Die Sachthemen des amerikanischen Wahlkampfs
Wofür Amerikaner starke Führung brauchen
Die Welt hat bei der US-amerikanische Wahl nichts zu melden, obwohl alle vom Ausgang der US-Wahl betroffen sind. Diese Weltmacht ist nämlich eine vorbildliche Demokratie, also nur gegenüber ihren eigenen Bürgern rechenschaftspflichtig. Letztere werden daher im Wahlkampf mit Auskünften überschüttet, dass und wie es den Kandidaten ganz um sie geht. Der chauvinistische Wahlspruch „America first!“ ist in diesem allgemeinen Sinne nicht nur der Slogan von Donald Trump, sondern der Leitfaden der ganzen Veranstaltung. Die hat der oberste Vertreter dieses Mottos nun gewonnen. So deutlich, dass er die Pläne zur Umsetzung seiner Drohungen gegen diejenigen, die ihn um seinen vorher feststehenden Sieg betrügen wollen, in der Schublade lassen kann. Er hat diesmal sogar die „popular vote“ gewonnen, sodass man seinen Sieg nicht wie geplant auf das archaische „electoral college“ schieben kann. Der Rechtsruck der Wähler zu Trump hin durchzieht die ganze Nation, auf dem Land wie in den Städten und über alle ethnischen, Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg. Trumps republikanische Partei hat außerdem in beiden Kammern des Kongresses eine Mehrheit erobert; der Oberste Gerichtshof liegt ohnehin schon fest in der Hand der Konservativen. Wie hat er das geschafft?
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Die Sachthemen des amerikanischen Wahlkampfs
Wofür Amerikaner starke Führung brauchen
Das Befürchtete ist eingetreten – so sieht man es in Deutschland und nicht nur dort. Die Hoffnung ist aufgegangen – so sieht man es in Ungarn und nicht nur dort. So oder so: Alle haben mitgefiebert, weltweit. Der amerikanische Wahlkampf und erst recht sein Ergebnis beschäftigen nicht nur die Amerikaner, sondern alle Staaten und alle Völker, nicht nur irgendwie, sondern ziemlich intensiv. Man kann es ihnen nicht verdenken. Wie es mit laufenden und drohenden Kriegen in gleich drei Weltregionen weitergeht; unter welchen Bedingungen es den Weltmarkt von heute und morgen überhaupt gibt; wer im Ringen zwischen etablierten und „populistischen“ Parteien den mächtigsten Machthaber der Welt auf seiner Seite hat und was das überhaupt heißt ... – das alles hängt am Ausgang der Konkurrenz zwischen zwei Anwärtern auf die Führungsposition der Weltsupermacht, deren Aufgabenkatalog sie sehr unterschiedlich ausbuchstabieren. Die Staaten der Welt sondieren schon sehr früh die Chancen und Zumutungen, die der Sieg des jeweiligen Kandidaten für die eigenen nationalen Kalkulationen und Ansprüche bedeuten könnte; ihre Völker, die sie dafür praktisch in Anspruch nehmen, werden darin auch geistig verwickelt. Am Ende hat sich alle Welt eine mehr oder weniger feste Meinung dazu gebildet, wie es um die demokratischen und überhaupt um die Sitten der Weltmacht USA steht.
Bloß hat die Welt da nichts zu melden. Diese Weltmacht ist nämlich eine vorbildliche Demokratie, also nur gegenüber ihren eigenen Bürgern rechenschaftspflichtig. Letztere werden daher im Wahlkampf mit Auskünften überschüttet, dass und wie es den Kandidaten ganz um sie geht. [1] Der chauvinistische Wahlspruch „America first!“ ist in diesem allgemeinen Sinne nicht nur der Slogan von Donald Trump, sondern der Leitfaden der ganzen Veranstaltung. Die hat der oberste Vertreter dieses Mottos nun gewonnen. So deutlich, dass er die Pläne zur Umsetzung seiner Drohungen gegen diejenigen, die ihn um seinen vorher feststehenden Sieg betrügen wollen, in der Schublade lassen kann. Er hat diesmal sogar die „popular vote“ gewonnen, sodass man seinen Sieg nicht wie geplant auf das archaische „electoral college“ schieben kann. Der Rechtsruck der Wähler zu Trump hin durchzieht die ganze Nation, auf dem Land wie in den Städten und über alle ethnischen, Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg. Trumps republikanische Partei hat außerdem in beiden Kammern des Kongresses eine Mehrheit erobert; der Oberste Gerichtshof liegt ohnehin schon fest in der Hand der Konservativen. Wie hat er das geschafft?
Dafür hat die Öffentlichkeit dort wie hierzulande gleich nach der Verkündung des Ergebnisses ein halbes Dutzend Erklärungen parat. In der Summe rücken sie die amerikanischen Wähler in ein ziemlich schlechtes Licht – ebenso Harris’ Demokraten, die es vergeigt haben, den falschen Kandidaten am eigentlich Undenkbaren zu hindern. Ein Befund spielt dabei eine ganz prominente Rolle, wohl nicht zu Unrecht: Nach einem ereignisreichen Wahlkampfsommer, in dem den Bürgern mehrfach die Lektion erteilt worden ist, dass sie an der Führungsspitze vor allem energische Führungsstärke brauchen, [2] sind es am Ende die Sachthemen, die den Ausschlag gegeben haben sollen. Ob das wirklich der Fall gewesen ist, wird man nie ermitteln können; was die Bürger dabei im Einzelnen bewegt hat, dürfen sie in der Demokratie für sich behalten. Was aber auf jeden Fall feststeht, ist, mit welchen Alternativen die Kandidaten sie zu einer Wahlentscheidung bewegen wollten. Und das ist schon beredt genug.
