Der Wirtschaftskrieg gegen Russland kommt in Deutschland an
Der Wirtschaftskrieg, den der Westen gegen Russland führt, zeigt Wirkung. Nicht bloß in Russland, sondern weltweit; auch bei den Protagonisten des gerechten Kampfes gegen das Böse; auch in Deutschland. Sie treten aber nicht einfach von selbst ein, die Wirkungen. Sondern stets, Punkt für Punkt, vom Staat gestaltet, zurechtgemacht, gerne in Form von Entlastungspaketen dem Volk verabreicht.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- Der Auftakt: 100 neue Milliarden für die Bundeswehr
- Eine mit Tankrabatt & 9-Euro-Ticket verabreichte Verteuerung der Mobilität
- Gasumlage, Energieknappheit und andere Gerechtigkeitsprobleme
- Der Wirtschaftskrieg bringt das staatliche Management des Widerspruchs zwischen dem privaten Geschäft mit Gas und der Gasversorgung der Gesellschaft durcheinander. Deutschland steckt in einer Gaskrise
- Der Staat nimmt die Wirtschaft in die Pflicht – mit Fördern und Fordern
- Der Endverbraucher wird für den Wirtschaftskrieg in die Pflicht genommen: Zahlen und Sparen
- Der Kollateralnutzen des Wirtschaftskriegs für Klimaschutz und Energiewende
- Allgemeine Teuerung und die längst entschiedene Frage, wen sie wie trifft
Der Wirtschaftskrieg gegen Russland kommt in Deutschland an
Der Wirtschaftskrieg, den der Westen gegen Russland führt, zeigt Wirkung. Nicht bloß in Russland, sondern weltweit; auch bei den Protagonisten des gerechten Kampfes gegen das Böse; auch in Deutschland. Sie treten aber nicht einfach von selbst ein, die Wirkungen. Sondern stets, Punkt für Punkt, vom Staat gestaltet, zurechtgemacht, gerne in Form von Entlastungspaketen dem Volk verabreicht.
Der Auftakt: 100 neue Milliarden für die Bundeswehr
Der erste Akt, der dramatische Eröffnungszug, hat mit dem ökonomischen Kampf gegen den strategischen Partner von vorgestern unmittelbar nichts zu tun: 100 Milliarden Euro Sondervermögen auf Pump für die Bundeswehr stehen erst einmal für den Beschluss, die militärische Bekämpfung der russischen Macht in der Ukraine in ihre dauerhafte Bedrohung durch die NATO an der entsprechend aufgerüsteten europäischen Front zu überführen. Die forsche Ankündigung, dass dieser strategische Aufbau Deutschland mal auf alle Fälle 1011 € wert ist, die Ankündigung allein schon, tut zugleich an der anderen Front ihre Wirkung. Nämlich als entscheidende Maßgabe für alles, was dann wirtschaftspolitisch folgt. Mit der Ankündigung ergeht an alle Geldbesitzer und Kreditschöpfer, die mit Staatspapieren spekulieren, nicht bloß das schöne Versprechen, dass sie sich in beträchtlichem Umfang an den Kosten des deutschen Rüstungsbedarfs werden bereichern können. Die runde Summe kriegsbedingter zusätzlicher Schulden, bewusst locker und mit größter Selbstverständlichkeit virtuell in Umlauf gebracht, steht für die unbezweifelbare Macht der nationalen Standortverwaltung, überhaupt allen Anforderungen an ihre Zahlungsfähigkeit gewachsen zu sein, die mit der großen Zeitenwende auf sie zukommen dürften. Am Geld scheitert nichts, was die Regierung nötig findet, um mit Russland, inklusive der eigenen Abhängigkeit von dessen Rohstoffen und Märkten, fertigzuwerden. Kredit wird geschaffen, „whatever it takes“ – und er bleibt solide: Das ist die Botschaft. Deren Adressat sind nicht bloß die Spekulanten, die immerzu ihr Portfolio gewinnbringend und sicherheitsbewusst umsortieren. Das ist das Kreditgewerbe insgesamt, das mit seinem Geschäftsinteresse an Euro-Staatsschulden – vor allem solchen aus deutscher Quelle – Europas Staatshaushalte finanziert und dem Euro seinen Wert bestätigt. Die locker in die Welt gesetzten 100 Milliarden wirken für dieses Gewerbe als Rückversicherung, dass es mit der Schöpfung und Vermarktung von Euro-Kredit überhaupt nichts falsch machen kann.
Bei der kreditbedürftigen Geschäftswelt der Warenproduzenten und Händler kommt das an als eine Zusicherung, die allen absehbaren Konsequenzen des Wirtschaftskriegs für ihre Produktionskosten und ihre Warenpreise gewissermaßen vorausläuft: als die Zusage, dass die Wirtschaft in den schweren Zeiten, die unweigerlich auf sie zukommen, auf alle Fälle liquide bleiben wird. Im Klartext: Wer kreditwürdig ist, wird auch explodierende Preise, sofern sie sich für sein Geschäft lohnen, zahlen können und in seinesgleichen weiterhin auch dann zahlungsfähige Kunden finden, wenn er Preissteigerungen weiterwälzt; und das vermehrt verdiente Geld mag zwar quantitativ an Zahlungskraft verlieren, behält aber seine durchs Finanzgewerbe beglaubigte Premiumqualität.
Dass ein großer zahlungsunfähiger Rest übrig bleiben wird, ist nicht zu vermeiden und ein Schaden für die Wirtschaft. Den hat der Staat nun zu managen. Zuerst einmal hat die Regierung mit ihrer Kreditmacht die nötige Vorsorge dafür geschaffen, dass die mit dem Wirtschaftskrieg gegen Russland programmierten schweren Zeiten marktwirtschaftlich korrekt stattfinden können. Nämlich als spezielle und allgemeinere Teuerungswelle, die sich dann, wiederum mit den Mitteln des schuldenfinanzierten Staatshaushalts, sachgerecht und konstruktiv und Schritt für Schritt weiterverarbeiten lässt.
So kommt es dann auch.
*
Eine mit Tankrabatt & 9-Euro-Ticket verabreichte Verteuerung der Mobilität
Unangenehm fühlbar für die Nation wird die Ansage der
deutschen bzw. westlichen Führer, den bedeutenden
Energielieferanten Russland vom Weltenergiemarkt
auszuschließen, zuerst und unmittelbar am
Ölpreis. Noch Monate bevor die
EU überhaupt ein Ölembargo gegen Russland verhängt,
machen die westlichen ‚Big Five‘ der europäischen
Ölversorgung das Ihre aus dieser feindlichen Ansage. Sie
nehmen sie beim Wort, als verbindlichen, unumstößlichen
Beschluss ihrer politischen Führer, dass Geschäfte mit
russischem Kapital in Zukunft Geschäfte mit dem
Feind sind, und ziehen von sich aus und im
Interesse ihres Weltgeschäfts mit dem Öl die
Konsequenzen: Als bisherige Großabnehmer russischen Öls
meiden sie jetzt Rosneft und Co, kappen ihre
Kooperationen mit den russischen Konzernen und sorgen so
für eine Verknappung des Rohölangebots im Verhältnis zur
Nachfrage nach dem Schmierstoff der
kapitalistischen Ökonomie, dem universalen Ausgangsstoff
nicht nur, aber auch zum Betreiben von 40 bis 50
Millionen Kraftfahrzeugen in der Republik. Die von ihnen
hergestellte neue Lage münzen die maßgeblichen Subjekte
des Rohöl- und Raffineriemarktes marktwirtschaftlich
sachgerecht um: Die Konzerne selbst und die Spekulanten
an den Termin- und Spotmärkten nützen ihre
monopolistische Macht über den Markt, um den Preis für
Rohöl und seine raffinierten Endprodukte auf einen Schlag
um etwa 40 % über die Rekordstände vom Herbst ’21 zu
erhöhen. Der schöne Ertrag zu Beginn des
Wirtschaftskriegs, jedenfalls für sie: Sie maximieren
ihre Profite und den ‚value‘ ihrer ‚shareholder‘. Für den
Rest der tankenden Nation macht sich das als ein
unmittelbar wirksamer Kostenschub geltend, mit dem der
auch nach amtlicher Auskunft nicht gut fertigwird: Ob
an der Zapfsäule oder bei der Heizkostenabrechnung: Die
steigenden Preise, vor allem im Energiebereich, treffen
viele Menschen hart.
