Vom Zusammenwachsen in Europa Das ungarische Statusgesetz
Wie man aus Bürgern fremder Staaten nationale Größe macht

Ungarn tritt der EU bei und versucht aus dem EU-Beitritt imperialistisches Kapital zu schlagen. Als Regionalmacht beansprucht es Rechte auf fremde, d.h. slowakische und rumänische Bürger. Damit stellt sich Ungarn in ein neues Verhältnis zur EU und zu den Staaten Slowakei und Rumänien.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Vom Zusammenwachsen in Europa

„Fast ein halbes Jahrhundert bereits trägt die Europäische Union zur endgültigen Beilegung früherer Konflikte sowie zur Festigung von Frieden, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand in ganz Europa bei. … Der Erweiterungsprozess macht Europa für seine Bürger sicherer und trägt zur Konfliktvermeidung und -beherrschung auf globaler Ebene bei. … Es werden keine neuen Trennlinien in Europa gezogen. Jeder neue Mitgliedstaat bringt sein politisches, wirtschaftliches, kulturelles, historisches und geographisches Erbe in die EU ein und bereichert damit Europa insgesamt.“ (Strategiepapier der Europäischen Kommission, 2001)

Sehr witzig. Es lässt sich nämlich kaum übersehen, dass besagter Erweiterungsprozess diverse Konflikte aufrührt; zwischen den Beitrittsländern, sowie zwischen diesen und den Nationen, die in ‚Europa‘ schon angekommen sind und in mehr oder minder einflussreicher Stellung die Aufnahmekriterien diktieren, die die Beitrittskandidaten zu erfüllen haben. Nach dem Motto ‚jetzt oder nie‘ zerren die Staaten alle möglichen historisch begründeten zwischenstaatlichen Rechts- und Schuldtitel hervor, um diese als ihr ‚Erbe‘ in die EU einzubringen. Sie werfen alle möglichen ‚offenen‘ staatsrechtlichen Grundsatz-‚Fragen‘ auf, und zwar keineswegs, um diese endgültig beizulegen; vielmehr kümmern sie sich mit einigem Ehrgeiz darum, dass sie diese auch in der erweiterten EU offen halten können. Was bislang sistiert war im Nachkriegseuropa, was verboten, erledigt, teils schon vergessen war – oder einfach keine Rolle gespielt hat, weil sich niemand gefunden hat, der sich der Sache angenommen hätte –, kommt nun gerade im Hinblick auf die Fertigstellung des großartigen europäischen Einigungswerkes als Materie erbittert geführter zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen auf den Tisch. Die zwei aktuellen Beispiele dafür sind die Auseinandersetzung um das ungarische Statusgesetz und der Streit um die Beneš-Dekrete.

Das ungarische Statusgesetz
Wie man aus Bürgern fremder Staaten nationale Größe macht

1.

Ungarn hat zur Bereicherung Europas einen ganz speziellen Beitrag auf Lager: Es möchte ‚seine‘ Auslandsungarn ‚als Erbe in die EU einbringen‘ und hat dazu ein Gesetz über Ungarn, die in benachbarten Staaten leben, erlassen. Ungarn will nämlich der EU als ein Nationalstaat eigener Art beitreten – als einer, der größer ist, als er ist. In diesem Sinne erklärt seine Regierung per Gesetz zur Tatsache, dass die Grenzen der Ungarischen Nation und die des Ungarischen Staates nicht dieselben sind, und verpflichtet sich auf eine Politik, die

„das Ziel hat, sowohl die Interessen der Nation als auch die des Staates zu verfolgen. …Die Regierung unterstützt die Ziele der ethnischen ungarischen Gemeinden im Ausland. Das Fundament ihrer Ungarn-Politik ist der Wunsch, die Anstrengungen zu fördern, die diese zur Erreichung ihrer Ziele unternehmen. Wenn diese Organisationen den Wunsch haben, ihre demokratischen politischen Anliegen zum Ausdruck zu bringen und ihre Identität in der Form der Autonomie ihrer Gemeinden zu bewahren, ist es die Pflicht noch jeder ungarischen Regierung, sie in ihren Anstrengungen zu unterstützen.“ (Aus dem ungarischen Regierungsprogramm)

