A Threatened Way of Life – oder:
Eine Ölkatastrophe als Systemfrage
Im Golf von Mexiko explodiert die Bohrinsel ‚Deepwater Horizon‘. Aus dem Bohrloch fließen monatelang riesige Mengen Öl ins Meer, gelangen an die Küste und ruinieren in mehreren Bundesstaaten zusammen mit der Umwelt die Lebensgrundlagen großer Bevölkerungsteile. Nach Auskunft der Fachleute ist dies die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte Amerikas – für den Präsidenten des Landes ein gebotener Anlass, in einer Rede an die Adresse der Nation jedermann die Bedeutung dessen vor Augen zu stellen, was sich an der Golfküste gerade abspielt.
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A Threatened Way of Life –
oder:
Eine Ölkatastrophe als
Systemfrage
Im Golf von Mexiko explodiert die Bohrinsel ‚Deepwater Horizon‘. Aus dem Bohrloch fließen monatelang riesige Mengen Öl ins Meer, gelangen an die Küste und ruinieren in mehreren Bundesstaaten zusammen mit der Umwelt die Lebensgrundlagen großer Bevölkerungsteile. Nach Auskunft der Fachleute ist dies die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte Amerikas – für den Präsidenten des Landes ein gebotener Anlass, in einer Rede an die Adresse der Nation jedermann die Bedeutung dessen vor Augen zu stellen, was sich an der Golfküste gerade abspielt:
„Während wir hier sprechen, sieht sich unsere Nation vor eine Vielzahl von Herausforderungen gestellt. Zuhause ist unsere höchste Priorität die Erholung und der Wiederaufbau nach einer Rezession, die das Leben nahezu jeden Amerikaners betroffen hat. Im Ausland bekämpfen unsere tapferen Männer und Frauen in Uniform Al Qaida, wo immer sie existiert. Und heute Abend kehrte ich von der Golfküste zurück, um mit Ihnen über den Kampf zu sprechen, den wir gegen eine Ölpest führen, welche unsere Küsten und Bürger bedroht.“ (Dieses und alle folgende Zitate aus der Rede Obamas an die Nation, 15. 6. 2010)
Wenn der amerikanische Präsident seine Nation bei der Bekämpfung eines Ölteppichs in einen ähnlichen Kampf wie den verstrickt sieht, den sie sich zur Wiederherstellung ihrer durch die Krise beschädigten Finanz- und Wirtschaftsmacht vorgenommen hat, und der wiederum auf einer Ebene mit dem liegt, den sie auf diversen Kriegsschauplätzen zur Eliminierung ihrer Feinde seit längerem führt, dann ist eines sicher richtig: Der Mann haut ordentlich aufs Blech. Seine Übertreibungen als bloß rednerisches Pathos abtun, sollte man gleichwohl nicht. Immerhin macht da der Führer der Nation seine Landsleute mit der maßgeblichen Sicht der Dinge bekannt, also damit, wie auch sie das Desaster am Golf zu würdigen haben; und da ist dessen Einordnung in die Kategorie der größten anzunehmenden nationalen „Herausforderungen“ jedenfalls eines zu entnehmen: Für ihn geht der Schaden, den das Öl anrichtet, weit über alles hinaus, was Küsten und Bürger, Fischindustrie und Tourismusbranche an Schäden zu verzeichnen haben – die Nation insgesamt ist in den Augen ihres Präsidenten von der Ölpest am Golf essentiell bedroht. Die Bewältigung der Herausforderung, die Obama vorschwebt, nimmt daher auch an allem anderen Maß als an der Restaurierung der von dem Unfall bedrohten Lebensgrundlagen. Sie verlangt vielmehr, dass Amerika die Lektionen versteht und politisch beherzigt, die diesem – erst Bin Laden, dann die Krise... – erneuten Schicksalsschlag nach Auffassung des Präsidenten zu entnehmen sind.
