Keine neue Verfassung für Chile
Vom linken Fehler und den politischen Leistungen eines Verfassungsprozesses

Wenn die internationale Linke nach Lateinamerika blickt, entdeckt sie immer wieder Bewegungen, die ihre Hoffnung auf einen Wandel der dortigen Elendszustände am Leben halten. So jüngst bei den chilenischen Massenprotesten 2019, die das ehemalige Musterland Lateinamerikas derart lahmlegten, dass der konservative Präsident schließlich in ein lang gehegtes Projekt der politischen Linken in Chile einwilligte und einen verfassunggebenden Prozess auf den Weg brachte, der endlich die als „undemokratisch“ verschriene Verfassung aus der Pinochet-Ära aus dem Verkehr ziehen sollte. Der von Linken gefeierte „progressivste Verfassungsentwurf Lateinamerikas“, der in einem „historisch einmaligen demokratischen Experiment“ ausgearbeitet wurde, fiel dann allerdings in der entscheidenden Volksabstimmung durch. Am Ende des fast vierjährigen Prozesses mussten die Linken noch froh sein, dass die Mehrheit dann auch den Gegenentwurf, den die ultrarechten „Pinochetistas“ im nächsten Anlauf ausgearbeitet hatten, ebenso abgelehnt hat und ‚nur‘ die alte Pinochet-Verfassung in Kraft bleibt. Mit diesem ‚kleineren Übel‘ verabschiedet sich der linke Präsident und ehemalige Verfassungsaktivist Boric Ende 2023 schließlich von dem politischen Projekt einer neuen Verfassung und erklärt den Prozess für beendet. Auch wenn damit politisch bis auf Weiteres in Chile alles beim Alten bleibt, offenbart die Rückschau auf den mehrjährigen Verfassungsprozess doch einiges über den Fehler des linken Kampfs für eine „fortschrittliche demokratische“ Verfassung und deren wirkliche Leistungen.

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