Der ungarische Staat erklärt also per Gesetz im Ausland lebende ‚Ungarn‘ – d.h. Staatsbürger anderer Nationen – zum Teil der ungarischen Nation. Und nimmt man seinen Ministerpräsidenten beim Wort,[1] so verdankt sich dieser Rechtsakt dem Umstand, dass sich in Ungarn die Regierung ihre heiligsten nationalen Pflichten von Ausländern diktieren lässt:

„Das ungarische Parlament hat darüber abgestimmt, die wirkliche Entscheidung hat aber die Ständige Ungarische Konferenz gefällt: Die gewählten Führer der jenseits der Grenzen in sechs Nachbarländern lebenden Ungarn wollten dieses Gesetz.“ (Interview der SZ mit Viktor Orban, 3.11.01)

Die ungarische Staatsführung beruft sich in ihrer Beschlussfassung auf die Geschichte sowie auf die völkische Natur der betreffenden Bevölkerungsgruppen: Weil deren Vorfahren in längst vergangenen Zeiten, vor dem Ersten Weltkrieg, zu einem damals geographisch ausgreifenderen ungarischen Staatswesen gehört haben, seien deren heutige Nachfahren Ungarn. Die Zugehörigkeit zur ungarischen Nation definiert sich demzufolge als erbliche Natureigenschaft von deren Menschenmaterial; wobei es gar nicht darauf ankommt, ob an dem auch nur irgendetwas Ungarisches zu entdecken ist. Ob diese ‚Auslandsungarn‘ in der 5. oder 7. Generation überhaupt noch der ungarischen Sprache mächtig sind, ob sie wissen, wo Budapest liegt, ob und in wieweit sie sich Ungarn überhaupt zurechnen – über all das ist der ungarische Staat in seinem National-Rassismus selbstverständlich erhaben; und schon gleich macht er davon nicht seine Ungarn-Politik abhängig, die er mit diesem Rassismus begründet.

Mit dem beauftragt er sich vielmehr dazu, an ‚seinen‘ Auslandsungarn die Merkmale einer Zugehörigkeit zu Ungarn – Sprache, Kultur, eine entsprechende Politisierung etc. – überhaupt erst auszubilden. Insofern bleibt auch hier die richtige Reihenfolge gewahrt: Ungarisch sind diese Staatsangehörigen fremder Nationen dadurch, dass der ungarische Staat sie sich zurechnet, nicht umgekehrt. Und bei der bloßen Zurechnung belässt er es keineswegs. In ziemlich großem Stil betreibt er eine Volkstums-Politik mit dem Ziel, in diversen Nachbarstaaten – vor allem in Rumänien, der Slowakei und in Jugoslawien – ungarische Landsmannschaften aufzustellen. Mittels einer bereits 1992 extra dazu ins Leben gerufenen Regierungsbehörde organisiert er ‚seine‘ Auslandsungarn in Ungarnverbänden, deren Repräsentanten er 1999 in einer ständigen Konferenz staatsübergreifend zusammenfasst. Ihre Mitglieder stattet er – dies ist der Kern seines Statusgesetzes – mit einem Ungarnausweis aus, der sie zu einer Reihe von „Vergünstigungen“ berechtigt, welche sich alle dem Prinzip verdanken, dass sie ihren Dienst an der ungarischen Nation am besten erfüllen, wenn sie 1. bleiben, wo sie sind, dort aber 2. sich als das betätigen, was sie für Ungarn sein sollen: als Ungarn. Den Ungarnausweis bekommt deswegen laut Statusgesetz, wer keine ungarische Staatsbürgerschaft besitzt, sich aber zur ungarischen Nationalität bekennt. Eine Arbeitserlaubnis in Ungarn wird für 3 Monate im Jahr erteilt; es werden Sozialabgaben erhoben, aus denen ein Anspruch auf medizinische Versorgung und Rente erwächst. Ungarn verbindet auf diese Weise – kleiner nützlicher Nebeneffekt – die Deckung seines Bedarfs an Saisonarbeitern mit der politisch beabsichtigten Hauptsache: der Pflege der Loyalität der Auslandsungarn gegenüber dem ungarischen Staat. Auch wer nicht in Ungarn arbeitet, soll seiner eigentlichen Heimat verbunden bleiben und erhält beim Aufenthalt in derselben deswegen eine kostenlose medizinische Versorgung und eine Preisermäßigung bei den Massenverkehrsmitteln. Selbstverständlich lässt sich Ungarn auch die Pflege von Sprache und Kultur in den Nachbarländern einiges kosten; von der Lehrerausbildung für den ‚muttersprachlichen‘ Unterricht bis zu Prämien für Eltern, die ihre Kinder in diesen Unterricht schicken, ist da alles im Programm. Studenten können zwei Semester an ungarischen Hochschulen studieren und erhalten dafür ein Stipendium; ein Vollstudium in Ungarn aber wird ihnen nicht genehmigt, schließlich sollen sie sich ja nicht in Ungarn einnisten, sondern werden in den Ländern, aus denen sie herkommen, als ungarisch gebildete Elite gebraucht; nicht zuletzt in den Führungsposten der ungarischen Gemeinden und der ungarischen Parteien, die sich dort kräftig in die Politik einmischen. Was das alles soll, erläutert Zsolt Németh, Staatssekretär im Außenministerium, so: Ziel sei es, die weitere Assimilation aufzuhalten … eine Doppelidentität zu entwickeln. (Deutsche Welle, 2.5.01)

