Die deutsche Sozialpartnerschaft heute (2)
Lufthansa gegen UFO: Wie Deutschlands mobiles Weltunternehmen Gewerkschaftstätigkeit unterdrückt
Während die „mächtigen“ deutschen Industriegewerkschaften sich zur absoluten Konformität mit der Kapitalseite vorgearbeitet, den Konkurrenzerfolg der Arbeitgeber sowie die Verwaltung der sozialen Nöte, die deren Geschäft den Beschäftigten beschert, ganz zu ihrer Sache gemacht haben, sieht die Welt bei der Edelfirma der deutschen Luftfahrt anders aus. Die Geschäftsstrategie der Lufthansa, näher die Veränderungen der Arbeitsbedingungen, die sie verlangt, erzeugen ein neues, von unten artikuliertes Interesse an gewerkschaftlicher Interessenvertretung.
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Deutsche Sozialpartnerschaft heute (2)
Lufthansa gegen UFO: Wie
Deutschlands mobiles Weltunternehmen
Gewerkschaftstätigkeit unterdrückt
Während die „mächtigen“ deutschen Industriegewerkschaften sich zur absoluten Konformität mit der Kapitalseite vorgearbeitet, den Konkurrenzerfolg der Arbeitgeber sowie die Verwaltung der sozialen Nöte, die deren Geschäft den Beschäftigten beschert, ganz zu ihrer Sache gemacht haben, sieht die Welt bei der Edelfirma der deutschen Luftfahrt anders aus. Die Geschäftsstrategie der Lufthansa, näher die Veränderungen der Arbeitsbedingungen, die sie verlangt, erzeugen ein neues, von unten artikuliertes Interesse an gewerkschaftlicher Interessenvertretung. Der unerwünschten, nicht von vornherein angepassten Organisation ihrer Arbeitskräfte tritt die Lufthansa mit unbedingter Härte entgegen: Nicht erst die vertretenen Interessen, schon der Anspruch des Zusammenschlusses, überhaupt als Interessenvertretung anerkannt zu werden, wird konsequent bekämpft, die „Unabhängige Flugbegleiter Organisation“ zu lauter Selbstbehauptungs- und Vorbedingungskämpfen gezwungen.
1.
Seit längerem ist die Lufthansa dabei, zusätzlich zu
ihrem angestammten Hochpreis-Geschäft das dynamisch
wachsende, aber preissensible Privatreisesegment
(Lufthansa-Chef Spohr,
9.7.14) zu erobern und am Markt der
Billigflieger
, auf dem z.B. Ryanair [1] zum ernsten Konkurrenten
herangewachsen ist, einer der drei führenden
Low-Cost-Anbieter in Europa zu werden
(eurowings.com). In diesem Terminus
drückt sich das schlichte Erfolgsrezept des Programms
aus, mit kleinen Ticketpreisen die großen Gewinne zu
erzielen, für die die grenzenlose Mobilität der Massen
überhaupt veranstaltet wird. Low Cost
kommt
weniger durch eingesparten Sprit zustande, von dem die
für immense Kosten angeschafften neuesten Flugzeuge
weniger verbrauchen, als durch die Senkung der
Personalkosten: Ein ganzes Bündel über die Jahre
zugekaufter Airlines gliedert die Lufthansa als
selbständige Töchter in ihren Konzern ein, um mit diesen
als eigenständigen Arbeitgebern zu Lohn- und
Leistungsbedingungen weit jenseits der Standards der
Premiummarke Lufthansa zu operieren. [2] Je nach Marktlage und
strategischem Interesse lässt die Lufthansa ihre Airlines
die Basen wechseln, baut Flugzeuge und Personal bei der
einen ab und bei der anderen auf und kombiniert Flugzeuge
der unterschiedlichen Marken, die einander inklusive
kostengünstigem Personal zur Verfügung gestellt werden,
um mit Ticketpreisen, die die viel zitierten
Überkapazitäten
im Luftverkehrsmarkt bei den
Konkurrenten anfallen lassen, die beanspruchte Rendite zu
erzielen. [3]
Im Zuge dieses Programms hat insbesondere der Job des
Flugbegleiters eine Entwicklung hin zu einer Abteilung
prekärer Beschäftigung genommen, deren Auswüchse hin und
wieder ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. [4]
Das Vorgehen der Lufthansa, ihr Personal, das als
Steward, Stewardess und noch mehr als Flugkapitän einst
zu den besseren Berufen gehört hat, bei Entgelt und
Arbeitsbedingungen immer weiter herunterzudrücken,
provoziert dessen – gewerkschaftlich organisierten –
Widerstand. Den Hebel, ihn zu brechen bzw. Vereinbarungen
zu vermeiden und getroffene zu umgehen, bietet der
Lufthansa die Freiheit des Eigentums im liberalisierten
europäischen Luftverkehrsmarkt. Die international
agierende Firma nutzt die verschiedenen politischen
