Aus der Reihe „Was Deutschland bewegt“
Chronik des Corona-Wahljahres 2021
V. Die Grünen vs. C-Parteien in Sachen Kandidatenkür
Punktsieg für die Partei der Achtsamkeit im Umgang mit der Macht

Die besondere Konstellation der zeitgleichen Kanzlerkandidatenkür von Regierungspartei und den Grünen beschert der Republik das erste Highlight des Bundestagswahljahres ’21.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Chronik des Corona-Wahljahres 2021
V. Die Grünen vs. C-Parteien in Sachen Kandidatenkür
Punktsieg für die Partei der Achtsamkeit im Umgang mit der Macht

Die besondere Konstellation der zeitgleichen Kanzlerkandidatenkür von Regierungspartei und den Grünen beschert der Republik das erste Highlight des Bundestagswahljahres ’21. Denn die schöne Vorlage der C-Parteien, dass Söder aus seinen Umfragewerten herausliest, dass er die CDU-Präsidiumsabstimmung zugunsten Laschets nicht hinnehmen kann, also die geschlossene Unterordnung der gesamten Partei unter einen unhinterfragten Führer als politisches Qualitätssiegel bis auf Weiteres nicht hinzukriegen ist, passt der alternativen grünen Volkspartei im Aufstieg perfekt ins Konzept. Den Prozess der Selbstentfärbung zum volksparteitauglichen Kanzler*innen-Wahlverein Nr. 2 hat sie sowieso schon fix und fertig abgeschlossen: Für alle so dringlich zu erledigenden Modernisierungsaufgaben der Republik – Pandemie, Staatsverwaltung, Digitalisierung, Soziales, Klimawandel ... – empfiehlt sich die Grüne Partei auf allen Kanälen mit den besseren und moderneren Konzepten als nötige und fällige Alternative zur ach so konzeptlosen aktuellen Regierung. Auf keine andere Botschaft kommt es an, als dass hier eine Regierungspartei im Wartestand ihren Anspruch auf die Macht über Deutschland anmeldet, die nichts als den Willen und die Fähigkeit verkörpert, ‚es‘ endlich besser zu machen, nämlich viel moderner als die Konkurrenz politische Regie zu führen über die Gegensätze und Sachzwänge unserer fortschrittlichen kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft. Ihre Selbstinszenierung krönt diese Partei mit dem Entschluss, zum ersten Mal einen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen, und beglaubigt so abschließend, dass die Grünen wirklich nichts mehr mit einer Partei zu tun haben, die ein besonderes Anliegen in der Republik verfolgt – sondern definitiv eine allzuständig-regierungsreife Volkspartei sind. Als solche, über alle Partikularinteressen erhabene, allein dem nationalen Erfolg des Kapitalstandorts verpflichtete – und darin dem Volk dienende – Partei ist sie sich eben auch einen eigenen glanzvollen Sachwalter des Allgemeinwohls schuldig, der um die Kanzlerschaft konkurriert. Und die grünen Spitzenkandidaten für diesen Posten, Baerbock und Habeck, zeigen sich dieser politischen Herausforderung auch intellektuell gewachsen: Wie aus dem Lehrbuch für oppositionelle Kritik an der Regierung erfolgt prompt ihr vernichtendes Generalurteil, dass mitten in einer Pandemie, in der entschlossenes Handeln der Regierungspartei verlangt ist, diese sich stattdessen mit ihrem Kanzlerkandidaten-Hickhack beschäftigt. Wie albern das Bild auch ist, dass in Deutschland nicht mehr regiert wird vor lauter Konkurrenz um Merkels Nachfolge – zum selbstverständlichen Reflex geworden ist den Spitzenfiguren der Grünen jedenfalls die einzige und einzig richtige Kritik von selbstdarstellerischen demokratischen Machtaspiranten, die ‚es‘ besser können: Unter völliger Abstraktion davon, auf was für einen Laden sich eine deutsche Regierung überhaupt bezieht und was sie da ins Werk setzt, wenn sie mit dem Einsatz ihrer hoheitlichen Regelungsgewalt handelt, die Pandemie bekämpft etc., stattdessen aber umso mehr mit allen Insignien der Sachkunde und des versierten Sich-Auskennens präsentiert man sich selbst als den wirklichen Macher, als den eigentlich viel besseren Exekutoren staatlicher Machtausübung, der die aktuellen Regenten anlässlich parteiinterner Machtkämpfe bei dem hoheitlichen Verbrechen des Nichtstuns erwischt.

Da kann die grüne Oppositionspartei gar nicht anders, als ihre Kanzlerkandidatenkür als eine von den zerstrittenen C-Parteien ganz wesentlich unterschiedene zu inszenieren. Natürlich nicht inhaltlich, denn alles tun, was Deutschland voranbringt, ist ja sowieso als das Selbstverständlichste von der Welt unterstellt. Aber durch intransigentes persönliches Machtstreben der eigenen Kandidatenfiguren das Regieren eines so feinen Landes in einen Lähmungszustand zu versetzen, zu welchem erfundenen Bild man die C-Parteien hinstilisiert – das soll den grünen Führungsfiguren einfach politisch wesensfremd sein. Zwar erfolgt auch in ihrer Partei die Besetzung von Posten und Ämtern mittels keiner anderen Frage als der, welche der ehrgeizigen Konkurrenzfiguren sich durchsetzt. Aber bei ihnen sind ‚unverbrüchlicher Zusammenhalt‘ und ‚wechselseitiges Einvernehmen‘ von parteiinternen Konkurrenten beim persönlichen Machtkampf nicht nur die hohlen Phrasen eines bloßen Ideals, das wie in den C-Parteien dauernd beschworen werden muss, sondern ein ganz real praktiziertes Ideal: Keine Mühe wird gescheut, um die eigene Kandidatenkür zum vorbildlichen Lehrstück hinzustilisieren, wie man Führungsfragen echt professionell löst, nämlich so, dass die aufstrebenden Bewerber durch den von ihnen demonstrativ an den Tag gelegten sorgsamen Umgang mit einer so gewichtigen Entscheidung ihren Respekt und ihre Demut vor der Würde und Wichtigkeit des Amts erweisen und damit umgekehrt natürlich sich als die der Macht über Deutschland einzig würdigen Figuren präsentieren. Demonstrativ tragen Baerbock und Habeck dazu erst einmal ihren Machtwillen in aller Öffentlichkeit vor – der einen wäre es ein „Stich ins Herz“, dem anderen würde es unendlich „schwerfallen“, müsste da auf den Kanzlerkandidatenstatus verzichtet werden. Es wird also wahrlich nicht hinter dem Berg gehalten mit der persönlich verspürten Lust, endlich einmal die höchste politische Verfügungsmacht über Land und Leute auszuüben. Welch großartige Entsagungsleistung sich der eine dann im geheimen grünen Hinterzimmer zugunsten der anderen persönlich abringt, wo es doch auch ihm so wichtig war, Kanzler von Deutschland zu werden, darf der Öffentlichkeit anschließend keinesfalls verborgen bleiben – in Kombination mit der hinterher demonstrierten schönsten Einvernehmlichkeit der beiden Kontrahenten ergibt das ja überhaupt erst das bezweckte Kontrastbild, wie staatsmännisch-vernünftig hier im Unterschied zu den C-Parteien Personalfragen für höchste politische Ämter entschieden werden. So viel gelebte Achtsamkeit beim Umgang mit der Macht, damit die niemals Schaden nimmt – wenn das die Grünen nicht dazu qualifiziert, dass die deutsche Staatsmacht unbedingt in die Hände ihrer Führungsfiguren gehört.