(bundesregierung.de) Kein Wunder:
Schließlich haben ganze Politikergenerationen der BRD mit
dem kapitalistischen Geschäft mit der Individualmobilität
Standortpolitik betrieben, sodass die Republik von der
Nordsee bis zu den Alpen auf Produktion, Vermarktung und
Gebrauch der Ware ‚Automobil‘ ausgerichtet, in die
sprichwörtliche ‚Auto-Nation‘ verwandelt worden ist.
Dabei haben sie ihrem Volk sehr erfolgreich beigebracht,
dass die standortnützliche Erledigung seines
Mobilitätsbedarfs – weniger prosaisch und mehr
demokratiephilosophisch betrachtet – sein Recht auf
„freie Fahrt für freie Bürger“ verwirklicht. Wie es um
ihre Freiheit steht, lesen Autofahrer unter tatkräftiger
Unterstützung ihres Clubs sehr akribisch am Stand der
Spritpreise ab. Ein abrupter Anstieg auf einen Preis
deutlich über zwei Euro ist da ein ziemlicher Anschlag
aufs Gemüt. Die Notwendigkeiten des privaten
Lebenskampfes in Millionen deutschen Haushalten – das
Pendeln zwischen Arbeitsstätte, Kita & Schule,
Supermarkt, Urlaub & Freizeit – können eben nur
abgewickelt werden, wenn der Tank voll ist, sodass dieser
Preis mit der notorischen 9 hinter dem Komma mehr als
jeder andere die Kosten der Freiheit ausdrückt.
Weil das auch in den heraufziehenden schweren Zeiten so bleiben soll und muss, nimmt sich die Regierung des ‚Problems‘ der Preise für Benzin und Heizöl an, die das Volk bezahlen muss, in beachtlichen Teilen aber nicht kann. Neben 300 Euro Energiegeld für Erwerbstätige gewährt sie ihrem Volk von Autofahrern eine Erhöhung der Fernpendlerpauschale und – auf Drängen der Freiheitspartei, die sich damit in Szene setzt – einen Tankrabatt für drei Monate.
Mit dem verzichtet der Staat den Sommer über auf einen Teil der Energiesteuer – mit der Zielsetzung, die Ölkonzerne, die diese Steuer abführen, möchten ihre Kostenersparnis an die tankenden Bürger weiterreichen und das Autofahren wieder billiger machen. Vom Standpunkt der FDP aus ist das der einzig richtige Weg zu ‚fairen Spritpreisen‘. Da es so der Entscheidung des privaten Energiekapitals überlassen wird, ob die drei bis vier Milliarden aus dem Staatshaushalt für die Pflege der Kundschaft und den guten Ruf der Konzerne ausgegeben oder lieber gleich zugunsten der eigenen Rendite einbehalten werden, entscheiden die sich natürlich im Sinne ihrer Pflicht gegenüber ihren Shareholdern. Letzteres ist zwar nicht im Sinne der Autofahrerpartei; als Freiheitspartei will sie das freilich nicht beanstanden.
Wirksame Kritik kommt aus der anderen, der grünen Ecke: Die Partei, die den Energienotstand durch den Wirtschaftskrieg als Booster ihrer Klimarettung schätzt und umgekehrt die Wende zu erneuerbaren Energien sowie alle Formen der Energieeinsparung als Befreiungsschläge der Republik aus ihrer Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen propagiert, kann der sozial schädlichen Preisexplosion beim Benzin immer auch das wünschenswerte marktwirtschaftliche „Preissignal“, nämlich den Geld-induzierten Zwang zum Sparen abgewinnen. Die subventionierte Verbilligung von Benzin gilt ihr als Anti-Anreiz, das Auto stehen zu lassen und von den dicken SUVs wegzukommen. Als Partei, die immerhin auch an der Macht ist, besteht sie darauf, dass, wenn der Koalitionspartner seine falsche Hilfs- und Anreizpolitik durchsetzen kann, sie ihre richtige für eine grüne Verkehrswende im Kabinett auch genehmigt bekommt. Dem Tankrabatt stellen die Grünen ihr 9-Euro-Ticket entgegen, das nicht nur den Leuten, die sich ein Auto nicht leisten können, sondern allen eine superbillige Alltagsmobilität spendiert. Mit den Milliarden, die der Bundeshaushalt dafür zur Verfügung stellt, sollen die Bürger einmal ohne Auto, dafür in überstrapazierten öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B kommen, jedenfalls einen Sommer lang. So können sie im Arbeitsalltag und in der Freizeit Geld sparen und dabei sowohl einen Beitrag zur Klimarettung als auch zum Kampf gegen Putin leisten. Eine so schöne Gelegenheit, die finanziellen Nöte des Volkes mit dem Wirtschaftskrieg dafür zu nutzen, es in Sachen klimafreundlicher Mobilität ein bisschen umzuerziehen, ohne von der politischen Konkurrenz gleich wieder den Vorwurf zu kassieren, den Menschen Verzicht zu predigen und sie zu bevormunden, lassen sich die Grünen nicht entgehen.
*
Gasumlage, Energieknappheit und andere Gerechtigkeitsprobleme
Der Wirtschaftskrieg bringt das staatliche Management des
Widerspruchs zwischen dem privaten Geschäft mit Gas und
der Gasversorgung der Gesellschaft durcheinander.
Deutschland steckt in einer Gaskrise
Der Beschluss, immer weniger russisches Gas einzukaufen, vor allem aber der russische Gegenschlag, selbst immer weniger davon nach Deutschland zu liefern, stellt die Kombination aus Marktwirtschaft und Planwirtschaft, die diesen Sektor der nationalen Ökonomie auszeichnet, vor einzigartige Herausforderungen. Immer schon greift der Staat in diesen Sektor mit einer doppelten Zielsetzung ein: Erstens muss die materielle Versorgung mit diesem Stoff sichergestellt werden – als Produktionsfaktor der Wirtschaft und als Konsumgut von Privatleuten fürs Heizen und Kochen. Die stoffliche Versorgung soll zweitens zu Preisen abgewickelt werden, die die Konkurrenzfähigkeit deutscher Kapitale im Weltvergleich sichern und dafür taugliche deutsche Löhne nicht überfordern. Das doppelte Ziel von materieller Versorgung des Standorts zu rentablen Preisen zu verwirklichen, überlässt der Staat privaten Energiehändlern und -importeuren, die damit drittens ihr Geschäft machen sollen. Für die ist die Versorgung der Gesellschaft mit Gas eine Gelegenheit, ihren Reichtum zu mehren, andererseits konfligiert das Gebot gesicherter Versorgung mit der freien Kalkulation von Mengen und Preisen, die ihr Geschäft braucht. Den Widerspruch zwischen dem privaten Geschäftssinn und seinem Versorgungsauftrag bearbeitet der Staat mit einer besonderen Aufsicht über diese Branche. Ein kompliziertes Geflecht von gesetzlichen Vorschriften und finanziellen Anreizen ringt der Gewinnmaximierung der beteiligten Firmen das Zusammenfallen von Versorgungssicherheit und Billigkeit des Grundstoffs ab.