Hoheiten und ihre Rechtsordnungen aus, um nirgends
Tarifverträge mit der Belegschaft eingehen oder
respektieren zu müssen. Sie gründet die „Eurowings
Europe“ mit Firmensitz in Wien, wo sich in Europa
(abgesehen von Irland) einmalig niedrige arbeits- und
sozialrechtliche Mindeststandards ausnutzen lassen, um
der „neuen“ Belegschaft Arbeitsbedingungen zu verordnen,
die die Crewkosten noch einmal um ein Fünftel
drücken (Wings-Billigkonzept ist Kampfansage an Air
Berlin, Die Welt,
9.7.14). Als Neugründung hat „Eurowings Europe“ von Haus
aus keine etablierte Hausgewerkschaft; die theoretisch
zuständige österreichische „vida“ erkennt Lufthansa lange
nicht als Tarifpartner an, und für Basen des
österreichischen Unternehmens im Ausland, wie sie
Eurowings Europe u.a. in München gründet, ist die vida,
deren Tarifierungsrecht an der österreichischen Grenze
endet, ebenso wenig zuständig wie die deutsche UFO. Mit
dem darauf antwortenden Zusammenschluss „DACH“, den UFO
mit der Vereinigung Cockpit, vida und zwei
schweizerischen Gewerkschaften 2016 gründet, um den
Abbau von Sozialstandards und die Auslagerung von
Arbeitsplätzen gemeinsam zu bekämpfen
(ufo-online.aero, 8.4.16), verweigert die
Lufthansa AG von vornherein alle Tarifverhandlungen.
Stattdessen gewährt sie dann doch der vida die lange
verwehrte Anerkennung: Der erste Kollektivtarifvertrag
für einen in Wien ansässigen Low Cost Carrier
(vida.at) schreibt für
Österreich Low Cost
fest, stellt das Bündnis DACH
ein für alle Mal ins Abseits und die Nichttarifierung
aller Eurowings-Europe-Standorte außerhalb Österreichs
sicher. [5] Die
Tariflage bei den verschiedenen Unterfirmen der Lufthansa
resümiert UFO 2019 so:
„Bei Germanwings geht es um den gleichen Tarifvertrag Teilzeit, für den wir schon 2016 streiken mussten, der danach zwar verhandelt, aber bis heute nicht umgesetzt ist; bei Eurowings wird uns eine bereits fertig verhandelte Altersvorsorge nicht gewährt, die nun auch ein zweites Mal nach 2016 Gegenstand von Arbeitskämpfen sein muss; bei Sunexpress gibt es noch gar keine Tarifverträge und die niedrigsten Einkommen im ganzen Konzern.“ (Aus dem Streikflyer der UFO vom Oktober 2019, ufo-online.aero)
2.
Mit dem Aufziehen der Billigmarken und dem Herabdrücken
der Beschäftigungsbedingungen dort verschafft sich die
Lufthansa ein Kampfinstrument, um bei der höher
angesiedelten Kernmarke dasselbe voranzubringen. Unter
der Drohung, 40 Flieger samt Belegschaft zu Eurowings
auszuflotten
, nötigt sie die UFO, die bei der
Premiummarke das Kabinenpersonal organisiert, 2016 nach
fast dreijährigen Verhandlungen, dem längsten Streik der
Unternehmensgeschichte und einer Schlichtung zu einem
Tarifvertrag, dem diese heute ein komplettes
Systemversagen
bescheinigt und den sie kündigt. Der
Vertrag sei voller Fehler
und
Schlupflöcher
, die von der Lufthansa zu einer
Kette von Tricksereien
genutzt würden. [6]) Neben dem
gekonnten „Missbrauch“ der Klauseln des Vertrags ist vor
allem dessen Inhalt aufschlussreich: Vereinbart wurde
nicht weniger als eine Senkung der Personalkosten für
Flugbegleiter um 10 % sowie von da aus die Festlegung
einer virtuellen Kostenkurve bis ins Jahr 2023. Der
werden im Rahmen eines so genannten Monitorings
jedes Jahr die tatsächlichen Personalkosten
gegenübergestellt, um zu überprüfen, ob mit den
vereinbarten Kostensenkungsinstrumenten das vereinbarte
Einsparziel erreicht wird. [7] Wird es verfehlt, ist die
Lufthansa berechtigt, weitere Maßnahmen zur Kostensenkung
vorzunehmen; wird außerdem ein von der Lufthansa
veranschlagter Normgewinn
nicht erzielt, erhöht
sich das Einsparungsziel noch einmal. Es handelt sich bei
diesem Tarifvertrag also nicht nur überhaupt um das
Ergebnis eines Abwehrkampfes. Die Unterschrift der UFO
dokumentiert vielmehr, dass sie an den
Lohnsenkungsstrategien der Gegenseite nicht vorbeikommt,
deren Begrenzung und Beschränkung auf festgelegte
Instrumente für sie dann einen relativen Erfolg
darstellen. Insbesondere soll das Monitoring als
objektives, während der Friedenspflicht verfügbares
Instrument verhindern, womit unbedingt zu rechnen ist:
Die einseitige Handhabung der Kostensenkungsmacht der
Airline über das Vereinbarte hinaus.
