Essener Tafel
Ein Skandal um die unanständige Diskriminierung einer anständig diskriminierten Masse Armer
Die Tafeln feiern 25 Jahre deutsche Armutslinderung, und fast hätte man es verpasst. Wenn da nicht der Verein in Essen die Öffentlichkeit durch einen waschechten Diskriminierungsskandal auf diesen sonst so gutherzigen Haufen aufmerksam gemacht hätte: Die Hilfsorganisation verhängt einen zeitlich begrenzten Aufnahmestopp neuer Ausländer. Was man sonst nur als Forderung an und aus der Riege heimattreuer deutscher Politiker in Richtung Grenze kennt, wirft einen zeitweiligen Schatten auf das leuchtende Bild, welches die Tafel traditionell genießt. Beides hat sie nicht verdient.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Essener Tafel
Ein Skandal um die
unanständige Diskriminierung einer anständig
diskriminierten Masse Armer
Die Tafeln feiern 25 Jahre deutsche Armutslinderung, und fast hätte man es verpasst. Wenn da nicht der Verein in Essen die Öffentlichkeit durch einen waschechten Diskriminierungsskandal auf diesen sonst so gutherzigen Haufen aufmerksam gemacht hätte: Die Hilfsorganisation verhängt einen zeitlich begrenzten Aufnahmestopp neuer Ausländer. Was man sonst nur als Forderung an und aus der Riege heimattreuer deutscher Politiker in Richtung Grenze kennt, wirft einen zeitweiligen Schatten auf das leuchtende Bild, welches die Tafel traditionell genießt. Beides hat sie nicht verdient.
Elend ist, wo das Bedürfnis zählt
Um ihren guten Ruf haben die Tafeln sich jahrzehntelang
stets verdient gemacht und dabei nichts zu Schulden
kommen lassen. Lösungsorientiert haben sie es sich zur
Aufgabe gemacht, die Folgen der Armut in einem Land
des Überflusses etwas zu lindern
(tafel.de). So bescheiden sie auch
auftreten, an Kundschaft mangelt es ihnen jedenfalls
nicht. Kein Wunder: Die bei ihnen aufschlagende
Ansammlung ‚Bedürftiger‘ braucht nichts weiter
vorzuweisen als ihre pure Not, und davon gibt es trotz
strenger Definition – die Tafeln orientieren sich an der
Abgabenordnung § 53, die haarklein definiert, ab welchem
Grad der Hilfsbedürftigkeit sich eine Hilfe staatlich
anerkannt auch ‚mildtätig‘ nennen darf – reichlich. Bei
den Tafeln zählt ausnahmsweise, was sonst als
Anspruchstitel nichts hergibt: Das reine Bedürfnis gilt
als Argument für Zuwendung, wenn und solange es durch die
staatliche Definition von absoluter Armut beglaubigt ist.
Das ist schon etwas Besonderes, denn bloß fürs Bedürfnis
ist der ganze produzierte Überfluss
dieses Landes
nämlich nicht da. Umgekehrt besteht die Not dieser Armen
in ihrer beständigen Unfähigkeit, mit ihren Bedürfnissen
dem Zweck des produzierten Reichtums gerecht zu werden:
Ohne die nötige Zahlungsfähigkeit zum Kauf der Ware sind
sie nicht in der Lage, den Anspruch kapitalistischer
Produzenten auf profitbringenden Verkauf ihrer Waren zu
realisieren. Diese Unfähigkeit hat ihren Grund darin,
dass die sich bei der Tafel treffenden Armen – Kinder,
Rentner, Obdachlose, Hartz-IVler, Behinderte, Ausländer
etc. – für die Produktion dieses Reichtums
selbst überflüssig sind. Ob weil sie zu jung, zu alt, zu
fremd oder einfach zu viele sind für die Rentabilität des
Geschäfts – was auch immer der Grund: Für wen es keine
marktwirtschaftliche Verwendung gibt, der hat auch nichts
zu erwarten von dem erwirtschafteten Reichtum, für den
man ihn nicht braucht. Ohne Geld und Geldquelle stellen
sie daher den unbrauchbaren Bodensatz einer Gesellschaft
dar, die sich der Geldwirtschaft verschrieben hat. Dieser
politökonomische Status ist der Grund für die pure Not,
die ihren Hilfsanspruch berechtigt. Mit einem sozialen
Diskriminierungsskandal kann diese Art der Armut zwar
allein schon deshalb nichts zu tun haben, weil sie als
natürliches Resultat dieser Gesellschaft so dauerhaft in
ihr erscheint, dass eine ganze Riege der Bevölkerung sie
als ‚Bedürftige‘ bereits direkt im Namen trägt. Was sie
allerdings sehr wohl hergibt, ist die kreative Bemühung
von mitleidigen Menschen, den Beweis anzutreten, dass all
das resultierende Elend eigentlich nicht sein müsste –
jedenfalls zumindest nicht ganz so schlimm.