So werden über eine Regulierungsbehörde die Preise kontrolliert, die die Netzbetreiber den Netzbenutzern berechnen; die natürlichen Monopole der Netze dürfen nicht missbraucht werden. In diesem Sinn geht das Kartellamt auch gegen Verträge vor, die lokale oder regionale Gasverteiler langfristig und vollständig an einen Großlieferanten binden. Die Konkurrenz, die auch in diesem Sektor herrschen soll, wird staatlich erzwungen, damit sie, marktwirtschaftlichem Sachverstand zufolge, selbsttätig zu niedrigen Preisen führt. Außerdem wird eine Börse für Termin- und Spotmarktgeschäfte eingerichtet, auf der der Handel mit freien Gasmengen zusätzlichen Preisdruck erzeugen soll. Weil sich ferner vieles energiepolitisch Notwendige vom Unternehmerstandpunkt aus nicht rechnet, sondern als überflüssiger Kostenaufwand erscheint, werden Netzbetreibern und Versorgungsunternehmen bezüglich Sicherungssysteme, Umweltschutzmaßnahmen, alternativer Technologien zur Gasgewinnung usw. jede Menge Auflagen gemacht. Und damit die das unternehmerische Streben nach Wachstum nicht beschränken, reizt der Staat ihre Erfüllung mit Steuernachlässen und Zuschüssen an. So werden mit viel finanziellem und bürokratischem Aufwand in normalen Zeiten Staatsauftrag und Geschäftsinteresse in ihrem Widerspruch zusammengebracht. Beides geht sogar widerspruchslos zusammen, wo es darum geht, dass Unternehmen aus dem Ausland Gas beschaffen. Hier steht der Staat bedingungslos hinter seinen „Energieriesen“, weil die gerade mit ihrer Marktmacht den ausländischen Lieferanten billige Preise und Sicherheiten abverlangen oder sich selbst in die Förderung und Anlieferung der benötigten Energieträger einkaufen. Dabei erhalten sie die politische Unterstützung, die sie brauchen.
In diesem Sinn haben wechselnde deutsche Regierungen in
produktiver Zusammenarbeit mit dem russischen Staatschef
dafür gesorgt, dass über Nord Stream 1 – die größte
Unterseepipeline der Welt
und weitere Röhren
Deutschlands Gasbedarf gesichert und seine Kapitalisten
für ihren Konkurrenzkampf auf den Weltmärkten bestens
gerüstet waren.
Damit ist nun Schluss. Jetzt geht es um die umfassende
Schädigung des ehemals ‚strategischen Partners‘.
Russlands wichtigste Einnahmequelle in Europa soll zum
Versiegen gebracht werden – und das ziemlich prompt:
Deutschland reduziert Energieabhängigkeit von Russland
in hohem Tempo
, sodass am Ende des 1. Quartals 2022
der Anteil russischen Gases von 55 % am Gesamtverbrauch
auf 40 % gesunken ist. Bis Ende des Jahres will man bei
30 % gelandet sein. Für 2027 ist das endgültige Ende
deutscher ‚Abhängigkeit‘ – so heißt der Nutzen, den man
gehabt hat, wenn man den Nutzen auf der anderen Seite
zerstören will – ins Auge gefasst.
Bis dahin ist es allerdings Putins Pflicht und Schuldigkeit, sich passgenau in die fortschreitend abnehmende Nachfrage einzufügen und uns vor dem Absturz ganzer Produktionsketten, Arbeitslosigkeit usw. zu bewahren. Die Akteure des Wirtschaftskriegs führen mit ihrer Kampfmaßnahme selbst die Mangellage in der Energieversorgung herbei und gestehen das auch ein, wenn sie sich dafür loben, „unmittelbar nach Kriegsbeginn Aktivitäten aufgenommen zu haben, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern und gleichzeitig [!] die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren“. [1] Putin soll sich glatt als Erfüllungsgehilfe des Wirtschaftskriegs gegen ihn bewähren und so viel Gas und so lange liefern, wie es zu Deutschlands Kriegsleitfaden passt:
„Wir müssen uns Schritt für Schritt aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien. Nur so können wir sicherstellen, dass die Sanktionen Russland mehr schaden als uns selbst.“ (Habeck)
Wenn Gazprom der zugedachten Rolle nicht ganz entspricht
und die Durchleitungsmenge in Nord Stream 1 stufenweise
drosselt, gibt sich die Regierung empört. Jetzt ist es
Russland, das einen hybriden Krieg
(Baerbock) entfacht und Gas als
Waffe
einsetzt. Die Deutschen verlangen nicht nur die
Respektierung ihres einseitigen Rechts auf
Wirtschaftskriegsführung, sondern ignorieren auch
offensiv die Botschaft, die in der dosierten russischen
Vergeltung steckt: Das Drosseln und Wiederhochfahren der
Gaszufuhr mit Verweis auf technische Probleme und das
sanktionsbedingte Fehlen einer Turbine signalisieren
nämlich den Willen, weiterhin ein im Prinzip
verlässlicher Lieferant zu sein und die gedeihlichen
Energiebeziehungen zu den Deutschen nicht auf unabsehbare
Zeit zu kappen. Diese auf Deeskalation zielende Heuchelei
der Russen wird von Wirtschaftsminister Habeck als leicht
zu durchschauende Politisierung
einer
technischen Frage
zurückgewiesen, ja als Feigheit
vor dem Feind verhöhnt: Und dann haben sie noch nicht
einmal den Mumm zu sagen: Wir sind in einer
wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung mit Euch und
haben da auch unsere Möglichkeiten
(Habeck in den Tagesthemen am 25.7.22).
So wird jeder Versuch der russischen Seite, Deutschland
zur Mäßigung zu bewegen, lächerlich gemacht. Von ihrem
Radikalismus im Wirtschaftskrieg lässt sich die Regierung
durch nichts abbringen – weder durch den stofflichen
Versorgungsnotstand noch durch die Gefahr seiner weiteren
Verschärfung und erst recht nicht durch die
Preisexplosion, die schon die Ankündigung des
Wirtschaftskriegs losgetreten hat. In Antizipation
zukünftiger Versorgungsnöte haben die Gashändler nämlich
ihre Freiheit zur Preisgestaltung genutzt und spekulativ
die Gaspreise in die Höhe getrieben.
Die Wirkungen, die die Sanktionen gegen Russland im
eigenen Land entfalten, werden nicht kleingeredet. Der
Wirtschaftsminister spricht von der Gefahr des
Zusammenbruchs des ganzen Energiemarkts
(Habeck), der Kanzler erkennt die starke
Belastung seines Volkes durch die steigenden Gaspreise
an. Aber weil die Sanktionen gegen Putin unhinterfragbar
sind, sind es nicht die Sanktionierer, sondern ist es
Putin, der Deutschland in diese „Gaskrise“ stürzt.
Der Staat nimmt die Wirtschaft in die Pflicht – mit Fördern und Fordern
Die Regierung schaltet sich in die Ersatzbeschaffung des
Grundstoffs ein. Flankiert durch politische
Gespräche
und Absicherung
werden die privaten
Gasimporteure ermuntert, überall auf dem Weltmarkt, wo
sie fündig werden, Flüssiggas zusammenzukaufen. Damit
werden die durch die Spekulationen der Gashändler bereits
erhöhten Preise weiter in die Höhe getrieben.