UFO bilanziert den eigenen Abschluss als eine Katastrophe, weil die Lufthansa sich durch ihn weniger an ein vorgegebenes Maß gebunden als zur Kostenersparnis ermächtigt sieht. Damit liefert sie der UFO reichlich Beispiele des Missbrauchs der Vereinbarung, [8]) stellt immer neue Nachforderungen und nimmt das Recht zu Anpassungsmaßnahmen im Rahmen des Monitorings so wahr, wie es ihr passt. Die tarifvertragliche Regelung leistet für sie die Festschreibung ihrer Freiheiten im Umgang mit dem Personal und für die Gewerkschaft die Bindung an die Friedenspflicht. Weil das Monitoring entgegen der gewerkschaftlichen Absicht dagegen keine Handhabe bietet, bleibt ihr nur die Kündigung des Vertrags zum Laufzeitende – getreu den Bestimmungen des Tarifrechts. Das hilft ihr aber nichts.
3.
Die Lufthansa lässt den angemeldeten Korrekturbedarf als Verhandlungsgegenstand nicht zu – und zwar dadurch, dass sie der UFO überhaupt die Anerkennung als Verhandlungs- und Vertragspartei verweigert:
„Wir stehen zur Tarifpartnerschaft... Hierzu brauchen wir einen zuverlässigen Tarifpartner, um gemeinsam Lösungen im Sinne der Mitarbeiter und des Unternehmens zu erarbeiten. Derzeit ist für uns nicht erkennbar, wann und wie UFO ihrer Rolle als berechenbarer, konstruktiver Tarifpartner wieder gerecht werden kann. Daher finden aktuell keine Gespräche statt.“ (Erklärung der Lufthansa zur Streikankündigung von UFO, br.de, 21.6.19)
Was die Lufthansa der UFO vorwirft und zum Grund macht,
keine Tarifgespräche zu führen, setzt sie selbst
aufwändig ins Werk. Sie lässt die Kündigung des
Tarifvertrags mit dem Argument nicht gelten, der
UFO-Vorstand sei nicht vertretungsberechtigt. Juristisch
stützt sie sich auf Formfehler bei der Vorstandswahl,
zielt in weiteren Klagen auf die Einsetzung eines
Notvorstands und bestreitet der UFO überhaupt den
Gewerkschaftsstatus. Daneben verklagt sie die bei ihr
angestellten UFO-Vorstandsmitglieder Baublies und Flohr
auf die Rückzahlung überzahlter Gehälter
[9] in
existenzbedrohender Höhe, schreckt im Zuge weiterer
Schikane auch vor Rufmord nicht zurück [10] und führt eine Pflicht
für Gewerkschaftsmitglieder ein, ihre
Gewerkschaftstätigkeiten als Nebentätigkeiten bei ihr
anzumelden und genehmigen zu lassen, nur um Verstöße
dagegen konstruieren zu können. Die benutzt sie für
Abmahnungen und letztendlich zur Kündigung von Baublies.
Lufthansa verweigert der UFO die Rolle als
Tarifpartner
und verwickelt sie in im Sinn des
Gewerkschaftszwecks fruchtlose Kämpfe um ihre
Vertretungsbefugnis und die Sicherheit ihrer Funktionäre.
