Anfang August macht die Lufthansa-Tochtergesellschaft Discover mit Tarifabschlüssen von sich reden – es sind „die ersten für die 2020 gegründete und bislang ohne Tarifvertrag fliegende Airline“. Für Aufregung sorgen dabei nicht die eigentlichen Tarifbestimmungen, sondern Verdi als Tarifpartner eines Tarifwerks.
Wann immer Weselsky und seine Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit Ausständen gedroht, sie vorbereitet und schließlich durchgeführt haben, ist von Deutschlands Öffentlichkeit infrage gestellt worden, ob das denn so in Ordnung sei. Weselsky selbst hat auf diese „Frage“ immer eine rechtsbewusste Antwort gehabt.
2023 versetzt die amerikanische Autogewerkschaft UAW mit einem sechswöchigen Arbeitskampf gegen Amerikas stolze „Big Three“ Autokonzerne heimische und hiesige Beobachter in Erstaunen. Kein Wunder. Immerhin fordert sie eine Lohnerhöhung von mehr als 40 Prozent innerhalb der nächsten vier Jahre, außerdem die Abschaffung des „two-tier“ gestaffelten Lohngruppensystems, das für alle nach 2007 angeheuerten Beschäftigten unter anderem niedrigere Löhne – fast 50 Prozent weniger pro Stunde – und eine niedrigere Rente vorsieht.
Anfang des Jahres ist ausnahmsweise Streik ein großes Thema in Deutschland, von „französischen Verhältnissen“ ist gar die Rede. Mit ihren Streiks befeuert die GDL eine Debatte, die ganz schnell bei Forderungen nach Modifikationen des Streikrechts landet.
Die Deutsche Bahn AG hat es gut. Nicht eine, sondern gleich zwei der bei ihr engagierten Gewerkschaften schlagen sich in der ersten Jahreshälfte ganz unabhängig voneinander mit den verschiedenen Problemen herum, vor die der große Konzern sie stellt. Und auch bei Amazon geht es für die Gewerkschaft um nicht weniger als ihre Daseinsberechtigung.
Anfang August ruft die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) nach einem entsprechend eindeutigen Ergebnis einer Urabstimmung zum Streik auf. Der erwartbare Aufschrei öffentlicher Empörung lässt nicht auf sich warten: „Dieser Bahnstreik ist eine Frechheit“, „Das ist eine Attacke auf das ganze Land“.
Verdi fühlt sich stark wie lange nicht mehr. Die Gewerkschaft stellt selbstbewusst Forderungen in den Raum, mit denen sie ihre materiellen Ansprüche als die naturwüchsige Verlängerung des allseits ausgesprochenen Respekts gegenüber den Angestellten im öffentlichen Dienst behandelt. Was hilft, ist ein Tarifvertrag für eine Lohnerhöhung von 4,8 %, mindestens aber 150 Euro, bezogen auf 12 Monate. Damit beißt Verdi auf Granit. Und die Abfuhr ist lehrreich ...
Während die „mächtigen“ deutschen Industriegewerkschaften sich zur absoluten Konformität mit der Kapitalseite vorgearbeitet, den Konkurrenzerfolg der Arbeitgeber sowie die Verwaltung der sozialen Nöte, die deren Geschäft den Beschäftigten beschert, ganz zu ihrer Sache gemacht haben, sieht die Welt bei der Edelfirma der deutschen Luftfahrt anders aus. Die Geschäftsstrategie der Lufthansa, näher die Veränderungen der Arbeitsbedingungen, die sie verlangt, erzeugen ein neues, von unten artikuliertes Interesse an gewerkschaftlicher Interessenvertretung.
Beim irischen Billigflieger Ryanair finden Ende 2017 zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte Ausstände der Piloten an deutschen Standorten statt. Ein Jahr später weiten sie sich zu koordinierten gewerkschaftlichen Streiks von Piloten und Kabinenpersonal in mehreren europäischen Ländern aus. Das Ziel des internationalen Kampfes: Tarifverträge nach dem Recht des Landes, in dem sich die jeweilige Heimatbasis der fliegenden Belegschaft befindet.
Nach einem Jahr Verhandlungen und neun Arbeitskämpfen ist die härteste Tarifauseinandersetzung in der Geschichte der Deutschen Bahn beendet worden. Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) hat sich dabei mit zunehmender Dauer des Arbeitskampfes beim Rest der Republik zunehmend unbeliebt gemacht und die Person ihres Vorsitzenden ist zum moralischen Staatsfeind Nummer 1 avanciert.