I. Die Wirtschaft
„‚Es ist die Wirtschaft, Dummkopf!‘ Diesen berühmten Satz hat der Wahlkampfstratege der Demokraten James Carville schon bei der Präsidentschaftswahl 1992 geprägt. Und seitdem hat er sich in die Köpfe vieler Beobachter eingebrannt. Die Brot- und Butterthemen sind es, die die Wahlentscheidung der Amerikaner maßgeblich beeinflussen, heißt es. Eine neue Gallup-Umfrage aus dieser Woche bestätigt genau das für die Präsidentschaftswahl auch in diesem Jahr, und zwar in besonderem Ausmaß.“ (FAZ, 12.10.24)
Ob es der Wirtschaft gut geht oder nicht, dafür haben sich in kapitalistischen Demokratien bekanntlich drei bis vier feste Kriterien eingebürgert: Wachstum, Beschäftigung, Börse, Inflation. An den einschlägigen Zahlen soll jeder – ob Tellerwäscher oder Millionär – ablesen, ob die Wirtschaft so ist, wie sie sein soll, also Zufriedenheit angesagt ist. In Zeiten des Wahlkampfs ticken die Uhren freilich anders. Da bekommt der Wähler das Angebot, bei „der Wirtschaft“ allein an sich selbst zu denken. Gesamtwirtschaftliche Erfolgsindikatoren bleiben zweifellos relevant, aber gemäß dem ewigen Diktum, dass man „den eigenen Tank nicht mit BIP füllen kann“, soll sich der Wähler ruhig selbst als Maß aller ökonomischen Dinge aufführen und die Prätendenten auf die Macht am eigenen Wohlergehen messen. Die einschlägige Frage lautet da traditionell: „Geht es mir besser als vor vier Jahren?“ Von „gut“ oder „schlecht“ ist wohlgemerkt nicht die Rede. Es geht um eine Frage, die der Bürger in der Wahlkabine zu beantworten hat – einen dafür geeigneten Vergleich soll er anstellen, sein eigenes ökonomisches Abschneiden hat er in die Wahl eines politischen Hauptmanns zu überführen.
Das ist sehr eigenartig. Wo doch in einer freien Marktwirtschaft bekanntlich „die Wirtschaft in der Wirtschaft“ stattfindet. Wo die dafür gefeiert wird, dass es für das Wohlergehen des freien Individuums vor allem auf seine persönliche Tüchtigkeit ankommt. Nun soll sich aber der selbstverantwortliche Amerikaner, notorisch allergisch gegen obrigkeitliche Bevormundung, seine wirtschaftliche Lage so vorstellen, dass sie an der personellen Besetzung der Staatsspitze hängt? Die Kandidaten helfen ihm dabei auf die Sprünge: Das republikanische Lager gibt ihm den Rat, an die heftig gestiegenen Preise zu denken, die er seit einigen Jahren für Benzin, Lebensmittel und ein Eigenheim zahlen muss. Nähere Auskünfte dazu, was die mit der Demokraten-Regierung im Weißen Haus zu tun haben, sind freilich nicht zu erwarten; ein gewisser Aberglaube, das Verhältnis zwischen Preisen und Präsidenten betreffend, reicht allemal für die Entscheidung, die ein Wähler zu treffen hat. Mit dem Gegenargument „Biden hat mehr Jobs geschaffen als Trump!“ greift das demokratische Lager zur blanken Lüge gegenüber Wählern, die doch ganz genau wissen, wer sie heuert und feuert. Harris legt mit einer gewissen Unverschämtheit nach: Ihre eigenen biografischen Wurzeln sind so was von „middle class“; so viel menschliches Verständnis dafür, wie schwer es die Durchschnittsbürger haben, hat kaum ein anderes Mitglied der politischen Elite; die wird’s also schon richten. Trump, stets der Ehrlichere, pflegt wie gewohnt die umgekehrte Tour: So reich wie er zu sein, davon können die Wähler nur träumen; seine Regie kann für ihre Lage nur gut sein. Und so reich, wie der eh schon ist, kann es keine bessere Garantie dafür geben, dass ein Politiker es ernst meint, wenn er verspricht, sich ganz den Schwierigkeiten seiner Bürger zu widmen.
Inwieweit die Wähler solche zweifelhaften Argumente ernst nehmen, ist letztlich nicht zu ermitteln; Einspruch steht ihnen als Wählern nicht zu Gebote, nur ein Ja zu einer der gebotenen Alternativen. Der Unsinn verrät jedenfalls einiges – nicht nur darüber, wie unsachlich es zugehen kann, wenn mündige Bürger aus ihrer ökonomischen Lage eine Frage des guten Regierens zu machen haben, sondern auch über die freiheitliche Selbstverantwortung des marktwirtschaftlichen Individuums selbst. Die Kandidaten wissen offenbar durchaus, worin die letztlich besteht: in der selbstverantwortlichen Bewährung an Zwängen und in Abhängigkeit von Bedingungen, die die Bürger nicht bestimmen, nicht einmal begreifen müssen. Das gilt offenbar für alle: für gut betuchte Erfolgstypen wie für diejenigen, die täglich die Benzinpreise bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma überprüfen müssen. Gleichgültig, ob man um die eigene Bereicherung konkurriert oder einen Kampf ums Zurechtkommen im Dienst der Bereicherung anderer führt: Freiheit braucht Obrigkeit, eine sehr umfassend tätige. Mit der größten Selbstverständlichkeit wird den Bürgern also bei allem Stolz auf ihre Selbstverantwortung in der Konkurrenz ein extrem affirmatives Bewusstsein ihrer Abhängigkeit von höheren Instanzen unterstellt. Auf der Basis bekommen sie ein Angebot, einen Anspruch zu stellen, der aber bloß davon zeugt, dass ihre freie Selbstbestimmung sich in einem Votum für einen obersten Chef verwirklicht: Sie sollen ruhig darauf bestehen, dass die politische Führung ihre Sache richtig, auf jeden Fall auftragsgemäß macht, damit ihre abhängige Glückssuche – jeder an seinem Platz – gelingt.