Die Anstrengungen der UFO, sich ihre bestrittene Verhandlungsposition zu erkämpfen, bekämpft die Lufthansa im Weiteren nach allen Regeln der Kunst. Sie droht mit massiven Schadensersatzansprüchen, von denen sich die UFO im Sommer 2019 angesichts der mit großem Aufwand von Lufthansa hergestellten unklaren Rechtslage beeindrucken lässt und eine erste Runde angesetzter Streiks wieder absagt. Ende September weist ein Gericht alle Klagen der Lufthansa gegen UFO als unbegründet ab. Dem misslichen Umstand begegnet die Firma mit einer neuen Klage, in der sie nicht mehr die Vertretungsbefugnis des vorherigen, sondern die des zwischenzeitlich eingesetzten Übergangsvorstands und damit weiterhin die Tariffähigkeit der UFO bestreitet. Das prolongiert den tarifrechtlichen Schwebezustand – der Verhandlungstermin wird für April 2020 angesetzt –, kann aber nicht verhindern, dass sich die UFO aus ihrer amtlich gestärkten Position heraus in der Folge doch wieder Streiks zutraut.
Um den Schaden eines weiteren Streiks abzuwenden, nutzt Lufthansa den dringlichen Verhandlungswillen der Gewerkschaft aus, der ihrer eigentümlichen Tarifforderung zu entnehmen ist: Weil man bei UFO auf eine realistische, leicht zu akzeptierende Forderung aus ist, deren Erfüllung ihre Anerkennung als Tarifpartei einschließen und für sie den Auftakt für die verweigerten Verhandlungen über andere Themen abgeben würde, verlangt sie mit 1,8 % Lohnerhöhung genau die Summe, die im Rahmen des – weiterlaufenden – Monitorings ohnehin vorgesehen ist. Gewitzt bietet der Konzern mit 2 % die Übererfüllung der Forderung an, wartet ab, bis die UFO erwartungsgemäß die angesetzte nächste Streikrunde absagt, um sogleich vom eigenen Arbeitgeberverband die Rechtslage klarstellen zu lassen:
„Sie haben veröffentlicht, dass Lufthansa ‚erste Tarifforderungen der UFO‘ erfüllt hat. Dies ist nicht der Fall. Weder die Deutsche Lufthansa AG noch wir haben mit Ihnen einen Tarifvertrag über 1,8 % abgeschlossen. Vielmehr ist der Arbeitgeber im Schulterschluss mit der Personalvertretung als gewählten Vertretern der Belegschaft neue Wege in der Sozialpartnerschaft gegangen. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln wurde eine Lösung für eines der drängenden Themen der Mitarbeiter der Kabine gefunden und einseitig eine 2,0 %ige Entgelterhöhung den Mitarbeitern zugesagt. Diese arbeitgeberseitige Zusage ist eindeutig keine Erfüllung Ihrer Tarifforderung.“ (Antwortschreiben des Arbeitgeberverbands Luftverkehr vom 18.10.19 auf den Antrag der UFO, Tarifverhandlungen aufzunehmen)
Die Lufthansa erfüllt die Forderung der UFO, bietet sogar
ein klein wenig mehr, um die fordernde Organisation als
Verhandlungs- und Vertragssubjekt auszumanövrieren. Für
ihren Stil von Sozialpartnerschaft sucht und findet sie
mit der Personalvertretung einen Partner jenseits der
UFO. Nach demselben Muster regelt die Airline ein
weiteres drängendes Thema
ihrer Belegschaft mit
Hilfe der kooperativen Konkurrenzgewerkschaft „ver.di“:
Für die Saisonkräfte, die sie im Winter so wenig fliegen
lässt, dass die ihre Mieten nicht mehr bezahlen können,
vereinbart sie mit ver.di für die Monate November bis
Februar eine Zulage von 400 € pro Monat und ver.di darf
sich den Flugbegleitern als alternative
Interessenvertretung andienen, die im Gegensatz zu UFO
etwas bewirkt. Die Lufthansa demonstriert, dass mit
konstruktiven Vertragspartnern jederzeit kurzfristige
Lösungen
zu haben sind und legt diese der UFO zur
Nachzeichnung vor: Die Mehrheitsgewerkschaft des
Kabinenpersonals soll unterschreiben, dass sie auf ihrem
Feld der tariflichen Interessen ihrer Mitglieder nichts
zu melden hat und nur abnicken kann, was andere
vereinbaren.
Alle Geschütze, die die Lufthansa in ihrem Kampf um die
Nicht-Anerkennung der UFO als Vertragspartei auffährt,
können nicht verhindern, dass diese ihre Flugbegleiter im
November 2019 doch für einen großen Streik mobilisiert.
