Es ist, als ob extra bewiesen werden sollte, wie frei und souverän die amerikanische Staatsgewalt zu Werke geht, wenn sie drüben in Europa Krieg führen lässt und der gesamten Weltwirtschaftsordnung einen Epochenwandel verpasst: Die amerikanische Nation gönnt sich gleichzeitig die Freiheit, sich ganz entschieden um sich selbst zu drehen – und erbittert darüber zu streiten, wie frei und souverän die amerikanische Frau über ihren Körper verfügen darf. Der Anlass ist auch nicht ohne: Mit seinem Urteil im Fall „Dobbs v.
Eins kann man der Merkel-Regierung nicht vorwerfen: Sie würde ihren Shutdown und ihre Vorsicht bei seiner Lockerung nicht rechtfertigen. Damit eröffnet die Regierung selbst – wie das bei Rechtfertigungen nun einmal so ist – die Diskussion über die Berechtigung der Fortdauer ihrer seuchenmedizinisch begründeten Einschränkungen. Die Regierung kriegt die Debatte, die sie lieber vermieden hätte; und zwar exakt an ihren Vorgaben entlang.
Im November 2015 debattiert der Deutsche Bundestag über eine Neufassung des Sterbehilfegesetzes, „eine der heikelsten Gewissensfragen überhaupt, über die Art des Sterbens, die viel über das Verständnis des eigenen Lebens offenbart“ (FAZ). Eine parlamentarische Sternstunde, ohne Zweifel. Die Fraktionsvorsitzenden setzen den politischen Alltag der parlamentarischen Demokratie ausdrücklich außer Kraft.
Nach seiner Befragung im BND-Untersuchungsausschuss im Januar 2007 lösen „die Leiden des Murat Kurnaz“ auf einmal einen „politisch-publizistischen Orkan“ aus. Parlamentarier aller Fraktionen zeigen sich von seinen Aussagen „tief beeindruckt“, als ob sie noch nie etwas von den Methoden der Amis, verdächtige Muslime etwas härter anzufassen, gehört hätten. Presse und TV befördern den Umschwung der öffentlichen Meinung durch bohrende Fragen: „Was bleibt, sind viele Fragen.“
Die bundesdeutsche Ordnungsgewalt will sich ohne Wenn und Aber die gesetzliche Ermächtigung verschaffen, den Terroristen mit einem kriegerischen Akt zuvorzukommen. Bevor diese mit Hilfe eines gekaperten Flugzeugs das „Gemeinwesen“ treffen, sollen – notfalls – um höherer Interessen willen die Insassen des gefährlichen Fliegers zum amtlichen Abschuss frei gegeben werden.
Die weltweite Empörung über Folter in amerikanischen Militärgefängnissen: Das Kunststück, ein vernünftiges Töten und Verletzen zu billigen und es von einer überflüssigen und daher unerträglichen Barbarei zu scheiden, bringt das menschliche Gefühl nur unter Anleitung zustande. Das ur-menschliche Gefühl folgt hierin nichts anderem als einer staatlichen Rechtssetzung.
Im Polizeigewahrsam behauptet der Entführer zunächst, der Junge sei noch am Leben. Damit fordert er seine Vernehmungsbeamten dazu heraus, ihm mit der „Zufügung von Schmerzen“, der „Vergewaltigung durch Mithäftlinge“ und der Anwendung einer „Wahrheitsdroge“ zu drohen, wenn er den Aufenthaltsort seines Opfers nicht sofort preisgebe; zehn Minuten später legt er ein umfassendes Geständnis ab.
Sternstunde demokratisch-parlamentarischer Heuchelei zur Reform dieses Strafrechtsparagrafen als Abwägung höchster Gewissensentscheidungen. Die Debatte tut so, als wäre staatliche Rechtssetzung bloß Diener und Helfer menschlicher Rechtschaffenheit und Moral. Die Wahrheit: der Staat gewährt das Recht auf Leben, somit gehört ihm auch die Liebesfrucht, noch bevor sie auf der Welt ist.