Aus der Reihe „Was Deutschland bewegt“
Trump im Spiegel der seriösen deutschen Öffentlichkeit
Vom Zeichnen einer Karikatur des Präsidenten zur opportunistischen Kritik seiner Macht
Donald Trump macht sich seit seiner Wahl zum Präsidenten daran zu schaffen, mit der Macht des amerikanischen Staates nach innen wie nach außen die USA endlich wieder ‚first‘ zu machen. Deutsche Journalisten und Experten registrieren eine geradezu beabsichtigte Schädigung ihres geliebten Europas und beklagen die leidige Abhängigkeit von den USA, die der Präsident dabei zum Hebel macht. Vor und gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ist das für die deutsche Öffentlichkeit Anlass zu einer sachkundigen Beurteilung: Ihre beleidigte Parteilichkeit gebietet es, Trump als eine einzige Fehlbesetzung zu blamieren...
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Trump im Spiegel der seriösen deutschen Öffentlichkeit
Vom Zeichnen einer Karikatur des Präsidenten zur opportunistischen Kritik seiner Macht
Donald Trump macht sich seit seiner Wahl zum Präsidenten daran zu schaffen, mit der Macht des amerikanischen Staates nach innen wie nach außen die USA endlich wieder ‚first‘ zu machen. Deutsche Journalisten und Experten registrieren eine geradezu beabsichtigte Schädigung ihres geliebten Europa und beklagen die leidige Abhängigkeit von den USA, die der Präsident dabei zum Hebel macht. Vor und gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ist das für die deutsche Öffentlichkeit Anlass zu einer sachkundigen Beurteilung: Ihre beleidigte Parteilichkeit gebietet es, Trump als eine einzige Fehlbesetzung zu blamieren.
Trump, von ‚ökonomischer Vernunft‘ keinen blassen Schimmer
„Donald Trump ist nicht bekannt dafür, viele Bücher zu lesen, schon gar keine ökonomischen Lehrbücher. Das ist schade, denn das hätte den aktuellen Zoll-Irrsinn vermutlich verhindern können. Ein kurzes Gespräch mit jedem Wald- und Wiesen-Ökonomen hätte allerdings auch genügt... Die Zölle widersprechen aller ökonomischen Vernunft. In jeder Wissenschaft gibt es ein paar Erkenntnisse, auf die sich so gut wie alle Forscher einigen können. In der Ökonomie ist eine davon: Freier Handel erhöht den Wohlstand – für alle beteiligten Länder. Werden also Zölle gesenkt, hilft das nicht nur Firmen, die diese dann nicht mehr zahlen müssen. Sondern es erhöht ebenfalls den Wohlstand in allen beteiligten Ländern. Wieso? Die Idee dahinter geht auf David Ricardo zurück, einen britischen Ökonomen und Politiker des frühen 19. Jahrhunderts. Schon vor ihm gab es folgendes Argument: Freier Handel lohnt sich immer dann, wenn jedes beteiligte Land bestimmte Güter günstiger oder besser produzieren kann als die anderen – und man diese dann wechselseitig austauscht. Doch Ricardo setzte noch einen drauf. Er erkannte: Es ist für ein Land gar nicht notwendig, dass es zu Beginn des Freihandels etwas absolut besser oder günstiger produzieren kann als andere. Das passiert später von allein. Wenn es sich auf das spezialisiert, was es im Vergleich zu anderen Gütern am günstigsten oder besten herstellen kann, genügt das schon. Denn die Spezialisierung allein bietet so viele Vorteile, dass dies ausreicht, den Wohlstand für alle beteiligten Länder zu mehren. Wenn das eine Land alle Kraft dransetzt, im Maschinenbau vorne zu sein, das andere in der Textilindustrie, dann haben beide Vorteile. Sie ergeben sich aus der Massenproduktion oder durch das Ansammeln von Wissen. Die Produkte werden in der Folge für alle besser und günstiger. Ricardos Erkenntnis hat den Welthandel revolutioniert. Andersherum gilt: Werden Zölle neu erhoben, schadet das allen. Die Amerikaner schädigen sich also auch selbst. Das gilt sogar dann, wenn keines der anderen Länder zurückschlüge (was nicht zu erwarten ist). Spezialisierungsvorteile können nicht mehr genutzt werden. Die Preise steigen. Wächst sich das zum Handelskrieg aus, wird es noch schlimmer. Natürlich kann es Gründe geben, Märkte abzuschotten. Trump etwa will Industrie zurück in die USA holen – und damit verloren gegangene Arbeitsplätze. Die Sehnsucht ist verständlich. Man muss sich allerdings im Klaren sein, dass es dann zwar vielleicht einige Industriejobs mehr gibt, der Wohlstand aber insgesamt zurückgeht. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass Trump seine Zollpolitik lange durchhalten kann. Wenn erst mal die Inflation steigt, wird es schwierig. Viele Amerikaner sind jetzt schon skeptisch. ‚Handelskriege sind gut und einfach zu gewinnen‘, behauptet Trump. Das ist absurd falsch. Es sei denn, Gewinnen bedeutet, den anderen demonstrativ vor den Kopf zu stoßen – und sich dabei selbst zu verletzen.“ (SZ, 4.4.25)
Es wird zur Kenntnis gebracht, dass Trump Handelskriege nicht nur schätzt, sondern mit seiner aktuellen Zollpolitik machtvoll durchsetzt, um zu gewinnen. Angesichts eines Pragmatikers staatlicher Macht, der seine Präsidentschaft explizit und demonstrativ in den Dienst seiner MAGA-Programmatik stellt, ist es eine journalistische Glanzleistung, Trumps Politik ideell auf die Ebene eines VWL-Seminars zu zerren und als wissenschaftliche Inkompetenz zu interpretieren: „Zoll-Irrsinn“ wider „alle ökonomische Vernunft“. Die ist auf wissenschaftliche „Erkenntnisse“ zurückzuführen: Wohlmeinende Behauptungen über den bisherigen Welthandel als Feld automatischer „Spezialisierung“ und als bestmögliche Garantie dafür, „den Wohlstand für alle beteiligten Länder zu mehren“, werden schlicht als selbstverständlicher Wissensbestand eines jeden „Wald- und Wiesen-Ökonomen“ präsentiert. Dass der fraglos gilt, ist durch die Autorität der VWL verbürgt, bei deren prominentem Vordenker die SZ sich dafür einiger Theoriefetzen bedient. Was dieselbe Zeitung in den Abteilungen Politik und Wirtschaft tagtäglich über die Gegensätze und Wirkungen der globalen Konkurrenz um Geld und Macht veröffentlicht, rückt Ricardos „Idee“ zwar in die Ecke weltfremder Ideale. Aber – und darauf kommt es dem Kommentar schließlich an – als wissenschaftliches Dogma, an dem Trumps Zollpolitik sich blamiert, ist sie einfach funktional. Für dieselbe Blamage wirft die SZ sich schließlich in die alberne Pose des ideellen Staatenlenkers, der einfach besser als der wirkliche US-Präsident über dessen weltmächtige Hebel Bescheid weiß, um dem vorzurechnen, dass er seine eigenen wohlverstandenen Interessen mit Füßen tritt. In ihrer intellektuellen Besserwisserei besinnt sie sich auf den ‚Realismus‘, der die Sachzwänge des Welthandels anerkennt. Als dessen Vollzugsorgan kommt der gebeutelte „Amerikaner“ zu Ehren, der mit seinen Nöten, sich einzuteilen, Trump schon irgendwie auf den Pfad der „ökonomischen Vernunft“ zurückdrängen wird.