„Auftragsgemäß“ definieren amerikanische Präsidentschaftskandidaten traditionell so, dass sie die tüchtig konkurrierenden Amerikaner vor der Last zu verschonen haben, die die Staatsmacht für sie immer bedeutet. Bei Donald Trump ist das eine einfache Geschichte: Er verkündet die Verstetigung und Vertiefung seiner damaligen Steuersenkungen für die Unternehmen und die Reichen des Landes sowie eine Reihe von neuen. Wer viel Geld hat, soll es behalten und als Kapital einsetzen. Gemäß den wirksamen Abhängigkeitsverhältnissen der freiheitlichen Marktwirtschaft ist dadurch nicht nur den Wohlhabenden, sondern auch und gerade den anderen gedient: Zu Mitgliedern der Arbeiterklasse sickern, wenn alles gut geht, allemal Arbeitsplätze durch; erst recht nach der Abschaffung von weiteren regulatorischen Beschränkungen beim unternehmerischen Umgang mit der Natur wie mit ihnen selbst. Was sie von den Arbeitsplätzen haben, die es dann gibt, können sie als Herausforderung an ihre eigene Selbstverantwortung nehmen. Harris verspricht ihrerseits eine ganze Reihe von Entlastungen für die notorisch „struggling middle class“, die sich nun auch mit steigenden Preisen dort herumschlägt, wo es wirklich weh tut. Angekündigt sind eine Senkung der Einkommenssteuer für Normal- und Geringverdiener, Maßnahmen gegen kartellartige Preistreiberei bei Lebensmitteln, niedrigere Kosten für medizinische Versorgung durch Steuergutschriften und mehr Verhandlungsbefugnisse des Staates gegenüber „Big Pharma“, billigere Energie durch vermehrte – grüne wie fossile – Energieproduktion, Steuerhilfen für Häuslebauer und kleine Unternehmen, Steuergutschriften für Eltern, damit die sich z.B. Kindersitze leisten können – eine beeindruckende und superkonkrete Großzügigkeit, die in Harris’ Wahlkampf eine besonders prominente Rolle spielt. Und noch einiges mehr. Harris kann nicht oft genug sagen, wie viel Hilfe eine stolze „middle class“ braucht, um als selbstverantwortliche Menschen in einer „opportunity economy“ zurechtzukommen, die sie in Amerika neu beleben will. Mit besserer Betreuung halten sie allemal besser aus, was sie aushalten müssen, wenn der Reichtum der Nation weiterhin zuverlässig wachsen soll.
Zugleich machen beide Kandidaten auch lange vor dem aktuellen Wahlkampf klar, dass der Staat auf keinen Fall die Wirtschaft sich selbst überlassen darf. Das ist zwar auch in Amerika noch nie der Fall gewesen, aber jetzt steht für beide Parteien fest: Das kapitalistische Wohlergehen der Nation steht und fällt mit dem entschlossenen Einsatz der amerikanischen Staatsmacht – und zwar nach außen. Dazu lassen sich die Kandidaten entsprechend gebieterisch beauftragen. Trump bleibt damit seinem politischen Weltbild treu: Das heilige Recht der USA auf wirtschaftliche Ergebnisse, die ihre absolute Überlegenheit widerspiegeln, wird missachtet – vor allem durch amerikanische Politiker, die ihr Rechtsbewusstsein offenbar verloren haben und das ihrer Bürger auf jeden Fall verraten. Wo die Kapitalisten vom Ausland aus Jahr für Jahr am Größten Markt aller Zeiten mehr verdienen als umgekehrt, da verschenken Amerikas Politiker den Reichtum der Nation an Fremde. Dass Amerikas internationale Zahlungsfähigkeit dabei überhaupt nicht leidet, die notorisch negative Handelsbilanz vielmehr die Kehrseite davon ist, dass eine ganze Weltwirtschaft nicht genug Dollar und Dollarschulden kriegen kann, also für den singulären Status des amerikanischen Geldes in Anspruch genommen wird – das zeigt Trump nur, dass Amerika diese Kehrseite gar nicht dulden muss, es aber trotzdem laufend tut. Ein unansehnlicher „Rust Belt“ mit seinen Abstiegsbiografien belegt das Gleiche: Der gilt Trump im Gegensatz zur etablierten ökonomischen Vernunft nicht als die bedauerliche Schattenseite davon, dass die ganze Welt für eine Benutzung durch US-Kapital erschlossen worden ist. Letzteres belegt umgekehrt, dass die mächtigste Ökonomie der Welt sehenden Auges und ausgerechnet an der Heimatfront eine Relativierung ihrer Überlegenheit zulässt. Und dass eine fremde Nation im Besonderen es über die glorreiche Ära globalisierten Dollarkapitals zu einer ernsthaften Infragestellung amerikanischer Suprematie gebracht hat, ist für ihn der endgültige Beweis, dass die amerikanischen „Leaders“ der Globalisierung den größten Markt und den besten Standort der Welt nicht nur vernachlässigen, sondern verramschen. „America first!“ – das ist eben nicht bloß der Ausdruck für ein ehrgeiziges amerikanisches Aufbruchsprogramm, sondern ein Rechtszustand, den es wiederherzustellen gilt – „MAGA“ eben. In der Durchsetzung dieses Anrechts geht die angekündigte Wirtschaftspolitik von Trump II allem Anschein nach komplett auf. Konsequenterweise entdeckt er seine bevorzugte Waffe in einer Sparte der Wirtschaftspolitik, die in nichts als staatlichen Machtworten besteht:
