Öffentliche Meinungsbildung im „schwarzen Herbst“ 2008
Mitte September 2008. In den USA eskaliert die Finanzkrise. Lehman Brothers, die viertgrößte amerikanische Investmentbank, ist pleite. Die zwei größten US-Hypothekenfinanzierer, Fannie Mae und Freddie Mac, werden durch Verstaatlichung vor dem Bankrott gerettet worden. Der größte Versicherungskonzern der Welt, AIG, ist in „beträchtlicher Schieflage“, wie es so schön heißt, und die Finanzwelt des gesamten Globus ist betroffen: „Bankpleite erschüttert die Börsen der Welt“, „Dax fällt erstmals seit 2006 unter 6000 Punkte“, „große Kursverluste nach Lehman-Konkurs.“ Die deutsche Leitkultur rückt die Finanzkrise ins Zentrum ihrer Betrachtungen.
Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- 1. Einstimmung in kommendes Ungemach
- 2. Tiefschürfende Ursachenforschung und Würdigung staatlicher Rettungsversuche
- 3. Das „amerikanische Virus“ infiziert Deutschland – die Nation ist betroffen
- 4. Daumendrücken für die Rettung des deutschen Kapitalismus
- Im Kanzleramt brennt noch Licht (ARD)
- Muss der Staat die Banken retten?
- Sparer können aufatmen!
- Starker Staat gefragt!
- Angst vor der Angst – Die gefährliche Psychologie der Finanzkrise!
- Die Märkte handeln völlig irrational! (Börse im Ersten)
- Wie sicher ist mein Geld?
- Die Merkel-Garantie
- Island kurz vor dem Staatsbankrott
- Nie wieder DDR!
- Ein Fall für Zwei!
- Gott
- Die Erwartungen sind groß!
- 5. Die Rettung kommt nicht in Gang: Alte Schuldige und neue Opfer!
- 6. Die Krise als neue Normalität: Viel moralischer Einordnungsbedarf – und ein zukunftsweisender deutscher Blick in die Welt
Öffentliche Meinungsbildung im „schwarzen Herbst“ 2008
1. Einstimmung in kommendes Ungemach
Mitte September 2008. In den USA eskaliert die
Finanzkrise. Lehman Brothers, die viertgrößte
amerikanische Investmentbank, ist pleite. Die zwei
größten US-Hypothekenfinanzierer, Fannie Mae und Freddie
Mac, werden durch Verstaatlichung vor dem Bankrott
gerettet worden. Der größte Versicherungskonzern der
Welt, AIG, ist in beträchtlicher Schieflage
, wie
es so schön heißt, und die Finanzwelt des gesamten
Globus ist betroffen: Bankpleite erschüttert die
Börsen der Welt
, Dax fällt erstmals seit 2006
unter 6000 Punkte
, große Kursverluste nach
Lehman-Konkurs.
Die deutsche Leitkultur
rückt die Finanzkrise ins Zentrum ihrer Betrachtungen.
Mitten in den Krisenlärm posaunt der Doyen des ökonomischen Sachverstands der Süddeutschen Zeitung:
Der Kapitalismus lebt
!
„Milliardenvermögen wurden vernichtet, eine Weltrezession kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Die Kreditkrise hat sich erneut dramatisch verschärft. Sie ist aber, historisch betrachtet, keine beispiellose Krise, und schon gar nicht das Ende des Kapitalismus.“ (SZ, 18.9.)
Man merkt es, wie der Kapitalismus lebt
: Das Geld
geht dahin, die Weltwirtschaft stürzt ab, jeder blickt
besorgt in die Zukunft – alle Achtung! Eine Zerstörung
gesellschaftlichen Reichtums in globalem Maßstab, ein
weltweiter Einbruch von Produktion und Konsumtion, ganz
aus sich heraus, und das in beispielhafter Manier nicht
bloß einmal, sondern historisch betrachtet
immer
wieder – welches System kriegt das schon hin!
Aber was macht das schon, wenn nur das System
überlebt! Unseren Kapitalismus desavouieren jedenfalls
keine Misserfolge, wie das mal im realsozialistischen
Osten der Fall war: Da haben ‚Mängelwirtschaft‘ und
‚Planungsfehler‘ unseren Systemkennern eindeutig
bewiesen, wie verkehrt das ganze System
ist, gerechterweise dazu verurteilt, auf dem Misthaufen
der Geschichte zu landen wg. Misserfolg. Hier und heute
ist das natürlich anders. Da muss man das
Kurzfristige
– die Krise – vom Langfristigen
unterscheiden, und langfristig ist schließlich
unser System Marktwirtschaft unverwüstlich; wenn
mal vorübergehend alles kracht, dann ist das allenfalls
ein Ausweis von Versäumnissen und
Fehlern, die Krisenexperte Piper im Nachhinein
scharfsinnig identifiziert:
„Krisen brechen immer dann aus, wenn Geld zu billig ist. Genau dies ist zu Beginn dieses Jahrzehnts geschehen. Viel billiges Geld löst Euphorie aus, der nach einiger Zeit unweigerlich die Depression folgt.“
Klar, wenn der ganze Wachstumsoptimismus nichts als
überspannte Euphorie war, wie wir heute wissen, ist
hinterher unweigerlich
Katerstimmung. Außerdem ist
dieser Fehler woanders passiert, nämlich in
Amerika; und wenn die Lenker der größten
Volkswirtschaft der Welt so einen Fehler auch noch ganz
lange praktizieren, dann fällt eine Krise auch mal etwas
schwerer aus:
„Mit dem Terminus ‚billiges Geld‘ lässt sich auch die Krise Amerikas umschreiben. Seit gut vier Jahrzehnten lebt die größte Volkswirtschaft der Welt über ihre Verhältnisse. Die Amerikaner konsumieren zu viel und sparen zu wenig. Das äußert sich in den Defiziten von Staatshaushalt und Leistungsbilanz, aber auch in den Budgets von Durchschnittsfamilien. Die können ihren Lebensstandard oft nur mit teuren Krediten wahren. Der letzte Exzess dieser Kreditkultur war der Boom zweitklassiger Hauskredite (‚Subprime Loans‘), dessen Ende im vergangenen Jahr die Krise ausgelöst hat.“
Dass ganz Amerika jahrzehntelang falsch gewirtschaftet hat und deshalb Krise ist, haben wir jetzt verstanden – für diesen Gedanken addiert uns der promovierte Ökonom ja eigens Kraut und Rüben – Staatsschulden, ein Leistungsbilanzdefizit, eine Kreditkultur und die chronische Geldknappheit von Normalverdienern – zu einem einzigen gewaltigen Fehler in der Handhabung des guten Geldes zusammen. Nur müsste uns die SZ noch erklären, wieso dieses notorisch ‚zu billige Geld‘ für Durchschnittsamerikaner immer noch ‚zu teuer‘ ist. Oder wollte sie uns einfach nur mitteilen, dass die Kreditierung von Leuten, die von ihrer Arbeit leben müssen, grundsätzlich ein Verstoß gegen marktwirtschaftliche Regeln, Kapitalismus also nichts für arme Leute ist?
Wie auch immer, ein bisschen journalistische Spekulation auf die Bedeutung der Krise soll auch noch sein, und da gibt es zu vermelden, dass eine Krise in Amerika auch eine Krise Amerikas ist. Die Krise bringt nämlich, das ist für einen Kenner der Materie selbstverständlich und selbstverständlich hochinteressant, die Rangordnung der Nationen durcheinander:
„Es ist eine fundamentale Krise der Vereinigten Staaten, die Nation sieht sich in ihrer Rolle als ökonomische Führungsmacht gefährdet“.