„Viele Menschen rätseln immer noch, warum Trump das alles macht... Was sagen Sie?
Ich glaube, er liebt einfach Zölle, weil er sich davon eine Reindustrialisierung Amerikas verspricht. Aber das wird nicht funktionieren. Wenn Amerika alles selbst herstellt, ist das unproduktiv, der Wohlstand sinkt. Amerikaner wollen mit Nike-Schuhen joggen, sie aber nicht zu Niedriglöhnen nähen. Trumps Plan ist ein Rezept zur Verarmung.“ (Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank auf capital.de, 8.4.25)
Die Berufung auf die Sachzwänge des Weltmarkts geht auch ohne wirtschaftswissenschaftliche Beschönigungen, nämlich schlicht durch den Verweis auf herrschende Produktivitätsmaßstäbe. Das etablierte Benutzungsverhältnis, in dem Schuhe nähende Niedriglohn-Länder sich auf die Armut der arbeitenden Massen ‚spezialisiert‘ und dem in den USA akkumulierten „Wohlstand“ zugeordnet haben, findet dieser Chef-Banker alternativlos, und die Alternative, die Trump herstellt, jedenfalls „unproduktiv“. Der Zynismus dieser Konfrontation dient natürlich einem guten polemischen Zweck: Seinen Einspruch gegen die Zollpolitik präsentiert Herr Krämer als Trumps eigenen Widerspruch.
Aus demselben Grund führen Parteigänger der bisher herrschenden Verhältnisse und Notwendigkeiten ein noch viel handfesteres ‚Argument‘ ins Feld. An nichts wird der „ökonomische Unsinn“ von Trumps Zollpolitik und seine Untauglichkeit als Präsident so oft abgelesen wie am Stand der Börsenindizes und Aktienkurse:
„Trumps Zoll-Ankündigung löste eine massive Ausverkaufswelle an den Aktienmärkten aus und sorgte damit für den größten Börsencrash seit der Corona-Pandemie. Denn: Die Aussicht, dass Unternehmen künftig weniger Güter in den USA verkaufen, trübt die Gewinnaussichten – und das macht die Aktien dieser Unternehmen wiederum unattraktiver für Anleger.“ (commerzbank.de, 10.4.25)
„Während Donald Trump im Rosengarten des Weißen Hauses noch den Optimisten gab, zeigte die Wall Street bereits, was sie von seinen Zollplänen hält, und quittierte sie mit dem größten Kurseinbruch seit fünf Jahren. Auch rund um den Globus stürzten die Märkte sozusagen im Eiltempo ab... Trump hat eben nicht nur ein paar neue Zölle auf den Weg gebracht, sondern ganz grundsätzlich die Spielregeln des Welthandels aufgekündigt. Das jedenfalls ist die Sichtweise der Finanzmärkte.“ (zdf.de, 4.4.25)
„Trumps Durchhalteparolen dämpfen die Hoffnung, im Weißen Haus könnte sich angesichts der Börsencrashs doch noch die wirtschaftliche Vernunft durchsetzen.“ (Jürgen Matthes, Institut der deutschen Wirtschaft, in der Wirtschaftswoche, 8.4.25)
Trumps weltmächtige Kampfansage, dass die Märkte und ihre Subjekte sich ‚America first!‘ zu beugen haben, und sein souveräner Einspruch, dass er sich von einem Börsencrash nicht beirren lässt, werden durchaus ernst genommen – um Trump die Finanzmärkte als gewichtigste ökonomische Instanz entgegenzuhalten. An deren Art der Bereicherung wird in dem Zuge wie selbstverständlich erinnert: Die haben – ausweislich des durch Trump ausgelösten „größten Börsencrashs seit der Corona-Pandemie“ – Massen an abstraktem Geldreichtum produziert, und zwar gemäß der immer gleichen Logik, nun leider eingetrübte „Gewinnaussichten“ spekulativ zu antizipieren, im Kauf und Verkauf von verbrieften Anrechten, von „Aktien dieser Unternehmen“, einen Preis samt Kurs herzustellen und auf den wiederum – freilich in Abhängigkeit von dessen Attraktivität „für Anleger“ mit ihrem professionellen Bereicherungssinn – zu spekulieren. Das wird als „wirtschaftliche Vernunft“ schlechthin affirmiert, die Macht des spekulativ akkumulierten Geldes zur unumstößlichen ‚Realität‘ veredelt. An der muss sich auch der Präsident des mächtigsten Staates der Welt, der von der „Hoffnung“ deutscher Experten partout nichts wissen will, auf Biegen und Brechen messen lassen.