Lektion No. 1: Ölschwaden im Golf – eine „äußerst schmerzliche und machtvolle Mahnung“ zum „Change“ in der Energiepolitik
Der Präsident eröffnet den einseitigen Diskurs mit seinem Volk per Rückgriff auf das bewährte Muster, wonach immer dann, wenn im Kapitalismus kleinere oder größere Katastrophen zu verzeichnen sind, die Ordnungsmacht sich selbstverständlich dazu aufgerufen sieht, derart unwillkommene Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern. Wenn sie schon die Instanz ist, die jede Menge unternehmerische Risikofreude beim lukrativen Ölgeschäft gestattet, dann sollen die Auflagen, unter denen sie dies tut, bitteschön schon auch so aussehen, dass das Geschäft störungsfrei vonstattengeht:
„Eine der Lektionen, die wir gelernt haben aus dem Leck, ist die, dass wir bessere Regelungen, Sicherheitsstandards und ihre bessere Durchsetzung bei Offshore-Bohrungen brauchen.“
Das Versprechen abgehakt, dass beim Bohren im Meeresboden demnächst alles gut laufen wird, muss der Präsident sein Volk allerdings davor warnen, sich in trügerischer Sicherheit zu wiegen: Amerika hat, Sicherheitsstandards hin, deren Durchsetzung her, auch in Zukunft mit all den Risiken zu leben, die die Ölkonzerne bei der rentablen Ausbeutung dieses begehrten Rohstoffs tief unterm Meeresboden nun einmal eingehen müssen. Denn die gehorchen bei ihren ambitionierten Vorhaben nur dem ganz selbstverständlichen marktwirtschaftlichen Gebot, eine Angebotslücke zu schließen, und die wiederum resultiert aus dem Umstand, dass das Land mehr Öl verbraucht, als es selbst bei sich zu Hause herumliegen hat:
„Aber eine umfassendere Lehre ist, dass, so sehr wir auch unsere Regulierung verbessern mögen, Ölbohrungen heute größere Risiken einschließen. Schließlich ist Öl eine endliche Ressource. Wir verbrauchen mehr als 20 % des Weltöls, aber haben weniger als 2 % der Weltölreserven. Das ist einer der Gründe, weshalb Ölgesellschaften eine Meile unter der Wasseroberfläche nach Öl bohren – weil Vorkommen an Land und in flacheren Gewässern knapp werden.“
Die Lehre, die der Präsident aus dem geplatzten Bohrloch
zieht, gerät in der Tat ziemlich umfassend. An der
Ölkatastrophe im Golf von Mexiko wird für ihn überhaupt
nicht nur das Risiko manifest, das die Konzerne bei ihren
Geschäften eingehen und das mit besseren
Regelungen
in den Griff zu bekommen wäre. Die sollen
durchaus her, aber sie schaffen Gefährdungslagen der
aktuell zu besichtigenden Dimension schon deswegen nicht
aus der Welt, weil sie an das Risiko gar nicht
heranreichen, das die Nation mit ihrem Verbrauch dieser
endlichen Ressource
sich selbst beschert: Weil das
Land sich bei seiner Konsumtion des Rohstoffs weder an
dessen Endlichkeit noch an den Schwierigkeiten seiner
Gewinnung orientiert, gehen die Ölkonzerne bei ihren
Bemühungen, seinen immer weiter wachsenden Bedarf zu
befriedigen, die dabei unvermeidlichen Risiken ein –
im Namen der Nation, die dafür in
Gestalt des oil-spills gerade die Quittung erhält.