Muss ja dann schon sehr viel dran sein an der Diagnose,
wenn die Nation sich selbst so sieht, wie der
interessierte Blick aus München sich die Lage denkt.
Leider heißt das nicht, dass wir Deutschen uns
wegen der amerikanischen Krise keine Sorgen machen
müssten – womöglich können wir nämlich an der
amerikanischen Unsolidität nicht mehr so schön
mitverdienen, wenn die Amerikaner nicht mehr
über ihre Verhältnisse leben
und uns darüber
Exportmöglichkeiten schaffen
.
*
Tags darauf meldet sich der Abteilungsleiter für ‚Rechtsstaat und Demokratie‘ derselben Zeitung, Heribert Prantl, zu Wort und vertritt, was die Krise betrifft, das Gegenteil. Irgendwie sei der heutige Kapitalismus doch eher ziemlich am Ende :
Die kapitale Läuterung
„Der Kapitalismus hat gesiegt. So sagt man, seitdem Kommunismus und Staatssozialismus weltweit gescheitert sind. Mittlerweile drängt sich aber der Eindruck auf, dass der Kapitalismus gar nicht gesiegt, sondern nur überlebt hat, womöglich auch sich selbst. Sieger sehen anders aus.“
Hören wir da etwa eine Art moralischer Genugtuung über die historische Niederlage des Kapitalismus?
„Die Form des Kapitalismus, die man ‚Turbo-Kapitalismus‘ genannt hat, widerlegt, zerlegt und besiegt sich gerade selbst. Der Turbo war die Gier. Die Gierlehre, die eine Irrlehre war, behauptete, dass die gigantische Geldakkumulation an der Spitze nicht nur den Leuten an der Spitze, sondern, im Wege des Durchsickerns, auch den Armen helfe und so für Gerechtigkeit sorge. Die Theorie blieb aber Theorie. Die Praxis zeigt sich jetzt: Der Turbokapitalismus frisst seine Kinder, seine Künder und seine Derivate.“
Gegenstand der Kritik ist also doch nicht der
Kapitalismus als solcher, sondern eine Form
desselben, die sich durch den Zusatz „Turbo-„
auszeichnet, womit der Autor zweifelsfrei zu erkennen
gibt, dass diese Abart von Kapitalismus ein
unanständiger Exzess einer eigentlich
tugendhaften Einrichtung ist – ‚soziale Marktwirtschaft‘
heißt dieser gute Kapitalismus dann später. Die
moralische Verfehlung, die für die Entartung
verantwortlich ist, lautet Gier
; die Sünde ist,
dass soziale Versprechungen nicht gehalten wurden; und
die Übeltäter büßen schon für ihre Taten, sie erleiden
nämlich selber gehörigen Schaden:
„Die Welt erlebt derzeit ein Fegefeuer des Kapitalismus.“
Es ist zwar etwas gewagt, die krisenhafte Entwertung von
Geld, Kapital und Kredit als eine Art reinigendes
Strafgericht über eine fundamentale Sünde namens
Gier
und als Widerlegung einer falschen
Theorie
zu deuten, derzufolge ausgerechnet
Opfer des Systems zu seinen größten Gewinnern zu
rechnene wären. Aber diese ‚Theorie‘ nimmt der
SZ-Schreiber furchtbar ernst, um sie dann ausgerechnet
durch den schlechten Gang der Geschäfte für deren
Nutznießer als großen Irrtum zu entlarven. Das
ist die Deutung, auf die Herr Prantl im Unterschied zu
seinem Kollegen hinauswill: Ihm ‚beweist‘ der aktuell zu
verzeichnende Misserfolg, dass der Kapitalismus mit den
bösen Vornamen sich moralisch disqualifiziert hat. In
seinem Weltbild ist der Kapitalismus nun einmal fest mit
dem Ideal sozialer Wohltätigkeit verknüpft, also ist für
ihn ausgemacht: Weil die Verhältnisse der
letzten Jahre unanständige Exzesse und
fatale Irrtümer waren, mussten sie in die Krise
geraten und scheitern! So verschafft die Krise in seinen
Augen der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit ein
schlagendes Argument und damit seinem Ideal eines
besseren Kapitalismus eine wundervolle Perspektive. Wenn
dem realen Geschäft im Moment der Erfolg fehlt,
kommen seine Veranstalter einfach nicht um Einsicht
herum, in der Abteilung ‚soziale Gerechtigkeit‘ einiges
versäumt zu haben. Was kommt danach? Es wird ein
geläuterter Kapitalismus sein müssen.
Ganz gewiss,
zumal es doch schon ein erhebendes Beispiel gelungener
staatlicher Läuterung gibt:
„Manche vergleichen den nackten Kapitalismus mit einem Krieg, einem Krieg gegen Arbeitsplätze unter anderem. Wenn man bei diesem Vergleich bleiben will: Die Weltgemeinschaft hat es zwar nicht vermocht, den Krieg abzuschaffen – aber immerhin, ihn einzuhegen, Regeln dafür aufzustellen, was im Krieg erlaubt ist und was nicht. Das muss auch für den Kapitalismus gelingen.“
Das ist unverwüstlicher Humanismus – noch in den größten Brutalitäten staatlichen Wirkens entdeckt man zivilisatorische Fortschritte! Und ein gelungenes Angebot an die neoliberalen Kollegen ist das auch: Ihr müsst euren ‚Krieg gegen die Proleten‘ noch nicht mal aufgeben, ihr müsst ihn nur ein wenig beschränken, dann geht er auch schon in Ordnung und ist obendrein noch viel erfolgreicher als euer gescheitertes Turbo-Modell, wie schon bewiesen:
„Es gibt ihn schon, in kleinem Format, man kann seinen Erfolg studieren – er heißt soziale Marktwirtschaft. Die soziale Marktwirtschaft ist die erfolgreichste Wirtschafts- und Sozialordnung, die es in der Wirtschaftsgeschichte je gegeben hat. Sie ist nicht Kapitalismus pur. Sie ist der erfolgreiche Versuch, Wettbewerb und soziale Gerechtigkeit auf einen Nenner zu bringen.“
Besser kann man für soziale Gerechtigkeit nicht werben: Mit etwas mehr Berücksichtigung seiner sozialen Opfer wird unser Spitzensystem auch noch krisenfest!
*
Aussagekräftige Vergleiche müssen nicht das Privileg gebildeter Leser sein, die beherrscht auch die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands, wenn es um die Information des einfachen Volkes über die Finanzkrise geht:
Die Finanzwelt bebt – weltweit
‚Finanz-Tsunami‘, ‚Börsenbeben‘, ‚Bankensterben‘: Die Bezeichnungen für die weltweite Schieflage des Finanzsektors sind kreativ. Alle weisen auf dasselbe hin: Die Welt wird nach der Krise nicht mehr so sein, wie sie einmal war.“ (Bild, 18.9.)