Trump, ein zynisches Machtvakuum
„Donald Trump vollzieht den geopolitischen Tabubruch, einen Schulterschluss mit Wladimir Putin. Damit gefährdet er nicht nur die Ukraine, sondern die gesamte europäische Sicherheitsordnung... Die Ukraine hätte nie mit dem Krieg beginnen dürfen, behauptete Trump. Sie hätte dazu ja vorab schlicht Land eintauschen können. Der Präsident reagierte mit einer spöttischen Tirade gegen die Ukraine, weil die zuvor angemahnt hatte, mit am Verhandlungstisch der Amerikaner und Russen sitzen zu wollen. Selenskyj sei schließlich ‚seit drei Jahren dabei‘ und habe letztlich nichts erreicht, ätzte Trump. Was Trump in Mar-a-Lago ausgesprochen hat, ist eine moralische Bankrotterklärung – und ein offener Bruch mit dem Völkerrecht. Mit keinem Wort verurteilte er Putins Krieg, der das Land nicht erst seit drei Jahren, sondern in Wahrheit schon seit 2014 immer weiter verwüstet hat – also auch bereits während Trumps erster Präsidentschaft. Hunderttausende Menschenleben hat die russische Aggression inzwischen gefordert und Millionen zur Flucht gezwungen. Es ist ein Krieg, den Wladimir Putin ohne jede Rechtfertigung und amtlich verurteilt von der übergroßen Mehrheit der Vereinten Nationen begonnen hat. Dass ausgerechnet der 47. Präsident der Vereinigten Staaten nun der Ukraine die Schuld dafür gibt, ist nicht nur eine Pervertierung der Tatsachen, sondern eine gefährliche Kapitulation vor Putins Gewaltpolitik. So ein Einknicken vor einer aggressiven Großmacht hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben. Während Trump in Florida höhnisch über die Ukraine und ihren verzweifelten Überlebenskampf herzog, flogen im 10 000 Kilometer entfernten Odessa keine Golfbälle, sondern russische Raketen auf Zivilisten. Anders als in Mar-a-Lago herrscht im Osten Europas Eiseskälte. Bei minus 12 Grad Celsius hat Putins angeblich zum Frieden bereite russische Armee den kleinen Ort Fyholivka in der Region Charkiw eingenommen. Dass Trump ausgerechnet in diesem Moment von der Ukraine verlangt, sie hätte ihr Land einfach ‚eintauschen‘ sollen, zeigt nur, wie skrupel- und gewissenlos dieser amerikanische Präsident handelt. Es verkennt auch, dass Putin eben nicht nur ein paar Gebiete haben wollte, sondern das ganze Land im Blick hat. Mit seiner beispiellosen Verdrehung der Realität betreibt Trump eine öffentliche Täter-Opfer-Umkehr – ein Zynismus, der in seiner folgenreichen Grausamkeit eigentlich nur vom russischen Machthaber Putin überboten wird. Sollte sich diese radikale Umkehr der US-Außenpolitik wirklich durchsetzen, wäre das nicht weniger als eine Einladung an alle Autokraten der Welt, ihre Nachbarn zu überfallen, um dann menschenverachtende ‚Deals‘ über Landtausch einzufordern. Man könnte versucht sein, Trumps Worte als eine weitere seiner berüchtigten Entgleisungen abzutun. Doch das wäre fatal. Denn sie fügen sich ein in eine klare, neue außenpolitische Strategie: Russland aus der Isolation zu holen und stattdessen gegen die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten zu arbeiten. Das jüngste Treffen zwischen US-Diplomaten und russischen Vertretern in Saudi-Arabien, zu dem die Ukraine nicht einmal eingeladen war, spricht Bände. Trumps Außenminister Rubio brachte bereits jetzt die Lockerung der mühsam erreichten Sanktionen gegen Russland ins Spiel.“ (t-online.de, 19.2.25)
Es wird daran erinnert, dass Donald Trump den Präsidenten der Ukraine demonstrativ als kriegstreibenden Loser vorführt und mit voller Absicht die antirussische Solidargemeinschaft des ‚Westens‘ mit der Ukraine aufkündigt: Das bisherige amerikanische und das edle europäische Interesse an dem Krieg sind also offensichtlich nicht seine Sache. Das hindert deutsche Journalisten keineswegs daran, Trumps Entscheidungen unbeirrt an einem eigentlichen, gemeinsamen Ethos zu messen und ihm Verrat vorzuwerfen. Diese gezielt ignorante Empörung ist der Auftakt zur Konstruktion sachfremder Vorwürfe:
- Dass Trump die Weltmacht nicht nur diplomatisch, sondern praktisch ganz anders zum Ukraine-Krieg stellt, wird mit einer Abweichung identifiziert: ein „Tabubruch“, der an Trumps Machtgebrauch einzig die Abwesenheit von dem festhält, was deutschen Journalisten als sakrosankt gilt. Dass der amerikanische Präsident die deutsche Gewohnheit blamiert, die parteiliche Deutung des Ukraine-Kriegs – als Frage ‚unserer‘ „Sicherheitsordnung“, als ethische Pflicht der Allianz der Anständigen zur Front gegen Russland – zu einer unumstößlichen „Tatsache“ zu erklären, blamiert so gesehen einzig Trump als „skrupel- und gewissenlos“. Und damit diese Gleichung auch jeder versteht, werden passende Anschauungsbeispiele zusammengestellt: Dem menschlichen Leid auf ukrainischer Seite wird die Idylle in Mar-a-Lago gegenübergestellt, die mit „russischen Raketen auf Zivilisten“ zwar gar nichts zu tun hat, aber dem längst feststehenden Verdikt des nur von Putin überbotenen „Zynismus“ auf die Sprünge helfen soll.
- Trumps Verrat an der guten gemeinsamen Sache wird obendrein als Indiz von Schwäche interpretiert, mit der er sich eine „gefährliche Kapitulation vor Putins Gewaltpolitik“ leiste. Dass der Einsatz der amerikanischen Weltmacht unter Trump den Ansprüchen deutscher Journalisten widerspricht, erklären die zu seinem Widerspruch. Vor dem Russen einknicken, das kann der MAGA-Präsident doch nicht ernsthaft wollen.