„Zölle sind die schönste Entdeckung der Menschheitsgeschichte.“ (Trump) „Trump kündigte Zölle von 60 Prozent oder mehr auf chinesische Produkte und zehn oder zwanzig Prozent auf andere Importe an. Im März sprach er sich für einen hundertprozentigen Zoll auf Autos aus, die von chinesischen Unternehmen in Mexiko hergestellt werden, und im Mai erhöhte er diese Zahl auf zweihundert Prozent.“ (New York Times, 9.9.24)
Auf die genaue Höhe kommt es Trump nicht sonderlich an, entscheidend ist das Prinzip: Auswärtige Konkurrenten, die den amerikanischen Markt für ihre Bereicherung unbedingt brauchen, haben Amerika einen Tribut dafür zu zahlen, dass sie überhaupt an ihm verdienen dürfen. Die Höhe dieses Eintrittspreises wird so – und so freihändig – angesetzt, dass Amerikas Nutzen garantiert wird. Das gilt auch und erst recht für amerikanische Unternehmen, die ihren Heimatmarkt lieber von auswärtigen Standorten aus beliefern:
„Ich werde Zölle [auf Autoimporte] von 100, 200, 2000 % erheben – die höchsten Zölle der Menschheitsgeschichte! ... Die Zölle werden so hoch, so schrecklich, so widerwärtig sein, dass sie [die Unternehmen] sofort kommen werden.“ (Trump in Chicago, 15.10.24)
Mit den einschlägigen Eintrittsgebühren und Strafzahlungen – sowie mit einer neuen Runde Steuersenkung und Deregulierung für die vaterlandstreuen Kapitalisten, die echt amerikanische Arbeit für ihre Bereicherung ausnutzen – werden laut Trump alle ökonomischen Fragen der Nation zur allgemeinen Zufriedenheit, jedenfalls abschließend beantwortet: Darüber lassen sich besagte Steuersenkungen und einiges mehr finanzieren; überhaupt gehen alle anderen Rechnungen – vom Silicon Valley bis zum „Rust Belt“ – auf. Die ökonomische Bewährungsprobe, vor der Amerika steht, ist also eine rein politische: Der amerikanische Staat muss die Stärke, über die er kraft seines Marktes doch längst verfügt, mit aller Konsequenz einsetzen. Es ist rührend, wenn VWLer ungefragt ihre Bedenken bezüglich der Wirkungen solcher Zölle auf die Preise, den Standort, die Staatsschuld etc. anmelden und dabei so tun, als hätten sie es bei Trump mit einem schlechten Ökonomen zu tun, der seine Rechnungen nicht zu Ende gedacht hat. Wenn, dann denkt Trump genau umgekehrt – ganz gemäß dem MAGA-Prinzip, dass Amerika wieder großartig gemacht werden muss – an den Anfang der amerikanischen Weltwirtschaftsordnung zurück. Er besinnt sich auf eine ökonomische Gewissheit, die bei der Gründung dieser Ordnung Pate gestanden ist: die absolute Unverzichtbarkeit des amerikanischen Markts als Quelle des Dollarreichtums, der fortan den Reichtum der Welt ausmachen würde. Die Prämisse, dass den USA wegen ihres Markts der Nutzen des Weltmarkts zufällt, haben ihre Konkurrenten mit jedem Export nach Amerika nun praktisch mitzurestaurieren.
Trumps Zollfanatismus findet Harris extrem unseriös. Aus ihrer Sicht denkt Trump die Restauration der amerikanischen ökonomischen Suprematie nämlich viel zu einseitig und primitiv, wenn er sich dermaßen borniert als Türsteher vor dem US-Markt aufbaut. Sie warnt eindringlich vor den kontraproduktiven Wirkungen, mit denen bei einer dermaßen rücksichtslosen Zollpolitik zu rechnen ist: flächendeckend höhere Preise, die wie eine Verkaufssteuer – Harris sagt dazu: „Trump tax“ – wirken. Die haben nicht die fremden Konkurrenten, sondern hauptsächlich amerikanische Unternehmen und Endverbraucher zu entrichten. Die Dominanz amerikanischer Kapitalisten wird so nicht wiederhergestellt, eher zusätzlich belastet. Für die (Neu-)Eroberung fremder Märkte – insbesondere gegen den chinesischen Rivalen – ist das erst recht keine Hilfe, perspektivisch eher ein Schaden, wenn auswärtige Konkurrenten sich zu entsprechenden Retourkutschen genötigt sehen. Gegenüber Trump bestehen die – schon immer weltoffeneren – Demokraten also darauf, dass man doch nicht bloß den amerikanischen, sondern den gesamten Weltmarkt als amerikanischen Besitzstand neu in den Griff bekommen muss. Zölle haben darin zwar durchaus ihren Platz; gerade diejenigen, die Trump einmal gegen China verhängt hat, hat die Biden-Harris-Regierung beibehalten und ausgeweitet. [3] Damit lässt sich nämlich z.B. das Verbrechen Chinas gebührend bestrafen, seine Kapitalisten mittels ausgiebiger Staatshilfen zur Bestreitung des amerikanischen Rechts auf Überlegenheit zu befähigen. Auch Handels- und Investitionsverbote, z.B. im Falle von Huawei, sind bisweilen erforderlich; auch hier haben die Demokraten Trumps erste Vorstöße fortgesetzt und ausgebaut. Doch die imperialistische Überlegenheit, die Amerika