönfärberei besinnt sich die Nation auf den 68‘er Aufruhr als Beitrag zum Reifungsprozess der deutschen Demokratie. Einige Erläuterungen zur Studentenbewegung, ihrem kritischen Vergleich der geglaubten Demokratieideale mit der herrschenden Wirklichkeit in Deutschland, ihrer Erledigung und den tatsächlichen Fortschritten der deutschen Demokratie.
Ein halbes Jahrhundert nach der Niederlage des Faschismus ist es auch mit dem Antifaschismus in Deutschland vorbei. Die Distanzierung vom nationalsozialistischen Massenmord an den Juden ist zum festen Bestandteil der nationalen Politkultur geworden wie der Kranz, den die Oberbefehlshaber bei passender Gelegenheit an den überall vorhandenen Grabmälern des unbekannten Soldaten niederzulegen pflegen, und enthält soviel Faschismuskritik wie ein solcher Kranz Kritik am Krieg. Die Betrübnis über den verlorenen Weltkrieg hat sich mit dem 50.
Die radikale Opposition hat die "Wende" nicht aus eigener Kraft herbeigeführt. Sie hat ihre Gelegenheit – eine praktisch führungslose Nation – durch die außenpolitische Schwächung der SED-Macht geboten bekommen. Das kann kein Vorwurf sein. Wohl aber dies, daß sie sich über die Herkunft dieser politischen Chance keine Rechenschaft ablegt, sondern sehr selbstzufrieden wird im Stolz auf ihre "friedliche Revolution".