Tut er aber doch. Das finden deutsche Journalisten wiederum nicht nur böse, sondern überhaupt gefährlich – für unsere europäischen Interessen:
Trump, Putins Marionette
Sind der „Tabubruch“ und die Schwäche Amerikas einmal als die Sache unterstellt, mit der man Trumps souveränen Machtgebrauch verwechseln soll, finden sich seriöse Journalisten, die nach dem Grund dafür fahnden:
„Ist der Kreml aus irgendeinem Grund in der Lage, Donald Trump zu steuern? Die spezielle Beziehung zwischen dem US-Präsidenten und Russland ist jedenfalls in hohem Maße verdächtig, schon seit Jahrzehnten. Punkt für Punkt übernahm Trump in den letzten Tagen vier zentrale russische Vorgaben. Die Ukraine soll die von Russland eroberten Gebiete aufgeben. Sie soll akzeptieren, dass sie niemals NATO-Mitglied wird. Sie soll Neuwahlen abhalten. Und sie soll, das ist Trump und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin besonders wichtig, im Fall eines Friedensabkommens keine militärische Absicherung durch die USA bekommen; darum sollen sich bitte allenfalls die Europäer kümmern. Wie oft er in letzter Zeit Putin am Telefon hatte, möchte Trump nach eigenen Worten ‚lieber nicht sagen‘. Der Mann aus Moskau scheint ihn jedenfalls beeindruckt zu haben. Bei einer Pressekonferenz in Mar-a-Lago gab der US-Präsident soeben den von Russland überfallenen Ukrainern sogar die Schuld am Krieg: ‚Ihr hättet ihn nie anfangen sollen‘. Die westliche Welt blickt auf einen Tiefpunkt ihrer Geschichte. Erstmals folgt ein amerikanischer Präsident dem russischen wie ein treuer Untergebener seinem Herrn: in Taten, in Worten und sogar im Stil, einschließlich der in Moskau üblichen makabren Verdrehung der Tatsachen. Eine alte Frage bekommt neue Relevanz: Ist Putin, der gelernte KGB-Offizier, aus irgendeinem Grund in der Lage, Trump zu steuern? Zuletzt kochte die Debatte darüber im Jahr 2018 hoch, als Trump Putin in Helsinki zu einem Gipfel traf und alle Mitarbeiter gebeten wurden, den Raum zu verlassen. Niemand glaubt, Trump sei im klassischen Sinn ein Agent Moskaus. Doch bei der Frage, ob Putin möglicherweise belastendes Material über Trump – russisch: Kompromat – in der Hand habe, wiegen viele bedächtig die Köpfe, schon seit Jahrzehnten... Trumps Reisen, Kontakte und Geschäfte lassen sich in vielen Fällen nachzeichnen, die Frage nach den politischen Kausalitäten jedoch bleibt offen. Handelt Trump heute so, weil er unter Druck steht? Oder sind andere Motive ausschlaggebend, seine Eitelkeit etwa oder seine Bewunderung für starke Männer? Trumps früherer Nationaler Sicherheitsberater John Bolton sagt, Putin sei in der Lage, mit Trump zu spielen ‚wie auf einer Geige‘. Dabei nutze der Kremlherr die extreme Empfänglichkeit Trumps für Schmeicheleien aller Art. Die europäischen Verbündeten finden so oder so keinen Trost. Sie haben nur die Wahl zwischen diversen Varianten von Fassungslosigkeit.“ (rnd.de, 19.2.25)
Die Ausgangsfrage ist bereits die fertige Antwort. Für das Redaktionsnetzwerk steht einfach fest, dass Trump nicht Herr seines eigenen Schaltens und Waltens sein kann, sondern von bösen russischen Kräften fremdbestimmt und ferngesteuert sein muss. Der Befund erhält seine ganze Glaubwürdigkeit darüber, dass der Autor es nicht erst seit gestern „in hohem Maße verdächtig“ findet, dass Trump sich nicht an sein antirussisches Protokoll hält. Getreu der Logik des Verdachts verschafft er sich die Freiheit, beliebige Fälle als Indizien aufzuzählen, ohne an denen irgendeinen Zusammenhang mit Trumps Entscheidungen nachweisen zu müssen, weil die immer und von vornherein für dasselbe sprechen. Experten, die Verschwörungstheorien nur als Schimpfwort benutzen, haben also für deren Logik extrem viel übrig. Wer braucht schon Argumente, wenn man aus seiner eigenen „Fassungslosigkeit“ selber ein Argument machen kann?
Trump, Sargnagel der schönen ‚regelbasierten‘ Weltordnung
„Ohne Normen und Regeln. Seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus spricht Trump offen davon, anderen Staaten seinen Willen aufzuzwingen. Eine Strategie lässt er dabei bislang nicht erkennen. Dass Trump den Bruch mit den europäischen Verbündeten vorantreibt, wurde am 24. Februar nur allzu deutlich. Am dritten Jahrestag des Beginns des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stimmten die USA im UN-Sicherheitsrat mit Russland und China für eine russlandfreundliche Resolution, der sich die europäischen Mitglieder im Rat enthielten. Wenig später versetzte sein Außenminister Marco Rubio die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas in Washington. So sehr Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer ihm bei ihren Aufwartungen im Weißen Haus schmeichelten, eine verbindliche Aussage zum Beibehalt der NATO-Beistandsgarantie konnten sie Trump nicht entlocken. Genauso, wie er der Ukraine im Gegenzug für die Vereinbarung zur Ausbeutung ihrer Ressourcen keine Sicherheitsgarantien zusagt. Dies gelang auch der italienischen Regierungschefin Georgia Meloni bislang nicht, trotz ihrer guten Verbindungen zu Trumps Berater Elon Musk und zu Trump selbst. Bei der CPAC-Konferenz rechts- und ultrakonservativer Kräfte kürzlich warnte sie vor einer Spaltung Europas und der USA. Doch offensichtlich drang sie nicht mit dem Gedanken durch, dass auch die USA vom Bündnis mit Europa profitieren, ob es um die Wirtschaft oder militärische Präsenz geht. Dabei ist es keineswegs sicher, dass die USA profitieren, wenn sie alte Verbündete aufgeben. Würde Putin Russland etwa von China lösen und sich auf die Seite der USA stellen, wenn Trump ihm Europa überlässt? Würden Konzessionen an China dessen Präsidenten Xi davon abhalten, die eigenen Interessen auch gegen die USA durchzusetzen? Experten bezweifeln dies. Denn was gilt die Zusage eines US-Präsidenten, auf dessen Worte kein Verlass ist und der nicht ewig im Amt bleiben wird – während China und Russland wissen, was sie aneinander haben? Und warum sollten sie nicht genauso rücksichtslos wie er Deals eingehen, die ihnen Hintertüren offenlassen? Wenn Trump den Nachbarn Kanada als US-Anhängsel deklariert, wenn er Kontrolle über Grönland will, die Vertreibung der Palästinenser aus Gaza propagiert und Putin Einnahme und Vernichtung seiner Nachbarstaaten zugesteht, dann gibt es keinen Grund mehr, warum andere Staatsführer nicht mehr denn je schwächere Staaten zu reinen Einflusszonen degradieren sollten. Zumal sich durch den weltweiten Rückzug der USA neue Möglichkeiten eröffnen. Schon jetzt bietet sich China als Alternative etwa in Europa an. Auch kleinere Staaten positionieren sich global, um das neue Machtvakuum zu nutzen. Längst haben diese Staaten vom Westen gelernt, Entwicklungshilfe und andere Unterstützung als Softpower-Instrument einzusetzen. Dass Trumps Team darauf selbst verzichten will, wird weiter zur langfristigen Schwächung des weltweiten Einflusses der USA beitragen – und damit die globale Ordnung destabilisieren. Es ist unklar, wie Trump seine Versprechen erreichen will, ‚Amerika wieder groß zu machen‘ und der Welt Frieden zu bringen. Bislang scheint seine Politik auf eine Abschaffung der nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Weltordnung hinauszulaufen – an der die USA nicht nur maßgeblich beteiligt waren, sondern von der sie auch überaus profitiert haben. Trumps ‚Dealmaking‘ könnte die Welt vielmehr zu einem Basar verkommen lassen, in der sich Krisen und Konflikte verschärfen, die letztlich auch den USA schaden.“ (tagesschau.de, 1.3.25)