Dass da ein Ungemach größten Kalibers passiert ist, muss jedem Deutschen unmissverständlich klar sein: Irgendwie ist da in Amerika etwas geschehen, was mit der Wucht und Unabänderlichkeit eines Tsunami oder Bebens über die Menschheit hereingebrochen ist. Derart eindrucksvolle Bilder legen die Perspektive fest, unter welcher der ‚einfache Mann‘ das Ganze zu betrachten hat: Ahnungs- und machtlos, wie er ist, erfährt er von Zuständigen und Experten, was da Unausweichliches auf ihn zukommt. Zuerst soll man sich das Unfassbare vorstellen, das passieren könnte und offensichtlich als die Katastrophe gilt:
„Der Mythos Wall Street ist zerschlagen. Die Finanzkrise hat Börse und Banken platt gemacht – und damit auch ein ganzes Land. KANN AMERIKA JETZT SOGAR PLEITE GEHEN?“
Anschließend kann man sich durch den Experten wieder beruhigen lassen:
„Unmöglich, sagt Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise zu Bild. ‚Die USA verfügen über ein gewaltiges Vermögen im In- und Ausland. Auch die Wirtschaft ist alles andere als pleite. Das US-Bankensystem ist ausgeufert und muss jetzt dringend auf ein vernünftiges Maß schrumpfen – auch wenn das sehr schmerzlich ist‘.“
Diese inszenierte Auf- und Abregung angesichts der Wucht unabänderlicher Ereignisse ist aber nur die eine Hälfte der Bewusstseinsbildung in Krisenzeiten, der sich die Bild-Zeitung widmet. Die andere ist die Erregung öffentlicher Empörung über die Schuldigen, welche die ausgemalte Großkatastrophe verursacht haben. Das gute demokratische Volk soll sich schließlich ideell mit zuständig wissen im Kampf um geordnete Verhältnisse, und bekommt dazu von Bild und einem echten Professor den richtigen Weg der Kritik gewiesen.
Verzocken Banker unseren Wohlstand?
„Der Fall der einst hoch angesehenen Investmentbanken zeigt drastisch, wohin ungezügelte Gier von Bank-Managern führen kann. Die Finanzmarktakteure haben sich im ganz großen Stil verspekuliert. Hochriskante, gefährliche Geschäfte aus Gier nach mehr sind die Ursache.“
Auch bei Bild ist man
also übereingekommen, dass das moralische Versagen der
wirtschaftlichen Elite namens Gier
die Wurzel des
Übels ist und dass Banker wegen dieses menschlichen
Defekts ihren allgemeinwohldienlichen Auftrag verfehlen:
Sie sollen, bitteschön, anständig und deswegen
erfolgreich wirtschaften, lautet der Antrag –
schließlich geht es um unseren Wohlstand
, als ob
der kapitalistische Reichtum eine Art
Gemeinschaftsprodukt wäre, für das alle Beteiligten ihre
Pflicht zu tun haben! Zwar bringt es die Mehrheit mit
ihrer Arbeit gar nicht zu dem beschworenen Wohlstand, den
die Manager da angeblich verspielen. Aber gerade weil sie
ihre Pflichten ehrlich und bescheiden erledigt, kann sie
von diesen ‚Akteuren‘ des Finanzgewerbes verlangen, dass
auch die das Ihre leisten und ihr Geschäft der
Geldvermehrung gefälligst solide betreiben. Stattdessen
aber sackt die pflichtvergessene wirtschaftliche Elite
Provisionen
ein, obwohl sie der Gemeinschaft die
Leistung schuldig bleibt:
„‚Banker haben alles dafür getan, um Geld zu generieren. Je mehr, desto höher die eigenen Provisionen. ‚Perversion des Leistungsprinzips‘, nennt Prof. Dr. Rudolf Hickel von der Universität Bremen diese Entwicklung. Über die Millionen für die Pleite-Manager sagt er: ‚Es ist ein Skandal, dass die Leute, die Mist bauen, dafür auch noch fürstlich entlohnt werden.‘“
Eine erfrischend volksnahe Auskunft des Gelehrten: Wer nichts leistet, hat auch nichts verdient, das gilt auch für die, die gar keine Arbeit leisten, sondern managen! Da kann das Volk, für das im kapitalistischen Alltag die Rolle der schweigenden und arbeitenden Manövriermasse vorgesehen ist, sich endlich mal gehörig Luft verschaffen, kann von ‚denen da oben‘, von denen es kommandiert wird, weil die über den Reichtum und die wirtschaftlichen Mittel gebieten, von denen es abhängt, lautstark Verantwortung einfordern, ihre Unfähigkeit und Unredlichkeit anprangern – und was das Schönste ist: Es kriegt mit allem von berufener Seite auch noch Recht!
*
In diesen bewegenden Krisentagen rückt auch die
ehrenwerte Figur des deutschen Sparers ins Rampenlicht.
Zwar haben wir von Wirtschaftskommentatoren gelernt, dass
die Krise im Wesentlichen eine amerikanische
ist; irgendwie breiten sich die Pleiten aber langsam doch
so aus, dass „sich derzeit viele, die das Geschehen
an der Börse beobachten, wie im Kasino fühlen.
Insbesondere Privatanleger verunsichert die
Finanzkrise. Sie fragen sich, was die großen Spieler an
den Märkten genau treiben“ (SZ, 17.9.) – mit
ihrem Geld und ihren Anlagen zum
Beispiel. Aus gutem Grund, schließlich haben sie als
aufgeschlossene Bürger ihr Geld nicht mehr unter der
Matratze geparkt, sondern in die Spekulation der
internationalen Finanzwelt hineinverwickeln lassen:
Derivate, Aktien- und Geldmarktfonds, Tagesgeld,
Rentenmarkt – die Ersparnisse von jedermann sind komplett
dem Finanzkapital überantwortet. Sorge ums eigene Geld
ist also geboten, und mit dieser Sorge darf das deutsche
Volk von Sparern keinesfalls allein gelassen werden. Also
nimmt die Öffentlichkeit die deutschen Bürger an der Hand
und bietet ihnen Aufklärung. Allerdings eher nicht
darüber, was die Finanzgrößen da in ihrem Kasino
so genau treiben
. Wirtschaftsredakteure übernehmen
die Rolle des vertrauenswürdigen Anlageberaters in
schwerer Zeit und führen ihre Leserschaft durch die große
Welt des Finanzkapitals – auf der Suche nach Antworten
auf die allein interessante Frage nach den
Folgen, die da zu gewärtigen sind, an erster
Stelle die:
Ist das Geld der Sparer noch sicher?
Die 25 wichtigsten Fragen und Antworten für Anleger
und Arbeitnehmer
. Auf die Frage: sind
auch deutsche Banken vom Konkurs bedroht?
, kommt die
nicht weniger kluge Antwort: Genau weiß das keiner.
Immerhin IKB ...
Daraus ergibt sich, dass wir Deutsche schon irgendwie betroffen sind, da hilft alles nichts. Also stellt sich die nächste Frage:
„Was passiert, wenn eine deutsche Privatbank pleite gehen sollte?“ Kein Grund zur Panik: „Dann greift der Einlagensicherungsfonds des Bankenverbandes. Ihm gehören die großen Bankhäuser sowie viele kleinere Institute an. Bei der Dresdner Bank z. B. sind konkret Spareinlagen bis zu 2,8 Milliarden Euro geschützt, und zwar pro Kunde!“
Als deutscher Sparer kann man aufatmen und sich beruhigt zurücklehnen: 2,8 Milliarden, pro Kunde, da ist man ja total überversichert; schenken wir also den Banken weiterhin unser Vertrauen, lesen weiter und freuen uns darüber, dass bei den Sparkassen & Genossenschaftsbanken alles eher noch sicherer ist. Doch dann:
„Unbestritten ist, dass die Sicherungssysteme ausreichen, um Pleiten von kleineren und mittleren Banken aufzufangen. Was passiert aber bei einer Pleitewelle? (...) Branchenkenner raunen, die IKB wurde nur deshalb gerettet, weil die Einlagensicherung an ihre Grenzen gestoßen wäre.“
Aha, massenhaft in Anspruch darf der Sicherungsfonds also nicht genommen werden, dann reicht er nämlich nicht! Daraus lässt sich immerhin auch eine beruhigende Konsequenz ziehen: Wenn alle auf die Bank rennen, nützt das gar nichts – das Geld ist eh nicht da! So bleiben wir gefasst, behalten unser Gottvertrauen in Banken, Politiker und Öffentlichkeit und darauf, dass sie alles mögliche für unser Geld tun, und haben als deutsche Sparer die Lage so schon nicht schlecht im Griff.