Mit seiner Pflege des Ungarntums im Ausland widerlegt der ungarische Staat freilich praktisch das Auftragsverhältnis, in das er sich mit seinem National-Rassismus zu ‚seinen‘ Auslandsungarn setzt. Praktisch geht er eben gerade nicht davon aus, dass diese ihre ungarische Nationalität als unveräußerliche natürliche Eigenschaft mit sich herumtragen, sondern vom Gegenteil: dass von dieser Nationalität nur soviel vorhanden ist, wie er dafür tut, sie herzustellen und am Leben zu erhalten. Das Ungarntum in seinen Nachbarstaaten ist sein Werk. Er will es dort haben – fragt sich nur, warum. Oder anders gefragt: Was hat dieser Staat eigentlich davon, wenn er in diesen Staaten Mannschaften hat, die nichts besseres zu tun haben, als sich ihm zuzurechnen?

Erst einmal dies: Mannschaften, die gegenüber den Obrigkeiten, denen sie unterstehen, auf ihre Weise anspruchsvoll werden; nämlich vor allem den dringenden Wunsch hegen, ihre Identität in der Form der Autonomie ihrer Gemeinden zu bewahren, also in allen möglichen Hinsichten Minderheitenrechte einklagen und dies auch gleich in der Form politischer Parteien tun, die mit dem Anspruch auf Mitsprache in Sachen Gebrauch der politischen Macht in diesen Staaten auftreten – und die sich dafür auf die Regierung in Budapest als ihre Schutzmacht beziehen.

Mit seiner Ungarn-Politik eröffnet der ungarische Staat also erstens jenseits aller sonstigen ökonomischen und politischen Beziehungen, die er mit diesen Staaten unterhält, ein Konkurrenzverhältnis zu ihnen; und zwar auf dem Feld der obrigkeitlichen Zuständigkeit für einen Teil ihrer Staatsbürger. Und zweitens schafft er sich mit dieser Politik gleichzeitig in seinen auswärts ansässigen Landsmannschaften das Mittel, sich und seinen Ansprüchen in diesem Konkurrenzverhältnis Gehör zu verschaffen. Den betreffenden Staaten tritt er nun ja nicht mehr nur mit einem verstaubten historischen Recht gegenüber, das er sich irgendwo in sein Gesetz geschrieben hat; das läuft in diesen Staaten vielmehr ziemlich lebendig in Gestalt einer von ihm politisch organisierten Mannschaft herum, die aus ihrem eigenen ungarisch-nationalistischen Antrieb heraus tätig wird und Druck macht.

Auf den bezieht sich dann Ungarn im diplomatischen Verkehr mit diesen Staaten; nach dem Motto: Da gibt es doch etwas zu regeln zwischen uns. Der gemeinsame Regelungsbedarf, den Ungarn seinen Nachbarn gegenüber anmeldet, hat nichts Geringeres zum Inhalt als seine Mitzuständigkeit für deren hoheitliche Belange. Also schließt auch die Anerkennung dieses Regelungsbedarfs die Anerkennung einer solchen Mitzuständigkeit ein. Die soll Ungarn ‚größer‘ machen als es ist. Denn je mehr es ihm gelingt, sie durchzusetzen, desto mehr erstreckt sich seine Hoheit ja tatsächlich auch auf seine Nachbarländer. Darauf legt es Ungarn mit seiner Volkstums-Politik an – und übt gleichzeitig formellen Respekt vor den bestehenden Staatsgrenzen, die im Grunde die ungarische Nation zerstückeln, denn am förmlichen geographischen Besitzstand der bestehenden Staaten darf derzeit im Rahmen der neuen EU-Rechtsordnung nicht gerüttelt werden; das sieht man auch in Budapest ein.