Vom Erfolg der privaten Einkaufstour macht der Wirtschaftsminister sich aber nicht abhängig. Er lässt den sog. Marktgebietsverantwortlichen Trading Hub Europe (THE) – ein Zusammenschluss von Gasnetzbetreibern, den die Bundesregierung jetzt mit weiteren hoheitlichen Funktionen betraut – mit Einräumung einer Kreditlinie von 15 Mrd. € auf dem Weltmarkt Gas aufkaufen und Deutschlands Gasspeicher befüllen. Mit einem Gasspeichergesetz verschafft er sich zudem eine neue Handhabe, das Geschäft der Gasimporteure an den Zweck der Versorgungssicherheit zu binden, der diesem äußerlich ist: Sie werden verpflichtet, zu bestimmten Stichtagen eine vorgeschriebene Füllmenge ihrer Gasspeicher zu garantieren. So greift der Staat in das Geschäft der Versorgungsunternehmen ein, die sonst die Speicher als Zwischenlager für ihre Preiskalkulationen benutzen. Zwar waren sie auch bisher schon zur Gewährleistung einer sicheren Gasversorgung verpflichtet, [2] konnten dies aber allein durch die Vorlage von Importverträgen nachweisen. Angesichts der drohenden Engpässe will man sich jetzt nicht mehr auf den Geschäftssinn der Privaten verlassen.
Die von der Regierung im Zusammenspiel mit den Spekulanten verursachte Preistreiberei tut ihre Wirkung, und zwar so, dass die eigentlich angestrebte Sicherstellung der Energieversorgung auf neue Weise infrage gestellt wird. Gasimporteuren, die für den Ausfall billigen russischen Gases auf dem Weltmarkt Ersatz beschaffen müssen, drohen wegen der explodierenden Marktpreise und gleichzeitiger Bindung an Verträge mit ihren Kunden Verluste in einem ruinösen Umfang. Mit dem marktwirtschaftlichen Aus dieser Unternehmen entfällt auch ihre Funktion für die Bereitstellung der notwendigen Gasmenge. Die Regierung sieht sich deshalb zu weiteren Eingriffen genötigt. Weil mit Uniper eines der größten europäischen Gasunternehmen, das mit russischem Gas in gesicherter Menge den Energiebedarf eines Großteils der deutschen Wirtschaft und kommunaler Energieversorger bedient hat, vor der Pleite steht, fängt der Staat, entgegen der marktwirtschaftlichen Rechnung – der finnische Eigner des Unternehmens will den unrentablen Geschäftszweig abstoßen – das Unternehmen auf:
„Wir lassen nicht zu, dass ein systemrelevantes Unternehmen wie Uniper fällt und damit die Versorgungssicherheit in Deutschland gefährdet wird.“ (Habeck am 22.7.22, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)
Staatskredit soll die Geschäftsfähigkeit des Unternehmens
retten, sodass sich die Energieversorgung der
Gesellschaft als Wirkung des kapitalistischen Geschäfts
wieder einstellt, das in dieser Funktion gerade
gescheitert ist. Das geht freilich nicht ohne erheblichen
finanziellen Aufwand. Mit schon wieder 15 Mrd. Euro
Schulden steigt der Staat bei Uniper ein und finanziert
erst einmal dessen aufgelaufene Verluste. Das laufende
Geschäft, das dem Konzern und einer Reihe anderer
Gasimporteure weitere Milliardenverluste einträgt, ist
damit allerdings nicht gesichert, was den nächsten Akt
staatlicher Versorgungssicherung hervorruft: Eine
Gaspreisanpassungsverordnung
verspricht den
Importeuren einen Anspruch auf finanziellen Ausgleich
ihrer Verluste, [3] finanziert über eine
Gasbeschaffungsumlage
, die alle industriellen und
privaten Gasverbraucher durch einen Aufschlag auf den
Preis pro Kilowattstunde aufbringen müssen. Die zu
erwartenden Ersatzkosten der Gasimporteure werden
ermittelt, hoheitlich überprüft und mit 2,419 Cent plus
Mehrwertsteuer pro kWh festgesetzt. Jetzt wird die Steuer
von 0,23 Cent/kWh auf die Umlage zum groß
herausgestellten Gerechtigkeitsproblem: Angesichts der
Belastungen vor allem der weniger reichen Bürger will der
Staat auf einmal nicht mehr, was sonst normal ist: An der
von ihm selbst beschlossenen Verteuerung des Gases will
er ausnahmsweise nicht mitverdienen wie sonst an jeder
Transaktion. Weil er aber nach EU-Rechtslage auf die
Mehrwertsteuer auch in diesem Fall nicht verzichten darf,
halbiert die Scholz-Regierung den Steuersatz auf den
gesamten Gaspreis, sodass auf Kosten des Staatshaushalts
die Bürger von dem Umlagebetrag nur noch weniger als die
Hälfte berappen müssen.
Dann ist aber auch Schluss mit der als Übergangslösung
gedachten Fürsorge des Staates für das Geschäft der
Gasunternehmen. Für neue Verträge dürfen die Importeure
schon ab 1.5.22 keinen Verlustausgleich mehr beantragen,
und wenn die alten Verträge ausgelaufen sind, gilt
wieder, was außerhalb solcher Notlagen immer gilt: Im
Hinblick auf künftige Lieferverträge läge es in der
Verantwortung der Gaslieferanten, die bestehenden Risiken
ausreichend vertraglich abzubilden
(Referentenentwurf einer Verordnung zur
Gasumlage, rgc-manager.de, 29.7.22), das heißt mit
ihrer Erpressungsmacht dafür zu sorgen, dass ihre
Risiken
von den Kunden getragen, also bezahlt
werden.
Mit der Rettung der Versorgungsunternehmen durch die
Belastung der Endverbraucher ist die materielle
Versorgung aber immer noch nicht gesichert. Der staatlich
produzierte Energienotstand geht nämlich gar nicht in der
Preisfrage auf: Eine stoffliche Knappheit wird für den
Herbst prognostiziert, wenn der Gasverbrauch
saisonbedingt wieder steigt und zu erwarten ist, dass
Putin uns weiterhin die gewünschte Mitarbeit verweigert.
Für diesen Fall hat die Regierung weitere Maßnahmen in
petto: neben der Befüllung der Gasspeicher das
Gassparen. Dafür hat sie einen
Instrumentenkasten an marktlichen Instrumenten, die
helfen können, den industriellen Gasverbrauch zu
reduzieren
(Bundesnetzagentur,
20.6.22). Die Regierung rechnet damit, dass
industrielle Großverbraucher ihre in Gaslieferverträgen
vereinbarten Bezugsmengen im kommenden Winter nicht
benötigen werden – was nicht unrealistisch ist: Die
gerissenen Lieferketten von vielerlei Vorprodukten und
der vervielfältigte Gaspreis selbst machen an manchen
Stellen das Produzieren teils unmöglich, teils
unrentabel. Um das damit überflüssig gewordene Gas für
die Sicherung der Gasversorgung zu nutzen, macht der
deutsche Staat, der weiß, wofür ein Markt nur gut ist,
aus dem allgemeinen Versorgungsproblem eine
Geschäftsgelegenheit für die industriellen
Gasverbraucher: Sie können aus ihren nicht benötigten
Gasmengen ein ‚Regelenergieprodukt‘ machen, das auf dem
‚Regelenergiemarkt‘ in einer Auktion an die THE verkauft
werden kann, von der es dann zur Lösung von
Versorgungsengpässen im Winter eingespeichert werden
kann. Das nennt man bei dieser Klientel dann ‚sparen‘. So
verrückt geht es zu, wenn noch in der höchsten
Versorgungsnotlage der Markt seine sagenhafte Effizienz
entfalten soll.
Die Bundesagentur rät dringend zur Annahme dieses
Modells, da hier das freie Unternehmertum noch regiert;
denn wenn das Regelenergiepotential insgesamt
ausgeschöpft ist und die Bundesnetzagentur Reduzierungen
des Verbrauchs anordnet, wird dies nicht mehr möglich
sein
. So warnt der Staat seine Wirtschaftsakteure vor
einem ‚Instrument‘, das er als Liebhaber der freien
Konkurrenz unbedingt vermeiden will und dennoch als
Ultima Ratio in Anschlag bringt, wenn die Kapitalisten
nicht die Leistung erbringen, die der Staat für das
Funktionieren seines Kapitalismus braucht.
