Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Neue Kredithilfe für Moskau: Eine Kontenverschiebung beim IWF
Der IWF hilft Russland mit neuem Kredit aus der Klemme. Der geht gleich an die internationalen Gläubiger; so darf Russland weitermachen im Schuldengeschäft und darf auch gleich seine Zustimmung zum Kosovo-Krieg abliefern. Wer „hilft“ da eigentlich wem?!
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Systematischer Katalog
Neue Kredithilfe für Moskau: Eine Kontenverschiebung beim IWF
Ende März führen neuerliche Verhandlungen zwischen IWF und der russischen Regierung, nachdem seit dem letzten Sommer alle Treffen ergebnislos geblieben sind, zu einem neuen Abkommen. Bei dessen Bekanntgabe stellt der IWF gleich weltöffentlich klar, daß garantiert nicht „gutes Geld schlechtem hinterhergeworfen wird“, weil nämlich ein schlechter russischer Umgang mit dem neuen Geld von vorneherein ausgeschlossen wird:
„Da der IWF vermeiden will, daß die neuen Gelder wieder in dunklen Kanälen verschwinden, sollen diesmal die Gelder nicht an die russische Zentralbank überwiesen werden, sondern nur innerhalb der Konten des Fonds zur Begleichung ausstehender Schulden verbucht werden.“ (FAZ 30.4.99)
1. Man darf also eine neue
Erfindung auf dem Gebiet des internationalen Kredits
bewundern. Daß IWF und Weltbank Kredite vergeben, die den
Empfänger auch nur dazu befähigen, seine
Schulden zu bedienen, die also postwendend auf den Konten
der Gläubiger landen, Kredite, die nicht dazu bestimmt
sind, der Geschäftstüchtigkeit des Schuldnerstaats
aufzuhelfen, sondern umgekehrt die Forderungen der
Gläubiger lebendig zu erhalten – diese Praxis hat sich
schon seit längerem und gegenüber etlichen Ländern
eingebürgert. Daß ein solcher Kredit aber nicht einmal
mehr pro forma an die Adresse des Schuldnerstaats
überwiesen wird, der IWF Wert auf die Klarstellung legt,
daß es sich um eine Umschichtung von Konten handelt, die
er unter Ausschluß der betreffenden Nation in seiner
eigenen vier Wänden vornimmt, ist eine originelle
Neuerung: Damit werden dem Kreditempfänger
Geschäftsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit in Gelddingen
ziemlich grundsätzlich abgesprochen, Rußland wird für
alle, die es angeht, als untauglicher Schuldner
ausgewiesen. Daß Rußland vermittels dieser Sorte
Schuldenmanagement auch nur in irgendeiner Hinsicht
bessergestellt, seiner Kreditwürdigkeit auf den
Geldmärkten geholfen würde, wird gar nicht erst
behauptet. Eher das Gegenteil ist der Fall, wenn der IWF
sein Urteil über die russische Nationalbank zu Protokoll
gibt, daß man der lieber erst gar kein Geld in die Finger
geben sollte. Das anderswo geheiligte Institut der
„Unabhängigkeit der Nationalbank“ scheint in diesem Fall
nichts zu gelten. Was auch den Analysten
aufgefallen ist, die empfehlen, russische Anleihen
‚unterzugewichten‘, was im Klartext soviel bedeutet
wie ‚Verkaufen‘
. (SZ
29.3.)
2. Rußland steht nach dieser Operation also im Prinzip genauso schlecht da; dennoch hat sie ihren guten Sinn – für die Gläubiger.
„Wie mißtrauisch und vorsichtig der IWF jetzt ist, zeigt sich auch darin, daß der neue Kredit tatsächlich nicht an die russische Zentralbank überwiesen, sondern direkt mit besagten Forderungen verrechnet werden soll.“ (NZZ 30.4.)
Besagte Forderungen sind die des IWF an Rußland, die dieses Jahr fällig werden und sich zufälligerweise auf ziemlich dieselbe Summe belaufen, die der IWF als neuen Kredit genehmigt. Der IWF begleicht also sich selbst die Forderungen, die Rußland absehbarerweise nicht erfüllen kann, jedenfalls nicht ohne an anderer Stelle Zahlungen schuldig zu bleiben.