*
Auch die Wissenschaft steht den krisengeschüttelten Gesellschaften zur Seite und vermeldet einen
Kollaps aus dem Nichts
Die globale Finanzkrise zeigt: Ihre zunehmende
Komplexität macht moderne Gesellschaften
zerbrechlich
. (SZ, 17.9.) Eine Krise aus dem
Nichts
– haben die Forscher das vergangene Jahr
durchgeschlafen? Oder haben die System- und
Wissenschaftstheoretiker, Mathematiker, Ökonomen und
Organisationssoziologen so fest über das Grundwort des
Kompositums ‚Finanzsystem‘ nachgedacht, dass sie
das mit den Finanzereignissen glatt übersehen
haben? Jedenfalls scheint ihnen aktuell ein modernes und
hochkomplexes System gestört
zu sein, das ist eine
Katastrophe
, und damit ist das gesamte Denkmuster
auch schon fertig, mit dem man die Finanzkrise ganz gut
in eine Reihe mit Epidemien
, Atomkriegen
und anderen Naturkatastrophen wie dem Klimawandel
stellen kann, wo – streng systemtheoretisch gedacht –
immer dasselbe vorliegt:
„Die Vernetzung und zunehmende Abhängigkeiten in modernen Gesellschaften führen dazu, dass die Folgen von Entscheidungen unabsehbar werden und – so wie bei der Finanzkrise – lokale Probleme schnell zum globalen Desaster anwachsen.“
Das ist doch mal eine Erkenntnis im Dschungel der
unübersichtlichen Finanzwelt: Wer sich aufs Denken der
Abstraktion ‚Zusammenhang‘ versteht und mit Vokabeln wie
‚komplex‘ nur festhalten will, wie schwierig es
ist, dass da irgendein großes Ganzes aus ganz vielen
Teilen auch verlässlich ein Ganzes bleibt, der kennt
Entscheidungen bar jeden Inhalts, die Folgen egal welcher
Art nach sich ziehen, jedenfalls unabsehbar
sind
und zum globalen Desaster
werden. Nach der
bestechenden Logik ‚kleine Ursache – große Wirkung‘ hat
er dann, wenn er ein Desaster registriert, die Welt
geistig komplett im Griff: Dass alles mit allem
irgendwie zusammenhängt und deshalb leicht
auseinander brechen kann, sieht man an einer Krise, die
lokal anfängt und global aufhört.
*
Reicht das an Ursachenforschung? Ging mit Lehman Brothers nicht die viertgrößte Investmentbank der USA in die Pleite? Eben! Für die seriöse Presse in Deutschland ein Anlass, nochmals die Frage zu wälzen, was da eigentlich in die Krise geraten ist und warum. Da ist man sich einig: Die Krise ist Ausdruck der Niederlage eines Geschäftsmodells. Desavouiert hat sich da ein ganz bestimmter Typus von Bank, der – logo – v.a. in den Vereinigten Staaten beheimatet ist:
Tod der Investmentbanken
„Von den fünf größten Wertpapierhäusern sind nur noch zwei unabhängig. Es ist der größte Umbruch in der amerikanischen Bankenbranche seit der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts – und ein Sieg der Universalbanken.“ (FAZ, 20.9.)
Und auch die SZ sieht das so:
„Das Ende der Wall Street – In der Finanzkrise hat sich das Modell der Investmentbank überholt.“ (SZ, 17.9.)
Wenn etwas pleite ist, ist es überholt
, das darf
als gesichert angesehen werden. Und wenn an der
Wall Street Krise ist, dann ist das wohl auch das Ende
der Wall Street – diese Logik kennen wir,
angewendet auf die gesamte amerikanische Nation, ja
schon. Nur: War dieses Modell, die Trennung der Banken in
Einlagen- und Wertpapierbanken, in den USA nicht als
Lehre aus der letzten großen Krise 1929
entwickelt worden? Egal. Wir in Deutschland
haben jedenfalls vor allem den Siegertypus von Banken,
und den noch dazu auf drei Säulen! Was kann uns da
passieren!
*
Gier hin, US-amerikanisches Bankenmodell her – die Sache mit den Krisenursachen scheint in dieser Woche doch noch nicht erschöpfend geklärt. Die SZ jedenfalls nimmt einen dritten Anlauf zum Wochenende hin:
Aus der Traum
lautet der Leitartikel, noch mal Amerika. Wenn man
nämlich etwas genauer hinsieht, ist das mit der
Finanzkrise für Amerika noch viel schlimmer als gedacht.
Kaputt sind nicht bloß die Abermilliarden an
Vermögenswerten. Die sind nur oberflächlicher
Ausdruck eines weit tiefer gehenden Zerstörungswerks –
Amerikas Grundwerte sind kaputt, also die
höheren wie Freiheit und Gerechtigkeit
,
Unternehmergeist
, Risikobereitschaft
und
gar der Optimismus
, kurz: der ganze
amerikanische Traum
ist im Eimer. Eine wegen
verspekulierter Dollarmilliarden ideell
daniederliegende Nation?! Einerseits ein Witz in einer
Welt, deren beinharter Materialismus in der Vermehrung
von Geld besteht. Andererseits aber auch ein schönes
Bekenntnis dazu, dass eine gelungene
Bereicherung den Tugend- und Wertekatalog so
großartig macht, der den Einzelnen wie eine ganze Nation
adelt und geistig aufrichtet.
Fragt sich, wie diese moralische Katastrophe passieren
konnte. Der Traum wurde verraten und verkauft
,
nämlich von Amerikas unmoralischer Elite, die ihrem
Privatinteresse die Regulative der Märkte
, also
ein gebotenes rechtes Maß privater Bereicherung
– da ist sie wieder, die ‚Gier‘! – geopfert hat:
„Die Schamlosigkeit, mit der die Regierung Bush und Kongressmitglieder ihre Ämter für ihre Interessen missbrauchten, ebnete so auch den Weg für die Schamlosigkeit und Verantwortungslosigkeit, mit der die Finanzwelt sich am Traum der Durchschnittsamerikaner vom eigenen Heim bereicherte.“ (A. Kreye, SZ, 20./21.9.)
Wer hätte das für möglich gehalten: Amerika lebt an die 40 Jahre nicht nur finanziell über seine Verhältnisse und damit auf unsere Kosten. In Amerika finden auch noch unamerikanische Umtriebe statt, angestiftet und angeleitet von ganz oben. Wie betrüblich für einen deutschen Fan einer amerikanischen Nation, von der all das Gute der kapitalistischen Welt ausgeht:
„Der Rest der Welt aber braucht Amerika als Führungsmacht in Sachen Idealismus, Innovation und Optimismus. Es gibt niemanden, der in die Bresche springen könnte.“
Aber noch ist die Welt ja nicht verloren.
