KW 13

Die Antworten auf russische Ankündigungen, taktische Atombomben in Belarus zu stationieren, lassen nicht lange auf sich warten. Selenskyj wirft Russland „Realitätsverlust“ vor, der nur als Resultat militärischer Misserfolge verstanden werden kann. Biden nennt die Ankündigung „besorgniserregend“, stellt dann fest: „Sie haben es noch nicht getan.“ Insgesamt scheiden die westlichen Großmächte zwischen Ankündigung und Tat.

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Episoden des dementierten Russland-NATO-Kriegs
KW 13

Der Westen antwortet auf Putins und Lukaschenkos Atomdrohungen

Die Antworten auf russische Ankündigungen, taktische Atombomben in Belarus zu stationieren, lassen nicht lange auf sich warten. Selenskyj wirft Russland „Realitätsverlust“ vor, der nur als Resultat militärischer Misserfolge verstanden werden kann. Biden nennt die Ankündigung „besorgniserregend“, stellt dann fest: „Sie haben es noch nicht getan.“ Insgesamt scheiden die westlichen Großmächte zwischen Ankündigung und Tat: Eine solche Drohung sei noch kein Einsatz und ein Einsatz wiederum nicht absehbar, was sie sich von ihren Geheimdiensten extra bestätigen lassen. Die Bundesregierung definiert die Drohung zu einer „unverantwortlichen Rhetorik“ Russlands herunter. Indem der Westen sich vom russischen Eskalationsschritt demonstrativ unbeeindruckt zeigt, verweigert er ihm jede beschränkende Wirkung auf den eigenen Kriegswillen. Etwas andere Töne schlagen die Ost-NATO-Staaten an. Litauen sieht in der Verlegung den Versuch, Spannungen und Instabilität in die Region zu bringen, zeigt sich also in erster Linie betroffen, während Polen zum x-ten Mal eine stärkere Rolle in der nuklearen Teilhabe der NATO verlangt. Die von Putin geäußerte Doppelrechtfertigung, das Oberkommando über die Atombomben bleibe erstens bei Russland und gehe nicht auf Belarus über, womit es zweitens das Gleiche praktiziere wie die NATO selber, wird von deutschen Atomschirm-Teilhabern als dreist zurückgewiesen: „Der von Präsident Putin gezogene Vergleich zur Nuklearen Teilhabe der NATO ist irreführend und kann nicht dazu dienen, den von Russland angekündigten Schritt zu begründen.“ (Auswärtiges Amt) Kann man nicht vergleichen! Die NATO hat ja nur gute Gründe für ihre Atomwaffen; Russland per se nicht.

Planungen und Ankündigungen vor der erwarteten ukrainischen Gegenoffensive

Die angekündigten europäischen modernen Schützen- und Kampfpanzer aus England und Deutschland kommen in der Ukraine an. Zugleich kehren ukrainische Soldaten nach ihrer Ausbildung an diesen Waffensystemen in die Ukraine zurück. Die ukrainische Führung ist begeistert: „Militärische Kunstwerke“, „Ich freue mich darauf, bald Leoparden zu zähmen. Ich liebe es, wie sie brüllen.“ (Ukrainischer Verteidigungsminister Resnikow) Die nähere Einsatzbestimmung der Panzer wird gleich dazugesagt: Sie sind das Kernstück einer lang angekündigten Gegenoffensive zur Rückeroberung russisch besetzter Gebiete. Dafür werden die Munitionslieferungen nochmal ausgeweitet: Frankreich, Polen und die Slowakei erhöhen ihre Produktion, und neben den gelieferten Panzern nutzt die Ukraine die Geldgeschenke aus EU und USA, um weitere 150 gepanzerte Militärfahrzeuge in Polen auf Vorrat zu bestellen.

Während die Schlacht um Bachmut läuft und die Frühjahrsoffensive noch in der Planung ist, stellt die Ukraine mit einem 12-Punkte-Plan für die Krim klar, bis wohin die Rückeroberung gehen soll. Er unterstellt prospektiv die vollständige Rückeroberung durch die Ukraine, um dann zu thematisieren, wie eine antirussische Reinigung der Halbinsel auszusehen hätte: Sprengung der Krim-Brücke, Strafverfahren für alle Kollaborateure und Verräter am ukrainischen Staat, Säuberung des Staatsapparats nach Vorbild der Entnazifizierung Deutschlands, Vertreibung aller nach 2014 zugezogenen Russen, Annullierung von Grundstückskäufen und anderen Eigentumsverträgen – ein Katalog, der den ukrainischen Rechtsanspruch auf die Halbinsel dokumentiert. Das gilt auch und gerade angesichts dessen, dass Russland die Krim mit verstärkten Drohungen unter seinen nuklearen Schutz stellt. Im Westen wird diese Drohung Russlands durchaus in Rechnung gestellt; es gibt auch ein paar Stimmen, die Ukraine werde wohl kaum alle Maximalziele erreichen können, solle die Russen also nicht zu sehr provozieren. Dagegen macht Selenskyj seinen Unterstützern die Bedeutung der vollständigen ‚De-Okkupation‘ der Krim eindringlich klar: Erst dann und nur dann, wenn die ukrainische Flagge auf der Halbinsel weht, sind Recht und Ordnung in den internationalen Beziehungen wiederhergestellt – und dafür kämpft doch schließlich auch der Westen.

