„Deutschland-Rente“ – ein neuer politischer Vorschlag zur privaten Altersvorsorge
Mit mehr Erwerbsarmut wachsende Altersarmut bekämpfen
Momentan vergeht kaum ein Tag, ohne dass Politiker vor einer „Lawine der Altersarmut“ warnen. Putzfrauen werden in Talkshows eingeladen, stellvertretend für zukünftig Betroffene. Sozialverbände prognostizieren, dass in absehbarer Zeit jeder zweite nicht von seiner Rente werde leben können. Kein Wunder, mag man meinen, schließlich kümmert sich der deutsche Staat nicht erst seit Hartz IV um die gesetzlichen Rahmenregelungen für eine nachhaltige Verbilligung der hiesigen Arbeiterschaft. Entsprechend lautet seit Jahren die Losung der ‚Experten‘: Unternehmen dürfen nicht stärker belastet werden; es muss mehr privat vorgesorgt werden. Dafür sollte die 2002 eingeführte, staatlich geförderte Riester-Rente einen Anreiz bilden. Das Angebot haben viel zu wenige der einschlägigen Klientel wahrgenommen. Das – so der öffentliche Konsens – kann nur an diesem Angebot liegen. An dem gibt es daher jede Menge Kritik: viel zu freiwillig, viel zu teuer, viel zu konservativ bei der Geldanlage und daher – in Zeiten der Nullzinspolitik – viel zu unergiebig. Ein konstruktiver Beitrag zur Debatte um die Altersarmut kommt jetzt aus Hessen. Dort haben drei Minister das Konzept der „Deutschland-Rente“ entworfen: „ein einfaches, kostengünstiges Standardprodukt für jedermann“ (alle Zitate aus dem Positionspapier zur Deutschland-Rente, Al-Wazir, Grüttner, Schäfer, 22.12.15). Ihr Vorschlag macht sich an der Beseitigung der beklagten Mängel zu schaffen.
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„Deutschland-Rente“ – ein neuer
politischer Vorschlag zur privaten
Altersvorsorge
Mit mehr Erwerbsarmut wachsende
Altersarmut bekämpfen
Momentan vergeht kaum ein Tag, ohne dass Politiker vor
einer Lawine der Altersarmut
warnen. Putzfrauen
werden in Talkshows eingeladen, stellvertretend für
zukünftig Betroffene. Sozialverbände prognostizieren,
dass in absehbarer Zeit jeder zweite nicht von seiner
Rente werde leben können. Kein Wunder, mag man meinen,
schließlich kümmert sich der deutsche Staat nicht erst
seit Hartz IV um die gesetzlichen Rahmenregelungen für
eine nachhaltige Verbilligung der hiesigen
Arbeiterschaft. Entsprechend lautet seit Jahren die
Losung der ‚Experten‘: Unternehmen dürfen nicht stärker
belastet werden; es muss mehr privat vorgesorgt werden.
Dafür sollte die 2002 eingeführte, staatlich geförderte
Riester-Rente einen Anreiz bilden. Das Angebot haben viel
zu wenige der einschlägigen Klientel wahrgenommen. Das –
so der öffentliche Konsens – kann nur an diesem Angebot
liegen. An dem gibt es daher jede Menge Kritik: viel zu
freiwillig, viel zu teuer, viel zu konservativ bei der
Geldanlage und daher – in Zeiten der Nullzinspolitik –
viel zu unergiebig. Ein konstruktiver Beitrag zur Debatte
um die Altersarmut kommt jetzt aus Hessen. Dort haben
drei Minister das Konzept der Deutschland-Rente
entworfen: ein einfaches, kostengünstiges
Standardprodukt für jedermann
(alle Zitate aus dem Positionspapier zur
Deutschland-Rente, Al-Wazir, Grüttner, Schäfer,
22.12.15). Ihr Vorschlag macht sich an der
Beseitigung der beklagten Mängel zu schaffen.
Riestern ist zu freiwillig! Natürlich ist den politischen Rentenplanern bekannt, dass genau die Klientel, deren Bedrohung durch Altersarmut sie ins Auge fassen, sich die Vorsorge angesichts ihrer knappen Einkommen am allerwenigsten leisten kann, dass es sich bei den absehbaren massenhaft ins Auge gefassten Fällen also nicht bloß um ‚drohende Altersarmut‘, sondern um eine Konsequenz der prinzipiellen Geldnöte einer wachsenden Masse abhängig Beschäftigter handelt. Der Lage widmen sie sich aber streng nach der Logik unzureichender Vorsorge der Betroffenen für die Zukunft. Sie ‚schließen‘ von der mangelnden Nachfrage nach ihrem Riester-Sparangebot auf die fehlende Bereitschaft der Adressaten, es wahrzunehmen; von alleine halten sich die Betroffenen einfach zu wenig an die staatliche Vorsorgelogik, dass sie jetzt auf Einkommen verzichten sollen, weil sie künftig mit noch viel weniger fertigzuwerden haben. Also muss die Politik etwas dafür tun. Anders als beim Riestern soll das neue ‚Standardangebot‘ im Prinzip erst einmal genau wie die gesetzliche Rente staatlich organisiert eingetrieben werden, und zwar automatisch und gleich an der Quelle, bei den privaten Einkommen der Normalverdiener, die mit der alltäglichen Geldeinteilerei so beschäftigt sind, dass sie darüber ihre miese Rentenperspektive aus den Augen verlieren.