Obama allerdings hätte die Katastrophe gar nicht gebraucht, um seine ‚Lehre‘ aus ihr zu ziehen. Was man aus ihr lernen kann, hat er schon immer gewusst, und das reibt er, ohne die Form des nationalen „Wir“ zu verlassen, seinen Vorgängerregierungen ausdrücklich hin:
„Seit Jahrzehnten wissen wir, dass die Tage des billigen und leicht erreichbaren Öls gezählt sind. Seit Jahrzehnten haben wir darüber geredet und geredet, dass Amerikas jahrhundertelange Sucht nach fossilen Brennstoffen beendet werden muss. Und Jahrzehnte hindurch haben wir es versäumt, mit dem Bewusstsein der Dringlichkeit dieser Herausforderungen zu handeln. Immer wieder ist der Weg vorwärts blockiert worden – nicht allein durch die Lobbyisten der Öl-Industrie, sondern auch durch fehlende politische Courage und Aufrichtigkeit.“
Das Desaster beim Bohren nach Öl steht für das
Verhängnis, dass die Nation noch immer nach fossilen
Brennstoffen süchtig ist, und diese Sucht mit ihren
schlimmen Folgen dokumentiert die noch weit schlimmere
Pflichtversäumnis all seiner Vorgänger, das Land von
seiner Abhängigkeit nicht entwöhnt zu haben. Dazu hat
ihnen in der Sicht des amtierenden Präsidenten das
Rückgrat gefehlt, das er natürlich hat. Statt der Nation
den Weg vorwärts
zu bereiten, haben sie in der
Lobby nur getan, was sie immer tun, und dabei Wohl und
Wehe der Nation den Privatinteressen der Ölkonzerne
überantwortet. Die Folgen dieser Verantwortungslosigkeit
an höchster Stelle sind dermaßen fatal, dass sie vom Golf
von Mexiko bis nach China, in den Nahen Osten und wieder
zurück zu Amerikas Allerheiligstem reichen:
„Die Konsequenzen unserer Untätigkeit liegen jetzt offen zutage. Länder wie China investieren in saubere Energie-Arbeitsplätze und Industrien, die hier in Amerika sein sollten. Jeden Tag schicken wir beinahe eine Milliarde unseres Wohlstands an auswärtige Ländern für ihr Öl. Und heute, wenn wir den Golf betrachten, sehen wir einen ganzen way of life durch eine drohende Wolke schwarzen Rohöls bedroht.“
In ihrer engstirnigen und verantwortungslosen Fixierung
auf die Energiequelle Öl hat sich, so sieht es ihr
Präsident, die führende Welt- und Weltwirtschaftsmacht
selbst ins Abseits manövriert. Der hat etwas läuten hören
von einem vielversprechenden Zukunftsmarkt alternativer
Energien, geht wie von selbst davon aus, dass natürlich
sein Land den strategisch zu besetzen und zum Mittel des
eigenen Geschäftserfolgs herzurichten hat – und was muss
er registrieren? Ausgerechnet der ohnehin schon viel zu
mächtige Konkurrent an der pazifischen Gegenküste ist es,
der diesen Markt in seinen Griff nimmt und Industrien
hinstellt, die eigentlich nach Amerika gehören! Was den
Rest der Welt betrifft, mit dem Amerika den Handel
treibt, der sich auf seinem Konto zum Defizit saldiert,
so fallen dem Präsidenten bei der Gelegenheit gleich noch
ein paar auswärtige Länder
sehr unangenehm auf. An
sich, das ist ihm sonnenklar, ist das Geld der Nation ja
sowieso nur zur Mehrung amerikanischer Macht und
amerikanischen Reichtums da – und wer bereichert sich mit
ihm in Wahrheit? An andere wird es weggezahlt,
die sich an der Abhängigkeit Amerikas von dem Öl mästen,
das auf ihrem Territorium vergraben ist! Und kaum schafft
sich die Nation dann einen Notbehelf und versucht, sich
wenigstens ein Stück weit von dem Zugriff zu befreien,
den Scheichs und andere Parasiten auf ihren Reichtum
nehmen, wird für ihren Präsidenten in Gestalt des im Golf
schwimmenden Ölteppichs nur ein weiteres Mal offenbar,
dass die Nation ihre existenziellen Lebensgrundlagen
nicht im Griff hat: Nichts Geringeres als den für
Amerika so typischen ‚way of life‘, das Ensemble aller
bewährten Sitten und Gebräuche, die den Kapitalismus made
in USA zur Weltführungsmacht gemacht haben, sieht er dort
auf dem Spiel stehen!
