Im Golf von Mexiko explodiert die Bohrinsel ‚Deepwater Horizon‘. Aus dem Bohrloch fließen monatelang riesige Mengen Öl ins Meer, gelangen an die Küste und ruinieren in mehreren Bundesstaaten zusammen mit der Umwelt die Lebensgrundlagen großer Bevölkerungsteile. Nach Auskunft der Fachleute ist dies die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte Amerikas – für den Präsidenten des Landes ein gebotener Anlass, in einer Rede an die Adresse der Nation jedermann die Bedeutung dessen vor Augen zu stellen, was sich an der Golfküste gerade abspielt.
Ein bisschen merkwürdig ist die derzeitige Aufregung über den Aufschwung des Elends in Sachen Ernährung schon. Hunger ist schließlich eine beständige Begleiterscheinung der modernen Welt, wird regelmäßig zu hohen Feiertagen von humanitären Verbänden zum Thema gemacht, der privaten Barmherzigkeit und Spendenfreude anempfohlen und ebenso regelmäßig wieder zugunsten anderer Themen abgesetzt.
Auf einmal qualmt nach einem Kurzschluss in der Stromversorgung tagelang das Atomkraftwerk Brunsbüttel, kommt es „zeitnah“ im benachbarten Meiler Krümmel zu einer „Pannenserie“, und beide, vom Betreiber Vattenfall noch vor Kurzem als „Klimaschützer der Woche“ plakatierten Atomkraftwerke, müssen „per Hand heruntergefahren“ und per Schnellabschaltung vom Netz und unter Kontrolle gebracht werden. „Mehrere Unfälle in wenigen Tagen – Zufall?“ „Vattenfall, bitte melden!“ ruft eine sensibilisierte Öffentlichkeit, verlangt schleunigst Aufklärung und kriegt sie – mit Verspätung.
„Gammelfleisch“ ist ein ziemlich ubiquitäres Phänomen. Mit dieser schonungslosen Offenlegung werden die Leser allerdings nicht allein gelassen. Eine fach- und sachkundige Öffentlichkeit erklärt ihnen nämlich gleich auf mehreren Ebenen, warum sie sich nicht zu wundern brauchen.
Die Überschreitung des gesetzlichen Grenzwerts macht aus der langjährigen Belastung der Bevölkerung eine ungesetzliche und daher empörende Schädigung, aus der ungesunden Normalität einen „Feinstaubskandal“. Wo das Recht das Maß der Gesundheitsverträglichkeit setzt, und die Empörung sich am Erlaubten orientiert, gehen die Stäube unterhalb der erlaubten Konzentration selbstverständlich schon mal gleich in Ordnung.
Hunderte von Kilometern der galizischen Küste sind auf Jahre hin asphaltiert, weitere Teppiche aus Millionen von Ölklumpen schwimmen auf die französischen Atlantikküsten zu. Ursache ist die Havarie und der Untergang des Öltankers „Prestige“, der seine giftige Ladung auf unabsehbare Zeit an das Meer abgeben wird.
Krebserregendes Futtergetreide durch verseuchte Hallen bringen Bio-Unternehmen in Umlauf und gefährden ihre besondere Geschäftskalkulation: Das Versprechen, die Lebensmittel ungiftig zu produzieren, eröffnet die Chance, fürs Produkt mehr Geld zu erlösen. Die Skandalierung des Vorfalls wirkt dem drohenden Vertrauensverlust in die Güte der Bio-Lebensmittel und damit dem Erfolg des Geschäfts einer ganzen Sonderbranche entgegen.
Die gesundheitsschädliche Produktion von Lebensmitteln provoziert Kritik an den herrschenden marktwirtschaftlichen Bräuchen. An die Politiker ergeht der Ruf nach Reformen. Sie nutzen ihn zur Demo von Zuständigkeit und Verantwortung und überantworten die Reformen den heilenden Kräften des Marktes.
„Zulässige Grenzwerte“ an Giften in Lebensmitteln sind die staatliche Reaktion auf die Normalität vergifteter Lebensmittel in einem System, in dem es eben in erster Linie auf Profit ankommt. Staatliche Kontrollen unterstellen regelmäßige Vergehen gegen die Auflagen. Werden sie aufgedeckt, einen sie als „Skandale“ Staat und Volk. Verbrechersuche im In- und Ausland steht an, wobei auch der Verbraucher nicht ungeschoren davonkommt.
Ein europaweit führender Entsorger von industriellen Reststoffen bläst aus seiner Anlage eine Dioxinwolke über Duisburg. Ein Grund zur Sorge für die wachsame Öffentlichkeit und die staatliche Aufsicht – um den Kapitalstandort Ruhrgebiet!