Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Das „Todesspiel“ im Fernsehen – oder:
Der Rechtsstaat als antike Tragödie
Alle loben einen dokumentarischen Film über die Schleyer-Emordung, weil er die Motive der damaligen Regierung mit einer höheren Weihe versieht.
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Systematischer Katalog
Das „Todesspiel“ im Fernsehen – oder: Der Rechtsstaat als antike Tragödie
Ein Film bewegt die Gemüter. Die Sache, von der er handelt, der Terrorismus und seine Bekämpfung, ist für die Republik erledigt. Nicht aber ihre ideologische Einordnung.
Mit aller Macht hat der deutsche Rechtsstaat seine
Terroristen verfolgt und fertiggemacht. Härte und
Unnachgiebigkeit seiner dabei verwandten Methoden haben
bisweilen den einen oder anderen Idealisten verstört, der
einer Demokratie solches nicht zutrauen wollte.
Angemeldete Bedenken, ob da nicht manchmal die Grenzen
des Rechtsstaats
überschritten würden, haben aber
höheren Ortes niemanden beeindruckt. Das geht – sachlich
betrachtet – ganz in Ordnung, denn im Umgang mit
Terroristen zeigt der Rechtsstaat nur, was alles in ihm
steckt, wenn Konkurrenten der staatlichen Monopolgewalt
unschädlich zu machen sind. Das gilt selbstverständlich
auch dort, wo er die letzten der noch Inhaftierten sein
Racheverlangen spüren läßt.
Nun, nach gelungenem Schlußstrich unter das
Terroristenproblem
, kommt ein Dokudrama
ins
Fernsehen. Nicht um die ehemals kritisch
gemeinten Fragen nach der Legitimität des staatlichen
Vorgehens gegen Terroristen wiederzubeleben, sondern um
sich des allerletzten, winzigkleinen Restes einer
unangenehmen Erinnerung anzunehmen, die im Kulturgeist
der Nation noch überlebt hat: Dieser bleierne
Herbst
, der sich bei Schleyers Entführung 1977 über
Deutschland gelegt hätte, steht filmerisch zur
Aufarbeitung
an, gleich zwei Mal 90 Minuten lang
und zur besten öffentlich-rechtlichen Sendezeit.
Anders als im richtigen Kino verlangt die genretypische
Kurzweil hier die rechte Mischung von Fakten
mit
moralischer Fiktion, und so besorgen im Todesspiel
nachgestellte Polizeiberichte und Interviews mit
Beteiligten
die phantasievolle Einfühlung des
Publikums in die Kriminalstory – man wirft einen Blick
nach Stammheim, ins Volksgefängnis
der RAF, man
ist auch dabei, als offensichtlich durchgeknallte
Palästinenser ein deutsches Flugzeug entführen, usw.
Dafür ist dann die Botschaft, auf die es
ankommt, wie in jedem richtigen Western konstruiert: Der
politische Stoff wird zur moralischen Einfühlung
in einen Konflikt zwischen den Vertretern des
Guten und denen des Bösen aufbereitet,
deren Tun dann von den höheren bzw. niederen
Absichten nicht mehr zu scheiden ist, die sie
zum Besten geben. So hört man aus ganz
authentischem
Mund, daß es dem Kanzler Schmidt und
anderen Akteuren seines Krisenstabs
furchtbar
schwergefallen sei, sich von Terroristen einfach
nicht erpressen lassen zu wollen; daß sie – wo Schleyer
ihnen doch so nahestand – richtig gelitten
hätten darunter, ein Menschenleben zu opfern
; daß
sie dies wirklich nur getan hätten, um den vornehmsten
Daseinszweck der rechtsstaatlichen Strafverfolgung,
den Schutz des Menschenlebens
, am Leben zu
erhalten; daß sie im Umgang mit ihren Feinden vor allem
und ausschließlich ermitteln wollten, wo genau die
Grenzen des Rechtsstaats
verliefen, usw., kurz: – daß
damals die Exekution der rechtsstaatlichen Gewalt gar
nicht dies, sondern ein menschlich-moralischer
Riesenkonflikt ihrer Exekutoren war.
