Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Zum 200. Todestag Immanuel Kants:
Repräsentanten von Macht und Geist in Deutschland sind sich einig: Der Königsberger Philosoph – das ist „einer von uns“!
Kant will sich an der leeren Idee von moralischer Gesetzmäßigkeit erbauen, ein Sittengesetz auszuspinnen, aus dem sich die Antworten auf alle „Kernfragen“ von Schröders Verantwortlichkeit für die Zukunft der Weltbürgerschaft bis hinunter zur Gentechnik ableiten lassen: Das soll das Interesse sein, dem wir uns in der Nachfolge Kants unvermeidlich hingeben sollen.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Zum 200. Todestag Immanuel
Kants:
Repräsentanten von Macht und Geist
in Deutschland sind sich einig: Der Königsberger
Philosoph – das ist „einer von uns“!
Da scheint etwas dran zu sein, jedenfalls hat der Alte
sehr vielen Wichtigen im Land sehr viel Wichtiges zu
sagen
. Man muss nur die richtigen Fragen stellen,
etwa: Wie philosophiert man im Zeitalter der
Globalisierung?
, und schon wird einem klar, was man
da in Kant für einen Schatz von Antworten hat. Dem
deutschen Außenminister zum Beispiel. Der ist zwar sehr
auf Globalisierung spezialisiert, hat wegen der vielen
vitalen deutschen Interessen, um die er sich kümmern
muss, naturgemäß keine Zeit, Kant zu lesen. Den
kategorischen Imperativ aber kann er im Schlaf und
handelt auch noch beim Nichtlesen von Kant stets so, dass
er wollen kann, dass die Maxime seiner Handlung
allgemeines Gesetz werde: Pflichtlektüre
ist der
für ihn. Für Philosophen gilt das von Haus aus, nur haben
die eben umgekehrt von Berufs wegen keine Zeit, sich mit
deutscher Außenpolitik zu befassen. Dafür weiß einer von
ihnen dank seiner ausgiebigen Studien über
Meta-Physisches, dass in der Politik, besonders der
internationalen, kantische Prinzipien aus der Sackgasse
führen könnten, in die uns eine auf das Wirtschaftliche
beschränkte Globalisierung und das rücksichtslose
Machtstreben einer befreundeten Supermacht gebracht
haben.
In Sackgassen
verfranst haben sich die
Mächte! Weil sie in ihrer Fixiertheit auf
wirtschaftlichen Nutzen das höhere Potential ignorieren,
das in Globalisierung steckt. Weil eine von ihnen, die
Supermacht
auch noch, nach dem 11. September von
allen guten machtpolitischen Sitten verlassen wurde. Und
aus diesen und allen anderen Drangsalen, die Nationen auf
den höchsten Ebenen ihrer Konkurrenz um Geld und Macht so
haben, hilft Kant uns
heraus! Mit einem Büchlein!
Weil er nämlich schon ganz früh gewusst hat, dass ohne
eine gescheite Metaphysik der Sitten Weltpolitik im Jahre
2004 im Grunde genommen gar nicht so recht funktionieren
kann! Und er hat auch schon, wie ein anderer tiefer
Denker von heute herausgefunden hat, den nötigen klaren
Appell an die praktische Vernunft der Staatenlenker
verfasst: Eine Konzeption der Gerechtigkeit, die
Staatsgrenzen transzendierte und Individuen als
moralische und rechtliche Personen einer übernationalen
Zivilgesellschaft betrachtete
, floss ihm aus der
Feder, und das ist schon erstaunlich. Denn seine
Konzeption ist ja exakt die Globalisierung, deren
Herausforderungen heute alles politische Können in
Anspruch nehmen! – oder doch nehmen müssten, wäre da
nicht die erwähnte Sackgasse. Die vielen Mühen
jedenfalls, die Staaten bei ihren Kämpfen um den ewigen
Frieden auf sich nehmen: Nichts anderem als jenem
zivilgesellschaftlichen Menschenrecht gelten sie
letztlich und eigentlich, das – so oder ähnlich – schon
Kant vorschwebte! Von NATO und den anderen
Verantwortlichen, die sich um den moralischen
Universalismus
kümmern, der heute Demokratie heißt,
konnte er freilich in seinem Entwurf einer globalen
Rechts- und Friedensordnung
noch nichts wissen, den
wiederum ein anderer Philosoph beim ihm aufgeschrieben
gefunden hat. Umso erstaunlicher, wie perfekt diese
ungewöhnlich breite Weltkenntnis
, zu der ein Kant
mit seinem sittlich-moralisch geschärften Verstand
gelangt ist, auf die Welt von heute mit ihren Saddams und
Bin-Ladens passt! Und vor allem natürlich auf die
Kategorien, mit denen wir diese Welt zu erkennen pflegen.
Denn auch auf eine zweite, gestern wie heute
brandaktuelle Frage: Wie philosophiert man im
Zeitalter der Naturwissenschaften?
, hat Kant
goldwerte Antworten hinterlassen. Indem man
philosophiert, heißt deren allererste, also weder über
die Natur noch sonst etwas Reales Wissenschaft treibt.