Nicht nur die Ukraine ist in ihren Vorstößen schon über die Schlacht hinaus. Die deutsche Bundesregierung bekundet mit einer Wiederaufbauinitiative ihre Siegesgewissheit und den festen Willen, sich die Ukraine als antirussisches Vorfeld zuzuordnen. Das Versprechen der Eingliederung wird mit einer Spekulation auf einen Wiederaufbau bekräftigt, der zwar einerseits eine Generationenaufgabe sein wird, also nicht allzu schnell vonstattengehen kann, dennoch mit einer Erinnerung an den Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg die Hauptsache vermittelt: Die Ukraine hat eine Zukunftsperspektive, die Zerstörung des kompletten Landes im Kampf gegen Russland lohnt sich. „Wer an eine bessere Zukunft glaubt, wer daran arbeitet, der hält auch diese schwierigen Zeiten besser durch.“ (Entwicklungsministerin Schulze) Deswegen gibt es schon jetzt eine deutsche Online-Plattform für alle hilfsbereiten Instanzen und Spekulanten.

Konkrete Zusagen gibt es für die Waffenhilfe. Die Bundesregierung erhöht die Finanzmittel dafür von 3 auf 15 Milliarden Euro. Die bisherigen Kosten haben die Planung um 3 Milliarden überstiegen, und für die Zeit bis 2032 werden zur ursprünglichen Planung nochmal 9 Milliarden draufgelegt. Mitten im erbitterten Haushaltsstreit stellt die Koalition klar, dass Militärausgaben kein normaler Haushaltsposten sind, weil militärische Notwendigkeiten einfach keine Relativierung vertragen, nicht am Geld scheitern dürfen und die bisherigen und zukünftigen Unterstützungszusagen an die Ukraine deswegen auch nicht scheitern werden.

Russische Außendoktrin

Was die politische Führung in Russland in ihren diplomatischen Äußerungen schon laufend zu Protokoll gibt, das macht sie in der Neuauflage ihrer außenpolitischen Leitlinien (Außenpolitisches Konzept der Russischen Föderation, März 2023, alle folgenden Zitate daraus) in aller Förmlichkeit noch einmal explizit: Russland fasst den Krieg in der Ukraine als historische Auseinandersetzung um die Weltordnung, in der die amerikanische Hegemonie gegen das Freiheitsbedürfnis der russischen wie der restlichen Welt steht.

Aufgrund seiner nationalen Geschichte als „ursprüngliche Staatszivilisation“ spricht Russland sich in der Welt eine „Sonderstellung“ zu. Es ist eine zwei Kontinente übergreifende Supermacht, die nicht bloß das schon große Volk der Russen ihr Eigen nennt, sondern gleich für eine mehrere Völker umfassende „russische Welt“ zuständig sein will. In seinem Recht, eine autonome Außenpolitik zu betreiben und damit die Entwicklung der Welt zu lenken, sieht sich Russland durch das Hegemoniestreben des Westens herausgefordert, der einen Stellvertreterkrieg in der Ukraine führt, um Russland nicht nur substanziell zu schwächen, sondern zu zerstören:

„In Anbetracht des Erstarkens Russlands als eines der führenden Entwicklungszentren der modernen Welt und der Tatsache, dass seine unabhängige Außenpolitik eine Bedrohung für die westliche Hegemonie darstellt, haben die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Satelliten die Maßnahmen, die die Russische Föderation zum Schutz ihrer lebenswichtigen Interessen in der Ukraine ergriffen hat, als Vorwand benutzt, um die seit langem bestehende antirussische Politik zu verschärfen, und einen hybriden Krieg neuer Art entfesselt. Er zielt darauf ab, Russland auf jede erdenkliche Weise zu schwächen, einschließlich der Untergrabung seiner schöpferischen zivilisatorischen Rolle, seiner Macht, seiner wirtschaftlichen und technologischen Fähigkeiten, der Einschränkung seiner Souveränität in der Außen- und Innenpolitik und der Zerstörung seiner territorialen Integrität.“