So stilisiert Obama die Umweltkatastrophe im
Golf zur Manifestation einer generellen
Katastrophe der Nation. Die Unterlassungssünden seiner
Vorgänger beim Kampf um den Energiemarkt der Zukunft
dramatisiert er zum Vaterlandsverrat, wirft sich
schützend vor alle noch ungeborenen Generationen – wir
können unsere Kinder nicht dieser Zukunft
anvertrauen
–, um seine Landsleute mit der Nase
darauf zu stoßen, wie bedingungslos sie jedenfalls
ihm vertrauen können. Denn die Zukunft
muss sich ja ändern, und das tut sie auch –
schon jetzt, unter der Führung ihres
Präsidenten:
„Die Tragödie an unserer Küste ist eine äußerst schmerzliche und machtvolle Mahnung, dass jetzt die Zeit gekommen ist, eine saubere Energie-Zukunft in Angriff zu nehmen. Jetzt ist der Moment für diese Generation gekommen, sich der nationalen Mission zu stellen, Amerikas Erneuerung anzupacken und unser eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen.“
Wie zum Trauerspiel die Katharsis, so gehört zum Aufbruch der Nation aus schweren Zeiten eine leuchtende Mission und ein Führer, der sie an allen Fronten ihrer Kämpfe entschlossen zum Erfolg zu leiten verspricht.
Lektion No. 2: Die ganze amerikanische Lebensart ist in der Krise – ein Auftrag für „Change“ bei politischen Verantwortungsträgern
Der Mann war vor Ort, weiß also genau, wovon er redet:
„Sie wissen, dass seit Generationen Männer und Frauen, für die diese Region ihre Heimat ist, vom Wasser gelebt haben. Dieses Leben steht nun auf dem Spiel... Die Traurigkeit und der Zorn, die sie verspüren, betrifft nicht nur das Geld, das sie verloren haben. Es ist die beklemmende Angst, sie könnten ihren ‚way of life‘ verloren haben.“
Krabbenfischer und Austernsammler in der dritten bis fünften Generation – das sind für den Präsidenten vor allem eines: Die lokaltypische Ausgabe der Lichtgestalt, die als hard working American redlich gegen andere um ihren Erfolg kämpft, sich um sich selbst kümmert, alle Niederlagen wegsteckt und zusammen mit allen anderen, die mit den Mitteln, die sie haben, dasselbe tun, das Lebensprinzip exekutiert, das Amerika groß gemacht hat. Dem Chef dieses Landes sind sie darin ein so großes Wohlgefallen, dass er ihren ökonomischen Schaden gleich als Fall eines viel generelleren, das ganze Land bedrohenden Schadens verstanden wissen will: Es droht der Verlust der uramerikanischen Lebensart. Die zu retten ist der Präsident schon unterwegs, und zwar genau an der Stelle, von der die Bedrohung seiner Auffassung nach ausgegangen ist:
„Eine Stelle, an der wir bereits zu handeln begonnen haben, ist die Institution, die mit der Regulierung von Bohrungen und der Vergabe von Erlaubnissen befasst ist, bekannt als ‚Minerals Management Service‘. Während der letzten zehn Jahre ist dieses Büro zum Sinnbild einer verfehlten Philosophie geraten, die allen Regulierungen feindselig gegenüberstand – eine Philosophie, derzufolge Firmen nach ihren eigenen Regeln spielen und sich selbst überwachen sollten... Minister Salazar und ich besetzen dieses Büro mit einer neuen Führungsspitze …, um eine Organisation einzurichten, die als Wachhund der Ölindustrie handelt – und nicht als ihr Partner.“
Eine Kultur der Verantwortungslosigkeit soll bei der
Kontrolle über das Ölgeschäft eingerissen sein. Eine
regulierungsfeindliche
Verwaltung habe ihre
Amtspflichten verletzt, eigentlich nur ihr
Nicht-Regulieren verwaltet, jedenfalls die hoheitliche
Definition der Geschäftsregeln aus der Hand gegeben – die
es, wie man sieht, doch gerade dazu braucht, damit jeder
hardworking fisherman
unter fairen
Verhältnissen für sich sorgen, der American way of life
sich frei entfalten kann und auch im Big Business
sichergestellt ist, dass alles, was für BP und die
anderen Großkonzerne gut ist, auch wirklich gut
für Amerika ist!
