Im Sommer entdecken ein paar europäische Zuständige öffentlich, dass, während in der Ukraine der Krieg ins zweite Halbjahr geht, Bürger der russischen Föderation die ehedem für sie gültig gemachten Visa- und Einreiseregeln in Länder der EU weiterhin benutzen und als Touristen den heiligen europäischen Binnenraum betreten. Ein großes innereuropäisches Diskutierenhebt an, ob man denen das weiterhin erlauben soll.
Was hat man eigentlich zu halten von dem „Überraschungsangriff, der Putins Armee kalt erwischt hat“? Von dem „atemberaubenden Tempo des Vormarschs und des überstürzten russischen Rückzugs“, der „militärisch hochbedeutsamen Befreiung von 454 Städten und Erbeutung Hunderter Panzer“ sowie von vielen Toten auf beiden Seiten und an zwei Fronten?
Im öffentlichen Streit um die deutsche Kriegsbeteiligung bleiben die vielen Patrioten, die den Krieg zum Gebot aller nationalen deutschen Werte erklären, und die Minderheit derjenigen, die die Beteiligung daran für einen Verrat an eben jenen Werten halten, nicht unter sich. Mit Wolfgang Thierse meldet sich jemand zu Wort, der als Verkörperung des sozialdemokratischen und nationalen Gewissenshaushalts gilt und sich selbst so versteht und der von der Höhe dieses Standpunkts aus beide Seiten zurechtweist – echt nachdenklich und ehrlich zerknirscht.
In aller Freiheit – wir sind schließlich nicht in Russland – übernimmt die ‚vierte Gewalt‘ die Perspektive des regierungsamtlichen Kriegskurses. Nach dem Motto, endlich die offizielle Bestätigung für ihre Sicht auf Russland zu erhalten, sieht sie sich zu der Mission herausgefordert, ihren Lesern und Zuschauern das Bild von Freund und Feind vor Augen zu stellen, das ihnen klarmacht, wer unsere Feindschaft verdient und wer unsere Solidarität.
Aus der Kleinstadt Butscha gibt es schlimme Bilder zu sehen. Also sieht Bild hin. Was auf den Bildern aus Butscha zu sehen ist: das Grauen des Kriegs; das, was ‚die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln‘ anrichtet; und auch, dass beim groß- und kleinkalibrigen Töten und Zerstören die ach so zivilisatorische Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten mal wieder nicht eingehalten worden ist.
Auch die andere Seite des Krieges erfährt in der öffentlichen Berichterstattung ausgiebig ihre Würdigung. Am laufenden Band werden dem hiesigen Publikum Ukrainer präsentiert, für die man einfach Partei ergreifen muss. In der Vielzahl ihrer recht stereotypen Einzelschicksale als Opfer oder Held ‚unseres Krieges‘ ist für jeden Geschmack etwas dabei.
Von den vielen menschlichen Opfern, die der Waffengang im
Osten produziert, suchen und finden etliche als Flüchtlinge
den Weg durch den Osten der EU bis nach Deutschland. Dort
werden sie auch reingelassen; die deutsche Regierung öffnet
ihnen die Grenzen und Sozialsysteme, um sich um die
menschlichen Opfer des Kriegs zu kümmern, den Deutschland auf
der richtigen Seite betreut.
Unter dem Titel „Krieg sofort beenden! Waffenstillstand jetzt!“, unter dem Logo einer Friedenstaube und in gleich fünf Sprachen veröffentlicht der DGB-Bundesausschuss eine Woche nach Kriegsbeginn eine Resolution zum Krieg in der Ukraine.