Russland nimmt die westliche Unterstützung für die Ukraine als das wahr, was es der Sache nach ist: ein Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Qualität eines Kriegszwecks, aber ohne Kriegserklärung, ein „hybrider Krieg“. Diesen Krieg zu führen bzw. auf allen Ebenen zu beantworten, ist Russland bereit und macht deutlich, dass es dafür vor nichts zurückschrecken wird:

„Als Antwort auf die unfreundlichen Handlungen des Westens beabsichtigt Russland, sein Recht auf Existenz und freie Entwicklung mit allen verfügbaren Mitteln zu verteidigen.“

Und diese Mittel sind gewaltig, so gewaltig wie seine zu respektierende internationale Rolle:

„Die Stellung Russlands in der Welt wird bestimmt durch seine bedeutenden Ressourcen in allen Lebensbereichen, seinen Status als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, als Teilnehmer an führenden zwischenstaatlichen Organisationen und Vereinigungen, als eine der beiden größten Atommächte und als Nachfolgestaat (Rechtsnachfolger) der UdSSR.“

Diesem Status entsprechend ist Russlands Verteidigung ein Kampf auf der höchsten Ebene, ein Kampf um die Weltordnung. Er ist eben nicht ein bloßer defensiver Abwehrkampf gegen westliche Übergriffigkeit, sondern bezeugt in der verlogenen Form des Nachvollzugs einer ihm gestellten historischen Aufgabe das Projekt einer Neugestaltung der Welt im Sinne einer friedensdienlichen Korrektur an der amerikanisch-westlichen Vor-Herrschaft.

„In Anbetracht seines entscheidenden Beitrags zum Sieg im Zweiten Weltkrieg sowie seiner aktiven Rolle bei der Schaffung eines modernen Systems internationaler Beziehungen und der Beseitigung des Weltkolonialismus fungiert Russland als eines der souveränen Zentren der Weltentwicklung und erfüllt seine historisch einmalige Aufgabe, das globale Gleichgewicht der Kräfte aufrechtzuerhalten und ein multipolares internationales System aufzubauen, das die Bedingungen für eine friedliche, fortschreitende Entwicklung der Menschheit auf der Grundlage einer einenden und konstruktiven Agenda gewährleistet.“

Die neu zu schaffende „multipolare Weltordnung“ will Russland verstanden wissen als Befreiung der internationalen Institutionen von westlicher Okkupation, die aus einem „internationalen Rechtssystem“, das mit der multipolaren Weltordnung identisch ist, ein feindseliges, weil einseitiges Diktat macht:

„Die UNO und andere multilaterale Institutionen stehen unter starkem Druck, da sie als Plattformen zur Harmonisierung der Interessen der führenden Mächte künstlich abgewertet werden. Das internationale Rechtssystem wird auf den Prüfstand gestellt: Eine kleine Gruppe von Staaten versucht, es durch eine regelbasierte Weltordnung zu ersetzen (die Regeln, Standards und Normen vorschreibt, die nicht unter gleichberechtigter Beteiligung aller interessierten Staaten entwickelt wurden).“

Eine Kampfansage an den Westen, der sich von seinem unberechtigten Weltgewaltmonopol zu trennen hat:

„Die andauernden, im Allgemeinen günstigen Veränderungen stoßen jedoch bei einer Reihe von Staaten, die es gewohnt sind, in der Logik von Weltherrschaft und Neokolonialismus zu denken, auf Ablehnung. Sie weigern sich, die Realitäten einer multipolaren Welt anzuerkennen und sich auf dieser Grundlage auf die Parameter und Prinzipien der Weltordnung zu einigen.“

„Die Realitäten anerkennen“ – die erkennbar erst wiederherzustellen sind – heißt, dass insbesondere die Europäer als Anhängsel der USA keine Alternative dazu haben, sich positiv zu Russland zu stellen. Und das dürfen sie sich dann auch als Befreiung von transatlantischer Unterdrückung und Wiedererlangung von „außenpolitischer Unabhängigkeit“ zurechtlegen:

„Das Bewusstsein der europäischen Staaten, dass es keine Alternative zu einer friedlichen Koexistenz und einer für beide Seiten vorteilhaften gleichberechtigten Zusammenarbeit mit Russland gibt, wird positive Auswirkungen auf die Erhöhung des Niveaus ihrer außenpolitischen Unabhängigkeit und den Übergang zu einer Politik der guten Nachbarschaft mit der Russischen Föderation und auf die Sicherheit und das Wohlergehen der europäischen Region haben, und wird den europäischen Staaten helfen, ihren rechtmäßigen Platz in der Groß-Eurasischen Partnerschaft und der multipolaren Welt einzunehmen.“

Dafür will Russland den Krieg: Es projektiert die Zurückweisung des westlichen Weltmonopolanspruchs; dann und nur dann ist eine Koexistenz russischer Macht mit dem Westen möglich.