Auf eine so schöne Interpretation der deutschen
Zeitgeschichte scheint man hierzulande schon länger
gewartet zu haben. Der feuilletonistische Geist der
ganzen Republik jedenfalls läßt sich diese Heucheleien
der staatlichen Macht als Dokumentation
der Zeit
damals unmittelbar einleuchten. Ihm gefällt es
ausgesprochen gut, sich die staatliche Räson als
Wertekonflikt und ihre Vollstrecker als
moralisch Gebeutelte einzubilden – und zwar gleich
so gut, daß derselben schreibenden Elite, die sich über
ein Fernsehpublikum zu erheitern pflegt, das moralische
Phantasie und Realität auf seine Weise nicht
auseinanderhält und dem Dr. Brinkmann Briefe in die
Schwarzwaldklinik schreibt, intellektuelle Würfe der
folgenden Art gelingen:
„Ein Meisterwerk, ganz ohne Zweifel. Ein Höhepunkt der Fernsehgeschichte, maßstabsetzend. Ein Stück Geschichtsschreibung, nein Geschichtsvergegenwärtigung, Geschichtsdurchdringung, das die Möglichkeiten der Historikerzunft souverän überschreitet. Eine Tragödie. Ja, eine Tragödie… Eine Tragödie. Das Wort ist keine Floskel in diesem Fall. Zwei Ordnungsvorstellungen treffen aufeinander, die des Staates, die der Terroristen… Wo diese beiden Entwürfe – der staatliche und der utopistische – in der Realität, nicht im Disput, aufeinandertreffen, da kommt es zum Kampf. Wo dieser Kampf ausgetragen wird, dort entsteht das uns aus der Antike überlieferte Phänomen des schuldlos Schuldigwerdens. Schlichter: Wenn die angegriffene Ordnung wiederhergestellt wird, gehen – obwohl das nicht im Sinne der Ordnung ist, Menschen drauf. Die Tragödie liegt in der Ausweglosigkeit dieser Situation… Soviel bewußt gemachte Geschichte war selten in einem Fernsehfilm. Heinrich Breloer hat gezeigt, was Fernsehen kann… Wir müssen ihm für die Lektion dieser Tragödie dankbar sein.“ (K. Podak, SZ 26.6.97)
Ja, ganz ohne Zweifel maßstabsetzend, wie sich für diesen Kenner des Aristotelischen die Kreise zur Demokratie heute schließen. Weil er sich durch den Genuß von zwei Fernsehabenden dazu inspiriert fühlt, das staatliche Gewaltmonopol für so etwas zu halten wie einen obersten sittlichen Zweck, ist es überhaupt nicht der Rechtsstaat, der in diesem und anderen Bedarfsfällen über Leichen geht. Vielmehr findet da die letzlich unverwüstliche Macht des Guten zu sich selbst zurück, die in seinen Exekutoren einfach beschlossen ist. Das mag zwar – weil ja gestorben wird – einiges an Furcht gebieten, erheischt aber noch viel mehr Mitleid – mit denen, die den Tod als Opfer höherer Gerechtigkeit verbuchen müssen. Und wenn dann der Rechtsstaat sich abschließend und erfolgreich zu seinem Recht verholfen hat, Schleyer zwar tot, der Terror letztlich aber auch erledigt ist, hat sein kulturvoller Interpret seine Katharsis hinter sich und dankt allen Beteiligten dafür, ihm die schöne Anschauung des staatlichen Wesens als Durchbruch edelsten Menschentums beschert zu haben.
Zur vollständigen Abrundung dieses anheimelnden Bildes einer deutschen Episode fehlt da nur noch eines: Eine passende Stellungnahme von denen, die sich zur politischen Ethik von Leuten wie Schmidt schon einmal anders und sogar kritisch geäußert haben. Und schon kommt sie, von der TAZ und einer Tussi, die für die Linke entsprechend Maßstabsetzendes verlautbaren läßt:
„Im Grunde war Schmidt Antigone; nur daß er seinen Bruder begraben mußte, obwohl er sich für Kreon und den Staat statt für das Blutgesetz entschieden hat… Mein alter Feind Helmut Schmidt, plötzlich verstehe ich, in welcher Lage er war.“
So verflüchtigt sich dank dieser einhelligen
Geschichtsdurchdringung
endlich alles
Bleierne
aus dem deutschen Herbst 1977
, und
die deutsche Intelligenz kann endlich an ihn als eine
Freilichttragödie im Altweibersommer denken. Da sieht
man, wozu es gut ist, wenn man eine Bildung gelernt hat.