wirklich braucht, die weltweite und nachhaltige nämlich, lässt sich nicht einfach mit höheren Eintrittspreisen zum US-Markt politisch herbeierpressen. Es bedarf vielmehr einer industriellen und zukunftstechnologischen Konkurrenzoffensive. Für einen überlegenen amerikanischen Kapitalismus gibt es also keine Ersatzlösung; dieser ist nur mit überlegener Kapitalproduktivität zu haben – im Allgemeinen und insbesondere in den Bereichen, an denen Amerikas ökonomische und militärische Suprematie entscheidend hängt, z.B. bei den berühmten Chips, der digitalen Infrastruktur, der grünen Energieproduktion, den Mitteln und Produkten der E-Mobilität etc. [4] Dafür ist der umfassende Einsatz des Staates wiederum absolut unerlässlich, wie die Biden-Harris-Regierung schon längst beweist: mit einem klaren und praktischen Bekenntnis zu einer Industriepolitik, die mit großen staatlichen Investitionshilfen amerikanischen Geschäftemachern zu der Überlegenheit verhilft, mit der der Staat sie beauftragt. Der dafür nötige Brain Drain, der vielversprechend Qualifizierte in die Innovationszentren der Nation spült, wird ebenfalls staatlich organisiert. Der technologische Vorsprung der USA in den entscheidenden Bereichen für die Suprematie auf dem Weltmarkt und als Weltmacht soll mit neuen, anspruchsvolleren Regelungen als geistiges Eigentum über Generationen hinweg gesichert werden. Schließlich braucht es eine neue Generation von Handelsabkommen, die andere Nationen auf die technologischen Potenzen und Standards verpflichten, die Amerika setzt – als „Rahmen“ für ihre eigenständige, weil vor allem antichinesische Entwicklung. [5] In Sachen saubere Energie kann sich ein Chefberater aus dem Biden-Harris-Lager sogar einen neuen Marshallplan vorstellen; der Name hilft schon sehr beim Verständnis dessen, worauf es da vor allem ankommt: Hilfen für die Länder der Welt, damit sie den USA zur Suprematie verhelfen. Auch Harris und Co kommen also offenbar auf ein Gründungsmoment der amerikanischen Weltmarktordnung zurück: auf die fraglose Überlegenheit amerikanischer Kapitale als Prämisse für einen freien, offenen Weltmarkt. Diese Prämisse gilt es wieder in Kraft zu setzen – als Produkt der angekündigten Konkurrenzoffensive. Dafür, so die Klarstellung gegenüber Trump, hat Amerika sehr viel zu tun, an sich und an den weltweiten Handelspartnern, damit auch die ihren Beitrag zum amerikanischen Vorsprung leisten. Kurz: Es kommt doch auf den Weltmarkt an, Dummkopf!
Ausgerechnet bei dieser Offensive springen Trump nur haarsträubende Beschränkungen ins Auge. Die sieht er vor allem beim angepeilten Übergang zu grünen Technologien in der Automobilindustrie und in der Energieproduktion. Er plädiert für den Abschied von einer staatlich forcierten Hinwendung zu E-Autos, die sich bloß für unamerikanische Kurzstrecken eignen, sowie für „drill, baby, drill!“. Wenn schon amerikanische Suprematie, dann mit allen Stärken, die Amerika hat. Zumindest in Energiefragen scheint sogar eine ziemlich weitgehende Annäherung der beiden Seiten zustande gekommen zu sein. Für beide sind alle amerikanischen Energieformen gut und förderungswürdig, sofern sie billig, lukrativ und einheimisch sind. Trump hat sich für Solarenergie längst erwärmen können, Harris hat ihre dokumentierte Abneigung gegen Fracking fallen gelassen – ein Standpunktwechsel, den sie mit dem Verweis verteidigt, ihre Werte seien doch stets die gleichen geblieben. Etwas anderes als den Erfolg des amerikanischen Kapitalismus gegen seine Konkurrenten hat sie nie im Sinn gehabt. Unter dem Strich kommt die wechselseitige Versicherung heraus, man wolle wirklich alles tun, damit Amerika zu seinem angestammten Platz an der Spitze zurückkehrt, wenn es um die ökonomische Dominanz über die Welt geht.
Was das alles mit der Inflation zu tun hat? Mit den steigenden Preisen, an die der Wähler den Umfragen zufolge bei „the economy, stupid“ vor allem denkt? Offensichtlich haben beide Kandidaten jedenfalls nicht vor, den staatlichen Geldaufwand aus Sorge vor weiterer Inflation zu beschränken. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Es geht um nicht weniger als die Sicherheit der Nation, weil Amerika sich als Weltsupermacht mit weniger als Überlegenheit auf allen Feldern nicht sicher fühlt. Steigende Preise bedeuten für die Kandidaten also, dass sie ihr ganz besonderes Weltgeld umso entschlossener zum Einsatz bringen müssen. Beide sind sich dabei absolut sicher, sich die nötigen Ausgaben leisten zu können. Dieses Gründungsmoment der amerikanischen Weltwirtschaftsordnung müssen sie nicht erst wiederherstellen, sondern nur konsequent genug zur Anwendung bringen: die unanfechtbare Singularität ihres Dollars.
