Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Grand prix de Nobel: Twelve points for Italy
Kriterien für die Vergabe des Literaturnobelpreises und der Streit über die Preisverleihung an Dario Fo.
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Länder & Abkommen
Grand prix de Nobel: Twelve points for Italy
Die Nobelpreisarithmetik hat unter Anwendung ihrer strengen ästhetischen Kriterien – 1. „Nation“, die nach ihrem Rang in der Hierarchie der Mächte zur Ehrung ansteht, 2. „Kunstgattung“, die mal wieder dran ist (Lyrik, Drama etc.), und 3. „Botschaft“, die in die Welt paßt – dieses Jahr den Italiener Dario Fo als Träger des Literatur-Nobelpreises errechnet.
Im Unterschied zu den vergangenen Jahren hat das Komitee der Kulturwelt die Mühe erspart, die Nation des Geehrten und seine Werke erst ausfindig machen zu müssen. Während damals gemäß Kriterium 1 etlichen Drittweltländern bescheinigt werden sollte, daß auch sie in ihrer ganzen Schäbigkeit und Bedeutungslosigkeit Mitglieder der Völkerfamilie sind, daß auch ihre Insassen zur Gattung der Menschen gehören – Beweis: auch Neger und Schlitzaugen können dichten –, sind Nation und Werk des diesjährigen Nobelpreisträgers zwar bekannt. Aber seine Eignung ist umstritten.
Für ihn soll sprechen, daß er lustig ist, nicht nur
Schriftsteller, sondern auch Schauspieler, und der Linken
bzw. dem, was heute als links gilt, zuzurechnen: weil er
in der Nachfolge der mittelalterlichen Gaukler (der
Commedia dell’ arte) die Macht geißelt und die Würde der
Schwachen und Gedemütigten wieder aufrichtet
– heißt
die Begründung des Komitees. Gegen ihn soll genau
dasselbe sprechen: Es handelt sich nämlich um einen
italienischen Politclown
, unseriös
, weil er
unterhaltsam, weil er kein Schriftsteller, sondern ein
Schauspieler, und weil er links ist bzw. das, was heute
für links erklärt wird.
Die Vertreter des Pro und Contra äußern sich streng als
Anwalt eines der drei Kriterien unter gekonnter
Vermischung mit den anderen. Vertreter von Kriterium 2,
Künstler und Feuilletonchefs, fühlen sich, ganz
nach ihrem feinen Geschmack, entweder durch den Hinweis
auf die soziale Bedeutsamkeit ihres Treibens (Kunst als
Dienst am Volk!) geehrt oder mutmaßen umgekehrt, ob mit
diesem windigen Kaliber nicht eigentlich die Würde der
Kunst beeinträchtigt, in politische Niederungen gezogen
wird, so daß sie sich als deren Bannerträger
beleidigt fühlen müssen. Zu dem Zweck verbreiten sie
Hintergrundwissen, nach dem es sich um eine
Verlegenheitslösung
handelt, weil ein Dramatiker
an der Reihe gewesen wäre, und zwar kein
englischsprachiger… Oder sie nehmen die Gelegenheit wahr,
mit der unterstellten Mißachtung des Preisträgers
Kollegen zu beleidigen, die sie immer schon mal
beleidigen wollten. (Achternbusch: …immer noch besser
als Günter Grass
; Zeffirelli: …immer noch besser
als Umberto Eco
)
Die notwendigerweise pluralistisch auftretenden Vertreter von Kriterium 1 sind empört, weil Portugal drangewesen wäre, oder jedenfalls nicht Italien, sondern Günter Grass. Befriedigt, weil mit Italien eine 1a-Euro-Kulturnation drangekommen ist, empört, weil „Kultur“ aber doch nicht so aussieht. Insbesondere die Fachleute der geehrten Nation geraten in Streit, ob die Nation sich mit der Gestalt von Fo nun eher geehrt oder trotz ihrer Maastricht-Solidität wieder einmal als Haufen liebenswürdiger Lebenskünstler mißverstanden fühlen soll.
