Arbeiten im Kapitalismus geht offensichtlich nur, wenn der Staat einen Großteil des privaten Lohneinkommens seiner arbeitenden Bevölkerung zwangsweise kollektiviert und damit ein umfassendes System von Sozialkassen unterhält. So viel Sozialismus muss sein im freien bürgerlichen Gemeinwesen. Wie in dem mit hoheitlicher Gewalt ‚Solidarität‘ organisiert wird und warum, erläutert das Stichwort: Sozialversicherungen.
Das mit dem Wortungetüm ‚Betriebsrentenstärkungsgesetz‘ bezeichnete Werk ist ein weiterer Etappensieg in dem jahrzehntelang geführten ‚Kampf‘ des Sozialstaats gegen die ‚Altersarmut‘, die nach Auskunft der Politik längst nicht mehr bloß diversen ‚Einzelschicksalen‘, sondern der Klasse der Lohnabhängigen überhaupt droht.
Dem Urteil, dass sein Lebensinhalt die Dienstbarkeit an fremdem Nutzen ist, will sich so einfach keiner von denen anbequemen, die sich dafür einspannen lassen. Schließlich eröffnet sich ihnen nach Arbeitsende und mit dem verdienten Lohn das geschätzte Reich der Freiheit, mit der jeder anfangen kann, was er für wichtig hält; und so machen sich Millionen daran, den Traum vom Lohn der Mühen wahrzumachen.
Momentan vergeht kaum ein Tag, ohne dass Politiker vor einer „Lawine der Altersarmut“ warnen. Putzfrauen werden in Talkshows eingeladen, stellvertretend für zukünftig Betroffene. Sozialverbände prognostizieren, dass in absehbarer Zeit jeder zweite nicht von seiner Rente werde leben können. Kein Wunder, mag man meinen, schließlich kümmert sich der deutsche Staat nicht erst seit Hartz IV um die gesetzlichen Rahmenregelungen für eine nachhaltige Verbilligung der hiesigen Arbeiterschaft.
Eine schreiende Ungerechtigkeit, katastrophal,
eine gefährliche Geisterfahrt, ein Mühlstein um
den Hals des Standorts, fahrlässig, schlichtweg
Wahnsinn, Note: ungenügend (6) – kaum liegen die
GroKo-Rentenpläne auf dem Tisch, schon rollt in der
Republik eine Wutwelle heran. Die Aufregung entzündet
sich vor allem an der „Rente mit 63“: Ein
sozialpolitischer Amoklauf sei das, Betrug an der
jungen Generation bzw. eine Verschwörung gegen
sie.
Arbeitsministerin von der Leyen will eine Zuschussrente ins Parlament einbringen. Wer 40 Jahre Beiträge an die Rentenkasse abgeführt hat und nur eine Rente in Höhe der Grundsicherung, der Sozialhilfe im Alter, bezieht, soll statt bisher 680 € künftig 850 € erhalten. Sie wirbt für ihren Vorschlag, indem sie Zahlen veröffentlicht, die die Dringlichkeit des Problems belegen. Schon heute leben 400000 Rentner in absoluter Armut und erhalten Bezüge auf Sozialhilfeniveau.
Die Ministerin für Arbeit und Soziales entdeckt eine neue soziale Frage, die absehbar immer weiter wachsende Altersarmut, und eröffnet mit den zuständigen Abgeordneten, Sozialverbänden und Experten einen „Regierungsdialog Rente“ über „Konzepte zur Bekämpfung der Altersarmut“. Frau von der Leyen plant einen Zuschuss zu Kleinstrenten und erwartet „bereits 2013 bis zu 20 000 Empfänger, danach werde die Zahl der Zuschuss-Rentner schnell bis auf 100 000 steigen, 2035 sei mit 1 Mio. zu rechnen.“ (SZ, 8.9.11)
In sozialen Belangen gestaltet sich hierzulande der Verkehr zwischen Regierung und Regierten in der Regel äußert einfach. Wenn es z.B. für opportun befunden wird, das Renteneintrittsalter herauf- und auf dem Wege den Lebensunterhalt für die Alten herabzusetzen, wird das politisch beschlossen und vom Publikum hingenommen.
Die Regierung landet einen Überraschungscoup: Sie erhöht die Renten um 1,1 Prozent. In dieser einfachen Zahl stecken komplizierte Berechnungen. Erstens steckt darin eine eigentliche Erhöhung der Renten, die den Rentnern zusteht aufgrund einer Erhöhung der Bruttolöhne – an die sind sie also gekoppelt. Dann aber doch nicht, denn zweitens steckt darin ein „Nachhaltigkeitsfaktor“: Der mindert die Erhöhung, falls die Zahl der Beitragszahler sinkt – und das tut sie bekanntlich.
Der Minister für Arbeit und Soziales ist verärgert über einen Beitrag des ARD-Magazins Monitor. Das hatte unter dem Titel „Arm trotz Riester: Sparen fürs Sozialamt“ berichtet, dass „Hunderttausende, möglicherweise Millionen“ nicht von ihrer Riester-Rente profitieren werden: „Schon für einen Durchschnittsverdiener lohnt sich Riester nicht, nämlich dann, wenn er 2030 in Rente geht und nicht mehr als 32 Jahre voll in die gesetzliche Rentenkasse einbezahlt hat.“