II. Die Einwanderung
Das ist das zweite entscheidende Sachthema, das sagen die Umfragen. Worin es eigentlich besteht, inwiefern es alle Amerikaner unbedingt beschäftigen soll, das sagen die Kandidaten.
Trump hat keine Scheu, die Einwanderungsfrage bilderbuchmäßig rassistisch zu stellen – als Frage der richtigen Gene und des richtigen Bluts:
„Die illegale Einwanderung vergiftet das Blut der Nation... [Die Einwanderer kommen] nicht nur aus Südamerika, sondern von überall auf der Welt kommen sie in unser Land, aus Afrika, aus Asien, aus der ganzen Welt.“ (Trump, 16.12.23) „Bei der Besichtigung eines Ford-Werks in Michigan im Jahr 2020 lobte er den ‚guten Stammbaum‘ [bloodlines] des Firmengründers Henry Ford, eines stolzen Antisemiten... Und bei einem Wahlkampfauftritt in Minnesota, wo sich im 19. Jahrhundert Wellen nordeuropäischer Einwanderer niederließen, sagte Trump zu der fast ausschließlich weißen Menge: ‚Sie haben gute Gene. Vieles hängt von den Genen ab, glaubt ihr nicht auch? Die Rennpferd-Theorie – glaubt ihr, wir sind so anders? Ihr habt gute Gene in Minnesota.‘“ (Los Angeles Times, 10.10.24)
Bei allen Kurzausflügen in die Biologie führt Trump den Rassismus erkennbar auf seinen staatlichen Kern zurück: auf die Tauglichkeit der Individuen für das, was sie als sein amerikanisches Volk zu sein haben, nämlich erfolgreiche Konkurrenten. Daran entscheidet sich für Trump ganz vorurteilsfrei, was ein staatlich zusammengeschusterter Menschenschlag taugt. Auf jeden Fall untauglich sind die Migranten, die ungebeten an der Südgrenze erscheinen; sie kommen in aller Regel aus „shithole countries“, was schon alles über die Fliehenden selbst sagt. Warum sollten sie in Amerika zu mehr taugen als daheim – zumal Trump erfahren haben will, dass es nicht einmal die Besten der Schlechten sind, die nach Amerika kommen? Sie sind Gift für die Erfolgstüchtigkeit, die durch die Adern echter Amerikaner fließt. Umso schlimmer, wenn die Ungebetenen den echten Amerikanern ihr Vorrecht auf die Jobs bestreiten, mit denen die unter besonders harten Bedingungen ihre amerikanische Tüchtigkeit hätten beweisen können. Dabei nehmen es sich die Illegalen glatt heraus, öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur – bezahlt von anständigen Amerikanern – zu nutzen, gehen in die Krankenhäuser, besuchen Schulen, fahren – angeblich ohne Versicherung – auf Straßen, die fürs Durchkommen der Einheimischen da sind, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die es mancherorts auch noch gibt, etc. Kurzum: Sie sind da und machen den rechtmäßigen Einwohnern der Vereinigten Staaten alleine damit das Leben schwer, dass sie sich genauso aufführen wie echte Amerikaner, wenn die sich selbstverantwortlich für den nationalen Erfolg nützlich machen. Vor allem aber legen Trump und Vance Wert darauf, dass die Einwanderung aus dem Süden zu einer ernsthaften persönlichen Bedrohung geworden ist: für die Sicherheit der Bürger und für deren Existenzrecht als Volk. Die Migranten sind „Invasoren“, deren Straftaten eine eigene Kategorie verdienen und die bisweilen guten Amerikanern sogar die Haustiere wegfressen – kurz: Immigranten als personifizierte kriminelle Energie. [6] Alles in allem ein Schrei nach einer Staatsgewalt, die zuverlässig für Recht und Ordnung sorgt, also nach einem Kandidaten, der die dafür nötige Härte an den Tag legt: Dieser Rechtsanspruch – vor allem der Verrat der regierenden Demokraten an ihm – ist es, was Trump und Vance mit ihren notorischen Feindbildern ausmalen. Die sind schon deswegen gegen alle sinnlosen Faktenchecks immun, weil Amerikaner doch immer Recht haben: Gegen das – womöglich konspirative – Versagen der regierenden Demokraten setzt Trump das Versprechen, an der Grenze wie in dem „Heartland“ auf eine Weise aufzuräumen, bei der er relativierende Gesichtspunkte des Rechts, der öffentlichen Moral und sogar der Logistik nur insofern kennt, als er sie demonstrativ verletzen will. [7] Und das geht auch mal ganz ohne Rassismus. Mit seinem demonstrativen Willen, die Ungebetenen aus dem Süden rauszuschmeißen und fernzuhalten, umwirbt Trump auch und gerade die legalen Latinos; die spricht er – offenbar nicht ohne Erfolg – auf ihr Selbstbewusstsein an, nicht mehr bloße Einwanderer, sondern echte Amerikaner geworden zu sein; als solche haben sie einen Anspruch auf Recht und Ordnung, also auf den Ausschluss der Falschen. Ein Sieg der rabiaten Ausländerfeindlichkeit über den Rassismus. Mit der großen Bereinigung wären dann alle drei Probleme erledigt, die die illegalen Migranten für Trumps Amerikaner darstellen: für ihre nationale Identität, ihre ökonomischen Rechnungen und ihre staatliche Ordnung.