So stilisiert sich der Präsident zu fishermen’s friend,
zum Retter ihres und des Lebensstils
aller anderen guten Amerikaner – und damit zugleich zum
entschlossenen Kämpfer gegen alle auf der anderen Seite,
die ihm gleich wieder linke Kontrollwut, unamerikanische
Geschäftsschädigung und damit die Schuld an der Krise
vorhalten, die er vorgeblich bekämpft: An denen
kritisiert Obama, sie machten sich zu Handlangern
privater Interessen, statt für die vernünftigen
Spielregeln der Konkurrenz zu sorgen, bei denen beide
Seiten, sie und die Nation, auf ihre Kosten
kommen. Wer sich dieser Vernunft verweigert, hängt, so
Obama, einer verfehlten Philosophie
an, die
Amerikas erfolgreichen Aufbruch in die Zukunft gefährdet
und durch Kumpanei mit dem Big Business schon jetzt seine
gesunde Zivilgesellschaft zu unterminieren droht.
Nimmt man den sachlichen Kern der aufgeblasenen Inszenierung des Unfalls am Golf und seiner ausgreifenden Deutung durch den Chef der Nation zur Kenntnis, ist zumindest klar, was das alles nicht bedeuten soll: Die goldene Regel, wonach der Staat am besten damit fährt, wenn er die privaten Interessen seiner Bürger in die Konkurrenz um ihren Erfolg entlässt und sich bei deren Beaufsichtigung auf den Grundsatz beschränkt, dass es in der fair zugeht, wird vom Präsidenten keineswegs aus den Angeln gehoben; das innige Zusammenwirken von Big Business und Politik soll schon auch in Zukunft für den Erfolg der Nation sorgen. Woran er sich im Fall BP offenbar stört, ist, dass eine staatliche Behörde anscheinend ihre Kontrolle nicht ordentlich ausgeübt hat – hätte sie es, wäre im Golf beim Bohren ja nichts schief gegangen. Deswegen will der Chef der Nation ab sofort für mehr Kontrolle bei allen Unternehmungen sorgen, die für ein – ja nach wie vor nötiges – erfolgreiches Bohren nach eigenem Öl unabdingbar sind. Aber musste der Mann dafür und für die Ankündigung einer neuen Energiepolitik das Maul so voll nehmen?
Lektion No. 3: Yes, we can!
Vielleicht kann er ja nicht anders. Aber der große Ton
der nationalen Schicksalsentscheidung in der Energiefrage
anlässlich des Ölunfalls, die übertreibenden
Verallgemeinerungen seiner Ursachen zum Beispiel einer
falschen Philosophie des Regierens: Das scheint
dem Chef der Weltmacht im Hinblick auf die Lage seiner
Nation offenbar angebracht. Seine Theatralik ist eben
nicht nur haltlose Übertreibung, sondern steht für die
politische Sicht der Dinge im Weißen Haus, und da stiftet
Amerikas Zustand offenkundig Unzufriedenheit bei seinen
aktuellen Führern. Sie halten den Stand der weltweiten
Energiekonkurrenz – schon jetzt und in der Zukunft erst
recht – für nicht bekömmlich für Reichtum und Macht der
USA. Diese Bedenken betreffen ungeachtet ihrer
rhetorischen Überhöhung sachliche Bedingungen des
amerikanischen Weltmachtstatus, weshalb der Präsident es
für angemessen hält, die schwersten Kaliber der
nationalistischen Agitation aufzufahren. Wenn er um
Gefolgschaft für seine Energiepolitik wirbt, im selben
Zug die kongenial fundamentalistischen Attacken der
Opposition abwehren und die Massen auf die Kosten und
Opfer vorbereiten will, die der Weg aus der
Wirtschaftskrise und der künftige Erfolg in der
Weltmachtkonkurrenz fordern wird; wenn er also dem Volk
wieder einmal eine neue Mission
der Nation
verkündet: dann ist einfach nichts anderes gefragt als
abstrakte Zuversicht und, auch das ist typisch für
Amerika, unverwüstliches Vertrauen in die
Erfolgstradition des Gemeinwesens. Dafür ist Obama