Mit dem Angebot von Verhandlungen über eine große
Schlichtung
, in der alle anhängigen Problemfelder
geregelt werden sollen, kann sie die Streikmacht der UFO
erst einmal brach legen: Die sagt für die Dauer der
Gespräche einen einseitigen Streikverzicht zu
. Die
Lufthansa bedankt sich dafür anschließend mit Beweisen
ihrer Kunst, Verhandlungen ohne Verhandlungsbereitschaft
zu führen. Mit unverkennbarer Verzweiflung konstatiert
die UFO:
„Leider ist ein Umdenken beim Lufthansa-Konzern offenbar immer noch nicht möglich. Verhandlungspartner standen uns in den vergangenen zwei Tagen an verschiedenen Stellen überhaupt nicht zur Verfügung. Mit Vertretern der Lufthansa konnten wir beispielsweise insgesamt 20 Minuten sprechen. Seitens Eurowings waren gar keine entscheidungsbefugten Vertreter zu erreichen. Da es in großen Teilen auch um essenzielle Rechtsfragen ging, hatten wir vereinbart, dass seitens des Konzerns Rechtsvertreter benannt werden. Diese boten jedoch Termine erst für die kommende Woche an, also nach Unterzeichnung der Schlichtung mit umfassender Friedenspflicht.“ (ufo-online.aero, 28.11.19)
Worauf diese Verhandlungstaktik abzielt, teilt die Lufthansa der UFO in Gestalt der Bedingungen mit, unter die sie die verabredeten Verhandlungen kurz vor ihrem Beginn stellt und an denen sie die dann immer wieder platzen lässt: mal mit der Forderung nach einer konzernweiten Friedenspflicht für die Dauer einer Schlichtung, die nur die Arbeitsbedingungen bei der Marke Lufthansa betrifft, mal in Form einer Friedenspflicht über mehrere Monate unabhängig vom Fort- und Ausgang der Gespräche. Die UFO muss ihre Waffen weglegen, mit denen sie in Verhandlungen Druck entfalten könnte, wenn sie Verhandlungen gewährt bekommen will – eine glatte Forderung nach Kapitulation im Voraus.
Diese Kapitulation verweigert UFO, kommt aber auch nicht
daran vorbei, dass die ihr verweigerten Verhandlungen der
einzige Weg sind, korrigierend in den immer
weiterlaufenden Gang des Luftbeförderungsgeschäfts
einzugreifen. Sie macht in einem weiteren Schritt die
abstrakte Verfahrensfrage zu einem eigenständigen
Anliegen und verlangt im Zusammenhang mit einer erneuten
Streikdrohung und vor Verhandlungen über dessen
Streitgegenstände nach einer Mediation
: Von
neutraler Seite moderierte Gespräche ohne jede
Vorfestlegung und ohne jede Vorabforderung
sollen
eine Basis des Umgangs miteinander und Regeln dafür
festlegen. Die Vermittlung Dritter soll der UFO somit die
Position eines anerkannten Kontrahenten der Lufthansa
verschaffen, die sie in direkter Konfrontation mit dem
Konzern nicht erreicht. Lufthansa willigt in die
Mediation ein, allerdings nicht in das Paket von
Forderungen, das UFO als Gesamtes verhandeln, über das
sie eine Gesamteinigung erzielen, andernfalls wieder
streiken wollte. Der Arbeitgeber besteht auf einem
Nebeneinander dreier Verhandlungsstränge um Tariffragen,
Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung für
juristische Streitfragen
. [11]) So muss UFO nun wieder um
jedes einzelne Feld ringen, für jedes – unabhängig von
dem Gewicht, das es für sie hat – wieder Streik ins Auge
fassen; und die Lufthansa spielt die Themen gegeneinander
aus und weiterhin auf Zeit. UFO konstatiert: Schon vor
Corona lief dieser Versuch aus unserer Sicht überhaupt
nicht, die Hoffnung auf eine Lösung ist geplatzt.
(ufo-online.aero, 19.3.20)
Mit Corona erst recht: Die Viruskrise beraubt die UFO des Hebels, der die Geschäftsleitung erst an den Verhandlungstisch gezwungen hat. Mit der Fähigkeit, dem Unternehmen per Streik Schaden zuzufügen, entfällt für die Lufthansa jeder Grund, sich mit UFO über irgendetwas auseinanderzusetzen. Der Konzern suspendiert alle Verhandlungen und bietet stattdessen Gespräche über Sanierungstarifverträge an, deren Name Programm ist, und zwar ausdrücklich über die Dauer der Pandemie hinaus. Nur dafür kann die Lufthansa einen Sozialpartner UFO brauchen.
[1] Vgl. dazu Streiks bei Ryanair in GegenStandpunkt 2-19.