Von daher wird dann auch klar, was es heißt, dass sich Ungarn in die EU als ein Staat von mehr ‚Gewicht‘ einbringen will. In der will es als Regionalmacht eigener Art, die diverse Staaten in ihrem Umfeld in spezieller Weise auf sich verpflichten und für diese dann auch ein Stück weit mitsprechen kann, sich und seinen Anliegen mehr Respekt verschaffen können. Auch eine kleine Nation wie Ungarn hat eben ihr Bedürfnis am Kräfteverhältnis zu drehen. Und wenn es im Verhältnis zu den mächtigeren Euro-Nationen den minderen Status eines Landes zugewiesen bekommt, das sich unterzuordnen hat, so heißt dies für Ungarn – so, wie die Dinge im zusammenwachsenden Europa liegen – dass es seine Anstrengungen zur Verbesserung des nationalen Status auf das Verhältnis zu Staaten von noch geringerer Statur zu richten hat.

2.

Im Verhältnis zu denen, nämlich zu Staaten, die in Brüssel schlechtere Karten haben, meint es sich Ungarn – als ‚Musterschüler‘ in Sachen Erfüllung der Beitrittskriterien – leisten zu können, ihnen gegenüber auf die Durchsetzung seiner Ansprüche zu dringen. Im Hinblick auf seine bevorstehende Zulassung zur EU und seinen Status als Nato-Mitglied kalkuliert es mit wohlwollender Rückendeckung für seine nationalen Anliegen von Seiten Brüssels. Zum Ausdruck bringt das die ungarische Regierung in ihrem Programm in der selbstverständlich auch von ihr längst beherrschten europäischen Gemeinschafts-Phraseologie:

„Die Europäische Einigung wird nicht nur die regionale Sicherheit und Zusammenarbeit stärken, sondern bietet auch eine Gelegenheit für Fortschritte bei der Regelung der Lebensbedingungen für ethnische Ungarn in benachbarten Staaten.“

Ungarn testet da regelrecht aus, wie weit es gehen kann mit seiner Volkstumspolitik; wie weit diese gedeckt wird durch eine EU, die von ihren Beitrittskandidaten verlangt, dass sie ihre Minderheitenprobleme vor ihrem Beitritt zu ‚lösen‘ haben – kurz: wie weit es von Brüssel seinen diplomatischen Standpunkt anerkannt bekommt, dass die lieben Nachbarn mit der Nichtanerkennung ungarischer Ansprüche für die Fortexistenz dieser Probleme verantwortlich sind. Und Ungarn setzt nicht ohne Grund auf europäische Unterstützung: Schließlich hat die EU von den betreffenden Staaten schon diverse Male die politische Berücksichtigung der Ungarn-Verbände als Lösung der Minderheitenfrage angemahnt. Das ist der eine Bezug auf die EU, den Ungarn nimmt.

Der andere besteht darin, dass im erweiterten Europa – jedenfalls solange die Slowakei und Rumänien noch nicht in der EU sind, – eine Schengen-Grenze Ungarn von diesen Nachbarn trennt und es so seinen Zugriff auf die Auslandsungarn und damit seine Tour, seine Hoheit grenzüberschreitend auszuüben, gefährdet sieht.

Aus beidem zusammen ergibt sich für Ungarn die Dringlichkeit seines Handlungsbedarfs. Entsprechend intransigent tritt es gegenüber seinen Nachbarstaaten auf und bringt sogar die Idee ins Gespräch, den Minderheitenungarn eine Art Ausländerstaatsbürgerschaft zu verleihen und einen ungarischen Pass auszuhändigen, um dadurch auch das Problem der Visapflicht nach der ungarischen EU-Aufnahme zu umgehen. (Deutsche Welle, 2.5.01)

3.