Die im IWF versammelten maßgeblichen Kreditgeber greifen mit diesem Kredit nicht Rußland unter die Arme, sondern lösen ein Problem, das sie haben. Einerseits steht nämlich seit dem Crash im letzten Sommer fest, daß den großen Nationen ihr gutes Geld für neue Ausleihungen an Rußland, nur um dessen Fähigkeit zur Schuldenbedienung abzusichern, zu schade ist; es ist nämlich an ziemlich vielen Fronten der Frage ausgesetzt, ob es noch so gut ist. Andererseits möchten sie es eben deshalb aber auch vermeiden, ihren in Rußland plazierten Kredit für geplatzt zu erklären und Forderungen zu streichen. Drittens steht seit dem letzten Herbst fest, daß Rußland ein für allemal nicht in der Lage ist, seinen Zahlungspflichten halbwegs zuverlässig nachzukommen. Dessen Führer sind sogar auf den schönen Einfall gekommen, immer wieder einmal damit zu „drohen“, daß sie sich für zahlungsunfähig erklären und damit auf westlichen Konten einiges durcheinanderbringen könnten, um eine andere Berücksichtigung ihrer Kreditnot zu „erzwingen“…
Daß es auch mit dieser Art Einfluß des Schuldners nicht
weit her ist und derselbe sich täuscht, wenn er glaubt,
sich im westlichen Kreditüberbau immerhin auf unangenehme
Weise Geltung verschaffen zu können, haben die Gläubiger
und ihr gemeinsamer Ausschuß nun ebenfalls klargestellt.
Mit der ebenso einfachen wie genialen Kontenverschiebung
des IWF entschärfen sie den kritischen
Fälligkeitstermin der IWF-Schulden und erweisen
sich einen Dienst: Erstens entscheiden
sie über den feinen Unterschied zwischen
offenkundiger Zahlungsunfähigkeit und der
öffentlichen Anerkennung dieses Sachverhalts und
verschaffen damit sich ein Stück
Handlungsfreiheit. Zweitens spielt nämlich dieser
Unterschied in ihrer Geldwelt und deren Bilanzierungs-,
Abschreibungs- und Spekulationskünsten seine Rolle. Bis
auf weiteres können die Gläubiger in ihren Bilanzen die
Rußland-Forderungen als Vermögen aufführen, nach Bedarf
abschreiben und mit Rußland weiter um Möglichkeiten einer
künftigen Begleichung feilschen. Der Weg ist frei für
Verhandlungen über eine neue Restrukturierung der
Altschulden
(NZZ 30.3.)
und außerdem gibt es ja auch noch ein Verfahren namens
„debt-equity-swaps“, bei dem man Rußland auf die
interessante Möglichkeit aufmerksam macht, seine letzten
einträglichen Betriebe, die Rohstoffkonzerne anteilig
oder ganz an die Gläubiger auszuhändigen. Das Verfahren
bietet schließlich auch den Vorteil, daß der Schuldner,
der zwar nach wie vor kaum zahlen kann, dennoch nicht aus
seiner Pflicht entlassen wird.
3. Das gilt auch auf einer anderen Ebene: Wie immer vergibt der IWF seinen Kredit nur auf Grundlage von Bedingungen. In diesem Fall hat Rußland die folgenden unterschrieben:
„Offensichtlich ist die Regierung bereit, eine IWF-Forderung zu erfüllen und die für den 1.7.99 geplante Senkung der Mehrwertsteuer von 20 auf 15% auf den 1.1.2000 zu verschieben“,
meldet das Handelsblatt am 29.3. erfreut. Grund zur
Freude soll deshalb gegeben sein, weil damit mehr
Mittel für den Schuldendienst
bereitstehen. Von der
seit einigen Jahren registrierten Tatsache, daß die vom
russischen Staat veranschlagten Steuern nur zu einem
Bruchteil gezahlt werden, weil die Subjekte dieser
Marktwirtschaft mangels Geldeinkommen zum Steuerzahlen
schwerlich in der Lage sind, wird einmal kurzfristig
abgesehen, ebenso davon, daß die auswärtigen Gläubiger an
einem Schuldendienst in Rubel kaum interessiert sein
dürften.
Des weiteren hat sich die russische Regierung darauf
verpflichtet, in diesem Jahr für einen primären
Haushaltsüberschuß (unter Ausklammerung des
Schuldendiensts) von 2% des Bruttoinlandsprodukts
zu
sorgen. An dieser Stelle hat auch der IWF Entgegenkommen
gezeigt, der noch vor kurzem die russische Zusage eines
zweiprozentigen Überschusses als ungenügend bezeichnet
und auf einem Überschuß von 3,5% bestanden
(NZZ 30.3.) hatte.