Spezialist:
„Jeder von uns hat seine Rolle zu spielen in einer neuen Zukunft, von der wir alle profitieren. So, wie wir uns von dieser Rezession erholen, hat auch der Übergang zur sauberen Energie das Potential, für das Wachstum unserer Ökonomie und die Schaffung von Millionen von Jobs zu sorgen – aber nur dann, wenn wir diesen Übergang beschleunigen. Nur wenn wir den Moment ergreifen. Und nur wenn wir uns zusammentun und geschlossen als Nation handeln – Arbeiter und Unternehmer, Wissenschaftler und Bürger, der private und der öffentliche Sektor.“
Der Befreiungsschlag, mit dem Obama seiner Nation zur Rolle der weltweit führenden Wirtschaftsmacht zurück verhelfen will, ist, ist auf die Entfaltung größtmöglicher moralischer Wucht berechnet: Er ist nicht nur dringend geboten: Er ist auch möglich! Man muss ihn nur zügig anpacken. Jetzt gleich und, das ist die Hauptsache, mit allen zusammen – so wird Amerika bald Millionen von Arbeitsplätzen mehr und den Weltmarkt für saubere Energie im Griff haben. Große Träume zu träumen und eisern an ihren Erfolg zu glauben – das gehört eben auch in den Traditionsbestand des American way of life, dem Mr. Yeswecan zu neuer Weltgeltung verhelfen will:
„Die einzige Antwort, mit der ich mich nicht zufrieden gebe, ist die Vorstellung, dass diese Herausforderung irgendwie zu groß und zu schwierig wäre, ihr zu begegnen. Wie Sie wissen, wurde dasselbe über unsere Fähigkeit gesagt, im II. Weltkrieg ausreichend Flugzeuge und Panzer zu produzieren. Dasselbe wurde gesagt über unsere Fähigkeit, Wissenschaft und Technologie in den Dienst zu spannen, einen Menschen sicher auf der Oberfläche des Mondes landen zu lassen. Und immer wieder und wieder haben wir uns mit den engen Grenzen des herkömmlichen Wissens nicht zufrieden gegeben. Im Gegenteil: Was uns seit unserer Gründung als Nation bestimmt hat, war unser Vermögen, unser Schicksal zu gestalten – unsere Entschlossenheit, für das Amerika zu kämpfen, das wir für unsere Kinder wollen. Selbst wenn wir unsicher sind, wie es genau aussieht. Selbst wenn wir noch gar nicht genau wissen, wie wir es erreichen können. Wir wissen, wir werden es erreichen.“
Diese Nation bewältigt einfach alles, was ihr das Schicksal an Herausforderungen aufbürdet, und zwar deswegen, weil sie sich dies entschlossen vornimmt. Sie muss dazu noch nicht einmal genau wissen, was das ist, was sie bewältigt; auch nicht, wie sie es bewältigen soll, und schon gar nicht, was wer davon hat, wenn sie es bewältigt hat. Wenn Amerikas Pioniere ‚go west!‘ sagen, ist Amerika früher oder später einfach dort. Wenn diese Nation einen Krieg gewinnen will, baut sie viele Panzer und gewinnt ihn. Und so, wie schon die Mondlandung nur die Zielstrebigkeit dieser Nation belohnt hat, weil bei der einfach jede ihrer Kraftanstrengungen immer schon den von ihr dabei ins Auge gefassten Erfolg garantiert, so ist es auch in diesem Fall: Wenn God’s own country sich auf saubere Energie umstellt, gehört ihm morgen der ganze Weltmarkt.
So versucht der Präsident sein Volk für den nationalen Aufbruch hinter sich zu scharen, den er für geboten hält – seine Gegner mobilisieren es umgekehrt für den Aufbruch der Nation mit Ausmalungen des Verhängnisses, das dieser Weg für Amerika und alles bedeutet, was diese glorreiche Nation ausmacht. Die spaltet sich darüber in zwei Lager, die sich in einem Punkt grundsätzlich einig sind: Ihre aktuelle Verfassung ist für alle, denen Amerikas Erfolg ein Anliegen ist, ein unhaltbarer Zustand.