Arbeiten im Kapitalismus geht offensichtlich nur, wenn der Staat einen Großteil des privaten Lohneinkommens seiner arbeitenden Bevölkerung zwangsweise kollektiviert und damit ein umfassendes System von Sozialkassen unterhält. So viel Sozialismus muss sein im freien bürgerlichen Gemeinwesen. Wie in dem mit hoheitlicher Gewalt ‚Solidarität‘ organisiert wird und warum, erläutert das Stichwort: Sozialversicherungen.
Kaum eine Zehnteldekade nach Umsetzung ihrer „Jahrhundertreform“ verspürt die sozialdemokratische Regierungspartei dringenden Korrekturbedarf am Bürgergeld. Da muss zunächst die Frage erlaubt sein, welche ökonomischen Charaktere in diesem sozialpolitischen Nest eigentlich sitzen, das erst neulich von der bürgerfreundlichen Partei neu zurechtgemacht worden ist und das jetzt abermals reformiert gehört.
Frisch im Amt macht sich die Ampel unter Führung der sozialen SPD ans Werk und setzt das normale Prozedere der Anpassung des Mindestlohns außer Kraft, um den um sensationelle 1,55 € auf 12,– € zu erhöhen.
„Kinder sind unsere Zukunft.“ Diesem Motto der derzeit so kontroversen Familienministerin Lisa Paus widerspricht kein Politiker von ganz links bis ganz rechts. Warum auch? Politiker sind darin geübt, sich per 1. Person Plural innigst mit den Bürgern zusammenzuschließen, über die sie regieren.
Der Wirtschaftskrieg, den der Westen gegen Russland führt, zeigt Wirkung. Nicht bloß in Russland, sondern weltweit; auch bei den Protagonisten des gerechten Kampfes gegen das Böse; auch in Deutschland. Sie treten aber nicht einfach von selbst ein, die Wirkungen. Sondern stets, Punkt für Punkt, vom Staat gestaltet, zurechtgemacht, gerne in Form von Entlastungspaketen dem Volk verabreicht.
Respekt wird dem Volk seit je als Arbeitsvolk erwiesen. Der besteht in staatlichen Hilfen beim lebenslangen Alltag, sich mit Geldmangel, Arbeitshetze, Arbeitslosigkeit und prekären Zukunftsaussichten herumzuschlagen. Gerade die SPD verkündet es pausenlos: Das haben die Leute verdient, die sich auf diese Weise redlich und eigenständig als Manövriermasse ihrer kapitalistischen Benutzung verdient machen. Ob die SPD damit verdient hat, wieder als Partei der kleinen Leute respektiert zu werden, ist angesichts einer Sozialstaatsreform nach der anderen die einzige verbliebene öffentliche Frage.
Die Tafeln feiern 25 Jahre deutsche Armutslinderung, und fast hätte man es verpasst. Wenn da nicht der Verein in Essen die Öffentlichkeit durch einen waschechten Diskriminierungsskandal auf diesen sonst so gutherzigen Haufen aufmerksam gemacht hätte: Die Hilfsorganisation verhängt einen zeitlich begrenzten Aufnahmestopp neuer Ausländer. Was man sonst nur als Forderung an und aus der Riege heimattreuer deutscher Politiker in Richtung Grenze kennt, wirft einen zeitweiligen Schatten auf das leuchtende Bild, welches die Tafel traditionell genießt. Beides hat sie nicht verdient.
Im Gefolge der Debatte um die Essener Tafel kommen in der Republik leise Bedenken auf, die Lage an den Tafeln der Republik würde Versäumnisse des deutschen Sozialstaats ans Licht bringen. Kaum wird der Vorwurf geäußert, der Staat würde seiner Fürsorgepflicht nicht nachkommen, durch Hartz IV sogar selbst die Armen in Armut halten, sieht der neue Gesundheitsminister Jens Spahn sich herausgefordert, diese Errungenschaft des deutschen Sozialstaats vorwärts zu verteidigen.
Seit eh und je wird der Kapitalismus mit wohlmeinenden Verbesserungsvorschlägen bedacht. Idealisten der Marktwirtschaft erscheinen die modernen Formen der Armut, die der Kapitalismus bei sich beherbergt, eingedenk der beeindruckenden Reichtümer und Produktivkräfte moderner Gesellschaften als überkommen und eigentlich überflüssig und sie vermuten, dass die aufgeklärte Menschheit das Zeug dazu hätte, es zu allerlei Wahrem, Schönem, Gutem zu bringen, wenn man sie nur aus ihren elementarsten Existenzsorgen und -nöten entlassen würde.
Dem Urteil, dass sein Lebensinhalt die Dienstbarkeit an fremdem Nutzen ist, will sich so einfach keiner von denen anbequemen, die sich dafür einspannen lassen. Schließlich eröffnet sich ihnen nach Arbeitsende und mit dem verdienten Lohn das geschätzte Reich der Freiheit, mit der jeder anfangen kann, was er für wichtig hält; und so machen sich Millionen daran, den Traum vom Lohn der Mühen wahrzumachen.