Armut lindern durch mildtätige Umverteilung von geplantem Überfluss: eine ehrenwerte Leistung
Die Tafeln wissen auch schon, womit sie die Armut
lindern
wollen. Den Überfluss
, den sie neben
der Armut ausmachen, finden sie nämlich in Form
massenhaft produzierter Lebensmittel vor, die ebenso
massenhaft unvernutzt wieder entsorgt werden: nicht im
privaten Haushalt, sondern im ganz großen Stil,
verlässlich und streng kalkuliert in den Abfalltonnen der
Supermärkte. Als Mittel im Kampf um die begrenzte
Zahlungsfähigkeit ist es nämlich allemal
marktwirtschaftlich vernünftig, wenn ganz viel Zeugs
produziert und angeboten wird, von dem schon im Vorhinein
feststeht, dass es nie im Konsum landen wird. Mit stets
frisch gefüllten Supermarktregalen locken Händler die
Kundschaft zu sich. Und wenn dadurch die Waren der
Konkurrenten umso mehr im Müll statt im Bauch landen, war
nichts, was so regelmäßig in die eigene Tonne wandert,
verschwendet, sondern hat seinen Dienst wunderbar
erfüllt. Wenn dann noch die Mülleimer abgeschlossen oder
die übriggebliebenen Lebensmittel durch Säurezusatz
einfach direkt zerstört werden müssen, damit sich niemand
daran bedient, ohne dass es dem Geschäft zuträglich wäre,
ist das zwar für so manchen ärgerlich – für die einen
wegen der zusätzlichen Kosten, für die anderen wegen des
Hungers –, aber bestehlen lassen muss man sich hier auch
nicht.
Das bringt die Tafeln auf eine glorreiche Idee: Wenn auf der einen Seite beständig zu viel Bedarf ohne Zahlungsfähigkeit und auf der anderen Seite beständig zu viel Angebot für die zahlungsfähige Nachfrage besteht, dann müssen die beiden getrennten Größen nur schlau zusammengeführt werden. Freilich wollen auch die Tafeln von dem Grund der Trennung – dass bei jedem produzierten Gut vor dem Bedürfnis danach zuallererst das Profitinteresse an diesem bedient gehört – nichts zurücknehmen. Kongenial erkennen sie daher ihre Chance für eine bessere Welt bei den Gütern, die als Abfall in der Lebensmitteltonne ihren marktwirtschaftlichen Dienst bereits erfüllt haben und nur noch ärgerliche Entsorgungskosten für ihre Vertreiber darstellen, und unterbreiten denen das Angebot der freundlichen Unterstützung ihres gemeinnützigen Zwecks. Dass dieses Angebot einer Kombination aus kostenloser Müllentsorgung und Imagepflege so gut ankommt, dass es direkt in die Verschwendungskalkulationen der Supermärkte mit eingebaut wird, daran mag sich dann vielleicht auch noch so mancher Tafelaner stören, aber solange es hilft... Ehrenwert ist dieser Einsatz für die Versorgung der Armen, vor denen Supermärkte sonst mit viel technologischem Aufwand die eigenen Waren und Einkaufswagen schützen, jedenfalls allemal. Gerade wegen des dauerhaft produzierten Hilfebedarfs kommt es auf die Hilfe so unbedingt an – auch wenn die Aktiven sicher sind, dass sie völlig unzureichend ist. Die Selbstkritik gehört zu dieser Hilfe und spricht nicht etwa gegen ein Tun, das sein Ziel nie erreicht, sondern adelt es als etwas viel Höheres, als es der hilflose Akt der täglichen Betreuung des Elends tatsächlich ist: Mit ihrer Praxis beweisen die Mitglieder der Tafeln die Mitmenschlichkeit gegen das Elend, die sie bei Staat und Gesellschaft vermissen – und deren Fehlen sie für das eigentliche Übel dieser Gesellschaft halten. Als tatkräftiger Sanitätswagen des Sozialstaats halten sie ihm mit ihrem guten Beispiel den Spiegel vor. Sie stellen das gute Gewissen der Zivilgesellschaft dar – und möchten damit das schlechte des Staates evozieren, das der immer vermissen lässt. So werden die Tafeln zur moralischen Instanz und zeigen, wie weit man es bringen kann, wenn man einfach dem praktischen Hilfedrang folgend sich ignorant gegen alle Gründe der Armut und der zum Reichtum gehörenden Verschwendung stellt.
