Die Antworten auf russische Ankündigungen, taktische Atombomben in Belarus zu stationieren, lassen nicht lange auf sich warten. Selenskyj wirft Russland „Realitätsverlust“ vor, der nur als Resultat militärischer Misserfolge verstanden werden kann. Biden nennt die Ankündigung „besorgniserregend“, stellt dann fest: „Sie haben es noch nicht getan.“ Insgesamt scheiden die westlichen Großmächte zwischen Ankündigung und Tat.
Wieder mal rückt eine ehemalige Sowjetrepublik in den Fokus der ausgreifenden EU. Sie verleiht der Republik Moldau den Kandidatenstatus mit der bezeichnenden Begründung, das sei eine „geostrategische Investition in ein starkes und geeintes Europa“. Das kleine Land liegt zwischen Rumänien und der Ukraine und ist durch den Krieg dort zum sehr wackeligen Frontstaat des EU-Bereichs geworden. Um es zu dieser Rolle zu befähigen, wird eine Vielzahl von Maßnahmen mit Hochdruck vorangetrieben.
Am 3. Mai kursiert ein Video, das Rauchwolken über dem Kreml zeigt. Das russische Militär berichtet, dass es zwei Drohnen kurz vor dem Einschlag abgeschossen hat. Eine Aktion des ukrainischen Militärs, wie die Russen behaupten? Oder waren russische Kriegsgegner am Werk? Ukrainische Freiwilligenverbände mit selbst erteiltem Auftrag? Oder – „false flag“ – die russischen Kriegsherren selbst? Die allgegenwärtigen Russland-Experten wissen es auch nicht.
Nach einem Jahr Krieg in der Ukraine sieht das Land entsprechend aus.
Zu Beginn des letzten Quartals sind zum bisherigen Zerstörungswerk der beiden Seiten flächendeckende russische Raketen- und Drohnenangriffe auf die ukrainische Infrastruktur dazugekommen. Sie zielen auf die Kampf- und Widerstandsfähigkeit der Ukraine und treffen oft genug, um die Bewohnbarkeit etlicher Teile des Landes, die Funktionsfähigkeit seiner Ökonomie wie seiner Herrschaft infrage zu stellen.
Deutschlands offizielle Antwort besteht in der Zurückweisung der Frage. Mit der Benennung der Sache – „Putins grausamer Angriffskrieg“ – ist die Sache fertig: Wo DAS BÖSE zuschlägt, können DIE GUTEN nicht abseitsstehen. Für eine aufgeklärte Öffentlichkeit, die „einfache Antworten“ überhaupt nicht leiden kann, langt das. Nicht nur als Antwort, sondern für ein demonstratives, gerne aggressives Unverständnis, wie jemand da noch Fragen haben kann.
Russland führt eine „militärische Spezialoperation“ mit Ziel Kiew und im Osten der Ukraine durch mit dem erklärten Ziel, die dem Westen – der EU und der NATO – willfährige Regierung zu entmachten und durch eine russlandfreundliche zu ersetzen; die Okkupation von Gebieten, die an die Moskau treuen Volksrepubliken im Osten des Landes angrenzen, soll die gegen permanente Über- und Angriffe ukrainischer Kräfte schützen und die Annexion der Krim militärisch absichern.
Den Krieg in der Ukraine führen drei Beteiligte: Russland als Angreifer unter dem Titel einer „militärischen Spezialoperation“; die angegriffene Staatsgewalt in Kiew mit ihrem Kommando über eine von den USA und der NATO gedrillte und ausgerüstete Armee; der Westen nicht direkt als Kriegspartei, dafür doppelt: als Finanzier des ukrainischen Staates, als Organisator seiner Militärmacht; sowie, und das wiederum ganz direkt, mit einem Wirtschaftskrieg, der diesen Namen verdient, weil er auf die Zerstörung der kapitalistischen Grundlage der russischen Staatsmacht zielt.
Mitten in unserem schönen Europa mit seiner wunderbaren Friedensordnung auf einmal wieder Krieg? Wie konnte es bloß dazu kommen? Ja, wie nur? Auf einmal, mitten im schönsten Frieden, ist da jedenfalls nicht ein Krieg ausgebrochen. Er ist auch nicht aus unerfindlichen Gründen von irgendeinem durchgeknallten russischen Autokraten vom Zaun gebrochen worden. Auch in dem Fall gilt: Die Gründe für den Krieg werden im Frieden geschaffen.
Im Frühsommer 2017 eskaliert zwischen Nordkorea und den USA der (atom-)kriegsträchtige Konflikt, von dem die professionellen Beobachter des Zeitgeschehens einerseits wissen, dass er Tradition hat, andererseits, dass diesmal die Dinge doch etwas anders, viel gefährlicher liegen als bisher. Anders nimmt sich heuer auf jeden Fall die von ihnen vorgenommene Verteilung von Schuldsprüchen aus, die sie, ihrer eigenen Tradition folgend, schon für das vollgültige Urteil über die Sache halten.