Spätestens damit sorgt Ungarn bei den lieben Nachbarstaaten für die allergrößte Aufregung. Schließlich untergräbt es mit seiner Volkstums-Politik die Loyalität ihrer Bürger ihnen gegenüber und missachtet in gröbster Weise ihre Souveränität. Der Anspruch Ungarns, dass es als Nation größer ist als der ungarische Staat, heißt für die betroffenen Nachbarstaaten ja nichts anderes, als dass sie als Nationen dann entsprechend kleiner sind. Vor allem Rumänien und die Slowakei mit ihren großen ungarischen Minderheiten sehen sich massiv angegriffen.

Mit der zugreifenden Art, mit der sich Ungarn die ungarischen Minderheiten in diesen Ländern als so etwas wie seine fünfte Kolonne organisiert, stachelt es natürlich dort den Nationalismus richtig an. So werden in der Slowakei Befürchtungen über ein ‚Groß-Ungarn‘ laut, und der Shooting-Star der Opposition, ein Mann namens Fico, malt im Wahlkampf bereits das Schreckgespenst ungarischer Verfügungsgewalt über die Trinkwasservorräte, die Getreideproduktion und die Energieversorgung in der Südslowakei an die Wand. (FAZ, 1.12.01) Die Sorgen slowakischer Nationalisten sind natürlich alle lächerlich aus der Sicht der FAZ-Redaktion, die es nicht leiden kann, wenn ein Politiker von der Opposition mit ihnen Punkte macht; die FAZ hält nämlich momentan der derzeitigen slowakischen Regierung die Stange, die wenigstens den in Europa wg. zuviel Eigenmächtigkeit in Ungnade gefallenen Meciar von der Regierungsgewalt fernhält. Aber dass es ungefähr dieselben Sorgen sind, welche die Regierung plagen und zum Handeln bewegen, das weiß ihre Zeitung bei nächster Gelegenheit schon auch zu berichten:

„Die KDH (die christdemokratische Partei in der Regierungskoalition) … will die ungarischen Kulturvereine in der Slowakei mit Enteignung und Verbot bestrafen, weil sie Angehörigen der Minderheit die im ungarischen ‚Statusgesetz‘ vorgesehenen ‚Ungarnausweise‘ ausstellen.“ (FAZ, 12.2.02)

Das aber geht gar nicht so einfach. Denn zum einen rechnet der slowakische Ministerpräsident Dzurinda damit, dass eine Eskalation des Konflikts mit der ungarischen Minderheit den Weg der Slowakei in die Nato und in die EU verbauen würde. (FAZ, 12.2.) Und damit wäre der ganze Erfolgsweg, auf dem er mit seiner Nation vorankommen will und für den er sie zurechtmacht, im Eimer; damit, dass die EU sich dafür hergibt, zu Gunsten der Slowakei Ungarn in die Schranken zu weisen, rechnet er jedenfalls nicht. Zum anderen braucht Dzurinda für seinen Weg nach Europa die ‚Partei der Ungarischen Koalition‘ als Regierungspartner und duldet deshalb, dass führende Mitglieder dieser Partei sich selbst Ungarnausweise ausstellen lassen. Denn wenn seine Regierungskoalition platzt, droht nicht nur ihm der Machtverlust, sondern ein Wahlsieg Meciars, unter dessen Regierung die EU das Land schon einmal jahrelang für nicht beitrittsfähig befunden hat. So sind die Drangsale einer Nation beschaffen, die in die EU unbedingt hineinwill, sich aber das Kräfteverhältnis in der EU und unter den Beitrittskandidaten nicht zunutze machen kann. Dzurinda sieht sich daher einerseits zu Verhandlungen mit Ungarn genötigt; andererseits kann sich seine Regierung den ungarischen Angriff auf die slowakische Souveränität nicht bieten lassen:

„Am Mittwoch nahm das slowakische Parlament mit deutlicher Mehrheit eine Erklärung an, in der das Gesetz (das Statusgesetz) als Verstoß gegen die Grundsätze gutnachbarlicher Beziehungen und als potentielle Gefahr für die regionale Stabilität kritisiert wird – Gegenstimmen gab es nur von den Vertretern der ungarischen Minderheit im Parlament.“ (FAZ, 9.2.)

Woraufhin Ungarn prompt eskaliert, die Forderung nach Aufhebung der Beneš-Dekrete gegen die Slowakei als ehemals tschechoslowakischen Staatsteil aufbringt und mit einem Veto gegen den Nato-Beitritt der Slowakei droht für den Fall, dass die sich nicht in dieser Form dazu bekennt, dass sie gegenüber Ungarn noch in ganz anderer Weise in der Schuld steht.