Für das nicht unrealistische Horrorszenario
(Habeck), Gas staatlich
rationieren zu müssen, kündigt der Wirtschaftsminister
eine Änderung der für solche Fälle gesetzlich
vorgeschriebenen Priorisierung an. Für den länger
andauernden Fall eines Gasausfalls
sieht er keinen
Sinn
darin, die Privatkunden mit ihrem Heizbedarf
vorrangig zu bedienen. Der Sinn seiner Krisenpolitik ist
eben die Verhinderung einer Rezession der deutschen
Wirtschaft, von deren Erfolg die Privathaushalte längst
abhängig gemacht sind. Die Gasversorgung der Bevölkerung
konkurriert mit der der Wirtschaft; in Zeiten des
Energiemangels wird gegen das Volk geltend gemacht, wovon
es abhängt.
Der Endverbraucher wird für den Wirtschaftskrieg in die Pflicht genommen: Zahlen und Sparen
Für einige Wochen steht die Gaspreisumlage mit ihren Korrekturen und Nachbesserungen im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. An ihr wird bemerkt, problematisiert und gerechtfertigt, dass die Normalbürger, die Gas zum Heizen und Kochen brauchen, mit ihrem Geldbeutel für die Rettung der Gasimporteure geradestehen müssen. Ausgerechnet diese 2,4 Cent – bzw. das, was von dieser Übergangsfinanzierung an den Verbrauchern hängen bleibt – sind der Aufreger; die viel größeren Belastungen aus den Preiserhöhungen, die bei Jahresverträgen den Endverbrauchern fortlaufend in Rechnung gestellt und die für Dauerverträge nächstens rechtlich ermöglicht werden, sind zwar als Härten anerkannt, müssen aber halt gezahlt werden. Die Normalität, dass der Lebensunterhalt der gewöhnlichen Leute immer das Reservoir an Zahlungsfähigkeit ist, die die Unternehmer für den gewinnträchtigen Absatz ihrer Waren in Anspruch nehmen, wird in demokratischen Gesellschaften eben als Notwendigkeit des Marktes respektiert. An der gibt es – anders als an den freien Entscheidungen der Politik – nichts zu deuteln.
Dass die politisch beschlossene Preiserhöhung auch
notwendig und gerecht – und gerecht, weil notwendig –
ist, begründet Begründungsminister Habeck gleich
mehrfach: Erstens wird damit die Versorgungssicherheit
gesichert, dazu gibt es keine Alternative
(Pressekonferenz, 15.8.22),
wenn diese nun einmal am Erfolg privater Unternehmen
hängt. Zweitens achtet der Minister darauf, dass die
begünstigten Firmen, die beim Abgreifen von (Staats-)Geld
natürlich ihr Möglichstes tun, einer strengen Prüfung
ihrer jeweiligen Ansprüche unterliegen, so dass da
keine Doppelung passiert, dass für das Durchleiten des
Gases nicht noch einmal Extrakosten in Anschlag gebracht
werden
(Pressekonferenz).
Dass die Trennung legitimer Ansprüche auf Rettung vor dem
Konkurs und illegitimer Aneignung staatlich
eingesammelter Gelder durch gar nicht gefährdete Firmen
juristisch nicht oder kaum möglich ist, eröffnet die
nächste Runde der Gerechtigkeitsdebatte. Drittens ist es
definitiv ungerecht, dass der Staat mit der Umlage
alle Gaskunden gleich belastet, unabhängig
davon, ob ihr Versorger viel russisches Gas bezogen hat
und nun teuren Ersatz beschaffen muss oder ob sein Gas
aus anderen Quellen kommt und Zusatzkosten gar nicht
anfallen. Die gesellschaftliche Solidarität, die der
Staat da organisiert, rechtfertigt die Opfer, die er
verlangt.
Allerdings weiß der Minister, dass sein
gerechtmöglichstes Modell
höchst ungleiche
Wirkungen hat, die sein Gerechtigkeitssinn auch
nicht ignorieren kann, sodass sich hier die nächste
Aufgabe stellt: Ich weiß, dass die Umlage auf sehr
verschiedene Lebenslagen trifft. Für viele sind 400 €
mehr im Jahr der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen
bringt.
Die Armut, die in seinem schönen Land
grassiert, kennt der Minister; über deren Verschärfung
durch die staatliche Zusatzbelastung macht er sich auch
nichts vor. Auch diese Not will staatlich verwaltet und
geregelt sein: Deswegen ist ein drittes
Entlastungspaket notwendig, das gezielt entlastet.
Einen Vorschlag hat er schon: Für die Armen soll es ein –
natürlich befristetes – Moratorium für
Energierechnungen
geben. Normalerweise werden Leuten,
die nicht rechtzeitig zahlen, Gas, Strom und Wasser
abgestellt. Das soll den vielen, die jetzt dafür infrage
kommen, nicht gleich blühen, sie sollen die Bedienung
ihrer Zahlungspflichten aufschieben dürfen.
Dafür möchte der grüne Minister die
Energieversorger durch ein staatliches Machtwort in die
Pflicht nehmen. Die Zahlungen müssen die Versorger
natürlich nicht erlassen. Die eiserne Regel des ‚do ut
des‘ hört auch dann nicht auf, wenn der Kunde vor dem
Ruin steht.
Des Weiteren müssen auch die Privatkunden ihren Beitrag zur Senkung des Gasverbrauchs leisten. Neben ein paar Verboten wie das Heizen von Pools und patriotischen Appellen zum Kurzduschen will und kann sich die Regierung auf den heilsamen Zwang der hohen Preise verlassen, die allen ins Haus stehen. Der Staat setzt auf die Alltagserfahrung, dass alle Bedürfnisse, die notwendigen und die selbstgewählten, durch das Geld, das sie kosten, gegeneinander stehen. Weil die enorme Verteuerung eines Postens alle anderen in Mitleidenschaft zieht, wird das Herunterstellen der Heizung zur Existenznotwendigkeit, ganz ohne dass von oben – vorerst – durch Zuteilung des knappen Stoffs die ‚Freiheit des Einzelnen‘ vergewaltigt wird.
So leistet bei den Endverbrauchern die
marktwirtschaftliche ‚Vernunft‘ ihren guten Dienst zur
Aufrechterhaltung der Energieversorgung. Dumm nur, da
sind sich Ökonomen einig, dass gerade die Ärmsten, bei
denen diese Logik die größte Wirkung entfaltet, die
Adressaten der zielgerichteten
Hilfen zum
Überleben sind und sein müssen. Am Ende machen Hilfen den
(Energie-)Sparzwang wieder kaputt. Im Sinne des
marktwirtschaftlichen Zynismus kommen Vorschläge ins
Spiel, die beides verbinden, finanzielle ‚Abfederung‘ der
hohen Kosten und die Nötigung zum Sparen: Zum Beispiel
könnte, wer weniger verbraucht als bisher, mit einer
Prämie
‚belohnt‘ werden.
Dieser Idee kann nun der grüne Wirtschaftsminister nichts
abgewinnen. Dass auch bei armen Hilfeempfängern auf
verstärktes Sparen zu achten ist, sieht er natürlich
genauso, hält ausgerechnet in ihrem Fall materielle
Anreize aber für eine Erziehung zur
Verantwortungslosigkeit: Die kriegst du nicht, Alter.
Ich möchte auch nicht in einem Land leben, wo man sich
nur für Geld bewegt.
Bei normalen Konsumenten fällt
ihm der Geldmaterialismus glatt als Untugend auf, der er
den Wert der Solidarität entgegensetzt.