Gleichzeitig meldet zwar die Osteuropabank, daß das
russische Sozialprodukt, das im vergangenen Jahr um 5 bis
6% geschrumpft sein soll, dieses Jahr noch einmal um
denselben Prozentsatz zurückgeht; eine weitere Forderung
des IWF, die Durchsetzung von Bankrottverfahren gegen
zahlungsunwillige Betriebe, dürfte ebenfalls dem
Sozialprodukt nicht ganz förderlich sein – beides muß
aber die Freude über den „Haushaltsüberschuß“ nicht
tangieren, das garantieren die Vorteile der
Prozentrechnung. Daß angesichts eines kontinuierlich
zurückgehenden Sozialprodukts und der bekannten Erfolge
an der Steuerfront ein Haushaltsüberschuß wiederum nach
den Regeln der Mathematik auch nur auf die Weise zustande
kommen kann, daß der Staat noch weniger ausgibt, als er
es ohnehin tut, ist zwar logisch, berechtigt aber noch
lange nicht zu kommunistischen Entgleisungen, die die NZZ
entrüstet zitiert:
„Suganow verstieg sich sogar zu der Behauptung, Camdessus dränge die Regierung dazu, eine Hungersnot im Lande zu organisieren. Viele führende Politiker scheinen sich nicht bewußt zu sein, daß Rußland dem Fonds Geld schuldet und nicht umgekehrt.“ (NZZ 5.3.)
Des weiteren hat Rußland Fortschritte auf dem Gebiet der Banken„reform“ zugesagt. Welche da gemeint sind, erhellt der Vorwurf aus IWF-Kreisen:
„Statt daß die insolventen Banken zügig liquidiert würden, erhielten die einen staatliche Finanzspritzen, während die anderen genug Zeit bekamen, um Vermögenswerte vor dem Zugriff der Gläubiger in Sicherheit zu bringen.“ (NZZ 5.3.)
„Gesundschrumpfen“ ist offensichtlich auch in der Sphäre der Inhalt von Reform; und wenn das in Rußland gemessene Sozialprodukt schon gegen Null wandert, sind auch nicht so viele Banken nötig. Die verlangten weiteren Reformleistungen auf dem Gebiet der Staatseinnahmen, Steuergesetzgebung und Bankenreform haben nicht nur nicht das Geringste damit zu tun, in Rußland so etwas wie ein Wachstum in Gang zu bringen, sie stehen auch in einem nachgerade grotesken Verhältnis zu dem, was dort als „Wirtschaftslage“ figuriert. Aber nur wegen einer kaputten Nationalökonomie kann der IWF schließlich nicht darauf verzichten, daß auch an der die Maßstäbe solider Haushaltsführung durchexerziert werden. Sonst kommt Rußland ja nie in Ordnung.
Zuguterletzt kommt auch der Fimaco-Skandal noch zu seinem Recht, über den sich die IWF-Vertreter und der amerikanische Finanzminister vor Beginn der Verhandlungen heftig empört hatten.
„Camdessus Stellvertreter Fisher war mit den Worten zitiert worden, wegen der Schwäche der Regierung in Moskau sei es unmöglich zu wissen, ob ein mit dem IWF vereinbartes Programm eingehalten würde oder nicht. Rußland solle sich daher eher um bilaterale Hilfe interessierter Länder kümmern,“ die es nicht gibt, „als sich an internationale Organisationen wie den IWF zu wenden.“ (NZZ 30.3.)
„Daß US-Finanzminister Rubin unmittelbar vor dem Eintreffen von Primakow in Washington vor einem Kongreßausschuß die Verantwortlichen in Moskau der ‚nicht-ordnungsgemäßen Verwendung‘ des vorjährigen IWF-Kredits bezichtigte, kommt für Bonner Stellen nicht überraschend. In deutschen Regierungskreisen zirkulieren seit dem Herbst die Ergebnisse von Ermittlungen des amerikanischen Geheimdienstes CIA, nach denen die völlig undurchsichtige Stützung bestimmter russischer Banken als Vehikel für die ‚unangemessene Abzweigung‘ (so Rubin) der IWF-Gelder auf Bankkonten im Ausland benutzt wurde.“ (HB 23.3.)