Die berufsmäßigen Vertreter von Kriterium 3 äußern sich
ebenfalls auf sehr übersichtliche Art und Weise. Der
Osservatore Romano, immer schon ein Verteidiger der
Qualitätsmaßstäbe von Kunst, zeigt sich entsetzt über
die Wahl eines Hofnarren.
Andere, zufrieden mit der
volksnahen Entscheidung
, dichten dem Lebenswerk
des Geehrten allen Ernstes die Leistung an,
verständlich zu machen, wie die Politik, die
Wirtschaft, die Gesellschaft laufen, damit man sie in
andere Richtungen lenken kann und der ‚kleine Mann‘ nicht
mehr umgangen wird
. Woraus man lernen kann, wie
schwer die Aufgabe der Preisverleiher ist, vermittelt
über die schwierige Ehre von Künstlern (lauter Giftnudeln
im Namen höherer Werte), die Ehre von Nationen (ebenfalls
Giftnudeln) zu pflegen.
Aber das Komitee wird sich schon seines gedacht haben.
Mal abgesehen von den Gründen, nach denen die dramatische
Kunst und Italien irgendwie an der Reihe waren, hat der
Beschluß auch hinsichtlich des 3. Gesichtspunkts viel für
sich: Je mehr die Produktion von Schwachen
voranschreitet, umso dringlicher ist es, daß sich auch
einer um deren Würde
kümmert. Witze über die
Mächtigen – das haben sich die Schwachen
verdient,
das hält sie bei Laune. Und daß so etwas in Zeiten
massenhafter Ausdehnung der Kunstgattung „comedy“
gefährlich wäre, denkt auch nur der Vatikan. Auch die
Botschaft, daß und wie Linkssein völlig in Ordnung geht,
paßt in eine Welt, in der der Kommunismus so gründlich
tot ist, daß nach 50 Jahren Ausschluß die „Linke“ in
einer italienischen Regierung sitzen darf, in einer
Regierung, die nachweislich keine linke, sondern beste
nationale Politik macht.
Schließlich verbucht auch der Geehrte die Preisverleihung
ungerührt als persönlichen Triumph
. Daß die Sache,
für die er sich aus dem Fenster gehängt hat, die ihm
seinerzeit etliche Verhaftungen wegen polizeiwidrigen
Denkens eingebracht hat, komplett unter die Räder
gekommen ist, stört ihn wenig; die Verwechslung von
Person und Sache gehört bei Künstlers zum Beruf. Ebenso
wie die Verbeugung vor dem Zeitgeist: Wenn das Vaterland
in Not ist, dann kennen auch berufsmäßige Nestbeschmutzer
ihre Pflicht. Dann halten sie es für angebracht, auf
öffentlichen Plätzen gegen den Separatisten Bossi die
Nationalhymne zu singen und damit klarzustellen, daß sie
mit ihren lebenslänglichen Beleidigungen von Italien,
seinen Politikern und seiner Kirche immer nur das Beste
fürs Vaterland gewollt haben. Offensichtlich kennen auch
„Flegel“ –
„Wir sind Flegel. Wir sind überzeugt, daß im Gelächter, im Grotesken, in der Satire, der höchste Ausdruck des Zweifels liegt, die wichtigste Hilfe der Vernunft.“ (SZ 10.10.) –
ihre nationale Verantwortung.
Da schon alle die Entscheidung kritisieren, auch hier noch eine kritische Anmerkung: Das Nobelpreiskomitee hat etwas verwechselt. Wenn es wirklich Komik prämieren wollte, hätten die Jungs von der Wirtschaftswissenschaft den Preis viel eher verdient: Erst eine todsichere Formel für Spekulanten aufstellen, die laut Nobelpreiskomitee „zu einem beispiellosen Wachstum der Märkte für Derivate beigetragen“ haben soll, um sie dann in den Crash zu hetzen. Das hat buffoneskes Format.