Die rassistische Bösartigkeit von Trump und Vance kontern Harris und Walz mit einem menschenfreundlichen Beharren auf dem ökonomischen, militärischen und moralischen Zugewinn, den das amerikanische Einwanderungsland dank seiner Migranten verbuchen kann. Sie sehen im Migranten den Menschen, was stets heißt, in ihm das amerikanische Ebenbild der konkurrenztüchtigen Patrioten zu sehen, das er zu sein hat. Mit ihrer Hand- und Kopfarbeit, ihrem Unternehmergeist und ihrem Kapital leisten die Migranten einen extrem kostbaren Beitrag zu der Sorte Volksgemeinschaft, die Amerika so besonders und so besonders erfolgreich macht. Die hält nicht bloß irgendwie zusammen, sondern ist dem Ausland in den Konkurrenzveranstaltungen haushoch überlegen, auf die es für die Macht und den Reichtum der Nation wirklich ankommt, nämlich auf dem Weltmarkt und als Weltmacht. Die Ausländerfeindlichkeit der Staatenkonkurrenz gebietet Offenheit für fremde Staatsbürger; Erfolge dabei machen ein Volk erst so richtig stark und einig. Dennoch: In diesem Wahlkampf will Harris nichts beschönigen. Amerika leidet nun einmal unter einer „border crisis“. Es hat die Kontrolle über seine Südgrenze verloren, weil viel zu viele Ausländer unbestellt und auf eigene Faust kommen. Die Einwanderungsfrage, die Trump stellt, beantwortet sie also nicht mit schönen Bildern eines einzigartig überlegenen Einwanderungslandes, sondern mit einer lupenreinen Retourkutsche, was die Sünde der staatsgewaltigen Untätigkeit gegen ungebetene Fremde betrifft: Die Republikaner sind es doch, die den im Frühjahr im Kongress ausgehandelten „bipartisan border bill“ [8] trotz überdeutlicher republikanischer Handschrift dann doch aus wahltaktischen Gründen storniert haben. Sie würden offenbar lieber eine schwache Grenze politisch ausnutzen als die Bürger schützen. So macht das einschlägige Gesetzesvorhaben bei den Demokraten eine Blitzkarriere vom zähneknirschenden Zugeständnis an rechte Hardliner, an denen man leider nicht vorbeikommt, zur stolzen Errungenschaft, deren Realisierung nur die Republikaner verhindern. Die Beteuerung ihrer Härte in der Sache kombinieren die Demokraten mit der Beteuerung ihrer Sachlichkeit bei der Durchführung: Sie geben die trostreiche Versicherung ab, nichts gegen die Migranten selbst zu haben. Das aber soll der Wähler keinesfalls mit dem Unwillen verwechseln, das Problem zu bekämpfen, das die Migranten nun einmal sind. Was Amerika braucht, ist also weder rassische Reinheit noch rassistische Hetze, sondern eine Grenze so unpassierbar, wie Trump sich seine berüchtigte Mauer immer vorgestellt hat – aber eben nicht als unsachliches Symbol für Migrantenhass, sondern als pragmatische Notwendigkeit eines Einwanderungslandes, dem seine souveräne Kontrolle über die Einwanderung eben vorgeht. [9]
So bringen die Kandidaten die Einwanderungsfrage auf das Fundament aller bürgerlichen Existenz zurück – auf die Frage, wie weit die Macht des Staates reicht, Recht zu setzen und über sein Territorium und seine Bevölkerung zu verfügen. Was den einen das heilige Recht der einzig richtigen Amerikaner ist, das ist den anderen die sachlich-pragmatische Grundlage weltoffener Liberalität geworden. Für beide Seiten darf das hypertrophe Ideal eines Sicherheitsstaates nicht länger bloß auf dem Papier existieren.
III. Die Abtreibung
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IV. Die Kriege der Nation
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V. Worauf alle Sachthemen hinauslaufen: Kampf um die Demokratie
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[1] Diese Abhängigkeit kriegführender wie von Krieg betroffener, also aller Souveräne weltweit, von der Weltsupermacht USA nehmen die interessierten Öffentlichkeiten gerade der großen europäischen Mächte zum Anlass für eine seltsame Beschwerde. Sie stöhnen über die Ungerechtigkeit, dass so vieles von so wenigen abhängt: Nicht weniger als der Weltfrieden – so wird der Kriegserfolg der eigenen Seite getauft – hängt von einigen tausend Wählern in amerikanischen Swing States ab? Zu einem ernst gemeinten Einspruch kommt es dabei natürlich nicht – wo sollte der auch eingereicht werden. Keine Bremse, offenbar eher ein Stachel ist das für den demokratischen Idealismus, sich ausgerechnet die Abhängigkeit von einer überlegenen Weltmacht als Anspruchstitel auf Mitbestimmung zu imaginieren – je näher der Wahltag, desto intensiver, erst recht nach dem Sieg des Falschen.
[2] Vgl. „Ein heißer Wahlkampfsommer in den USA: Was muss ein amerikanischer Präsident können und sein?“ in GegenStandpunkt 3-24, S. 117 ff.
[3] „Trump hat während seiner Amtszeit umfassende Zölle auf chinesische Produkte im Wert von etwa 300 Milliarden Dollar eingeführt. Joe Biden hat diese Zölle beibehalten und Anfang des Jahres beschlossen, einige der Zölle auf chinesische Importe im Wert von etwa 15 Milliarden Dollar zu erhöhen. Die Art der Produkte, für die die Zölle nun erhöht werden, steht im Einklang mit Bidens anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die darauf abzielen, die heimische Produktion in Branchen wie saubere Energie und Halbleiterchips zu fördern. Ab dem 27. September werden die Zölle auf 100 % für Elektrofahrzeuge, 50 % für Solarzellen und 25 % für Batterien für Elektrofahrzeuge, kritische Mineralien, Stahl, Aluminium, Gesichtsmasken und Containerbrücken angehoben. Zollerhöhungen auf andere Produkte, einschließlich Halbleiterchips, sollen in den nächsten zwei Jahren in Kraft treten.“ (CNN, 13.9.24)
[4] An der Stelle reden die Demokraten gerne von einem „kleinen Hof mit einem hohen Zaun“, um – gerade im Gegensatz zu Trumps Drohungen – den chirurgischen Charakter ihres antichinesischen, also freiheitlichen Protektionismus auszudrücken. Im kleinen Hof liegen dann genau die Industrien, mit denen Amerika die Kommandohöhen der gesamten ökonomischen und der militärischen Konkurrenz von morgen beherrschen will.