[2] Die Lufthansa bildet
das obere Ende einer gründlich nach unten
ausgestalteten Lohnhierarchie; deutlich schlechtere
Tarifkonditionen finden sich bei Eurowings und der
untarifierten Marke SunExpress und noch einmal
niedriger sind die Gehälter der Flugbegleiter, die über
Zeitarbeitsfirmen angestellt werden. Ab 2015 bündelt
die Lufthansa ihre Billigmarken SunExpress, Eurowings
Deutschland, Germanwings und andere unter dem Dach der
Eurowings Group. Unter der Regie der neuen
Eurowings
übernehmen die zusammengeführten, aber
weiter selbständig operierenden Billigmarken
Flugverbindungen, die bisher von teureren Airlines im
Konzern durchgeführt wurden.
[3] Diese Geschäftsstrategie erfährt der Lufthansa-Kunde so, dass er z.B. über die Lufthansa einen Eurowings-Flug bucht, der von Brussels Airlines durchgeführt wird.
[4] So z.B. ein offener
Brief der Eurowings-Flugbegleiter an die Kollegen der
2017 in Konkurs gegangenen Air Berlin, in dem sie diese
davor warnen, bei Eurowings Europe anzuheuern:
Bisher galten Firmen wie Ryanair und Co als weniger
soziale Arbeitgeber, doch wenn man die Mitarbeiter von
Eurowings Europe fragen würde, würden die meisten
sofort zu Ryanair wechseln. Wir möchten diesen offenen
Brief dazu nutzen, um Euch einen Einblick in die
Realität bei Eurowings Europe zu gewähren, denn unter
anderem wird euch auch bei uns eine Zukunft in
Deutschland, Österreich oder Spanien angeboten... Bei
Eurowings Europe gibt es derzeit keinen Betriebsrat,
keine Tarifverträge und keinerlei Mitbestimmung durch
die Mitarbeiter. Dies führt dazu, dass der Arbeitgeber
machen kann, was er will, was auch maximal ausgenutzt
wird. Hier hat jeder Mitarbeiter andere
Arbeitsverträge, es gibt Unterschiede beim Gehalt, bei
der Anzahl der Urlaubs- und OFF-Tage und sogar bei der
Art der Bezahlungsgrundlage (Leg- oder
Blockstundenbezahlung). Diese Unterschiede gibt es
keineswegs nur zwischen den verschiedenen Basen,
sondern auch innerhalb dieser. Der Kollege, dem du den
Flieger übergibst, bekommt vielleicht mehr Gehalt, mehr
Urlaub und mehr OFF für den gleichen Job. Einfach nur
weil er jemanden kennt, der jemanden kennt, etc... Wenn
ein Mitarbeiter der Eurowings Europe Station Palma, sei
es Kabine oder Cockpit, krank ist, bekommt er an diesen
Tagen kein Geld. Wir reden hier nicht nur von Zulagen
(Legs) bzw. Überstunden die an einem Krankheitstag
nicht verdient werden, sondern von Abzügen beim
Grundgehalt. Bei einer Grippe, bei der der Mitarbeiter
beispielsweise zwei Wochen krank im Bett liegt, bekommt
er 40 % vom Monatsgehalt abgezogen. Des Weiteren
beinhalten unsere Verträge zahlreiche Highlights, wie
eine Begrenzung der Kostenerstattung fürs Medical (muss
in der Freizeit gemacht werden) auf unüblich niedrige
150 €, die komplette Verweigerung, die Mitarbeiter über
eine LoL [Berufsunfähigkeitsversicherung] abzusichern,
keinerlei Altersvorsorge, eine Kündigungsfrist seitens
des Arbeitgebers von 15 (!) Tagen, Urlaubsanspruch
beruhend auf dem gesetzlichen Mindestniveau des Landes,
nur 8 OFF-Tage pro Monat, ein quasi nicht vorhandenes
Requestsystem, Rentenanspruch teilweise erst nach 8
Jahren Einzahlung in das örtliche Sozialsystem, etc.,
etc... Das Gehalt wird vollmundig in Präsentationen auf
Basis von mindestens 400 Legs pro Jahr schöngerechnet.
Faktisch wurde durchschnittlich in den ersten zwei
Jahren der EWEU nicht mal die Hälfte erreicht, denn man
verbringt bis zu 14 Tage seines Dienstplans mit
Standby-Diensten und verdient somit keinen Cent über
das Grundgehalt hinaus. Ein Kapitän bei Eurowings
Europe in Wien trägt die volle Verantwortung für
Passagiere und Crewmitglieder und erhält hierfür ca.
3 000 € netto im Monat. Wir reden hier nicht von einem
Berufseinsteiger, sondern von einem Kollegen mit vielen
Jahren Erfahrung und vier Streifen an den
Schulterklappen. Ist man in Spanien stationiert, so
muss man sich noch auf die wirklich schlechte
gesetzliche Krankenversicherung gefasst machen. Keine
freie Arztwahl, Krankschreibungen nur beim Amtsarzt,
lange Wartezeiten auf Termine, ausschließlich
medizinische Notfallversorgung, kein Zahnarzt etc. Es
gibt natürlich auch keinerlei finanzielle Unterstützung
für private Zusatzversicherungen oder ähnliches.