Die vor dem Abkommen gültigen Einwände gegen Rußland, daß es sich mit seinen unseriösen Geschäften selbst in die Scheiße geritten hätte, und die Forderung, anstelle ständiger Kreditanträge solle Moskau gefälligst erst einmal die eigenen Finanzen unter Kontrolle bringen und das flüchtende Kapital einfangen, bleiben auch nach dem Abkommen in Kraft. Der IWF hat sich die russische Unterschrift unter ein Quasi-Ermittlungsverfahren gegen Zentralbank und Helfershelfer geben lassen:
„Camdessus hat von den russischen Unterhändlern die Zusage erhalten, daß eine vollständige Erklärung über das Management der Währungsreserven durch die Zentralbank, einschließlich der Verwendung von IWF-Krediten der vergangenen Jahre geliefert werde. Außerdem hat der IWF die Firma Price Waterhouse mit einer Überprüfung der Aktivitäten der Fimaco beauftragt.“ (NZZ 30.4.)
Einmal dahingestellt, ob der IWF wirklich wissen will, wo das Geld gelandet ist, oder sogar der Auffassung ist, durch das Aufspüren geheimer Konten den russischen Schuldendienst zu verbessern, ob die Neuerungen auf dem Gebiet internationaler Geldpolitik, die russische Geldversorgung und Bankenreform vom CIA kontrollieren zu lassen und die Nationalbank unter Kuratel zu stellen, dem Gesundheitszustand russischer Finanzen dienen – auf jeden Fall wird man mit dem Standpunkt der Geldmächte bekannt gemacht, daß dieser Staatsmacht das Recht auf gewisse Reptilienfonds, wie das bei seriösen Nationen heißt, auf souveränen Gebrauch ihrer Geldmittel recht eigentlich nicht zusteht. In der Logik dieses Programms fehlt eigentlich nur noch der Punkt, daß der russische Haushalt in Washington verfertigt wird. Wahrscheinlich scheitert das am urdemokratischen Respekt vor den Rechten fremder Völker.
4. Daß ein derartiges Abkommen überhaupt zustandekommt, verdankt sich dem fanatischen Glauben der russischen Staatsmacher, daß ihr Staatswesen nur als Mitmacher auf dem Weltmarkt, nur im Rahmen der dort gültigen Regeln des Geldwesens Bestand haben kann. Von der Tatsache, daß Rußland unter Beachtung dieser Regeln vor die Hunde geht, läßt sich der zur Marktwirtschaft bekehrte Glaube offensichtlich nicht erschüttern, sondern nur dazu anspornen, sich umso mehr um die Einhaltung der Regeln zu bemühen.
Weil das aber so ist und weil die russischen Führer
offensichtlich die Prolongierung ihrer Schulden, die auch
nur die Lage auf seiten der Gläubiger entspannt und ihnen
außer dem nächsten Fälligkeitstermin gar nichts erspart,
als ein Entgegenkommen an ihre Adresse begreifen, wird
noch ein weiteres Geschäft daraus für die westliche
Seite. Wenn nach Abschluß der Verhandlungen sowohl der
IWF als auch die russische Seite erklären, man wolle
Politik und Wirtschaft auseinanderhalten
(SZ 29.3.), ist allen Beteiligten klar,
daß sie in unnachahmlicher Weise verknüpft worden sind. 3
Tage Kosovo-Krieg sind gelaufen. Während die NATO die
russischen Einwände dagegen, daß sie sich als exklusive
Kontrollmacht über den Balkan etabliert, mit
demonstrativer Rücksichtslosigkeit behandelt, indem sie
ihren Krieg führt, leisten die Gelddiplomaten ihren
Beitrag dazu, Rußland zur Zustimmung zu bewegen: Mit
ihrem Blitzbesuch mobilisieren sie die Erinnerung an die
Abhängigkeit, was die von Rußland bislang immer
noch anerkannten Geldrechnungen angeht, um ihm
die Unterwerfung unter die Expansion der
Nato-Macht abzuhandeln.
Die Öffentlichkeit ist kurzfristig irritiert, daß Rußland doch wieder Kredit hinterhergeschoben wird, zeigt sich aber einsichtig, indem sie sich die Transaktion als eine Art Bestechungsgeld zurechtlegt und verkündet schließlich begeistert, daß ein Pleitestaat wie Rußland auch weltpolitisch nichts mehr zählt. Sie übersieht dabei drei Dinge: Erstens, daß Rußland gar kein Geld erhält, sondern nur die Zusicherung im Schuldengeschäft irgendwie weiter mitmachen zu dürfen, wenn auch nurmehr unter IWF-Kuratel; zweitens, daß Rußland gar nicht bestochen, sondern mit seinem Interesse an guten Beziehungen erpreßt wird, die es immer noch für unerläßlich für seinen Erfolg halten will; drittens, daß es dazu erpreßt wird, auf ein anderes, ziemlich substantielles Interesse, das an der Verteidigung seiner Macht, zu verzichten.