[5] Zu dieser Liste an projektierten Maßnahmen vgl. den Artikel Sachdienliche Auskünfte zur Modernisierung des amerikanischen Imperialismus in GegenStandpunkt 1-23, S. 45 ff.
[6] „Auf die Frage der CNN-Moderatorin Dana Bash, ob die falschen Gerüchte über Springfield, Ohio, ‚eine Geschichte waren, die Sie erfunden haben‘, antwortete Vance: ‚Ja!‘ Er sagte, er habe das Bedürfnis, ‚Geschichten zu erfinden, damit die ... Medien dem Leiden des amerikanischen Volkes tatsächlich Aufmerksamkeit schenken‘.“ (The Guardian, 15.9.24)
[7] „Trump und seine Stellvertreter haben nur spärliche Angaben dazu gemacht, wie er die ‚größte Abschiebeaktion in der amerikanischen Geschichte‘ durchführen würde, haben das Ziel aber als oberste Priorität bezeichnet. Was bekannt ist: Die Strategie würde sich auf militärische Truppen, befreundete staatliche und lokale Strafverfolgungsbehörden und Kriegsbefugnisse stützen. ‚Niemand darf sich sicher fühlen‘, sagte Tom Homan, Trumps ehemaliger Leiter der Einwanderungs- und Zollbehörde [nun als Grenzschutzbeauftragter nominiert],im Juli. ‚Wenn Sie sich illegal im Land aufhalten, sollten Sie besser über Ihre Schulter schauen.‘ Auf einer Wahlkampfveranstaltung Anfang des Monats sagte Trump, er werde sich auf das Gesetz gegen ausländische Feinde von 1798 berufen, um jedes kriminelle Netzwerk von Migranten, das auf amerikanischem Boden operiert, ins Visier zu nehmen und zu zerschlagen. Er sagte weiter, er werde ‚Elitetruppen‘ von Bundespolizisten entsenden, um jedes Mitglied einer Migrantenbande ‚zu jagen, zu verhaften und abzuschieben‘. Diejenigen, die versuchen, in die USA zurückzukehren, würden zu 10 Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt, sagte er und fügte hinzu, dass jeder Migrant, der einen US-Bürger oder einen Vollzugsbeamten tötet, mit der Todesstrafe rechnen müsse. Im Mai erklärte Trump gegenüber dem Time Magazine, er werde 15 bis 20 Millionen Menschen ins Visier nehmen, die sich illegal in den USA aufhalten. Das überparteiliche Pew Research Center schätzt die tatsächliche Zahl auf etwa 11 Millionen im Jahr 2022. Seitdem sind mehr als 2 Millionen Menschen illegal ins Land gekommen. ‚Fangen wir mit 1 Million an‘, sagte Vance im August gegenüber ABC News.“ (Los Angeles Times, 24.10.24)
[8] Das Gesetzesvorhaben besteht vor allem in der massiven Verstärkung des Grenzschutzes, dem Ausbau der Asylhaftkapazitäten und der schnellen Bearbeitung von Asylanträgen mitsamt Abschiebungen.
[9] „Präsident Biden erließ am Dienstag eine Executive Order, die Migranten daran hindert, an der Grenze Asyl zu beantragen, wenn die Zahl der Grenzübertritte stark ansteigt... Die Maßnahme ist die restriktivste, die von Biden oder einem anderen modernen Demokraten eingeführt wurde, und erinnert an einen Versuch von Präsident Donald J. Trump im Jahr 2018, die Migration zu unterbinden. ‚Wir müssen uns einer einfachen Wahrheit stellen‘, sagte der Präsident. ‚Um Amerika als ein Land zu schützen, das Einwanderer willkommen heißt, müssen wir zuerst die Grenze sichern, und zwar jetzt.‘ Die Maßnahme tritt in Kraft, sobald der Sieben-Tage-Durchschnitt der täglichen illegalen Grenzübertritte 2500 erreicht – was jetzt regelmäßig der Fall ist. Die Grenze wird erst dann wieder geöffnet, wenn die Zahl sieben Tage hintereinander auf 1500 sinkt und zwei Wochen lang auf diesem Niveau bleibt. Dies ist eine erhebliche Veränderung der bisherigen Asylpraxis. Normalerweise werden Migranten, die die Grenze illegal überqueren und Asyl beantragen, in die Vereinigten Staaten gelassen, wo sie auf einen Gerichtstermin warten, bei dem sie ihren Fall vortragen können. Das neue System soll von solchen illegalen Übertritten abhalten. Mit der Anordnung werden die langjährigen Garantien, die jedem, der US-Boden betritt, das Recht auf einen sicheren Zufluchtsort geben, größtenteils außer Kraft gesetzt. Die Exekutivmaßnahme spiegelt die Gesetzgebung wider, die von den Republikanern im Februar mit der Begründung blockiert wurde, sie sei nicht stark genug.“ (New York Times, 4.6.24)