Mit ihrem Krieg gegen den Terror schaffen sich die USA nicht nur neue Feinde in den Staaten, die sie mit Krieg überziehen. Im Zuge der rücksichtslosen Subsumtion der Staatenwelt unter ihr Programm einer vom Antiamerikanismus befreiten Welt bringen sie auch und gerade Staaten gegen sich auf, die sich bislang als Verbündete und Waffenbrüder der Supermacht verstanden. In diesem Herbst sieht sich die Türkei, langjähriger Nato-Verbündeter und wichtiger Stützpfeiler eines amerikanisch dominierten Nahen Osten, zu einem massiven Militäraufmarsch an ihrer Grenze zum Irak veranlasst.
Die estnische Regierung räumt ein sowjetisches Kriegerdenkmal nebst sterblichen Überresten von Gefallenen der Roten Armee aus dem Zentrum ihrer Hauptstadt weg; in Estland ansässige Russen und die in Moskau protestieren und intervenieren. Und wieder wird das Bild vom kleinen freiheitsliebenden Völkchen verbreitet, das vom übermächtigen Russland zerdrückt zu werden droht.
Ungarn tritt der EU bei und versucht aus dem EU-Beitritt imperialistisches Kapital zu schlagen. Als Regionalmacht beansprucht es Rechte auf fremde, d.h. slowakische und rumänische Bürger. Damit stellt sich Ungarn in ein neues Verhältnis zur EU und zu den Staaten Slowakei und Rumänien.
Die Guerilla der ‚Zapatisten‘ mit ihrem Anführer ‚Subcommandante Marcos‘ wollen die nationale Anerkennung der Indios als respektable Volksgruppe. In den elenden Lebensbedingungen, denen die Indios unterworfen sind, sehen sie den Ausdruck mangelnden Respekts vor einer Kultur, die sich durch Überlebenskunst unter eben diesen Umständen auszeichnet. Die neue Regierung Fox sieht im Eingehen auf diese Forderung die Möglichkeit einer Befriedung der Region, die sie für Geschäftsinteressen interessant machen will.
Der Chef der PKK – Öcalan – hat begriffen, dass seine Sache verloren ist, und den Schluss gezogen, sie verloren zu geben: die Arbeiterpartei Kurdistans will ihren Kampf mit politischen Mitteln weiterführen, will mit den Türken in einer demokratischen Republik zusammenleben. Doch der türkische Staat lässt sich durch die Kapitulation nichts abhandeln: Terroristen werden als solche behandelt.
Die freie Presse entdeckt als „albanische Aggression“, was sie in den ersten Tagen nach dem Sieg als „Auswuchs“ eines nur zu berechtigten Hasses auf alles Serbische entschuldigte, um Ansprüche, die Albaner aus dem Sieg über die Serben ableiten wollen, ins Unrecht zu setzen.
Die Weltaufsichtsmächte USA und Europa ordnen den Balkan neu und stellen ihn unter ihre gewaltsame Aufsicht. Der von ihnen jeweils verordnete (Bosnien), gebremste (Kroatien) und bestrittene (Serbien) Nationalismus macht eine strategische Kontrolle nötig – schließlich sind alle Nationalismen vor Ort mit ihrer beschränkten Lage unzufrieden.
Um europäischer Kapitalstandort zu werden, opfert Polen ökonomische Potenzen und den Status einer Industrienation. Privatisierung ist ein ruinöses Dauerprogramm. Am Weltmarkt präsentiert sich Polen als Markt und Anlagesphäre. Eigene Produzenten bestehen auf diesem Markt nicht, eigenes Kapital ist zu wenig da. Sein Kreditwesen wird zum (internationalen) Pflegefall. Nato und EU regieren längst mit, Deutschland macht besondere Erpressungen.
Die durch die Auflösung der Sowjetunion unabhängig gewordenen Staaten schließen ein Bündnis, in dem sie friedlich um die Aneignung der geerbten Gewaltmittel konkurrieren. Für sie und insbesondere auch für die verbliebene Hauptmacht Russland stellt sich die Frage nach einem funktionierenden Gewaltapparat ganz neu. Bei all diesen Staatsgründungen sind vor allem neue, zur ehemaligen Volksdefinition der SU sehr konträre Scheidungen von Inländern und Ausländern durchzuführen und darüber werden etliche neue ethnische Machtkämpfe gestiftet.
Die Türkei und ihr Krieg gegen die Kurden. Ein ungelöster Fall türkischer Souveränitätsbelange und seine Konsequenzen für eine von den westlichen Aufsichtsmächten gestaltete Nahostordnung.