Vielmehr wird sogar offiziell verkündet, dass man mit
der persönlichen Situation der Mitarbeiter nichts zu
tun habe. So gibt es Kollegen in Spanien, die eine OP
hatten und damit länger krank ausfielen. Diese
Mitarbeiter, Cockpit wie Kabine, haben über Monate kein
Geld ausgezahlt bekommen... Unsere Geschäftsleitung hat
gerade erst intern bekannt gegeben, dass ein ‚neuer‘
Mitbewerber innerhalb der Lufthansa Gruppe günstiger
operiert und man hierhin aufschließen muss. ,Der
Flugbetrieb darf auf keinen Fall teurer werden als bei
Niki.‘ Bei Eurowings Europe arbeiten viele motivierte
Kollegen, die schon einiges in der Airlinewelt gesehen
haben. Wenn man mit den Kollegen spricht, dann wird
klar, dass so gut wie niemand ein Unternehmen mit einer
derart schlechten Stimmung erlebt hat.
(Veröffentlicht am 30.10.17)
[5] Als die UFO 2019 in
einer weiteren Auseinandersetzung mit der deutschen
Eurowings für den Standort München erreicht, dass
wenn die Basis auch 2019 nicht unter deutschen AOC
[Luftverkehrsbetreiberzeugnis] beheimatet ist, dort
eine Personalvertretung gegründet und anschließend
Tarifverhandlungen aufgenommen werden können
(airliners.de, 25.5.18),
begegnet die Lufthansa-Tochter der drohenden Gefahr
tariflicher Bindung mit rechtzeitigem strategischem
Umzug.
[6] Als wir 2016 mit
Ende der Schlichtung fertig waren, sind wir guten
Gewissens davon ausgegangen, dass diese Tarifergebnisse
fair und angemessen sind. Allerdings merken wir heute,
dass unser Umgang mit dem Schlichtungsergebnis nicht
konsequent genug war. Diskussionen über ... das
unabgestimmte Integrieren des P2 [des zweiten
Chefsteward], SMK [Saisonarbeitskräfte] mit so wenig
Stunden, dass man unter dem Existenzminimum landet,
oder die kontroversen Diskussionen zum Monitoring sind
Vorboten des kompletten Systemversagens. Dieses
Systemversagen müssen wir verhindern. Es gilt unsere
Fehler zu korrigieren, Schlupflöcher zu stopfen und den
Arbeitgeber für seine Tricksereien zur Rechenschaft zu
ziehen. In Zeiten von Rekordgewinnen ist das die einzig
faire Strategie für die Kabine... Hier sind wir als
diejenigen, die den Abschluss gemacht haben, dafür
verantwortlich, ihn auch zu korrigieren.
(ufo-online.aero, 14.6.19)
[7] Die Lufthansa
kalkuliert in ihrer Personalkostenkurve einen durch
Inflationsausgleich und vereinbarte Höhergruppierungen
bedingten Anstieg der Bruttopersonalkosten um 14 % bis
ins Jahr 2023. Mit einem ganzen Bündel von Verträgen
sorgt sie zugleich dafür, dass die lange Laufzeit mit
einer Senkung der Personalkosten beginnt: erstens
dadurch, dass die Firma für die zugesagte betriebliche
Altersvorsorge weniger Rückstellungen bildet, also
weniger in den Altersvorsorgefond einzahlt. Im Rahmen
des Wachstumstarifvertrags JUMP
werden zweitens
Flugbegleiter der Lufthansa an Cityline verliehen, zu
den dortigen, schlechteren Konditionen bezahlt und in
Flugzeugen mit mehr Sitzplätzen auf der Langstrecke
eingesetzt, die gleichwohl als Lufthansa-Flüge mit
entsprechenden Preisen bilanziert werden. Zusätzlich
werden diese Flüge mit weniger Flugbegleitern besetzt.
Im Tarifvertrag Saisonalitätsmodelle Kabine
(SMK)
vereinbart sie mit UFO drittens, dass neu
eingestellte Flugbegleiter Arbeitsverträge mit 83- oder
50-prozentigem Arbeitsvolumen einer Vollzeitstelle und
proportional gekürzten Gehältern erhalten. Diese
Flugbegleiter arbeiten im Sommer mindestens Vollzeit
und in den Wintermonaten, in denen die Lufthansa
weniger fliegt, entsprechend weniger. Auf diese Weise
spart die Lufthansa an der Masse der Flugbegleiter, da
sie weniger Personal zur Abwicklung der Auftragsspitzen
in den Sommermonaten vorhalten muss.
