Immer mehr Zeitenwende
Wenn Machthaber mit der Macht, die sie haben, was Größeres ins Werk setzen, dann stehen sie gerne „auf der richtigen Seite der Geschichte“. Und wenn sie betonen wollen, dass das, was sie veranstalten, ganz besonders wichtig, ungewohnt und außergewöhnlich ist, dann beschwören sie die „Zeiten“, die eine „Wende“ machen und deswegen fordern.
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Immer mehr Zeitenwende
Wenn Machthaber mit der Macht, die sie haben, was Größeres ins Werk setzen, dann stehen sie gerne „auf der richtigen Seite der Geschichte“. Und wenn sie betonen wollen, dass das, was sie veranstalten, ganz besonders wichtig, ungewohnt und außergewöhnlich ist, dann beschwören sie die „Zeiten“, die eine „Wende“ machen und deswegen fordern.
So wie die der Ampel-Regierung vor drei Jahren mit 100 Mrd. als erster Rate auf eine russlandkriegsfähige Bundeswehr und einer politisch, diplomatisch und agitatorisch entschlossenen Abkehr von einer Politik der Koexistenz mit Russland, die im hochdifferenzierten Rückblick dem schlechthin Bösen Tür und Tor nach Westen geöffnet hat. Und was ist daraus geworden? Der zuständige Minister muss erleben, dass sein Kanzler die Belange der Armee im Staatshaushalt immer noch zu den Unkosten der systemeigenen sozialen Frage ins Verhältnis setzt. Die Anwälte des Guten regieren ein Volk, das den Minister zwar prima und die Aufrüstung der Wehrmacht auch gut findet, ungefähr zur Hälfte aber den guten nationalen Sinn im finanziellen Kriegseinsatz des Landes vermisst. So richtig kriegstüchtig wird eine Nation eben doch erst durch die Kriege, die sie führt, nicht durch die, die sie outsourct. Erreicht hat Deutschland, trotz Schuldenbremse und kriegskritischen Anwandlungen der wahlberechtigten Bevölkerung, aber immerhin so viel: Im Schulterschluss zwischen Scholz und Biden, mit der Lieferung einer nur durch die Weltmacht übertroffenen Masse an Geld und Waffen, damit die ukrainische Kriegsmacht trotz geschätzt 100 000 Gefallenen weiter mitmacht, hat die Nation sich den Status der europäischen Führungsmacht verschafft, auf die es in der Nato heute vor allem ankommt. Entschlossen arbeitet sie daran, in spätestens ein paar Jahren dem Russen einen Krieg liefern zu können – die Sache mit den Atomwaffen einmal beiseitegelassen –, den der nicht gewinnen kann. Und das ist schon aktuell angesichts der unschönen Lage der Armee, die in der Ukraine den Preis für die Rettung der „europäischen Friedensordnung“ zahlen darf, keine geringe Herausforderung der noch enorm ausbaufähigen deutschen Kriegstüchtigkeit.
Klar geworden ist jedenfalls, dass eine echte „Zeitenwende“ keine Sache ist, die bewältigt werden muss: Man muss sie machen. Und wie das aussieht, dafür setzt das unerreichte Vorbild des amerikanischen Wahlsiegers die aktuell gültigen Maßstäbe: Mit Trump fängt für Amerika ein neues goldenes Zeitalter an. Den Startschuss dafür haben Amerikas Wähler gegeben, weil sie aus dem heftigen Wahlkampf die einzig wahre demokratische Einsicht gewonnen und beherzigt haben: Im Kampf um die Macht und für deren richtige Handhabung kommt es vor allem andern auf die Macht selber an: auf eine Gewalt, die jeden Widerstand zwecklos macht, und – es herrscht ja Demokratie – auf eine Lichtgestalt, in der verantwortungsbewusste Bürger mit dem richtigen politischen Instinkt sich selbst wiedererkennen, wenn sie die Aufgabe hätten, ihrer Nation mit aller Gewalt zu ihrem Recht zu verhelfen. Mit dieser leibhaftigen goldenen Zeitenwende in der Weltmacht USA muss der Rest der Welt jetzt leben. An der orientiert die Staatenwelt sich auch.
Für die Deutschen und Europa schließt das die schmerzliche Erkenntnis ein, dass sie einen solchen „Populisten“ wie den in Amerika siegreichen – noch – nicht zu bieten haben. Das steht im deutschen Wahlkampf Scholz gegen Merz schon fest; und das verhindert auf europäischer Ebene die Vielzahl der Souveräne, egal mit wie viel fremdenfeindlich aufgeladenem Nationalismus sie Eindruck machen.
Anders in Deutschlands bestem Freundesland, dem Schützling der deutschen Staatsräson. Mit seinem ausufernden Gaza-Krieg, der mittlerweile ins zweite Jahr geht, ist Israel ein der Weltmacht kongeniales Vorbild in Sachen Kriegstüchtigkeit. Es setzt damit nicht einfach seine Generallinie einer mit ganz vielen Toten untermauerten militärischen Ringsum-Abschreckung fort; es begnügt sich auch nicht mit einer überschießenden Antwort auf den Akt terroristischen Aufbegehrens der regierenden NGO der Gaza-Palästinenser vom Oktober 2023. Die kleine Atommacht arbeitet zielstrebig mit Krieg auf einen Diktatfrieden zur Neuordnung der Region namens „Naher und Mittlerer Osten“ hin, der vor allem auf die Ausschaltung des Iran zielt. Sie tut das so zielstrebig, dass sie damit sogar ihre absolut unentbehrliche Schutzmacht unter Zugzwang setzt. Und das bei aller Kumpanei mit deren President-elect, der eins überhaupt nicht leiden kann: von irgendwem auf der Welt unter Zugzwang gesetzt zu werden. Da treffen sich aufs Schönste die Weltmacht mit dem Monopol auf die Veranstaltung von Zeitenwenden und ihr kleines alter EGO.
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Alles andere als eine auch nur allerkleinste Wende im Gang der nationalen Ausbeutung wickeln VW und IG Metall derweil in Niedersachsen ab: Porsche und Piëch, Niedersachsen, Katar & Co verdienen mit den Wolfsburger Autos nur noch eine Milliarde oder so. Die Firma hält sich zwecks Korrektur dieser Katastrophe an die Lohnkosten: Da braucht es eine Wende ins (mindestens) 10-%ige Minus. Und Entlassungen und Betriebsschließungen außerdem. Das gewerkschaftlich organisierte betriebsratsvertretene Proletariat antwortet mit der höflichen Ankündigung eines Arbeitskampfes, wie die Republik ihn noch nie erlebt hat. Wofür? Für die einvernehmliche Verteilung der Lohnsenkung auf alle deutschen Standorte und Arbeitsplätze, damit es die weiter gibt. Was die Firma in ihrem Anspruch auf weniger, dafür rentablere Arbeit kein bisschen irritiert.
Den Schaden aus dieser „Lohnentwicklung“ und etlichen anderen angekündigten Massenentlassungen – sagen Experten – trägt das Weihnachtsgeschäft...