Was Rumänien anbelangt, so untergräbt die ungarische Volkstums-Politik die staatliche Souveränität in diesem Land. So erfährt man z.B. von einem Bericht des rumänischen Nachrichtendienstes, wonach der Staat seine Autorität in den mehrheitlich von Ungarn bewohnten Landkreisen Harghita und Covasna verloren hat. (NZZ, 29.11.01) Des weiteren wird auch von einer weit fortgeschrittenen nationalen Verunsicherung des grenznahen Arbeitsvolks berichtet: Die Belegschaft einer in Schwierigkeiten steckenden staatlichen Ölraffinerie in der Ortschaft Suplacu de Barcau drohte der Regierung damit, sie werde nach Ungarn ziehen, dort um den vom Statusgesetz vorgesehenen Ungarn-Ausweis nachsuchen und im Nachbarland bleiben. (NZZ, 30.7.01)

Auch in diesem Land stacheln solche Erfolge ungarischer Volkstums-Politik den Nationalismus an. So hat bei den letzten Wahlen ein hierzulande als ‚rechtsextremer Populist‘ bekanntgemachter Mann namens Tudor u.a. mit dem Thema ‚ungarische Minderheit‘ so viele Stimmen auf sich versammeln können, dass die politische Linie des EU-Beitritts nur mehr von einer Minderheitsregierung aufrechterhalten werden kann, die sich nur mit den Stimmen des Ungarnverbandes über Wasser hält. In dieser Lage verlangt Premierminister Nastase von Ungarn eine Erklärung, dass es den Trianon-Vertrag von 1920, der den Grenzverlauf festlegt, nicht in Frage zu stellen gedenkt, er droht mit Gegenmaßnahmen und wendet sich an die EU mit dem Antrag, es möge auf Ungarn bremsend einwirken.

4.

„Auf Drängen Rumäniens hat sich eine Kommission des Europarates mit dem umstrittenen ‚Statusgesetz‘ Ungarns für dessen Minderheiten im Ausland beschäftigt… Die Kommission kommt zum Schluß, daß Budapests Bestrebungen zur Förderung der im Ausland lebenden Magyaren den europäischen Normen grundsätzlich entsprächen. Doch wurde zugleich eingeschränkt, daß die von Ungarn ins Auge gefaßten Zuwendungen nur im Kultur- und Bildungsbereich erfolgen dürften.
Quasi-amtliche Einrichtungen, die der ungarische Staat in den Nachbarländern ursprünglich zur Kanalisierung der Zuschüsse vorgesehen habe, liefen der Souveränität dieser Länder zuwider. Schließlich ließ die Kommission keinen Zweifel daran, daß der Minderheitenschutz in erster Linie im Verantwortungsbereich jener Länder liege, auf deren Gebiet die Minderheiten lebten.“ (Print-Presse, 27.10.01)

Als über den streitenden Parteien stehende Instanz entscheidet die EU also, was diesen zusteht bzw. was sie sich von der anderen Seite bieten zu lassen haben. Ihre Entscheidung richtet sie an den europäischen Normen aus, die den Staaten einerseits einen Minderheitenschutz abverlangen, sie andererseits auf die wechselseitige Anerkennung ihrer Souveränität verpflichten; wobei ersteres „in erster Linie“ in den Hoheitsbereich des Staates fällt, der diese Minderheiten beheimatet, so dass nur noch die Frage zu entscheiden bleibt, wo das berechtigte Interesse des Staates, der sich dann in zweiter Linie für die Pflege seiner Minderheiten im Ausland zuständig erklärt, anfängt und wo die von ihm zu respektierende Souveränität der betreffenden anderen Staaten aufhört.