Der niedersächsische Ministerpräsident hat die geniale Idee, ‚Entlastung‘ und Sparzwang in einer Maßnahme zu verpacken und dabei die Armut noch für die gute Sache produktiv zu machen, die überhaupt durch den Wirtschaftskrieg und seine Folgen entscheidend vorankommt:
„Ich finde die Idee interessant, insbesondere Menschen mit geringem Einkommen ein subventioniertes Energie-Grundbudget zu einem gedeckelten Preis anzubieten. Was darüber hinausgeht, müsste dann mit einem höheren Preis bezahlt werden. Das wäre ein intelligenter Weg, finanzielle Entlastungen mit dem Kampf gegen den Klimawandel zu verbinden.“ (Weil, Interview, greenpeace-magazin.de, 9.7.22)
Der Kollateralnutzen des Wirtschaftskriegs für Klimaschutz und Energiewende
Im Lichte der Energiewende haben die
Anstrengungen, von „Putins Gas“ unabhängig zu werden, und
das politische Management der dadurch erzeugten Schäden
einen höheren Sinn und Nutzen: Sie wirken wie ein Booster
der Klimarettung und machen die einschlägigen Instrumente
umso dringlicher. Der Krieg, das Sterben, das Morden,
die Brutalität in der Ukraine
halten für den
Wirtschaftsminister insofern eine Lehre bereit, als sie
uns noch einmal deutlich vor Augen geführt haben, wie
Energiepolitik auch Geopolitik ist
. [4] Habecks starkes Argument
für die Energiewende kehrt das Verhältnis um: Dem Umstieg
auf erneuerbare Energien attestiert er Wert und Gewicht
durch seine geopolitische Leistung, was den rechten
Kritikern der Energiewende jegliches Argument aus der
Hand schlagen sollte. So stellt er nebenbei klar, was bei
diesem großen Projekt Zweck und was bloßes Abfallprodukt
ist: Der Kampf gegen das ‚Menschheitsproblem
Klimakatastrophe‘ fällt an dieser Stelle zusammen mit dem
Projekt, sich aus der Abhängigkeit von russischen
Energierohstoffen zu befreien, um die wirtschaftliche und
politische Funktionsfähigkeit des russischen Staates zu
zerstören. Die Wiederbelebung aller klima- und
umweltschädlichen Energieformen von Braun- und Steinkohle
bis zum Frackinggas und der Atomkraft im Kampf gegen das
Böse ist deswegen auch kein Widerspruch zur angestrebten
Energiewende, sondern Mittel zum eigentlichen Zweck: zur
Energieautonomie als Basis außenpolitischer
Machtentfaltung.
*
Allgemeine Teuerung und die längst entschiedene Frage, wen sie wie trifft
Gestiegene Preise für Energie haben nicht nur Privathaushalte zu bezahlen, sondern auch Geschäftsbetriebe aller Art. Sie geben, wenn es ihre Konkurrenzposition erlaubt, die höheren Gestehungspreise, die sie bezahlen, über die Verkaufspreise, die sie verlangen, aneinander und an ihre Endkunden weiter und überführen so die explodierenden Energiepreise in eine Verteuerung von allem und jedem, in eine allgemeine Inflation. Indem sie ihre Gewinnrechnung auf diese Weise verteidigen, entwerten sie das Geld, von dem sie immer höhere Summen für gleichbleibende Leistungen fordern. Selbstverständlich warten Unternehmen im inflationären Umfeld nicht erst darauf, dass ihre Bilanzen von höheren Einkaufspreisen beschädigt werden, sondern antizipieren das Übel und kompensieren prophylaktisch eventuelle Gewinneinbußen, indem sie nach Möglichkeit höhere Preise durchsetzen. Möglich ist da viel – dafür hat der Staat mit seiner Verschuldung ja einiges geleistet: nicht erst mit einem ‚Sondervermögen‘ für die ‚Zeitenwende‘, sondern schon mit der jahrzehntelangen Rettung der Finanzbranche und der Bewältigung der Corona-Krise.
So mündet und verschwindet der Wirtschaftskrieg, den
Deutschland und Europa gegen Russland führen, in einem
allgemeineren Phänomen, das als solches gar nicht neu ist
im friedlichen kapitalistischen Alltag. Die besondere
Wucht, mit der die gewohnte Erfahrung einer allgemeinen
Teuerung jetzt auftritt, und das Zurechtkommen des Volkes
mit deren besonders einschneidenden Wirkungen werden nun
zum großen Thema und Streitobjekt der Politik. Die
Machthaber versuchen gar nicht erst, die soziale
Katastrophe kleinzureden, denn sie nehmen sie überhaupt
nicht als Anklage an ihre Politik, vielmehr als Ruf nach
ihrer Macht, die Schäden abzumildern und die Bürger
über den Winter zu bringen
. Unter der Hand sprechen
sie dabei aus, wie geläufig ihnen die schon vorher
verbreitete Armut in der Bevölkerung ist: Da rechnen
Auskenner vor, ein wie großer Volksteil weit über die
offiziell anerkannten Armen und Niedriglohnempfänger
hinaus keinerlei finanzielle Reserven besitzt, mit
denen er die neuen Belastungen abfedern könnte
;
andere gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass die
Budgets vieler Familien so knapp gestrickt sind, dass sie
eine Verteuerung der Lebenshaltung von rund 10 %
unmöglich stemmen können. Die Leute sparen jetzt schon,
wo sie können.
Auch das lassen sie nicht als Kritik
an ihrem freiheitlichen System und ihrem segensreichen
Regieren gelten, sondern als Ansporn, Hilfestellung bei
der Bewältigung der Lage zu geben. Hilfen von oben, in
Form immer neuer Entlastungspakete müssen sein. Dabei ist
eines klar: Wirkliche Abhilfe, die sich die Betroffenen
selbst beschaffen, kommt nicht infrage: Wenn die
lohnabhängige Mehrheit tun würde, was sonst alle als ihr
gutes Recht handhaben, die etwas zu verkaufen haben,
nämlich gestiegene Einkaufspreise in Form gestiegener
Verkaufspreise weiterreichen; wenn sie also
Lohnerhöhungen durchsetzen würde, die die Verteuerung der
Lebenshaltung wirklich ausgleichen, dann geriete die
Inflation erst so richtig zu einer Gefahr für die
nationale Wirtschafts- und Geldmacht.
Der Kanzler lädt Arbeitgeber und Gewerkschaften zu einer Konzertierten Aktion
Im Bundestag zählt er noch einmal auf, was die
Bundesregierung alles auf den Weg gebracht hat, um die
Bürger zu entlasten
, aber:
„‚Natürlich ist damit das Problem steigender Preise noch nicht gelöst.‘ Deshalb holt er nochmal Luft und kündigt an, er wolle Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ‚zu einer konzertierten Aktion zusammenrufen... Wir brauchen eine gezielte Kraftanstrengung in einer ganz außergewöhnlichen Situation... Alle werden dazu beitragen müssen.‘“ (bundestag.de)
Um welchen Beitrag es im Speziellen geht, ist sonnenklar. Der Kanzler geht davon aus, dass steigende Preise die Gewerkschaften auf den Plan rufen, und kümmert sich darum, wie ihre Reaktion auszusehen hat bzw. wie nicht. Keinesfalls sollen sie ihre Macht für Tarifabschlüsse mit dem Ziel der Reallohnsicherung zum Einsatz bringen.
„Scholz nennt die Tarifabschlüsse in der Chemieindustrie als Vorbild: spürbare Einmalzahlungen anstelle großer Tarifanhebungen. Unternehmen sollen so nicht dauerhaft mehrbelastet und die Inflation zusätzlich befeuert werden – in der Annahme, dass hinter dem bisherigen Geldwertverfall vorübergehende Effekte stecken.“ (Ebd.)