Man kläre stattdessen vielmehr, was wissenschaftliche
Erkenntnis sei, und überlege, wodurch sie möglich werde,
aber auch, wo die nicht bloß vorübergehenden, sondern
grundsätzlichen Grenzen liegen
, empfiehlt da einer,
der es schon deswegen wissen muss, weil er sich
ausschließlich an seine Empfehlung hält und der
wirklichen Wissenschaft die Existenz bestreitet, indem er
über die Bedingungen ihrer Möglichkeit sinniert. Dann
erkennt man nämlich früher oder später eindeutig, dass
Erkennen durchaus möglich ist. Aber eben doch nur unter
Bedingungen, die in letzter Instanz Erkenntnis unmöglich
machen, denn die menschliche Vernunft ist ein vertracktes
Ding. An sich denkt sie ja über die Dinge, wie sie sind,
und das geht ganz in Ordnung, solange man keine
positivistischen Frageverbote aufstellt.
Weil nämlich
die philosophisch eigentlich spannende Frage die ist, wie
der Mensch die Dinge-an-sich
als ganz und gar
wirkliche, also so denken können soll, wie sie sind, ohne
dass er sie denkt – und das kriegt er einfach ums
Verrecken nicht hin! Macht aber letztlich nichts. Wenn er
sich nur immer dessen eingedenk ist, beim Streben nach
Erkenntnis ihrer auf wissenschaftlichem Weg nie
mächtig
zu sein: Dann liegt er mit der
Deutungsmacht
seiner Vernunft goldrichtig und hat
Gott und die Welt im Griff. Erstens Gott: An den können
wir unbesorgt glauben, denn Kant verdanken wir
nicht nur die gesicherte Erkenntnis, dass das Höchste
Wesen mit unserem Verstand gar nicht zu fassen, aus
demselben Grund aber auch nicht als bloßes Hirngespinst
abzutun sei. Mit dieser Idee können wir Kant auch für die
Sicherheit in all unserem sittlichen Streben und Trachten
Danke sagen und uns mit Gott zu dem letztinstanzlichen
Kriterium
beglückwünschen, das die vorgeblichen
Tugenden von den tatsächlichen zu unterscheiden
vermag
– und seien wir ehrlich: Exakt darüber zu
richten – das liegt uns doch bei der Frage: ‚Was sollen
wir tun?‘ als Antwort schon immer auf der Zunge! Damit
sind wir zweitens schon aufgeklärt genug, auch unsere
weltlichen Dinge erfolgreich zu bemeistern. Denn eine
wissenschaftliche Vernunft, die in weiser Einsicht in
ihre grundsätzlichen Grenzen
sich gar nicht erst
vornimmt, den Gegebenheiten dieser Welt auf den Grund zu
gehen, kann sich um so besser auf das konzentrieren, was
ihr eigentliches inneres Drangsal ist: Schlechterdings
unvermeidbar ist ihr Interesse an Gesetzen (…) für
das, was getan werden soll. Diese, die moralischen
Gesetze, richten sich nicht bloß an natürliche Personen,
sondern auch an deren geordnetes Zusammenleben, ihre
Gemeinwesen.
Sich an der leeren Idee von moralischer
Gesetzmäßigkeit zu erbauen, ein Sittengesetz
auszuspinnen, aus dem sich die Antworten auf alle
Kernfragen
von Schröders Verantwortlichkeit für
die Zukunft der Weltbürgergesellschaft bis hinunter zur
Gentechnik ableiten lassen: Das ist das Interesse, dem
wir uns in der Nachfolge Kants unvermeidlich hingeben
müssen!
*
So geht es dahin im 200sten Todesjahr des Königsbergers.
Außenminister und Staatssekretäre, Philosophen Gottes wie
der Zivilgesellschaft, empirische Sozial-, analytische
Sprachwissenschaftler und dazu noch die
Tiefsinns-Dilettanten aller Feuilletons: Als ob da
anlässlich des runden Jubiläums an einen Haufen von
Schläfern des Deutschen Idealismus ein Weckruf ergangen
wäre, nehmen sie als bekennende Kantianer
zu Gott
und der Welt Stellung, und das ist nicht nur theoretisch
betrachtet ein Skandal, sondern ersichtlich auch noch
eine ziemlich leichte Übung. Irgendeinen dummen Spruch zu
Politik und Frieden, Glauben, Moral und Wissenschaft, der
sich erfolgreich auf Kant beruft und als so taufrische
wie ungemein nützliche Erkenntnis für die Welt von heute
durchgeht, hat da noch jeder auf Lager, und so viel
geistige Wahlverwandtschaft zwischen dem alten
Philosophen und den modernen Dummbeuteln kann dann doch
kein Zufall sein: Unser philosophischer
Zeitgenosse
wird da schon einiges von dem verbrochen
haben, was in den Köpfen seiner demokratischen Verehrer
zu Fixpunkten ihres Urteilens geworden ist. Unsere
Auffassung läuft jedenfalls darauf hinaus, dass der große
philosophische Begründer bürgerlichen wissenschaftlichen
Denkens selbigem schon das Nötige mit auf den Weg gegeben
haben wird, wenn es sich 200 Jahre nach seinem Tod derart
auf den Hund gekommen präsentiert und sich auf ihn bloß
noch als Autorität moralischer Sinnsprüche zum rechten
Geist und Willen und Frieden auf Erden zu berufen
braucht.