2. Tiefschürfende Ursachenforschung und Würdigung staatlicher Rettungsversuche
Die amerikanische Regierung nutzt das börsenfreie
Weekend, um Rettungspakete für ihre fallierenden
Investmentbanken zu schnüren; der deutsche
Bundesfinanzminister telefoniert schon mal mit seinen
EU-Kollegen in Paris, London und anderswo, weil er ein
Hilfsersuchen aus Washington erwartet, das er ablehnen
will – aber möglichst im Rahmen einer kollektiven Front
von Nein-Sagern. Und die seriöse Presse unseres Landes
nutzt das Wochenende, an dem die Panik freihatte
,
für etwas Besinnung. So eröffnet die SZ den montäglichen
Arbeitsbeginn der Börsen mit einem Leitartikel über die
Lehren aus der Krise
„Das ist die erste Lehre aus der großen Krise: dass Menschen Dinge zugelassen und veranstaltet haben, die sie nicht begriffen und schon gar nicht in ihren Konsequenzen übersehen haben. Das war ein unverzeihlicher Fehler. Wie im richtigen Leben muss auch in Politik und Wirtschaft, beim Führen eines Unternehmens und erst recht einer Bank oder Versicherung gelten: Tue nur, genehmige nur, bewerte nur, was du auch verstehst.“ (SZ, 22.9.)
Der SZ-Kommentator hat offenbar die Meldungen im Fernsehen mitbekommen, wonach sogar mancher Bankvorstand den Verkaufsprospekt eines „strukturierten Zertifikats“ nicht versteht und der kleine Sparer erst recht nicht, und hat aus diesen Meldungen eine Moralphilosophie der Krise fabriziert, die irgendwo zwischen Kant und Murphy’s Law – das Gesetz vom Butterbrot, das immer auf die bestrichene Seite fällt... – angesiedelt ist: Man muss wissen, was man tut, sonst geht’s womöglich schief! Diese goldene Regel einer ordentlichen Lebensführung für jedermann hat auch für diejenigen „Menschen“ zu gelten, die nach dem Verständnis des geistigen Mahners der SZ selbstverständlich in einem eigenen, dem alltäglichen ‚richtigen Leben‘ enthobenen höheren Bereich tätig sind. Und da muss er registrieren: Die Akteure, Emittenten und Anleger in den oberen Finanzetagen kennen ihre eigenen Geschäftsprodukte nicht! Der Mann hätte eigentlich bloß in seiner eigenen Zeitung ein bisschen nach hinten blättern müssen oder die 15-seitige Beilage vom Donnerstag „Derivate und Zertifikate“ aufschlagen sollen, wo seine Kollegen vom Wirtschaftsressort just aufgeschrieben haben, was die Experten aus der Alltagspraxis des Bankgeschäfts ihnen über ihre Kreationen so erzählen. Oder er hätte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vor dem Wort zum Sonntag lernen können, wie solche unverständlichen Finanzgeschäfte gehen, z.B. solche, in denen leere Sachen verkauft werden:
„Bei Leerverkäufen verkaufen Investoren Aktien, die sie gar nicht besitzen, sondern bloß geliehen haben. Sie spekulieren auf fallende Kurse, also darauf, die Aktien später billiger zurückzukaufen.“
Das gibt eine Rendite. Das verstehen die
Schöpfer der komplexen Wertpapierchen allemal,
dafür konstruieren sie die verrücktesten
Kombinate aus ‚Risiko‘ (gegen hohen Zins) und
‚Sicherheit‘ (für weniger Zins), um das Geld der Anleger
für ihre spekulativen Geschäfte an sich zu ziehen und für
die Bereicherung ihres Finanzinstituts zu nutzen. Und was
den Menschen aus dem richtigen Leben
und da vor
allem den Kleinsparer
angeht: Der soll und braucht
überhaupt nicht zu verstehen, wie ein Lehman-Zertifikat
sich von einem Sparbuch der Frankfurter Sparkasse
unterscheidet. Er soll anlegen und darf dafür die
Verwandlung seiner nicht konsumierten Lohnbestandteile in
Geldkapital – Geld, das ‚arbeitet‘ – erwarten. Da sind
unsere Banken ganz offen: Vertrauen ist der Anfang von
allem
– mit der Parole dringen die Profis
von
der Deutschen Bank bei ihrer Kundschaft darauf, das Geld
bei ihnen abzuliefern und sich so für die Refinanzierung
ihrer Investments einspannen zu lassen. Dafür darf Otto
Normalverbraucher sich nun, da auch seine Anlagen in
der Krise, also vom Verlust bedroht sind, von der SZ
einer verantwortungslosen Naivität bezichtigen lassen:
Auch er hat schließlich, ebenso wie die Finanzprofis und
Politiker, eine Spekulation zugelassen
und mit
veranstaltet
, die – wie man heute weiß – schief
gehen musste!
Vor allem aber gilt die Schelte des Wirtschaftsredakteurs der inkompetenten Elite. Die leitenden Banker, aber nicht nur die, sondern auch die Staatsaufsicht – alle haben versagt. Der Beweis: Hätten die Verantwortlichen ihr Handwerk verstanden und ihre Aufgaben erfüllt, hätte ‚der Kern der Wirtschaft‘, ‚die reale Wertschöpfung‘, dauerhaft floriert und nicht eine ausufernde ‚Finanzindustrie‘ mit ihren undurchschauten Risiken; dann gäbe es jetzt keine Finanzkrise. Unschwer ist zu bemerken, was Wirtschaftskommentatoren, die ihr Publikum ansonsten mit den fantasievollen Entwicklungen in der Geld- und Kreditproduktion unterhalten, zu ihrer ‚Denn-sie-wissen-nicht-was-sie- tun‘-Theorie motiviert. Sie meinen, die Banker hätten nur solide Spekulationen veranstalten und die politischen Aufseher nur solche Finanzgeschäfte zulassen sollen, deren Erfolg verbürgt ist.
So eine Direktive fällt natürlich nicht unter die Rubrik ‚naiv‘. Schließlich hat der Fachmann von der SZ ja gerade gesagt, dass er kapitalistisches Wirtschaften für eine ausgesprochen komplizierte Angelegenheit hält, von der Leute, die sich nicht auskennen, die Finger lassen sollten. Und damit ist auch klar, welch eine gewaltige Anforderung da an die politischen Macher gestellt wird. Eine Freie Marktwirtschaft richtig dirigieren – das ist die große, schier unlösbare Aufgabe der Staatsmänner:
„Dies ist nun die doppelte Herausforderung: die entfesselten Finanzmärkte zu bändigen und zugleich der Wirtschaft mehr Freiraum zu geben. Ein Jahr vor der Bundestagswahl ist eine solche differenzierte Politik fast unmöglich. Trotzdem müssen verantwortliche Politiker diesen Versuch starten.“
So etwas wie die Quadratur des Kreises müssen sie schaffen, auch wenn die Demokratie mit ihrem Wahlkampf mal wieder stört. Auch ein schönes Kompliment an die Produktionsweise, die der Staat seiner Gesellschaft verordnet: Schwierig zu durchschauen, noch schwieriger zu managen, aber eigentlich toll – wenn man die gute Wirtschaft machen lässt und die problematische bändigt.
*
Tags darauf ist klar: Das Rettungspaket für die Wall
Street wird täglich größer.
(FAZ, 23.9.) 700 Milliarden Dollar will
der amerikanische Staat zur Sanierung seiner Banken
aufbringen.
Die deutsche Bundesregierung lehnt den Antrag der
US-Regierung ab, sich an der Finanzierung zu beteiligen
oder eigene Pakete für Not leidende Banken zu schnüren.