Der Auftrag an die Gewerkschaften, sich mit Lohnzurückhaltung in den Dienst der bedrohten Konjunktur und der Inflationsbekämpfung zu stellen, ergeht nicht als Ordnungsruf, sondern in Form des Lobs. Vorbildlich ist die IG BCE darin, dass sie in der letzten Tarifrunde das Kunststück vorgemacht hat, etwas Spürbares zu erreichen, aber eben gar nicht gemessen am eigentlichen Problem – der Bedrohung des Lebensunterhalts durch drastisch gestiegene Preise, bei denen niemand ernsthaft davon ausgeht, dass sie wieder zurückgehen. Sie hat vielmehr Einmalzahlungen durchgesetzt, die an dem Bedarf der Unternehmen Maß nehmen, dauerhafte Kostenbelastungen zu vermeiden. Die IG BCE behandelt die Inflation so, als wäre sie eine vorübergehende Sache, und kontrahiert damit de facto ein in kürzester Zeit real um 8 % gesunkenes Lohnniveau. So, jedenfalls in diesem konstruktiven Geist, soll es weitergehen.
Bild, Tagesschau, FAZ,
Spiegel et al. machen
Leser und Hörer derweil – vorzugsweise, indem sie
Experten zu Wort kommen lassen – mit einem Mechanismus
vom Rang eines ökonomischen Sachgesetzes vertraut, den es
unbedingt abzuwenden gilt, der Lohn-Preis-Spirale
.
Auch wenn die jetzige Teuerung anerkanntermaßen nichts
mit Lohnzuwächsen zu tun hat, kommt es umso mehr darauf
an, auf Preissteigerungen nicht mit Lohnforderungen zu
reagieren. Denn das – die Reihenfolge ist
entscheidend – wäre der Einstieg in die Spirale, die die
Inflation erst so richtig schlimm macht. Die schlichte
Botschaft lautet, dass die Gewerkschaften die gestiegenen
Preise der Lebenshaltung auf den Preis der Arbeit nicht
aufschlagen dürfen, weil die Arbeitgeber ebendas
sonst tun müssten. Um zu verhindern, dass der
Lohn diesen Inflations-GAU verursacht, muss eine
Konzertierte Aktion allgemein sicherstellen, was die IG
BCE so vorbildlich vorgemacht hat: Die Lohnabhängigen
müssen im Dienst am Geldwert möglichst viel von der
Inflation, die es gibt, als ihre Verarmung schlucken.
Um die sozialen Härten, die damit an der Tagesordnung
sind, wird sich dabei gleich gekümmert. Die schweren
Zeiten, die den Leuten angeschafft werden, sind ein
anerkanntes Problem, dessen Ausmaß der Kanzler mit der
Rede von drohenden sozialen Verwerfungen
unterstreicht, um darauf hinzuweisen, worin das wirkliche
Problem besteht: Der Umgang der Betroffenen damit darf
nicht zum Problem für Staat und Wirtschaft
werden. Diese Sorge ist bei der Politik in besten Händen:
Sie höchstselbst kümmert sich mit diversen
Entlastungspaketen darum, jegliche Verwerfung in den
eingespielten Verhältnissen abzuwenden. Und die Lösung,
die sie in der entscheidenden Tariffrage den Parteien
vorgezeichnet hat, versüßt sie mit der Ankündigung einer
möglichen weiteren Nachhilfe: Unternehmens- und
inflationsfreundliche Einmalzahlungen würden für die
Beschäftigten noch spürbarer, wenn der Staat sie von der
Steuer befreit.
Den Vorschlag können die Gewerkschaften zwar im Prinzip nur gutheißen, er nährt aber ihren Verdacht, der Kanzler wolle sie mit steuerlichen Anreizen dann doch auf den Weg der Einmalzahlung festlegen. Dieser Verdacht befeuert den einzigen Einwand, [5] den die Gewerkschaften im Vorfeld der Veranstaltung – allen Ernstes – geltend machen: kein Eingriff in die Tarifautonomie! So ein Schritt wäre undemokratisch, vor allem aber unnötig, weil sie sich ganz autonom als verantwortliche Kraft bewähren, die auch die aktuelle Lage im Rahmen der Tarifpartnerschaft und mit den gewohnten Instrumenten bewältigt. Exemplarisch IG-Metall-Chef Hofmann im SZ-Interview:
„Wir lösen keine Lohn-Preis-Spirale aus. Die IG Metall handelt vernünftig. Wir haben das Wohl des ganzen Landes im Blick. Das sehen Sie schon daran, dass wir die zwei Prozent EZB-Zielinflation zum Maßstab nehmen und nicht die aktuelle Inflation von fast acht Prozent. Denn dann wäre unsere Forderung zweistellig. Uns geht es nur darum, angesichts der Inflation mit einer Lohnerhöhung plus staatlicher Entlastung die Kaufkraft der Haushalte zu erhalten. Das ist wichtig, weil die Bürger sonst weniger konsumieren und deshalb und auch wegen der zahlreichen Risiken die Konjunktur einbrechen könnte.“
Dass Interessenvertretung mit Blick auf das Allgemeinwohl
Lohnverzicht bedeutet, muss der IG Metall niemand
erklären, es ist ihre gängige Praxis. Die aktuell fällige
Verarmung soll freilich – wegen der störenden Konsequenz
der Armut für die Hauptsache: ohne Kaufkraft keine
Konjunktur! – der Staat kompensieren: Wir können nicht
alles über die Tarifpolitik lösen.
Mit Hilfe dieser
bewährten Arbeitsteilung sollte sich die Tauglichkeit des
Lohns für die Rechnungen der Kapitalisten schon sichern
lassen. Insofern liegt man beim DGB ganz auf der Linie
der Konzertierten Aktion und folgt der Einladung gern,
nachdem der Kanzler angesichts des demonstrativen
gewerkschaftlichen Verantwortungsbewusstseins jeden
Verdacht, er wolle die Tarifautonomie relativieren, als
fake news einer Sonntagszeitung zurückgewiesen
hat.
Das erste Treffen geht ziemlich geräuschlos vonstatten.
Die DGB-Vorsitzende Fahimi gibt schon am Vortag in der
BamS die Wächterin darüber, ob die Politik ihrer Aufgabe
ausreichend nachkommt, die Schäden zu begrenzen, und
bringt konstruktiv einen Energiepreisdeckel ins Spiel.
Ansonsten geht es ihr allem voran darum, jetzt alles
zu unternehmen, um eine Rezession zu verhindern
, denn
davon ist ja Beschäftigung
abhängig. Das
Auffälligste ist noch, dass der BDA-Chef Dulger noch
einmal demonstrativ auf der Tarifautonomie besteht: Er
kann das Resümee der Gewerkschafterin zwar nur
unterschreiben, hat allerdings anzumerken, dass die
Arbeitgeber mit der Herkules-Aufgabe
, ihre
Geschäfte in Gang zu halten, vollständig ausgelastet sind
und ihnen nicht auch noch irgendwelche andere soziale
Aufgaben aufgebürdet werden dürfen. Aber das will ja
ohnehin niemand. Die öffentlichen Berichterstatter
würdigen das Ganze mit dem Tenor Noch nichts groß bei
’rausgekommen
und geben damit zu Protokoll, wie
selbstverständlich sie davon ausgehen, dass Deutschland
auch die Folgen seines Wirtschaftskriegs mit den
bewährten Mitteln und im Konsens angeht und bewältigt.
Wie gründlich das Land daran gewöhnt ist, dass die
dauerhafte Verschlechterung der Löhne das Mittel
ist, schweren Zeiten zu begegnen, zeigt die kurze
Aufregung darüber, dass die IG Metall im Herbst dann doch
die erste Lohnerhöhung seit April 2018 durchsetzen will.
Wenn Verarmung, dann bitte gerecht!