Moderne Armut überfordert die Tafeln – der Essener Umgang damit wird zum Skandal
Dass für immer mehr Arme von der sozialstaatlichen Fürsorge nicht genug fürs Essen übrigbleibt oder sie gar teils oder vollends aus dieser herausfallen, dokumentieren die Tafeln bei sich als jährlich wachsende Kundenzahl. Mit Merkels Ausruf der Willkommenskultur gesellen sich die konsequent in deutsche Armut einsortierten Flüchtlinge zu dieser hiesigen Tafelkundschaft noch hinzu, und die Tafeln werden zu einem Schaubild des ganzen Ausmaßes globaler Armut: Wo sich auch nur ein Bruchteil des weltweiten Elends auf den Weg macht, ein kleiner Teil davon am Ende in Deutschland landet, und ein noch kleinerer Teil davon sich am Ende bei den Tafeln einfindet, werden die gütig gespendeten Lebensmittel gegenüber dieser Masse an neuer Kundschaft so knapp, dass die Tafeln sich mit der Situation heillos überfordert sehen. Das ist dann zwar so manchen Stöhner von Essensverteilern und so manche Anklage an den Staat wert, er würde sie hängenlassen bei der Versorgung der Figuren, denen er gerade sehr sorgsam ihr Versorgungsrecht in der Weise definiert hat, dass sie zum Fall für die Tafel werden. Ein öffentlicher Skandal wird daraus deshalb noch lange nicht. Was hingegen folgt, ist ein wachsendes Gerangel der Bedürftigen darum, wer wann wie drankommt, und die Not der Tafelführungen, sich ihre Mittel und ‚Kunden‘ einzuteilen. Angesichts des Andrangs organisieren die Tafeln der Republik die Verteilung ihrer Güter und die Aufteilung ihrer Kundschaft neu und die Sache geht damit eine ganze Weile weiter ihren Gang. Doch als herauskommt, dass die Essener Tafel ein gewisses Gewohnheitsrecht der Stammkundschaft gegenüber den neu und massenhaft antanzenden Elendsfiguren mit einer Unterscheidung zwischen In- und Ausländern verknüpft, die für sich genommen dem nationalen Zeitgeist denkbar gut entspricht – sie verhängt einen temporären Neuaufnahmestopp für Ausländer –, wittert die Öffentlichkeit Unrecht. Demgegenüber verteidigt der Vorsitzende seine Entscheidung wie folgt:
„Jörg Sartor, Vorsitzender der Essener Tafel: ‚Die deutsche Oma oder die alleinerziehende deutsche Mutter haben sich bei uns zuletzt nicht mehr wohlgefühlt.‘ Unter den Syrern und Russlanddeutschen gebe es ‚ein Nehmer-Gen‘, so Sartor. Einige würden drängeln und schubsen, es fehle an ‚einer Anstellkultur‘. Pro Woche würden nun rund 60 Personen ohne deutschen Pass abgewiesen, um wieder ‚ein ausgewogenes Verhältnis‘ herzustellen.“ (Spiegel Online, 23.2.18)
Vom Vorrecht der Deutschen auf Elendsbetreuung schafft
Sartor einen ungenierten Übergang zur rassistischen
Scheidung der Völker anhand ihrer Fähigkeiten zum artigen
Anstehen im Elendsfall: Die gut erzogenen Deutschen
wissen eben noch, was sich gehört – wenn einem in dieser
Überflussgesellschaft außer gutmütigen Spenden wenig zum
Essen bleibt, dann kommt es umso mehr darauf an, artig zu
warten, bis man selbst an der Reihe ist. Unverdient ist
dann nur, wenn man sich dabei unwohl fühlt mit den
ausländischen Männern in der Schlange, die dann alle
Arabisch sprechen
(Sartor in der
Zeit, 28.2.18). Und wenn sich ein Araber gegenüber
solchen auf Deutsch gesprochenen Anfeindungen unwohl
fühlt und deshalb lieber wegbleibt, umso besser. Davon
macht sich dieser Ritter der Essener Tafelrunde
jedenfalls nicht abhängig, wenn er sich daranmacht, den
Deutschen das ihrem Kulturgen entsprechend
ausgewogene
Mehrheitsrecht beim braven Anstehen zu
sichern.