[8] Um die Verschiebung von Personal aus dem Bestand der Lufthansa zu ihren Billig-Airlines zu bremsen, hat UFO eine Klausel im vereinbarten Kostensenkungsprogramm untergebracht, nach der das Einsparziel von 10 % der Personalkosten sinkt, wenn die Lufthansa bei der Kernmarke Personal abbaut, aber steigt, wenn der Personalbestand steigt. Der Konzern macht von der Regelung nun den pfiffigen Gebrauch, zahlreiche Saisonarbeitskräfte mit aufs Jahr gerechnet erbärmlichen Löhnen zusätzlich einzustellen. So sinken die Lohnkosten fürs gesamte Personal, während auf der anderen Seite das Einsparziel auf über 10 % steigt.
[9] Lufthansa bezieht
sich darin auf die Vereinbarung für Freistellungen für
Gewerkschaftsarbeit aus dem Jahr 2013. Darin wurde
vereinbart, dass auch Freistellungen gewährt werden,
die nicht für Tarifarbeit bei Lufthansa verwendet
werden. Wenn also ein UFO-Mitarbeiter, der bei LH
arbeitet, für Ryanair verhandelt, so muss UFO diese
Kosten tragen. Dies geschieht auch und wird jährlich
abgerechnet. Unerwähnt lässt Lufthansa dabei die
Regelung aus dem Manteltarifvertrag zur Freistellung
unter Fortzahlung der Bezüge für Tarifarbeit im Hause
Lufthansa, die im MTV § 15 Abs. 2 k) seit vielen Jahren
eindeutig geregelt ist. Dementsprechend sind
Mitarbeiter für Verhandlungen mit der Lufthansa unter
Fortzahlung der Vergütung freizustellen. Dies
inkludiert auch Vor- und Nachbereitungstage. Das
bedeutet, dass die von Lufthansa zitierte Vereinbarung
bei Gewerkschaftsarbeit nur außerhalb von Verhandlungen
mit Lufthansa zum Tragen kommt.
(ufo-online.aero, 7.12.18)
[10] Nicoley
Baublies, Vorstand der Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO,
ließ sich zu einem Satz hinreißen, der ihn dann einige
Zeit verfolgte. Gegenüber der Compliance-Abteilung der
Lufthansa hat er seine Situation – einen Streit mit der
Airline – als so unerträglich bewertet, dass man ‚den
Umgang der Lufthansa mit mir fast nur unter Einnahme
von Psychopharmaka ertragen‘ könne. Daraufhin wollte
die Lufthansa einen Drogentest von Baublies, und der
Fall landete vor dem Arbeitsgericht Frankfurt. Mit dem
Ergebnis: Die Richter ließen die Anordnung und
Auswertung des Drogentests zu. Denn die Aussage stelle
mit dem Wort ‚mir‘ einen Bezug zu Baublies her, was
wiederum Tests im Sinne der Flugsicherheit
legitimiere.
(blog.wiwo.de,
22.5.19)
[11] In der
eigentlichen großen Schlichtung soll es nun um alle
Tariffragen gehen, wegen derer UFO in den vergangenen
Monaten schon zu Ausständen aufgerufen hatte. Dazu
zählen unter anderem Spesensätze und Zulagen für
Kabinenchefs. Nachdem Lufthansa einseitig eine von UFO
geforderte Gehaltserhöhung von rund 2 Prozent gewährt
hatte, kommt noch eine Gewerkschaftsforderung für die
Zukunft dazu. UFO hatte einen Aufschlag von 5 Prozent
für eine Laufzeit von zwei Jahren verlangt. Auch der
weitere Umgang mit der alten Monitoring-Vereinbarung
wird ein Thema. In einer Mediation unter Leitung des
KPMG-Schiedsfachmanns Alexander Insam soll es derweil
um Fragen des Umgangs gehen. UFO erhofft sich Regeln,
‚die uns eine verbesserte Zusammenarbeit für die
gemeinsame Zukunft ermöglichen und eine Wiederholung
dessen, was passiert ist, möglichst ausschließen‘...
Als Ausweg gilt nun, dass ein zusätzliches Verfahren
zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung für
juristische Streitfragen eingeführt wird. Zwar zweifelt
Lufthansa den Gewerkschaftsstatus von UFO nicht mehr
an, strittige Themen gibt es dennoch – wie die
Kündigung von Baublies.
(Große
Lufthansa-Schlichtung startet, FAZ, 1.2.20)