Weil klar ist, dass die Teuerung nicht durch Einkommenssteigerungen kompensiert werden darf, dass die Folgen und Lasten des Wirtschaftskriegs also an den Beziehern fixer Einkommen hängen bleiben, kommt es – nicht zum ersten Mal, nun aber erst recht – auf die gerechte Verteilung der Lasten, das heißt auf die Ausgestaltung der „Entlastungen“ an, die den Anstieg der Lasten begleiten. Sie müssen „tragbar“ und damit zur neuen Normalität gemacht werden.
Politik und öffentliches Interesse bewältigen die neue Normalität mit ihren alten Routinen: Gefragt sind und diskutiert werden alle Optionen des Staatshaushalts, der die Hilfen finanzieren muss. Soll der Finanzminister unbegrenzt neue Schulden machen und die vereinbarte Schuldenbremse nach Finanz- und Corona-Krise nun aus dem nächsten guten Grund aussetzen? Oder soll er neue Einkünfte kreieren, das heißt neue Steuerlasten verordnen, um die Bürger zu entlasten? Natürlich fällt manchem wirklichen oder ideellen Haushaltspolitiker angesichts dieses Widerspruchs die große Verschiedenheit der Einkommen und Vermögen im Land der Freiheit und Gleichheit ein, und er deutet auf die „starken Schultern“, die in der nationalen Notlage zu mehr Solidarität herangezogen werden sollten.
Die linke Hälfte des Bundestags richtet den Fokus darauf,
dass der Vervielfachung der Energiepreise für die
Verbraucher ja Unternehmen gegenüberstehen, die diese
Preise machen und ohne eigene Leistung, nur durch
Ausnutzung der Mangellage
eine entsprechende
Explosion ihrer Gewinne verbuchen. Eine diese Gewinne
abschöpfende „Übergewinnsteuer“ lehnt der Finanzminister
als systemwidrig ab: In der freiheitlichen Ordnung ist
das Streben nach höchstem Gewinn gewollt und das gute
Recht der Unternehmen; diese Ordnung kennt keinen
Maßstab, an dem der legitime Gewinn von einem „Über“ zu
scheiden wäre. Überhaupt würden Gewinne ja schon, aber
eben alle zu gleichen Sätzen besteuert. Die ausgleichende
Gerechtigkeit eines Schröpfens der Kriegsgewinnler fällt
so dem Einigungszwang in der Koalition zum Opfer.
Zur Entlastung der Bürger bietet Minister Lindner dafür eine Korrektur der „kalten Progression“ an: Der Staat soll an einer durch die Geldentwertung bloß nominellen Erhöhung der Einkommen nicht real verdienen, indem Steuerzahler in eine höhere Besteuerungsstufe rutschen. Das ist eine schöne Idee angesichts des längst feststehenden Beschlusses, dass es Lohn- und Gehaltssteigerungen, schon gleich solche, die die Inflation ausgleichen, für die lohnabhängige Mehrheit nicht geben darf. Prompt entdeckt Arbeits- und Sozialminister Heil, diese Steuerkorrektur würde ihm selbst und ihrem Erfinder Lindner weit mehr „Entlastung“ gewähren als den Leuten, deren problematische Lage sein Ministerium verwaltet. Beim jetzt anstehenden dritten Entlastungspaket seien jedenfalls Rentner, Studenten und Soloselbständige, also die wirklich Armen an der Reihe, die bisher ganz vergessen wurden. Auf diese Leute zielt die Gerechtigkeit, die der Finanzminister vertritt, freilich weniger: Er hat „die arbeitende Mitte“ im Auge, die das Gros der Steuern bezahlt und die viel eher Entlastung verdient hätte und für ihre Funktion auch braucht. So spricht Lindner Leute an, die sich zu den Leistungsträgern der Gesellschaft rechnen und sich den Transferempfängern gegenübersehen. Um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, will er von der Reihe der Entlastungspakete wieder wegkommen. Der Ruf nach einer Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket zeigt ihm eine ungute „Gratis-Mentalität“, die zu unserem Wirtschaftssystem so wenig passt wie zum Staat. Dass für solche Bedürfnisse die „Schuldenbremse“ im kommenden Jahr noch einmal ausgesetzt werden könnte, lehnt er rundweg ab. Mit dem Pochen auf die Aufgaben seines Amtes, Staatsausgaben zu begrenzen, Einnahmen sicherzustellen und stets auf die Solidität der Staatsfinanzen zu achten, erinnert er implizit an die kapitalistische Wahrheit, dass immer noch der Staat vom Volk lebt und nicht umgekehrt. Und eben auch daran, dass alle Freiheiten, die der heutige deutsche Staat bei der Schuldenfinanzierung seiner Aktivitäten hat, darauf beruhen, dass die Finanzminister vor ihm auch schon immer so gerechnet haben.
Und so fort...
Die nicht endende Diskussion über die
Gerechtigkeit der Be- und Entlastungen der
verschiedenen Bürgerkategorien ist schon die halbe Miete,
nicht weniger wichtig jedenfalls als die materiellen
Hilfen selbst zum Durchstehen der „schweren Zeiten“, die
über uns gekommen sind. Dem hohen Wert der nationalen
Solidarität, die der Kanzler mal in einer Schlagerversion
You’ll never walk alone
, mal mit einem ganz
eigenen Bild Wir müssen uns unterhaken
verspricht,
fügt die freche Ehrlichkeit seines Wirtschaftsministers
den realistischen Unterbau hinzu: Solidarität und
Gerechtigkeit sind kein Selbstzweck, sondern nötig; sie
erfüllen eine Funktion: Wir müssen über einen harten
Winter den demokratischen Konsens aufrechterhalten, damit
Extremisten von links und rechts keine Chance zur
Spaltung der Gesellschaft haben.
Der Eindruck einer
fairen Verteilung der Verarmung ist unverzichtbar, damit
die Betroffenen sie sich gefallen lassen und nicht aus
dem Ruder laufen.
Politische Unzufriedenheit droht nämlich. Ein „heißer Herbst“ und neue Montagsdemonstrationen sind schon angekündigt. Angesichts der Dimension der angesagten und schon eingetretenen Verarmung und ihrer von der Staatsführung selbst beschlossenen Verursachung verschwindet der Wirtschaftskrieg gegen Russland dann doch nicht ganz hinter dem Streit um die Bewältigung seiner sozialen Folgen. Es braucht die Einsicht der Massen in seine Notwendigkeit und Legitimität. Der Streit der Parteien und seine Verarbeitung durch die Medien liefern dazu Argumente und Gesichtspunkte.
[1] BMWK, Fortschrittsbericht Energiesicherheit (25.3.22)
[2] EU-Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung (2017/1938)
[3] Insgesamt haben kurz nach Einführung der Verordnung zwölf Unternehmen bis dato ca. 34 Mrd. Euro an Ausgleichsanspruch geltend gemacht.
[4] Energiepolitik
dient auch der Sicherheit.
(FAZ, 7.4.22)
[5] Natürlich verstehen
die Gewerkschaften, was in der Konzertierten Aktion von
ihnen verlangt ist. Nur zu moderat
darf die
konzertierte Lohnpolitik nicht ausfallen, damit sie
ihre Funktion des befriedenden Flankenschutzes erfüllen
kann:
Ende der 1960er Jahre gab es die Konzertierte
Aktion von SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller, bei
der sich die IG Metall und andere Gewerkschaften auf
sehr moderate Lohnabschlüsse einließen. Weil sich die
Arbeitnehmer angesichts der hohen Inflation von den
Gewerkschaften nicht mehr ausreichend vertreten
fühlten, kam es ab 1969 zu wilden Streiks. Als Reaktion
forderten die IG Metall und andere Gewerkschaften
zweistellige Lohnerhöhungen. Daran sehen Sie: Eine zu
moderate Lohnpolitik ist falsch, weil das Pendel danach
in die andere Richtung ausschlägt.
(Hofmann, SZ-Interview)