Wirtschaftsminister Glos übermittelt die hämische
Botschaft: Jeder kehrt vor seiner Tür, und sauber ist
das Stadtquartier.
Damit steht fest:
Deutsche Milliarden für die Pleite der US-Banken?
NEIN!
Die Öffentlichkeit teilt den Bürgern mit, dass das schwer in Ordnung geht. Die Amis sollen ihre Suppe selbst auslöffeln:
„Aus guten Gründen reagieren die Regierungen der EU-Länder oder Japan zurückhaltend. Diese Finanzkrise ist aus den Vereinigten Staaten in die Welt exportiert worden, sie muss dort auch behoben und die Rechnung beglichen werden.“ (FAZ, 23.9.)
Als ob es um die Begleichung einer Rechnung ginge! Mit
dem Hinweis auf den Schuldigen wird freilich das
Gerechtigkeitsempfinden des patriotischen Gemüts bedient,
dem immer wieder vorgesagt worden ist, dass
Europa mit der Krise und ihrer Bewältigung
eigentlich nichts zu tun hat, weil sie in
Amerika angefangen hat. Auch so eine
hochinteressante Lehre aus der Weltwirtschaftskrise des
letzten Jahrhunderts: Über die hat man in Gestalt einer
„Lehre“ ein ums andere Mal erfahren, dass heutige
Staatslenker garantiert nicht mehr so kurzsichtig
und verantwortungslos
wie damals nur auf Rettung
der eigenen Nation sinnen dürfen, weil das ja die
Katastrophe von 1929 erst richtig in Gang gesetzt habe
...
Kongenial und einfach macht Bild Stimmung für die Politiker, die
unseren
Finanzsektor mit seiner wunderbaren
Kreditvermehrung bislang so prächtig geschützt haben.
Erstens mit einer rhetorischen Titel-Frage:
„Warum sollen wir Milliarden für die Pleite der US-Banken zahlen?“ (23.9.)
Bei dem falschem WIR, das da staatliche Haushaltsführer mit dem lohnabhängigen Fußvolk zusammenschließt, gibt’s nur eine Antwort: GENAU! Zweitens zitiert Bild als Beweis einen, der es wissen muss, einen deutschen Politiker, der dem deutschen Steuerzahler aus dem Herzen spricht:
„FDP-Chef Guido Westerwelle: ‚Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass die Steuerzahler dafür blechen sollen, dass einige Banker in Amerika den Hals nicht voll kriegen konnten und Staatsbanken in Amerika Monopoly gespielt haben.‘“
Solche Entgleisungen wie bei den Amis können unserem soliden Bankwesen mit der vorbildlichen Bundesbank nie und nimmer passieren! Oder hat das Geschäftsgebaren in Amiland doch eher System und ist auf Amerika gar nicht beschränkt? Das scheint der skeptische Bild-Kollege Lohmann irgendwie zu befürchten:
Das NEIN der Kanzlerin auf das amerikanische Drängen, bei der Schadensbegrenzung zu helfen, ist nur konsequent. Und völlig richtig. Niemand weiß, welche Milliardenlöcher noch bei deutschen Banken klaffen.
Denen darf und muss dann natürlich geholfen werden. Wenn die Rechnungen von Finanzinvestoren hierzulande nicht aufgehen und deshalb Krise ist, darf der brave Bürger sich nämlich noch lange nicht über die ganz normalen Machenschaften empören, die zu deren ehrenwertem Beruf gehören. Denn:
„Sicherheit wird es nie geben. Gewinne und Spekulationen sind nicht von sich aus verwerflich. Sie sind Triebkraft unserer Marktwirtschaft.“
Das muss klar sein und bleiben: Die Kapitalisten mit
ihrem Geschäftssinn sind grundsätzlich zu bewundern und
nicht zu verdammen. Sie treiben mit all ihren Geschäften
schließlich unser System voran. Und insofern ist ihre
‚Gier‘ nach immer mehr Geld, so sie mit ihren Gewinnen
die Marktwirtschaft
ordentlich voranbringen, keine
Schande, sondern eine Tugend. Wenn der Mann aus dem Volk
diesen Grundsatz beherzigt, dann darf er sich
gerechterweise aber auch umso mehr aufregen über
unanständige Banker, vorzugsweise aus Amerika,
die Milliarden verzocken und in der Pleite fröhlich
ihren Bonus verjubeln
. Und darf entschieden darauf
bestehen: Die müssen nicht noch belohnt werden!
Beim Thema Gerechtigkeit muss man eben immer fein differenzieren!
*
Am selben Tag fühlt sich ein SZ-Feuilletonist bemüßigt, wieder mal ein bisschen herauszutreten aus den Niederungen des politischen Tagesgeschäfts. Er nimmt die laufende Vernichtung von Finanzvermögen zum Anlass einer tieferen Reflexion über das, was eigentlich falsch läuft in diesem unserem System, in dem die Geldvermehrung der oberste Zweck ist. Die Überschrift gibt die Richtung vor:
Wir Schuldenmacher
„Leben in Rot: Wie der Kapitalismus seine Ehrbarkeit verlor“ (SZ, 23.9.)
Hier möchte also einer über die Frage verhandeln, wie es
um die Sittlichkeit bestellt ist, die er für die
eigentliche Grundlage unseres Gesellschaftssystems hält
und deren Verlust er als den wahren Grund der Krise
ausgemacht hat. Die gängige Auskunft über das moralische
Fehlverhalten der Banker erscheint ihm da ungenügend,
also wirft er die Schuldfrage neu auf: Amerika hin, eine
versagende Wirtschaftselite her – schauen wir doch mal
nach, ob wir alle
, die menschliche Massenbasis des
Kapitalismus, wirklich so unschuldig sind an dem
beklagten Desaster:
„Wie aber sieht es an der Basis aus, bei uns, den vielen Millionen Subjekten der Marktwirtschaft? Derzeit wirkt es, als hätten wir gar keinen Anteil an der großen Krise; als sei diese der Effekt von ein paar Erfindungen skrupelloser und gieriger Investmentbanker.“
Natürlich ‚wirkt‘ das nur so: Da spielt einer mit der doppelten Bedeutung des Wortes ‚Subjekt‘, um uns alle – als Menschen, also jenseits aller ökonomischen Realität – in die Rolle von Veranstaltern des Krisengeschehens zu befördern. Und inwiefern ist jeder beteiligt? Es ist ganz einfach:
„So bleibt doch eine triviale Voraussetzung im kapitalistischen System mit seiner Wirtschaftsmoral, ohne die der ganze Schlamassel nicht möglich geworden wäre. Sie besteht in der seit einigen Generationen eingerissenen bedenkenlosen Schuldenmacherei auf allen Ebenen, vom Privatmann bis zu den Staatshaushalten. Der einfache Grundsatz, dass man nicht über seine Verhältnisse leben dürfe, hat alle Anschaulichkeit eingebüßt.“
Will sagen: man wird nicht mehr bestraft für
wirtschaftliche Unmoral. Staaten gehen kaum mehr
bankrott, Privatschuldner blechen dank eines
menschenfreundlichen
Insolvenzrechts nur bedingt,
so dass die Rechnung am Ende immer von Dritten
beglichen
wird. Deshalb machen Mann und Frau,
Finanzminister und Zwischenschichtler, kurz: wir alle
munter weiter Schulden, allenthalben unsittliches
Verhalten mithin. Doch wer jetzt das handelsübliche
Anprangern der überbordenden ‚Gier‘ erwartet, wird
enttäuscht. Da gilt es zu differenzieren! Ganz wie sein
Kollege von der Bild-Zeitung bricht der
Verhaltensforscher der SZ erst einmal eine Lanze für den
gesunden, sprich systemdienlichen
Materialismus:
„Der derzeit kursierende moralische Hinweis auf die ‚Gier‘, welche an der Börse zuletzt ausschließlich regiert habe, ist so zutreffend wie nutzlos. Das Problem ist nicht die Gier. Gierig ist jedermann, vom kleinen Schnäppchenjäger bis zum Vorstandsvorsitzenden; ohne Gier würde das Wirtschaftsleben über den Naturaltausch nicht hinausgekommen sein.“
Die Gier als Motor des zivilisatorischen Fortschritts?