In die Entscheidung dieser schwierigen Frage geht das Kräfteverhältnis letztlich dann doch in recht übersichtlicher Weise ein. Zur ganzen Wahrheit gehört nämlich, wie die Neue Zürcher Zeitung zu berichten weiß, dass die Europäische Union zuvor schon im österreichischen Fall Bedenken gegen das ungarische Vorgehen angemeldet hatte: Die unterschiedliche Behandlung von Staatsangehörigen eines EU-Landes sei nicht zulässig. (NZZ, 10.1.) Woraufhin Ungarn von vornherein darauf verzichtet hat, Österreich in die Liste der Nachbarstaaten aufzunehmen, auf die sich sein Statusgesetz bezieht. Ebenfalls zuvor schon hatte Ungarn seine ursprüngliche Idee fallengelassen, den Staatsbürgern seiner Nachbarstaaten, die es als die seinen betrachtet, gleich einen ungarischen Pass auszuhändigen. Neben dem verständlichen Widerstand der Nachbarländer, der Ungarn von der Idee ja nicht abbringen konnte, fand man nämlich die Idee auch in Brüssel inakzeptabel. (Deutsche Welle, 2.5.) Daher die Idee mit dem Ungarnausweis für die fremden Staatsangehörigen mit ungarischer Abstammung.

Gegen die interveniert nun also ein Staat wie Rumänien bei der EU und erhält folgenden Bescheid: Seine Souveränität ist einfach nicht so viel wert, als dass die EU in dem Streit, den es mit Ungarn hat, nicht erst einmal Ungarn grundsätzlich Recht geben müsste in seinen Bestrebungen zur Förderung der im Ausland lebenden Magyaren. Andererseits wird Ungarn zu einigen Modifikationen in seinem Gesetz angehalten, die Rumänien jederzeit als Respektierung seiner Hoheitsrechte auffassen kann. Welche das sind, das geht aus der ungarisch-rumänischen Konsenserklärung hervor, die ganz auf der Linie dieses Schiedsspruches liegt:

„Laut der im Zusammenhang mit dem Vergünstigungsgesetz unterzeichneten ungarisch-rumänischen Konsenserklärung genießen alle rumänischen Staatsbürger, ungeachtet ihrer Abstammung, auf Grund der in Ungarn gültigen Arbeitserlaubnis die gleichen Bedingungen und die gleiche Behandlung beim Eingehen von Arbeitsverhältnissen. … Die Erteilung der Ausweise … wird in erster Linie auf dem Gebiet der Republik Ungarn, in den Verwaltungsämtern und im Büro des Innenministeriums, sowie über die ungarischen diplomatischen Vertretungen abgewickelt. Die ungarischen Empfehlungsorganisationen oder sonstige Organisationen auf dem Gebiet Rumäniens erteilen keine Empfehlungen, die in Bezug zur ethnischen Herkunft oder sonstigen Bedingungen stehen. Diese Organe bzw. sonstige Organisationen auf dem Gebiet Rumäniens dürfen nur – bei Fehlen sonstiger Bestätigungsurkunden – rechtlich unverbindliche Informationen liefern. Der Ungarausweis beinhaltet nur die notwendigsten Personalien und die Bestätigung des Anspruchs auf die gesetzlichen Vorteile, nicht jedoch Hinweise auf Herkunft oder nationale Identität.“ (Homepage der ungarischen Botschaft in der Schweiz, 25.1.)

Ungarn stellt also mit dem Segen Brüssels und mit der Billigung Rumäniens, dem nichts anderes übrig bleibt, seine Ungarnausweise aus. Es richtet auf die weise Beschlussfassung Brüssels hin dazu aber in Rumänien nicht gleich quasi-amtliche Einrichtungen ein, sondern beschränkt sich auf die amtlichen Einrichtungen, die es in Ungarn und in Rumänien unterhält. In diesen Ausweisen, die es an Ausländer ungarischer Abstammung aushändigt, verzichtet es des weiteren auf jeden diskriminierenden Hinweis auf die nationale Abstammung oder die nationale Identität. Seine Ungarnverbände, die beraten, wie man an so einen Ausweis kommt, tun dies natürlich ebenfalls ohne jeden Bezug zur ethnischen Herkunft. Außerdem sorgt es dafür, dass der Ausweis in einer Form in Umlauf kommt, in der er nicht arbeitsrechtlichen Bestimmungen der EU widerspricht. Und das ist es ja auch letztlich, was die europäische Völkerverständigung voranbringt.

[1] Die Rede ist vom Ministerpräsidenten der mittlerweile abgewählten, alten Regierung, die seinerzeit im Wahlkampf von der Opposition u.a. der Nachgiebigkeit in Sachen Statusgesetz gegenüber der EU und damit des Verrats an der nationalen Sache bezichtigt worden ist.