Dass Donald Trump einen „Bruch mit den europäischen Verbündeten“ vorantreibt, den gemeinsamen Kriegswillen storniert und mit seinem Oberkommando über die mächtigste Streitmacht der Welt das Fundament der NATO-Allianz infrage stellt, bringt die Tagesschau zur Kenntnis, nur um ihm diesen praktischen Einspruch gegen das, was auch der ARD lieb und teuer zu sein scheint, als seinen Widerspruch vorzuwerfen. Dass „auch die USA vom Bündnis mit Europa profitieren“, sollte dem Mann, der tatsächlich über den Nutzen Amerikas entscheidet, doch eigentlich genauso klar sein wie den einfühlsam mitdenkenden Kritikern vom Ersten. Um zu untermauern, dass Trump eigentlich nicht wollen kann, was er augenscheinlich will, nämlich rücksichtslos durchsetzt, wird eine ordentliche Fallhöhe aufgebaut. Dafür wird der Absolutismus der amerikanischen und im „Bündnis“ mit Europa ausgeübten imperialistischen Gewalt, mit der die USA beanspruchen, alle staatlichen Gewaltverhältnisse auf dem Globus ihrer Kontrolle zu unterwerfen – die bisherige „Weltordnung“ mit ihren „Normen und Regeln“ –, als eine segensreiche Errungenschaft verherrlicht. Damit steht die Blaupause, vor der die Tagesschau Trumps Außenpolitik als verheerendes „Machtvakuum“ präsentieren kann, das bloß ‚die Falschen‘ zu unerhörter imperialistischer Eigenständigkeit ermuntert. Die Konsequenzen stehen damit auch schon fest: Weil die deutschen Parteigänger der überkommenen Allianz Trumps rücksichtsloses Dealmaking katastrophal finden, prophezeien sie ihm ein notwendiges Scheitern. Das erklären sie dann zur Eigenart und Konsequenz der MAGA-Politik: Die USA schaden sich letztlich nur selber – jedenfalls aus der Perspektive der ARD, die Trumps Politik an der „Realität“, nämlich an dem globalen Gewalthaushalt misst, den Trump demonstrativ umkrempelt.
Trump, ein Psycho
Nachdem die Exekution der amerikanischen Staatsgewalt durch Trump als Dummheit, Amoral, schändliches Einknicken, Selbstschädigung oder irgendeine andere Fehlanzeige abgefertigt ist, machen Experten für die menschliche Psyche darauf aufmerksam, wie der Präsident sich gibt:
„Das Bedürfnis nach Grossartigkeit und Bewunderung sowie der Mangel an Empathie entsprechen einer Krankheitsdiagnose der WHO. ‚Trump ist ein Narzisst mit unendlichem Geltungsdrang und einer Sucht nach Schmeicheleien. Da ist es ein denkbar schlechtes Rezept, ihn in aller Öffentlichkeit zu korrigieren‘. Das schrieb Andreas Rüesch in der ‚NZZ‘ zum Auftritt Präsident Wolodymyr Selenskyjs im Weissen Haus... Die starke Ausprägung bei Donald Trump entspricht einer von der WHO definierten gesundheitlichen Störung... Eine solche Krankheit bedeutet jedoch nicht, dass Trump nicht urteilsfähig ist. Das Problem: Betroffene realisieren nicht, dass sie an einer Krankheit leiden und verweigern Therapien. Der Leidensdruck entsteht daher vor allem im Umfeld... ‚Menschen mit ausgeprägter narzisstischer Störung sind sehr leicht kränkbar, was eine Konfrontation mit der Realität sowohl im sozialen Leben als auch in der Therapie beinahe unmöglich macht‘, erläuterten die international anerkannten Psychoanalytiker Otto Kernberg und Heinz Hartmann. Das mache eine Therapie beinahe unmöglich... Um zu einer sicheren Diagnose einer krankhaften narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu kommen, müsste sich Trump einer Klinisch-Psychologischen-Diagnostik unterziehen. Da dies nicht passiert, warnten 33 Psychiaterinnen und Psychiater im Jahr 2017 während Trumps erster Amtszeit: ‚Die gravierende emotionale Instabilität, die sich in Trumps Reden und Handlungen zeigt, macht ihn unfähig, sein Amt als Präsident sicher auszuüben.‘ Psychiater Otto Kernberg bescheinigte Trump einen ‚bösartigen Narzissmus‘. Allerdings würden Ferndiagnosen gegen ethische Standards verstossen, weshalb er keine formelle Diagnose stellen könne.“ (Infosperber.ch, 7.3.25)
„Donald Trump weist Züge eines bösartigen Narzissten auf, behauptet der US-Psychiater Otto Kernberg. Es ist nicht die erste Ferndiagnose des US-Präsidenten. Sogar in einer Petition wurde vor seinem Verhalten gewarnt. Übertriebene Selbstdarstellung, Überschätzung von Kompetenzen, fehlende Empathie für andere, aggressives und abwertendes Verhalten bei Misserfolgen – das sind nur einige wenige Merkmale, an denen Psychologen eine narzisstische Persönlichkeitsstörung erkennen. Eine Steigerung dieser Störung ist der ‚maligne‘, der bösartige Narzissmus. Züge dessen ‚können Sie öffentlich bei Trump beobachten‘, sagte US-Psychiater Otto Kernberg dem ‚Spiegel‘.“ (rnd.de, 15.9.20)
Es liegt in der Natur des psychologischen Blicks, den die einen von Berufs wegen pflegen und die anderen berechnend aufgreifen: Die politischen Inhalte, mit denen der MAGA-Präsident deutsche Journalisten immerhin zu ihren zahlreichen Vorwürfen verleitet, werden in Verhaltensweisen der Person Trump aufgelöst. Ins Visier genommen wird die penetrante Tour, mit der sich der Präsident nicht nur im Wahlkampf durchgesetzt hat, sondern auch weiterhin in Szene setzt. Der entnehmen Psychologen eine schwerwiegende „Persönlichkeitsstörung“. Die einschlägigen Merkmale – „übertriebene Selbstdarstellung, Überschätzung von Kompetenzen, fehlende Empathie für andere, aggressives abwertendes Verhalten bei Misserfolgen“ – lesen sich wie eine Aufzählung klassischer Sekundärtugenden demokratischer Politiker, die sich als verkörperte Lösung aller erdenklichen Probleme profilieren und in der Konkurrenz um die Macht gegen lauter Taugenichtse wettern. Kritikabel sind die selbstverständlich nicht als solche. Weil psychologisch geschulte Experten Trump den Erfolg verübeln, den der mit seiner radikalen Tour demokratischer Selbstdarstellung als einzig kompetenter Macher einfährt, entdecken sie bei ihm eine Sorte Übertreibung, die ihn als krankhaft und bösartig ausweist. Während Herr Kernberg den professionellen Anstand besitzt, eine Krankheitsdiagnose zu stellen und mit einigem Aufsehen zu veröffentlichen, um sie sogleich als informell zurückzunehmen und damit unanfechtbar zu machen, greifen hiesige Kommentatoren diese freudig auf. Denn damit haben sie eine durch die Autorität der psychologischen Wissenschaft beglaubigte Bestätigung ihres längst feststehenden Vorbehalts: Der Mensch Trump ist nun mal so, psychisch verdorben, unfähig, die „Realität“ anzuerkennen, eine einzige Fehlbesetzung und wegen seiner Macht eine wandelnde Gefahr für das, was deutsche Experten für Geist und Politik so sehr schätzen.