Bei dieser Begründung der Art und Weise der Sortierung
seiner zu groß gewordenen Elendskundschaft ist die
öffentliche Empörung nicht mehr zu halten: Lauterbach
(SPD) wittert sofort Ausländerhass
, Kliefken
(FDP) findet das Ganze
einfach nur entsetzlich
, und die damalige
Bundessozialministerin und Schirmherrin der Tafeln,
Barley (SPD), erklärt, warum hier noch viel mehr auf dem
Spiel steht als bloß der schnöde Hunger der Ausländer:
Eine Gruppe pauschal auszuschließen, passt nicht zu
den Grundwerten einer solidarischen Gemeinschaft
. Die
allgemeine Empörung rettet das deutsche Gewissen, indem
sie vehement klarstellt: In der Frage, wer von den
massenhaft global politökonomisch Verarmten und national
Sortierten bei der rationalisierten Lebensmittelspende
leer ausgeht, geziemt es sich für wohltätige
Organisationen in Deutschland nun wirklich nicht, auf den
Pass zu schauen – wo bliebe denn da der
Gemeinschaftssinn.
Was sich für die Zivilgesellschaft nicht gehört, für Politiker aber schon
Sogar die oberste Chefin der deutschen Passträger und
Asylanten reiht sich in die Riege der Kritiker ein. Und
die muss es ja schließlich wissen. Wenn die Essener Tafel
bei der Frage, wer bei der Essensvergabe weggeschickt
wird, zwischen In- und Ausländern unterscheidet, wirft
ihr Merkel den Verstoß dagegen vor, was Bedürftigkeit
doch allemal gebietet: Da sollte man nicht solche
Kategorisierungen vornehmen
(RTL, 26.2.18). Sie habe zwar größten
Respekt vor dem Einsatz der Ehrenamtlichen. Jedoch sei
ein bedürftiger Mensch unabhängig von seiner
Staatsangehörigkeit bedürftig.
(FAZ, 1.3.18) Das ist schon ein starkes
Stück: Erst als Chefin des ganzen Ladens die Scheidung
zwischen In- und Ausländern professionell exekutieren und
dabei den Schutz des deutschen Volkes praktisch und
moralisch zu ihrem Haupt- und Generalanliegen erklären;
in dem Sinne dann darauf achten, dass Asylgesuche von
solchen Ausländern, die außer ihrer Bedürftigkeit nichts
vorzuweisen haben, als bloße ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘
nach Recht und Gesetz zurückgewiesen werden – was damit
mindestens auch ein bisschen moralisch gegen diese
spricht. Und dann anlässlich dessen, was die Essener
Tafel auf der Basis des Ganzen anstellt, anmahnen, dass
die private soziale Betreuung von Elend keine Frage von
Nationalität sei: Was sich da an der Grenze politisch
unbedingt gebietet und ein gutes Volk braucht und
verdient – die bevorzugte Behandlung gegenüber
Ausländern, die sich insbesondere durch strenge
Abweisungen beweist – geißelt sie moralisch bei den
privat Hilfstätigen als Diskriminierung. Aber es sind ja
auch Äpfel und Birnen: Das eine Mal geht es um das hohe
Gut namens Schutz des Volkes durch gerechte Abweisung an
der Grenze, das andere Mal um den Schutz des guten Bildes
des Gemeinwesens vor nicht zu rechtfertigender Abweisung
bei der Tafel.