In der deutschen Politik zirkuliert die Auffassung, dass eine Revision der bisherigen Russlandpolitik ansteht. Die Rede ist von einem „Wendepunkt“, einem „Strategiewechsel“, einer Verabschiedung von „verklärter Romantik und der Hoffnung, Wandel durch Handel zu erzeugen“. Als Gründe dafür werden die Zusammenstöße in Weißrussland und die Vergiftung Alexei Nawalnys angeführt, berufen wird sich zudem auf eine lange Liste aus dem Vorrat älterer Vorwürfe.
EU-Politiker können noch so oft die Notwendigkeit einer transatlantischen Handelsfront gegen den eigentlichen, fernöstlichen Gegner beschwören, es hilft nichts: „Die EU ist noch schlimmer als China.“ (Trump) Dafür, dass er mit der EU überhaupt als Kollektiv verhandeln muss, hat Trump bis heute kein Verständnis – und auch keine Scheu, den EU-Mitgliedsstaaten das britische Vorbild anzuempfehlen, um den Club noch einige Köpfe kleiner zu machen. Was Trump von europäischen Handelsüberschüssen gegenüber den USA und überhaupt von der europäischen Handelsmacht hält, ist also klar.
Die Anführer des Projekts ‚Weltmacht Europa‘ sehen sich einerseits nur noch mehr genötigt, es in seiner zielstrebig antiamerikanischen Stoßrichtung zu vollenden. Andererseits sind auch und gerade sie mit dem Widerspruch, für eine kollektive Weltmacht ihre nationale Eigenständigkeit in ihr imperialistisches Großprojekt zu investieren und zu integrieren, überhaupt nicht fertig – dies die Sache, von der das Aufleben eines europakritischen bis -feindlichen ‚Populismus‘ sogar in Deutschland Zeugnis gibt.
Die Streitigkeiten der europäischen Institutionen mit einigen osteuropäischen Regierungen, vor allem der polnischen und ungarischen, häufen sich und haben deutlich an Schärfe und Grundsätzlichkeit zugenommen bis hin zu der Frage, ob sich deren Politik überhaupt noch im Rahmen der sogenannten Wertegemeinschaft bewegt oder nicht in eine gefährliche populistische Richtung entgleist ist...
Seitdem der Nato-Bombenkrieg den Tito-Staat auf dem Balkan beseitigt hat, ist die Staatenwelt um eine Handvoll Kleinststaaten reicher, die die wohlwollende europäische Erziehungsdiktatur der „Heranführungs“-Methoden genießen. Angesichts der Aussicht auf eine neuerliche Osterweiterung um die Staaten des Westbalkan, denen die EU in Gestalt von Juncker seit neuestem eine glaubwürdige Beitrittsperspektive, dieses Mal sogar mit Datum, verspricht, lohnt sich ein Blick darauf, was das bekanntermaßen werte-beflissene, gutartig-zivile europäische Bündnis dort zustande gebracht hat.
Seit Julija Timoschenko verurteilt und inhaftiert ist, erlebt die Ukraine „Zeiten autoritärer Rückfälle“ (FAZ, 16.10.11). In Kiew herrscht „politische Justiz“: Die Gebote der freien und unabhängigen Rechtsprechung werden mit Füßen getreten. Der amtierende Staatschef herrscht als Autokrat, der seine politische Konkurrentin mit illegitimen Mitteln erledigen will und ihr auch noch medizinische Versorgung im Knast verweigert.
Die EU hat in jahrzehntelanger Arbeit 78 afrikanische, karibische und pazifische (AKP-)Staaten auf sich verpflichtet, indem sie ihnen in vier Lomé- und dem Cotonou-Abkommen (2000) eine „Asymmetrie“ in den Handelsbeziehungen einräumte („Handelspräferenzen“), d.h. die Einfuhrzölle auf Güter aus diesen Staaten senkte, ohne ihrerseits Zollsenkungen zu verlangen. Durch den „privilegierten“ Handel (SZ, 18.6.07), der diesen Staaten damit eröffnet wurde, ist die „Asymmetrie“ in der Reichtumsverteilung nur fortgeschrieben worden.
Die BRD und andere europäische Staaten machen Außen- und Weltpolitik nicht bloß im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, sondern zugleich, bisweilen sogar vorrangig als wichtiger Teil, also auf Basis der weltpolitischen Bedeutung, mit dem strategischen „Gewicht“ der gesamten Europäischen Union.