*
Die Weigerung all dieser Kommentatoren, als Realität anzuerkennen, was Trump zur weltpolitischen Realität macht, wird in der Diagnose zusammengefasst: Nicht etwa sie verweigern sich dieser Realität, sondern ausgerechnet er.
Doch es dauert nicht allzu lange, bis die deutsche Öffentlichkeit sich mit einer Kombination aus Gewöhnung und Opportunismus Trumps Politik noch anders annimmt.
Trump gegen Musk
„Der reichste Mann der Welt gegen den Präsidenten des mächtigsten Landes: Die monatelange Allianz von Elon Musk und Donald Trump endet in einer öffentlich ausgetragenen Schlammschlacht.“ (taz.de, 6.6.25)
Im Zuge der öffentlichen Begleitung dieser „Schlammschlacht“ bringen die Medien noch einmal alles zur Kenntnis, was die sogenannte ‚Männerfreundschaft‘ ausgemacht und schließlich zerrüttet hat. Das belebt den geübten Voyeurismus, mit dem Journalisten die Auseinandersetzungen, den Erfolg und das Scheitern der Reichen und Mächtigen verfolgen. Was sie daran in diesem Fall bemerkenswert finden, zeugt von ihrer politischen Motivation. Exemplarisch:
„Irgendwie bleibt ja die Hoffnung, dass die Wählerinnen von dem Chaos um Trump bald die Nase voll haben, so dass die lethargischen Demokrat*innen bei den midterm elections im November kommenden Jahres womöglich doch Teile der Macht zurückerobern können. Wenn Musks rumpolterndes Auftreten wenigstens dazu beiträgt, dass er nicht nur die eigenen Unternehmen, sondern auch Trump mit in den Abgrund zieht, dann, aber nur dann, könnte man doch noch ein herzliches Dankeschön sagen.“ (taz.de, 6.6.25)
Die taz bekennt sich zu ihrer Abneigung gegen Trump und Musk. Die politischen Gründe dafür muss sie nicht weiter ausführen, weil sie damit schließlich einen Common Sense abruft. Der berechtigt sie zu der parteilichen Einordnung der „Schlammschlacht“ als Schimmer der „Hoffnung“, dass die Betreffenden, gemessen an deren eigenen Erfolgskriterien, untergehen werden. Was auch immer die „Demokrat*innen“ politisch wollen – wenn Musk dabei behilflich ist, dass die sich im demokratischen Kampf um die Macht durchsetzen, ist das per se ein „Dankeschön“ aus Berlin wert. Die Häme gegenüber der inkompetenten Person Trump wird ergänzt um das Bewusstsein, mit dem realitätstüchtige Journalisten sein Regierungsamt und dessen demokratische Notwendigkeiten in Rechnung stellen, wenn sie voller „Hoffnung“ mitfiebern, ob sich an der Auseinandersetzung mit seinem Buddy Musk nicht etwa ein Moment der Schwäche abzeichnet. Dem ‚Realismus‘ der Aneignung und Ausübung staatlicher Macht verpflichtet, suchen und finden sie Indizien, die sich dahingehend deuten lassen, dass der Präsident womöglich gar nicht so mächtig ist, wie er sich gibt und wähnt.
Neben der interessierten Beleuchtung innenpolitischer Konflikte ist der bleibende Bezugspunkt jedoch die Stärke, die Trump repräsentiert, die Macht, die er ausübt und auf die die journalistischen Freunde Europas selbiges nicht zuletzt in Kriegsfragen – leider, leider – angewiesen sehen.
G7-Gipfel
Die Führer von sieben der mächtigsten Staaten der Welt treffen sich in Kanada. Auf der Tagesordnung stehen der Nahost-Konflikt, der Zollstreit und der Ukraine-Krieg. Das Gesprächsthema Nr. 1 liefert jedoch, entgegen aller Planung, Donald Trump mit seiner vorzeitigen Abreise.
