Jahr um Jahr stellt die amtierende Regierung in einem Haushaltsplan vor, wie viel Geld für welches staatliche Vorhaben veranschlagt werden soll. In bürgerlichen Gemeinwesen wie dem deutschen ist das ein wichtiges Ereignis, schließlich wird mit der Finanzierung einzelner Posten über die politische Ausrichtung und Ausübung der Staatsgewalt für das anstehende Haushaltsjahr entschieden.
Die Bildzeitung ist das Arbeiterblatt der Nation und will das auch sein. Zu der Verwandlung der Klassenbrüder, die sie sind, in die respektablen kleinen Leute, als welche Bild sie anspricht, leistet die Zeitung täglich ihren Beitrag, indem sie sich ihrerseits programmatisch in den Dienst an ihren Adressaten stellt: „Weil ihr täglich euer Bestes gebt, tun wir es auch. Für euch.“
Was hat man eigentlich zu halten von dem „Überraschungsangriff, der Putins Armee kalt erwischt hat“? Von dem „atemberaubenden Tempo des Vormarschs und des überstürzten russischen Rückzugs“, der „militärisch hochbedeutsamen Befreiung von 454 Städten und Erbeutung Hunderter Panzer“ sowie von vielen Toten auf beiden Seiten und an zwei Fronten?
Die deutsche Öffentlichkeit steht eindeutig zum russisch-ukrainischen Krieg. Sie teilt ihrem Publikum tagtäglich mit, was in der Ukraine vor sich geht und „uns“ aufregen muss. Dabei ist eins klar: Um Krieg geht es bei allen Bildern und Berichten aus dem Krieg nicht.
In aller Freiheit – wir sind schließlich nicht in Russland – übernimmt die ‚vierte Gewalt‘ die Perspektive des regierungsamtlichen Kriegskurses. Nach dem Motto, endlich die offizielle Bestätigung für ihre Sicht auf Russland zu erhalten, sieht sie sich zu der Mission herausgefordert, ihren Lesern und Zuschauern das Bild von Freund und Feind vor Augen zu stellen, das ihnen klarmacht, wer unsere Feindschaft verdient und wer unsere Solidarität.
Aus der Kleinstadt Butscha gibt es schlimme Bilder zu sehen. Also sieht Bild hin. Was auf den Bildern aus Butscha zu sehen ist: das Grauen des Kriegs; das, was ‚die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln‘ anrichtet; und auch, dass beim groß- und kleinkalibrigen Töten und Zerstören die ach so zivilisatorische Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten mal wieder nicht eingehalten worden ist.
Auch die andere Seite des Krieges erfährt in der öffentlichen Berichterstattung ausgiebig ihre Würdigung. Am laufenden Band werden dem hiesigen Publikum Ukrainer präsentiert, für die man einfach Partei ergreifen muss. In der Vielzahl ihrer recht stereotypen Einzelschicksale als Opfer oder Held ‚unseres Krieges‘ ist für jeden Geschmack etwas dabei.
Anfang August ruft die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) nach einem entsprechend eindeutigen Ergebnis einer Urabstimmung zum Streik auf. Der erwartbare Aufschrei öffentlicher Empörung lässt nicht auf sich warten: „Dieser Bahnstreik ist eine Frechheit“, „Das ist eine Attacke auf das ganze Land“.
Es gibt sie noch, auch wenn man es ihnen nicht leicht macht: Wähler, die sich für Sachthemen interessieren. Gerade in diesem Wahljahr haben sie dazu allen Grund. Was für den interessierten Wähler dabei herauskommt, ist eine kleine Lektion über die unsachliche Logik des sachlichen Diskurses zwischen oben und unten in der Demokratie.