Die erste Antwort der Deutschland-Rente gehorcht also der
Devise: Wenn Altersarmut zur Normalität wird, dann haben
gefälligst alle privat vorzusorgen – und wenn das so
nicht funktioniert, dann darf man das private Sparen
möglichst gar nicht erst der privaten Bereitschaft
überlassen, dann muss man der freiwilligen Zusatzvorsorge
soweit wie möglich den Charakter einer privaten
freiwilligen Zusatzveranstaltung nehmen und es
möglichst verbindlich machen. Die Freiwilligkeit
bleibt trotzdem gewahrt: Wer meint, sich die Zusatzrente
partout nicht leisten zu können oder zu wollen, bekommt
eine Widerrufsmöglichkeit eingeräumt: Opt-out
. So
wird der Selbstbestimmung genüge getan; man darf bei der
Frage mitentscheiden, wann einen die gröbsten Härten der
Armut ereilen: vor oder nach Renteneintritt.
Riestern ist zu teuer! Dass die Möglichkeit,
sich vom knappen Arbeitseinkommen noch etwas abzusparen,
nicht bloß viel zu wenig ergriffen wird, sondern auch
nach Jahrzehnten nie und nimmer reicht, den finanziellen
Absturz im Alter entscheidend abzumildern; dass selbst
mit privater Vorsorge die ansonsten unter das
Existenzminimum fallenden Rentner bestenfalls hoffen
können, in etwa auf das Niveau der Grundsicherung zu
kommen: auch das ist den Politikern bei ihrem
‚rentenpolitischen Vorstoß‘ nicht unbekannt. Und wenn sie
die hohen Kosten der Riester-Rente beklagen, geben sie
damit irgendwie auch zu Protokoll, dass die mangelnde
Nachfrage nach ihrem Produkt weniger eine Frage der oft
beklagten mangelhaften ‚Vorsorgekultur‘, sondern eine
ganz banale Geldfrage ist: Es fehlt den Adressaten an
Geld. Dem widmen sich die Minister mit ihrem
‚rentenpolitischen Vorstoß‘ allerdings ganz nach der
Logik, dass es dann umso mehr auf die Ausgestaltung des
Angebots einer privat anzusparenden Zusatzrente
ankommt. Schließlich hat die Politik ja die
‚Alterssicherung‘ der Massen mit ‚Riester‘ und überhaupt
auf den Weg privater Lebenssicherung durch ein staatlich
gefördertes finanzkapitalistisches Versicherungsgeschäft
verwiesen. Und wenn das jetzt gerade angesichts der
Finanzkrise überhaupt nicht so funktioniert, wie
staatlich gewollt, dann muss man eben an den Bedingungen
dieses Angebots drehen. Weil aber für die Politik schon
gleich feststeht, dass sich an der Einnahmeseite nichts
schiebt und schieben darf von wegen Lohnkosten, bleibt
nur, an der anderen Seite des
Versicherungsgeschäftsmodells schöpferisch tätig zu
werden, beim Sparangebot – dies die zweite Antwort in
Gestalt der Deutschland-Rente. Erstens muss man
Kosten für die Verwaltung der Gelder senken,
also nach der Seite hin nicht so geschäftsmäßig
wirtschaften: So soll die Deutschland-Rente ohne
eigenes Gewinninteresse auf Selbstkostenbasis
über
staatlich eingesetzte Fondsmanager ihr Werk zu tun. Was
aber – zweitens und viel entscheidender – die
finanzkapitalistische Verwendung der
Altersspargelder angeht, muss man viel
geschäftsmäßiger agieren. Daran lässt es das
Riester-Modell fehlen, denn:
Riestern ist zu konservativ! Weil diese
Altersversicherung viel zu sehr auf Sicherheit angelegt
ist, so die Auffassung der politischen Kritiker des
Riester-Modells, braucht es niemanden zu wundern, dass
viele Einzahler erst ein biblisches Alter erreichen
müssten, ehe an eine bescheidene Rendite auf ihre
Beiträge zu denken ist. Eine interessante Auskunft:
Ausgerechnet das Achten auf Sicherheit bei der
Alterssicherung sichert Altersarmut; es untergräbt
nämlich die Aussicht auf Ertrag! Also gilt es umzudenken.
Für die Aussicht auf mehr Ertrag müssen die staatlichen
Vorschriften zur Absicherung der Sparvermögen möglichst
weitgehend abgeschafft werden. Die eingezogenen Beiträge
sollen dem Wunsch der um die Rente der Alten besorgten
Minister nach unbürokratisch
in einen Fonds
wandern, und dessen Manager sollen vornehmlich auf Aktien
setzen, wodurch – wenn die Spekulation gelingt –
möglicherweise eine höhere Rendite winkt als bei den
bisher vorgeschriebenen ‚konservativen Anlagestrategien‘.
Davon, dass die Rente nicht zum Leben reicht, wird
realistischerweise ausgegangen. Aber wenn schon die Rente
nicht reicht, dann soll sie wenigstens etwas
weniger nicht reichen! Und wenn sich das
finanzkapitalistische Geschäft als wenig taugliches
Mittel erweist, aus den mageren Spargeldern der Massen
für die ein gesichertes, geschweige denn
lebenstaugliches Alters-‚Vermögen‘ zu machen, dann muss
man eben beseitigen, was der freien
finanzkapitalistischen Verwendung der eingesammelten
Gelder im Weg steht, und das
Spekulationsgeschäft mit diesen Notgeldern der
Massen entschränken. Das Risiko trägt
in aller Freiheit die Masse der privaten Alterssparer.
In jedem Fall nützlich ist dieser Fonds für ‚unsere‘ Wirtschaft:
„Durch einen höheren Aktienanteil könnte gleichzeitig mehr Kapital für den Aktienmarkt und Börsengänge junger Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um Wachstum und Innovationen zu finanzieren.“
So macht die Idee der „Deutschland-Rente“ ihrem Namen alle Ehre: eine gelungene Kombination von staatlicher Organisation wachsender Altersarmut und Förderung (finanz-)kapitalistischen Wachstums.