Die Drogeriemarktkette Schlecker beantragt Insolvenz, und ganz anders als sonst, wenn ein Unternehmer Pleite geht, wird das von der Öffentlichkeit nicht mit Betroffenheit, sondern mit Genugtuung und Häme registriert.: „For you, vor Ort, vorbei“ (HB), „Schlecker – Der Ladenhüter“ (SZ), „Den Richtigen hat es schon erwischt“ (SZ), ist der Tenor der Schlagzeilen.
Die Beschlüsse, ihr staatliche Haushaltsgebaren verbindlich an dem kritischen Urteil der Finanzmärkte über die Euro-Staatsschulden auszurichten, enthalten das Eingeständnis, dass die Finanzmärkte den Euro-Staaten die Anerkennung ihrer Schulden als verlässlicher zinsbringender Finanzvermögen zunehmend verweigern – dass es auf diese geschäftliche Anerkennung für ihre staatliche Finanzmacht aber ankommt.
Passend zur Beschimpfung von Bankern, in deren Gier, übertriebener Profitsucht und fehlendem Verantwortungsgefühl, mit einem Wort: in deren Charakterlosigkeit die Öffentlichkeit den Grund der Finanzkrise ausgemacht hat, gibt es das Verlangen nach dem Gegenteil.
Die Krise des weltweiten kapitalistischen Geschäfts geht in ihr drittes Jahr. Was im Sommer 2007 als Irritation in einer Spezialabteilung des US-amerikanischen Kreditgewerbes begann – die Entwertung von Wertpapieren, in denen unter anderem private Hypothekenschulden zu spekulativen Geschäftsartikeln verarbeitet worden waren, sowie die nachfolgende Zahlungsunfähigkeit der zwecks Schaffung und Vermarktung dieser Produkte konstruierten Zweckgesellschaften –, ist folgerichtig immer weitergegangen.
„Die Krise“ – zum neuen Sprachdenkmal gewordene Bezeichnung dafür, dass diverse Profitansprüche momentan nicht aufgehen – frisst sich inzwischen ein gutes halbes Jahr durch alle Abteilungen unserer Wirtschaft. Jedem ist bekannt, dass noch eine ganze Reihe mehr oder weniger spektakulärer Einbrüche in der so genannten Realwirtschaft bevorstehen und mit noch mehr Arbeitslosen zu rechnen ist. Das abhängig beschäftigte Volk hält still – durchaus zur Verwunderung der politischen Klasse, die es verwaltet.
In der Stunde der Not hat das kapitalistische Gemeinwesen viele Anhänger; nicht nur die, die das Wirtschaftssystem retten und dem Kapital wieder auf die Sprünge helfen wollen. Von links meldet sich eine Fraktion, die das Gemeinwesen vor der Entgleisung des Kapitalismus retten möchte. Eine Absage an den Laden ist das nicht, sondern eine linke Sorge darum, dass „es“ weitergehen und „die Wirtschaft“ wieder als Lebensgrundlage der Volksmassen funktionieren möge.
Seit Monaten erfährt das lesekundige Publikum von immer größeren Milliardensummen, in Dollar und Euro, die im Finanzgewerbe gestrichen und abgeschrieben werden. – Wie sind diese enormen Werte vorher eigentlich zustande gekommen?
Im Herbst 2008 stellt sich im Herzen Europas eine bestürzende Einsicht ein: Die Wertevernichtung im Finanzsektor, die eineinhalb Jahre zuvor als „Subprime-Hypothekenkrise“ in den USA angefangen hat, löst sich, entgegen allen hoffnungsvollen Erwartungen und Beschwörungen, doch nicht in Wohlgefallen und eine „Wiederbelebung der Finanzmärkte“ auf. Sie ist nicht zu bremsen, im Gegenteil.
Mitte September 2008. In den USA eskaliert die Finanzkrise. Lehman Brothers, die viertgrößte amerikanische Investmentbank, ist pleite. Die zwei größten US-Hypothekenfinanzierer, Fannie Mae und Freddie Mac, werden durch Verstaatlichung vor dem Bankrott gerettet worden.
Das Nachrichtenmagazin aus Hamburg schlägt Alarm: „Angriff auf den Wohlstand“, titelt der Spiegel vom 9.6.08. Das Titelbild zeigt eine ins Zwergenhafte geschrumpfte Musterfamilie mit Einkaufskorb und Ölkanister zwischen den Beinen eines Ungeheuers in Nadelstreifen. Provokant spielt der Spiegel auf die zirkulierende Auffassung vom gemeinschaftszersetzenden Treiben gieriger Spekulanten an, ironisiert sie mit der Darstellung als Comic – und gibt ihr mit dem Untertitel: „Wie Spekulanten das Leben verteuern“ doch wieder vorsichtig recht.