Arbeiten im Kapitalismus geht offensichtlich nur, wenn der Staat einen Großteil des privaten Lohneinkommens seiner arbeitenden Bevölkerung zwangsweise kollektiviert und damit ein umfassendes System von Sozialkassen unterhält. So viel Sozialismus muss sein im freien bürgerlichen Gemeinwesen. Wie in dem mit hoheitlicher Gewalt ‚Solidarität‘ organisiert wird und warum, erläutert das Stichwort: Sozialversicherungen.
Der deutsche Kanzler ist unzufrieden mit denen, die er regiert: Von seinen Deutschen arbeiten zu viele nicht, sondern leben im Luxus des staatlich bereitgestellten Existenzminimums; diejenigen, die arbeiten, tun das viel zu kurz – pro Woche und überhaupt gemessen an ihrer überbordenden Lebensdauer; und sie bestehen unter dem Slogan ‚work-life-balance‘ auch noch darauf, dass ihre Arbeit sich irgendwie für sie lohnt. Des Kanzlers ‚Herbst der Reformen‘ soll ihnen solchen Unfug austreiben.
Noch bevor die neue Bundesregierung im Amt ist und zu ihren sozialen Wohltaten schreiten kann, sind die Koalitionäre sich uneins darüber, wie hoch der gesetzliche Mindestlohn künftig ausfallen soll. Den hatte die Sozialpolitik vor etwas mehr als zehn Jahren bekanntlich eingeführt, weil das Niedriglohnniveau am Standort, das unter der Ägide der Agenda-2010-Politik im Kräftemessen zwischen Arbeitnehmervertretungen und Arbeitgebern regelmäßig herausgekommen ist, irgendwann derart niedrig war, dass es dem Sozialstaat endgültig zu bunt geworden ist.
Kaum eine Zehnteldekade nach Umsetzung ihrer „Jahrhundertreform“ verspürt die sozialdemokratische Regierungspartei dringenden Korrekturbedarf am Bürgergeld. Da muss zunächst die Frage erlaubt sein, welche ökonomischen Charaktere in diesem sozialpolitischen Nest eigentlich sitzen, das erst neulich von der bürgerfreundlichen Partei neu zurechtgemacht worden ist und das jetzt abermals reformiert gehört.
Frisch im Amt macht sich die Ampel unter Führung der sozialen SPD ans Werk und setzt das normale Prozedere der Anpassung des Mindestlohns außer Kraft, um den um sensationelle 1,55 € auf 12,– € zu erhöhen.
„Kinder sind unsere Zukunft.“ Diesem Motto der derzeit so kontroversen Familienministerin Lisa Paus widerspricht kein Politiker von ganz links bis ganz rechts. Warum auch? Politiker sind darin geübt, sich per 1. Person Plural innigst mit den Bürgern zusammenzuschließen, über die sie regieren.
Der Wirtschaftskrieg, den der Westen gegen Russland führt, zeigt Wirkung. Nicht bloß in Russland, sondern weltweit; auch bei den Protagonisten des gerechten Kampfes gegen das Böse; auch in Deutschland. Sie treten aber nicht einfach von selbst ein, die Wirkungen. Sondern stets, Punkt für Punkt, vom Staat gestaltet, zurechtgemacht, gerne in Form von Entlastungspaketen dem Volk verabreicht.
Respekt wird dem Volk seit je als Arbeitsvolk erwiesen. Der besteht in staatlichen Hilfen beim lebenslangen Alltag, sich mit Geldmangel, Arbeitshetze, Arbeitslosigkeit und prekären Zukunftsaussichten herumzuschlagen. Gerade die SPD verkündet es pausenlos: Das haben die Leute verdient, die sich auf diese Weise redlich und eigenständig als Manövriermasse ihrer kapitalistischen Benutzung verdient machen. Ob die SPD damit verdient hat, wieder als Partei der kleinen Leute respektiert zu werden, ist angesichts einer Sozialstaatsreform nach der anderen die einzige verbliebene öffentliche Frage.
Die Tafeln feiern 25 Jahre deutsche Armutslinderung, und fast hätte man es verpasst. Wenn da nicht der Verein in Essen die Öffentlichkeit durch einen waschechten Diskriminierungsskandal auf diesen sonst so gutherzigen Haufen aufmerksam gemacht hätte: Die Hilfsorganisation verhängt einen zeitlich begrenzten Aufnahmestopp neuer Ausländer. Was man sonst nur als Forderung an und aus der Riege heimattreuer deutscher Politiker in Richtung Grenze kennt, wirft einen zeitweiligen Schatten auf das leuchtende Bild, welches die Tafel traditionell genießt. Beides hat sie nicht verdient.
Im Gefolge der Debatte um die Essener Tafel kommen in der Republik leise Bedenken auf, die Lage an den Tafeln der Republik würde Versäumnisse des deutschen Sozialstaats ans Licht bringen. Kaum wird der Vorwurf geäußert, der Staat würde seiner Fürsorgepflicht nicht nachkommen, durch Hartz IV sogar selbst die Armen in Armut halten, sieht der neue Gesundheitsminister Jens Spahn sich herausgefordert, diese Errungenschaft des deutschen Sozialstaats vorwärts zu verteidigen.