„Wie weiter im Nahen Osten? Eigentlich standen die sieben gerade beim Familienfoto, es war der vorletzte Programmpunkt des Tages im Mountain-Ressort in Kananaskis, als plötzlich alles anders war. Erste Eilmeldungen: US-Präsident Donald Trump bricht vorzeitig vom G7-Gipfel auf und fliegt zurück nach Washington: ‚Ich muss zurück. Sie sehen ja, was ich sehe‘, ruft Trump den Journalisten zu. ‚Ich muss zurück, so schnell wie möglich... Ich würde so gern bis morgen bleiben, aber Sie alle verstehen das hier. Es passieren gerade große Dinge‘, sagt Trump. Große Dinge – ‚big stuff‘ heißt das im Trump-Sprech...“ Das vorangegangene Gipfelgeschehen selber sei ebenfalls eine einzige „Trump-Show“: „Die Aktion Schmusekurs läuft: auch zu Beginn der ersten Arbeitssitzung. Nostalgie sei keine Strategie, sagt Carney, Wandel sei wichtig. ‚Einige, Sie zum Beispiel, Herr Präsident, haben das früh erkannt und mutig gehandelt.‘ Trump hört derlei Dinge in der Regel gern. Ist er jetzt eingehegt? Es sah so aus. Bis es anders kam... Der französische Präsident Emanuel Macron bietet Trump seine Hilfe für eine Nahost-Initiative an. Als die Nachricht von Trumps vorzeitigem Aufbruch die Runde macht, redet er gerade von Gipfelharmonie. Er weiß noch nichts von Trumps vorzeitiger Abreise. Trump braucht die anderen nicht... Die vorzeitige Abreise, sie bringt den gesamten Gipfel durcheinander.“ (tagesschau.de, 17.6.25)
„G7-Gipfel endet als G6-Runde: Donald Trump hat Wichtigeres zu tun... Donald Trumps frühzeitige Abreise dokumentiert den Bedeutungsverlust und die Uneinigkeit dessen, was als ‚der Westen‘ bezeichnet wird. Etwas milder fällt das Urteil allein deshalb aus, weil immerhin ein kleinster gemeinsamer Nenner zum Nahostkonflikt zu Papier gebracht werden konnte.“ Übrigens, ein ‚kleinster gemeinsamer Nenner‘, den Donald Trump ein paar Stunden später gleich wieder kassiert. „Viel mehr als ein Höflichkeitsbesuch war die Stippvisite des US-Präsidenten in der Runde der traditionellen Verbündeten am Ende deshalb nicht. Oder muss man sich mittlerweile schon damit zufriedengeben, dass der vermeintliche Anführer der freien Welt überhaupt erschienen ist? Für die anstehenden Entscheidungen dazu, wie es im Nahen Osten weitergehen kann, meint Amerikas Oberbefehlshaber jedenfalls, die übrige G6-Runde nicht zu brauchen... Das Desinteresse des US-Präsidenten daran [an einem von der EU vermittelten Austausch Trumps mit Selenskyj] wie auch an dem Gesprächsformat selbst ist nun öffentlich dokumentiert. Oder warum sollte Trump sonst schon wieder beklagen, dass Kremlchef Wladimir Putin nach der Annexion der Krim 2014 nie wieder zu einem G8-Gipfel eingeladen wurde?“ (tagesspiegel.de, 17.6.25)
An den Berichten wird überdeutlich, dass in Kanada nicht einfach mehr oder weniger maßgebliche Regierungschefs zusammenkommen: Der Gipfel wird von A bis Z von Donald Trump bestimmt. Mit seinem Erscheinen, Auftreten und vorzeitigen Verschwinden setzt er seine einzigartige, aller Instrumentalisierungsversuche enthobene Macht in Szene und weist den anderen Staatschefs in aller diplomatisch-geheuchelten Höflichkeit ihre niedere Rolle zu. Er hat einfach Wichtigeres zu tun; bei den wirklich „großen Dingen“ der Weltordnung haben die anderen nichts zu sagen. Was die wiederum zu sagen pflegen, grenzt an devote Bauchpinselei, deren berechnender Charakter der Öffentlichkeit zugleich überhaupt nicht entgeht.
„Donald Trump mag den G7-Gipfel vorzeitig verlassen oder öffentlich andere Staatschefs abwatschen – doch ohne den US-Präsidenten wäre eine Lösung der globalen Konflikte unmöglich. Deshalb gilt es, ihn einzubinden. Dieser G7-Gipfel hat vor allem eines deutlich gemacht: Bei den wichtigen Konflikten und Krisen dieser Welt bestimmt US-Präsident Donald Trump die Politik der westlichen Staatengemeinschaft. Bestes Beispiel ist der Iran: Der anfängliche Appell der Europäer, eine diplomatische Lösung zu finden, verschwand auf Drängen Trumps aus der gemeinsamen Erklärung. Trump und Benjamin Netanjahu entscheiden über das Schicksal des Iran, nicht Macron und Merz. Das war auch die Botschaft seiner vorzeitigen Abreise aus dem idyllischen Gipfelort ins Lagezentrum des Weißen Hauses: ‚Ihr könnt an gemeinsamen Erklärungen feilen. Ich muss wichtige Entscheidungen treffen.‘ Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wurde von Trump abgewatscht, weil er die vorzeitige Abreise in eine Waffenstillstands-Mission umdeuten wollte. Spätestens da mag sich Macron gefragt haben, ob die neue Strategie im Umgang mit Trump wirklich erfolgreich ist. Die sechs anderen G7-Länder verkniffen sich öffentlichen Widerspruch und sparten nicht mit Schmeicheleien. Charmante Einbindung statt Konfrontation. Das mag man lächerlich finden. Letztlich geht es jedoch nicht um Trump als Person, sondern um den US-Präsidenten. Und ohne die Supermacht USA gäbe es keine westliche Staatengemeinschaft mehr. Die aber braucht es weiterhin dringend – siehe Ukraine.“ (tagesschau.de, 18.6.25)
Die Tagesschau stellt fest, dass Trump die Weltpolitik einseitig nach eigenem Ermessen definiert und „andere Staatschefs“ bei Bedarf „abwatscht“; sie weiß um die Peinlichkeit unentwegter „Schmeicheleien“. Die bringt sie als „lächerlich“ vor allem deswegen zur Sprache, um mögliche Forderungen nach entschiedenem Widerstand gegen Trump vorauseilend abzuräumen. Die – aus der Perspektive proeuropäischer Dringlichkeiten – leidige Angewiesenheit auf die „Supermacht USA“ gilt der unparteiischen Nachrichtenredaktion dann doch als guter Grund dafür, die unmissverständliche Machtdemonstration Trumps von der imperialistisch-pragmatischen Warte der betroffenen Staaten aus anzuschauen und den notwendigen Umgang mit Trump zu benoten. Insoweit steht nicht nur bei der ARD fest:
„Für den Kanzler kann es deshalb weiterhin nur darum gehen, den dadurch angerichteten Schaden im transatlantischen Verhältnis zu begrenzen und den eingeleiteten Prozess der Abkehr von den europäischen Verbündeten zu verlangsamen.“ (tagesspiegel.de, 17.6.25)
Zu beurteilen, wie der sich dabei schlägt, dafür gibt es vor und nach dem Gipfel die ein oder andere Gelegenheit.
