Seit einiger Zeit ist in den Reihen deutscher Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Marx und die Lektüre seines Hauptwerks wieder en vogue. Gegen die Befassung mit Marx wäre nichts einzuwenden, wäre sie nicht etwas eigentümlich.
Die moderne Marx-Rezeption in ihren Spielarten steht ganz in der Tradition des bürgerlichen wissenschaftlichen Betriebs, der es sich von Anbeginn nicht hat nehmen lassen, Marx unter dem Gesichtspunkt seiner Brauchbarkeit für Theorie und Praxis des kapitalistischen Ladens in Augenschein zu nehmen. Deren Highlights dokumentieren wir im Folgenden.
Herr R. aus A. schickt uns „kritische Anmerkungen“ zu der in unserem Verlag erschienenen Schrift ‚Gesundheit – ein Gut und sein Preis‘. Näher beziehen sich seine Anmerkungen auf die Ausführungen, die wir in dem Kapitel ‚Die Erkenntnisse der Psychiatrie und Psychotherapie‘ über die Hirnforschung und das immer wieder für spannend erachtete Verhältnis von Geist und Gehirn machen.
Freischaffende wie in öffentlich-rechtlichen Diensten stehende Pfleger hoher Kultur haben zu tun: J. Habermas, ein „großer Vordenker“, „kritischer Diskursführer“, „Deutschlands größter lebender Philosoph“ gar, steht anlässlich seines 80. Geburtstags mit seinem Lebenswerk zur Ehrung an. Das erledigen sie durch die Bank gerne. Für ‚Die Zeit‘ gilt es die „Weltmacht Habermas“ zu feiern, weil das Werk des Mannes aus dem Geistesleben sogar in China und Japan nicht wegzudenken ist.
Alle Welt gibt sich bedenklich bis entsetzt über die halbe Million Iren, die mit ihrem ablehnenden Votum „Europa zum Stillstand“ gebracht hat, doch Deutschlands größter Philosoph winkt ab. Er hat das so oder ähnlich längst kommen sehen. Für ihn als Fachmann für wahre Demokratie und Verfassungspatriotismus kommt in dem Fall nur ein weiteres und, wie er hofft, endgültig letztes Mal das verhängnisvolle Prinzip zum Vorschein, von dem Europas Einigung getragen ist, und die ‚Süddeutsche‘ eröffnet ihm großzügig Platz zur Darlegung seiner tiefen Gedanken.
Kant will sich an der leeren Idee von moralischer Gesetzmäßigkeit erbauen, ein Sittengesetz auszuspinnen, aus dem sich die Antworten auf alle „Kernfragen“ von Schröders Verantwortlichkeit für die Zukunft der Weltbürgerschaft bis hinunter zur Gentechnik ableiten lassen: Das soll das Interesse sein, dem wir uns in der Nachfolge Kants unvermeidlich hingeben sollen.
Habermas verwandelt erstens Terror und staatlichen Gegenterror in einen Glaubenskrieg. Dann widmet er sich der philosophischen Frage, was den Menschen letztlich die nötige Orientierung in einer von Wissen geprägten Welt gibt. Und landet bei der „Geschöpflichkeit“, der Habermasschen Fassung von Gott, die moralischen Halt gibt.
Weil „der Mensch“ zur „Entmenschung“ neigt, braucht er einen Dompteur, der ihm den Humanismus beibiegt. Leider hat der Humanismus so wenig zur Vermenschlichung der Welt beigetragen. Sloterdijk denkt vorwärts: Wenn Erziehung nichts fruchtet, muss auch Genveränderung angedacht werden dürfen, ohne dass er sich gleich Faschismus nachsagen lassen muss; und Deutschland hat endlich eine intelligente Debatte zwischen Philosophen und anderen zur Menschenverbesserung berufenen Geistern.
Popper vereint philosophisch moralisches Sinnstiften und Erkenntnistheorie: Er leitet sein Grundprinzip zur Erklärung der Welt – die Methode des Lernens aufgrund von Versuch und Irrtum – wissenschaftlich ab. Heraus kommt eine Moral des Denkens, die in einem prinzipiellen Vorbehalt den eigenen Theorien gegenüber besteht. Der Skeptizismus des politischen Moralphilosophen taugt zur Affirmation der Demokratie genauso wie zur Abrechnung mit dem Marxismus.
Der Faschist verlangt seinem Staat mehr Erfolg ab, als dieser hat. Er führt die Ohnmacht der Nation auf schwerwiegende Versäumnisse der amtierenden Staatsmacht zurück. An deren Stelle will er treten, um durch den ordentlichen Gebrauch aller Instrumente der öffentlichen Gewalt das Volk zu mobilisieren – damit es wieder seiner eigentlichen Bestimmung nachkommt. Unter seiner ordentlichen Führung hat es sich an die Erledigung seiner inneren und äußeren Feinde zu machen, die ihm die faschistischen Staatsretter als Urheber sämtlicher Miß- und Notstände präsentieren.
Auch wir als dogmatische Marxisten können unserem Lehrmeister einige Vorwürfe nicht ersparen. Nicht nur, dass unser Karl Marx partout der Meinung war, just er müsse an Abraham Lincoln schreiben und seine Wiederwahl als großen Sieg der Arbeiterklasse feiern; auch und vor allem die These vom ‚Ende der Philosophie‘ halten wir für einen seiner wenigen Irrtümer. Gleich zwei saudummen Dogmen der Bourgeoisie gibt dieses Fehlurteil Anlass zur empirischen Bestätigung.