Die deutsche Kanzlerin stellt klar, dass eine gescheite Pandemiepolitik, die dem Willen des deutschen Volks gerecht wird, entscheidend von der flächendeckenden Verbindlichkeit ihres unangezweifelten Machtworts abhängt. Als Regierungschefin steht sie persönlich dafür ein, dass die Bundesregierung die sachkundige Bewältigung der Corona-Krise voll im Griff hat. Im demokratischen Regelfall wäre das vor der anstehenden Bundestagswahl glatt eine wunderbare Nachricht für ihre Partei, wenn Merkel nicht schon vorab angekündigt hätte, für eine Wiederwahl nicht mehr zur Verfügung zu stehen.
Die besondere Konstellation der zeitgleichen Kanzlerkandidatenkür von Regierungspartei und den Grünen beschert der Republik das erste Highlight des Bundestagswahljahres ’21.
Das war für die Nation vielleicht traumatisch. Zum ersten Mal seit 1814 wird das Kapitol in Washington verwüstet, diesmal aber nicht von fremden Soldaten, die auf Befehl eines feindlichen, undemokratischen Monarchen handeln. Im Gegenteil. Es sind glühende amerikanische Patrioten, vor Liebe zu „freedom and democracy“ strotzend, die in der Gewissheit zu Werke gehen, dass sie nur ihr gutes demokratisches Recht reklamieren: „four more years!“ unter der Regentschaft ihres Lieblingspräsidenten.
„Ich wähle den Präsidenten, unter dem ich mehr Geld
verdiene.“
(Ein namensloser
hard-working Amerikaner im deutschen Fernsehen)
Das ist schon sehr nahe an der wahren Seele Amerikas: am
falschen Materialismus kapitalistischer Konkurrenz, in
der das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sich nicht
übertreffen lässt.
Mit Anbeginn der Corona-Pandemie gibt Söder den entschlossenen Macher – einfach, indem er immer da ist. Ganz und gar nicht auf ein höheres Amt erpicht und schon gar nicht auf die eigene Karriere, sitzt er als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz an der Seite der Kanzlerin und macht immer erst als Zweiter sein Maul auf, was zeigt, dass er nicht aus der Reihe tanzt, sondern dem großen Ganzen dient.
Damit hat wirklich keiner gerechnet, dass die SPD glatt macht, womit alle gerechnet haben. Während die anderen noch streiten, zieht sie ihren Kanzlerkandidaten aus dem Hut.
Braucht die CDU „Aufbruch und Erneuerung“? Oder eher „Kontinuität“? Wäre die Nation mit F. Merz als Kanzler/kandidat besser bedient? Oder mit A. Laschet? Die Befassung der demokratischen Öffentlichkeit mit dieser Streitfrage war gerade in Gang gekommen und hätte so erregend werden können. Aber mit „Corona“ herrschen nicht bloß im Alltagsleben der Nation andere Prioritäten: Unter Seuchenbedingungen lebt die parteipolitische Konkurrenz nach einem etwas anderen Muster ganz kräftig auf.
Dass die demokratisch regierten Deutschen es in letzter Zeit an wechselseitigem Respekt voreinander als Mitbürger haben fehlen lassen, ist die amtliche Erleuchtung des derzeitigen Bundespräsidenten. Wo die braven Deutschen sich wegen ihrer Auffassungen von dem, was sich ‚bei uns‘ und wer ‚zu uns‘ gehört, gegenseitig verachten, ausgrenzen und ganz viel Staatsgewalt an den Hals wünschen, da sagt ihnen ihr Präsident, dass er nur Deutsche kennt. In seinen Predigten gibt er ihnen mit auf den Weg, die Sache, also sich, auch so zu sehen. Damit er wieder mit ihnen zufrieden sein kann.
Der Industriearbeiter ist eine aussterbende Gattung: Gehört das nicht zu den Errungenschaften genau des modernen Kapitalismus, der schon längst, von Amerika ausgehend, die Arbeitswelt auf saubere Dienstleistungen als eigentliche Geldbringer umgestellt und den das Silicon Valley in diesem Sinne überhaupt neu erfunden hat? Ausgerechnet der Präsident der USA sieht das ganz anders.