Merz zu Besuch bei Trump
„Was vom Besuch des Bundeskanzlers in den USA zu erwarten ist... Diese Bilder [vom Besuch Selenskyjs bei Trump] haben den Blick von Merz auf die USA verändert. Oder wie Merz es am Wahlabend ausdrückt: ‚Spätestens seit den Äußerungen von Trump vor einer Woche ist klar, dass diesem Teil der Amerikaner das Schicksal Europas weitgehend gleichgültig ist.‘ Aber es nützt nichts. Europa braucht die USA – zumindest noch. In der Politik zählt die Realität und die könnte kaum schwieriger sein. Drei Themen dürften den Antrittsbesuch des Transatlantikers Friedrich Merz bestimmen: Der Streit um die angedrohten Zölle, der russische Krieg gegen die Ukraine und die damit verbundene Diskussion um die NATO-Ausgaben... Wer Trumps Vorgehen verfolgt, der weiß, dass sich der gemeinsame Auftritt im Oval Office schlecht planen lässt. Kleinigkeiten können dafür sorgen, dass der US-Präsident wütend wird und losschimpft. Es heißt, Friedrich Merz habe sich intensiv auf die Begegnung vorbereitet. Doch was passiert, wenn Donald Trump unerwartet mit Kulturkampf beginnt? Wenn er, wie sein Vize JD Vance es auf der Münchner Sicherheitskonferenz getan hat, über mangelnde Meinungsfreiheit in Deutschland spricht? Oder die AfD lobt? Dann bleibt Merz nichts anderes übrig, als zu improvisieren.“ (tagesschau.de, 5.6.25)
Vor dem Besuch wird den Deutschen die „Realität“ vermittelt. Die besteht weniger in der machtvollen Wende, die Trump in Sachen Strafzoll und Ukraine-Krieg ausdrücklich gegen die Interessen Europas durchsetzt, als vielmehr in den außenpolitischen Ansprüchen Deutschlands, das sich für deren Durchsetzung auf die USA angewiesen weiß und deswegen in Trumps Politik ein „schwieriges“ Hindernis ausmacht. Dieser „Realität“ verpflichtet, baut die Tagesschau überzogenen Ansprüchen vor, Merz hätte bei dem Gespräch irgendetwas in der Hand, um Trump irgendwie, geschweige denn substanziell zu vereinnahmen. Der deutsche Kanzler wird, wie man es schon mehrfach miterleben durfte, dem politischen Standpunkt und den Launen Trumps ausgeliefert sein. Getragen von dem opportunistischen Respekt vor der Macht des US-Präsidenten wird nunmehr beleuchtet, wie unser Kanzler sich in diesem Verhältnis bewährt.
„Merz’ Strategie wird schnell klar: Er will die Gemeinsamkeiten betonen – zwischen den USA und Deutschland, aber auch persönlich zwischen ihm und Donald Trump. Gleich zu Beginn nutzt der deutsche Kanzler die Gelegenheit, dem US-Präsidenten ein Geschenk zu überreichen: die Geburtsurkunde von Trumps Großvater, der aus Deutschland stammt. Auch der hieß passenderweise Friedrich. Das Geschenk nimmt Trump mit Handschlag an. Die Geste der Verbundenheit bleibt nicht ohne strategische Hintergedanken. Für Merz hat ein Anliegen Priorität: die Unterstützung für die Ukraine. Das Gespräch beginnt, und der Kanzler beschränkt sich zunächst darauf, Trump reden zu lassen und zuzuhören. ‚Wir werden eine großartige Beziehung haben‘, sagt Trump zu Merz, der sich in seinem Sessel zurücklehnt. ‚Er ist ein hervorragender Vertreter Deutschlands‘, lobt Trump den deutschen Kanzler und nennt ihn einen ‚Freund‘. Der Ton ist also gesetzt, als Merz auf die Situation im Osten Europas zu sprechen kommt: ‚Die Schlüsselperson auf der Welt‘, um Druck auf Russland auszuüben und den Krieg in der Ukraine zu beenden, sei Trump, so der deutsche Kanzler. Merz schmeichelt dem US-Präsidenten, der nimmt die Worte dankend an – und doch bleibt unklar, ob sie in der Sache etwas bewirken können... Während Donald Trump nicht erkennen lässt, dass er gewillt ist, seine bisherige Ukraine-Politik zu verändern, bewertet er die Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben als ‚positiv‘. Mit Blick auf die Geschichte mahnt Trump aber scherzhaft, Deutschland solle nur bis zu einem gewissen Punkt aufrüsten... ‚Es gibt eindeutig politischen Spielraum für Merz, innerhalb Europas Führungsstärke zu zeigen – und die Trump-Administration hat signalisiert, dass sie offen für sein Engagement ist‘, resümiert de Hoop Scheffer. Damit deute sich ein mögliches Fundament für eine sachorientierte Zusammenarbeit – etwa beim Handelsstreit mit der EU – an. Merz jedoch warnte diesbezüglich später gegenüber deutschen Medien vor überzogenen Erwartungen. Das Treffen war für Merz eine Chance, sich als zentraler Ansprechpartner in Europa zu positionieren. Wie viel von Merz’ Anliegen tatsächlich bei Trump haften bleibt, ist aber unklar. Das Gespräch im Oval Office schweift auf andere Themen ab. Der Besuch aus Deutschland ist nur eines von mehreren Anliegen, die Trump an diesem Tag beschäftigen... Tatsächlich schnitt der neue Kanzler im Vergleich zu seinen Vorgängern bei Donald Trump besser ab. Während dieser Angela Merkel einst den Handschlag verweigert hatte und Olaf Scholz gar nicht erst bis ins Oval Office kam, schaffte Merz zumindest eine gemeinsame Gesprächsbasis – und das bereits vor den nächsten wichtigen Zusammentreffen der beiden Spitzenpolitiker beim anstehenden G7-Gipfel in Kanada und dem NATO-Gipfel in Den Haag später im Juni. Wie beständig diese Basis ist und ob sie auch dazu ausreicht, inhaltlich auf den unberechenbaren US-Präsidenten einzuwirken, muss sich jedoch erst noch unter Beweis stellen.“ (dw.com, 6.6.25)
Die Deutsche Welle kommt nicht umhin, die erwartete Eigenart dieses Gesprächs festzuhalten: im Wesentlichen eine sehr einseitige Veranstaltung, bei der Trump Ton und Themen nicht zuletzt durch seine Monologe bestimmt – eine öffentlich inszenierte Demonstration seiner Überlegenheit. Der gegenüber steht ein deutscher Kanzler, der brav zuhört, sich anbiedert und höfliche Vereinnahmungsversuche unternimmt, so er denn überhaupt zu Wort kommt. Das affirmiert die Deutsche Welle als stolze Leistung des deutschen Kanzlers. Weil dabei der drohende Eklat ausbleibt, wird ihm das als vergleichsweise geschicktes Manöver zugutegehalten, mit dem er eventuell die Bedingung der Möglichkeit zu wirklicher Einflussnahme geschaffen hat.
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So, nämlich mit ihrem affirmativen Sinn für den herrschenden ‚Realismus‘, schlagen deutsche Kommentatoren den Bogen von der Beschimpfung Trumps als – dumme, unmoralische, realitätsverweigernde, verantwortungslose, krankhaft-gefährliche ... – Fehlbesetzung hin zu der berechnenden Anerkennung der Macht, die er kraft seines Amtes exekutiert, und der Fakten, die er machtvoll durchsetzt. An deren Geltung wollen sie – journalistische Verantwortung muss sein – letztlich sich nicht blamieren.