Wahrscheinlich hat den homo oeconomicus auf der Suche
nach Tauschpartnern da mal ein Geistesblitz ereilt:
Mit Geld kann man sich doch alles
kaufen, was man braucht! Das hat zwar den
kleinen Nachteil, dass man schlagartig auf nichts mehr
von dem zugreifen kann, was man zur Befriedigung seiner
Bedürfnisse benötigt. Aber auch den großen Vorzug, dass
man ja sofort weiß, wie der Knappheit aller Güter allein
Herr zu werden ist, mit der man Bekanntschaft schließt:
Mittels Arbeit, die den stofflichen Reichtum
schafft, vor allem den Stoff zu vermehren, mit
dem man auf den Reichtum auch zugreifen kann, das ist
praktisch! Die Geldgier als Elementarbedürfnis
einzurichten: Das führt das moderne
Wirtschaftsleben
endlich über seine absurd
unpraktischen Vorformen hinaus
! Diese gute
Moral der Gier gab es einmal, und die ist es, die
der heutigen Schuldenmentalität zum Opfer gefallen ist.
Zu studieren ist das exemplarisch an denen, die die
Tugend der Geldgier als ihren Hauptberuf ausüben – der
pedantisch-tugendhafte
, knauserige, asketische,
eben: der ehrenhafte Kapitalist ist ausgestorben:
Die ersten Kapitalisten hatten zähe, dürre, harte, vor
allem aber verlässliche Seelen
- und an deren Stelle
sind volatil leichtfertige Manager
getreten, die
das kapitalistische System von Arbeit auf Konsum
umgestellt und damit gleich die ganze Menschheit
verdorben haben:
„Diese Umstellung hat langfristig einen neuen Menschentypus herangebildet. Das sind wir, die schwerelosen, heiteren und leichtsinnigen Bürger der Wohlstandszonen auf der nördlichen Hemisphäre des Erdballs.“
Müßig die Frage, ob da nicht einer seinen schwerelosen Konsum zu einem heiteren Schlaraffenland umdichtet. Seine Botschaft, dass es sich der heutige „Menschentypus“ jedenfalls viel zu leicht macht, wenn er immer nur Geld ausgibt anstatt zu arbeiten, ist ja unübersehbar. Deshalb kommt ihm die Krise mit ihren schweren Zeiten für die heiteren und leichtsinnigen Wohlstandsbürger als schmerzliches Heilmittel gerade recht:
„Wenn die Menschen am eigenen Leib wieder erfahren, wie Geld und Arbeit zusammenhängen, dann kann das kapitalistische System, diese komplexe, großartige, freiheitsverbürgende Errungenschaft der Menschheitsgeschichte, vielleicht zu seiner ursprünglichen Ehrbarkeit zurückfinden.“
Klar, wie für den Mann Geld und Arbeit zusammenhängen:
Arbeit
ist gleichbedeutend mit weiser
Selbstbeschränkung, weil Geld verdient sein will, bevor
man leichtsinnig
alles ohne Arbeit konsumiert –
und diese Erfahrung würde das System ausgerechnet zu
seiner Sittlichkeit zurückführen! Das geht dann doch ein
wenig weit mit dem Lob der guten Erfahrungen, die die
Menschen
mit diesem System machen: Seitdem es die
kapitalistische Geldwirtschaft gibt, hat die Mehrheit von
ihnen – wenn überhaupt – noch nie mit etwas anderem
konsumieren dürfen als mit den Erträgen, die sie sich mit
ihrer Lohnarbeit verdient hat! Genau das ist es, was
schon die frühen Kapitalisten
als die große
Errungenschaft der ihnen verbürgten Freiheit zur
Ausbeutung und zum Konsum ohne eigene Arbeit geschätzt
haben und die Vertreter dieser gesellschaftlichen Spezies
auch heute nicht minder schätzen! Was an dieser
schlichten Gemeinheit komplex
sein soll und
menschheitsgeschichtlich betrachtet großartig
,
bleibt das Geheimnis dieses Apologeten, ebenso wie die
von ihm angehimmelte ursprüngliche Ehrbarkeit
eines Systems, das seit seinen Ursprüngen in seinen
Fabriken aus Geschäftsgründen ganze Generationen
verzehrt, halbe Kontinente entvölkert und es allein im
letzten Jahrhundert zu zwei Weltkriegen gebracht hat!
*
Ach ja, apropos Konsum, es gibt tatsächlich noch eine Tarifrunde – mitten in der Krise! Und der Skandal ist ungeheuer:
Acht Prozent mehr Lohn!
Eine kleine Präposition unterstreicht den Irrsinn, der da unterwegs ist:
„Trotz der weltweiten Finanzmarktkrise geht die IG Metall mit der Forderung nach acht Prozent mehr Lohn in die Tarifrunde.“ (SZ, 23.9.)
Da können nur Hasardeure am Werk sein, und richtig, drei
Seiten weiter lernen wir sie kennen, die
Tarif-Spekulanten
von der IG Metall:
„Sie spekulieren. Sie spekulieren darauf, dass es mit der Konjunktur doch nicht so sehr bergab geht, wie die eigenen Experten vermuten. Sie spekulieren darauf, dass sie in der Metallindustrie imstande sind, jede Forderung in weiten Teilen auch durchzusetzen – in der Branche sind schätzungsweise vier von zehn Beschäftigten bei der Gewerkschaft organisiert ... Vielleicht weiß Huber ja, dass sein Acht-Prozent-Kurs langfristig gefährlich ist. Aber erst mal geht es ihm wie jedem Finanzhai: Er braucht den kurzfristigen Erfolg.“
Sehr originell. Wenn „Spekulant!“ das aktuelle Schimpfwort ist, mit dem die nationale Pflichtvergessenheit von ‚gierigen Finanzzockern‘ angeprangert wird, dann wenden wir es doch mal auf die Gewerkschaft an und fertig ist die Denunziation. Die Unterstellung, von der sie lebt, braucht man gar nicht mehr auszusprechen: Gewerkschaftliche Lohnforderungen sind eine Kost für die Wirtschaft, insofern immer zu hoch; und wenn die Gewinne neulich schon keine Lohnerhöhungen vertragen haben, dann gilt das natürlich jetzt erst recht. Wenn Wirtschaft und Finanzen Not leiden, dann hat die Gewerkschaft jedes Recht verloren und ihre Forderung zu revidieren! Und hat das den Arbeitern klar zu machen, falls die nicht von selbst darauf kommen.
*
Am selben Tag formuliert das Sprachrohr der deutschen Arbeiterklasse, die Bild-Zeitung, eine – gerade in unheilvollen Zeiten – gerechte Forderung an die deutschen Politiker:
Schenkt uns reinen Wein ein!
Sie sollen aufhören, das Spiel der Gaukler
zu
betreiben und uns für dumm zu verkaufen. Von wegen, die
Krise sei eine inneramerikanische Angelegenheit, die
USA lägen außerdem weit weg und die deutsche Wirtschaft
wäre bestens aufgestellt. So einfach ist es eben
nicht!
(Bild, 23.9.)
Denn von einer möglichen gigantischen Rezession
,
die US-Präsident Bush angekündigt hat, wäre schließlich
auch die Exportnation Deutschland betroffen. Millionen
Arbeitsplätze kämen in Gefahr
. Und wenn es so kommt,
es sich also nicht vermeiden lässt, dass auch unser
tüchtiges Deutschland zum Opfer der amerikanischen Krise
wird und damit massenhaft Plätze frei werden, an denen
bisher für Deutschlands Exporterfolge gearbeitet werden
durfte, dann haben die betroffenen Bürger zumindest
einen Anspruch: zu erfahren, wie viele von ihnen
demnächst auf ihren Lebensunterhalt verzichten müssen.
Und zwar so, dass es noch der Dümmste versteht:
„Wir brauchen keine Schönfärberei mehr, sondern Realismus. In klaren deutschen Sätzen!“
Dass man von den Führern der Nation rechtzeitig und offen
gesagt bekommt, auf welche Not es sich einzustellen gilt:
Darauf hat man ein Recht. Dann weiß man, was die
für Geschäft und Politik Zuständigen einem demnächst an
Lebensumständen servieren werden, was also auf einen
zukommt
und womit man fertig zu werden hat. Und
dann bleibt immerhin noch eines: die Hoffnung, dass es
schon nicht so schlimm kommen wird.
*
Auf die geforderten klaren Sätze müssen die Deutschen
noch ein paar Tage warten, da die Kanzlerin und ihr
Wirtschaftsminister die laufende Ausweitung der Krise
einstweilen noch nicht herbeireden
wollen. Sie
sind noch zu sehr damit beschäftigt, der Krise eine für
Deutschland gar nicht so unangenehme politische
Perspektive abzuringen: Es könnte doch sein, dass es in
der Welt noch Gerechtigkeit gibt und der
Krisenverursacher auch der
Hauptleidtragende dessen ist, was er angerichtet
hat. Im Bundestag verkündet der deutsche
Wirtschaftsminister Steinbrück in Anspielung auf den 11.
September: Die Welt wird nicht wieder so werden wie
vor der Krise
, und sagt frohgemut die Degradierung
Amerikas an:
Die USA werden ihren Status als Supermacht des
Weltfinanzsystems verlieren.
Das nimmt Deutschlands größte Tageszeitung zum Anlass, dem deutschen Minister und dem deutschen Leser zu bestätigen, dass der Wunsch des Mannes bereits Wirklichkeit geworden und dies außerdem sehr gerecht ist:
„Mit ihrer Maßlosigkeit (beim Schuldenmachen) haben die Amerikaner den Rest der Welt als Geisel genommen ... Die Amerikaner haben sich als Finanz-Supermacht aufgespielt, wie Peer Steinbrück es nennt. Ein Status, den sie nun zu Recht verlieren.“ (SZ, 26.9.)
Weil der Autor Amerika als Schuldigen der Finanzkrise und
Schädling am Rest der Welt
– also an UNS! – an den Pranger stellen will,
sieht er geflissentlich darüber hinweg, dass die
finanzkapitalistische Welt, also auch deutsche Banken und
Konsorten sich nicht minder an den Dollar-Anleihen
bereichert haben und sich deswegen äußerst bereitwillig
zu ‚Geiseln‘ der amerikanischen Staatsschulden haben
machen lassen. Gemeinsam mit dem deutschen Finanzminister
träumt er vom Niedergang des amerikanischen Imperiums und
vom Aufstieg des europäischen – und vergisst dabei glatt,
dass der Status einer Führungsmacht in der Staatenwelt
nicht unbedingt auf der Beherzigung volkswirtschaftlicher
Gleichgewichts-Ideologien beruht. Er geht einfach davon
aus, dass die Amerikaner
aufgrund von zwei
Fehlern
– dauernd auf Pump gelebt
der erste,
das Vertrauen darauf, dass sich Geld beliebig
vermehren lässt
, der zweite – ihre Führungsrolle
verwirkt haben.
Dagegen mahnt der Kollege von der FAZ vor allzu voreiligen Schlüssen:
Eins sollte man dennoch nicht tun: in den Abgesang auf
die Vereinigten Staaten einstimmen.
Er kommt etwas
früh.
(FAZ, 26.9.)
Der Mann denkt an die überlegene ökonomische und militärische Macht der USA, die mit dem Finanzcrash nicht einfach annulliert ist. Diese Überlegenheit gilt ihm als Ausweis der besonderen Fähigkeiten dieser Nation und ist ihm ein Kompliment wert:
Sie (die USA) verfügen über enorme Energie und
erstaunliche Kraft zur Regeneration.
Freiwillig von ihrem Status als maßgebliche Weltmacht zurücktreten werden die Freunde aus Übersee also nicht, da sollte sich Deutschland nicht vertun. So führt die Öffentlichkeit einen herrschaftsfreien Diskurs darüber, worauf es bei der Krise am Ende auch und vor allem ankommt: wie Deutschlands Chancen stehen, aus der Krise Gewinn in der Machtkonkurrenz der Nationen zu ziehen.
*
So oder so: Was aus Amerika auf UNS zukommt, kann uns nicht egal sein. Und aus Amerika kommt nicht nur die Krise, sondern auch ein neuer Präsident.
Wahlkampf in Amerika!
– ist das „Thema des Tages“ in der SZ, und zwar so:
„Manöver am Abgrund – John McCain präsentiert sich nicht mehr als Wahlkämpfer, sondern als Patriot, doch die meisten werten dies nur als Taktik. Im Moment scheint die Krise dem Demokraten Obama zu nutzen.“ (26.9.)
Es kann passieren was will – Demokraten finden für alles
einen gemeinsamen Nenner: Es geht ihnen darum, wie sich
die politischen Führer über alle Gegensätze und
Entzweiungen im Land hinweg erfolgreich als
Inkarnation der Einheit ihrer Nation präsentieren,
und wenn Krise ist oder eine andere Katastrophe, dann
schon gleich. So ist so ein Abgrund
in einem
Wahljahr für sie der Auftakt zur Prüfung, ob diese
Selbstdarstellung dem einen der zur Auswahl stehenden
Kandidaten überzeugend gelingt, und siehe da: Bei dem
wollen die meisten
glatt durchschaut haben, dass
der den Patrioten, der die Nation an oberster Stelle
eint, doch bloß mimt, er als Patriot
doch
nichts weiter ist als Taktik
, ein Akt bloß
geschauspielerter Selbstdarstellung. Man
berichtet im Tonfall größter Selbstverständlichkeit
davon, dass die Glaubwürdigkeit, mit der da einer punkten
will, etwas Erschwindeltes zum Inhalt hat – und gibt
gleich danach zu verstehen, wofür allein man dies von
Belang hält: Wie erfolgreich ist der Mann bei
seinem Schwindel, wird er durchschaut oder nicht?
Das interessiert den Fachmann für Demokratie,
und in derselben abgebrühten Manier attestieren die
Wahlkampfbeobachter dem Konkurrenten dann auch mehr
Professionalität beim Schauspiel: Dieselben
Profilierungskünste, die sie bei dem einen als taktisches
Manöver durchschauen, würdigen sie bei dem anderen
absolut verständnisvoll als erfolgreiche Taktik,
die Krise für sich zu nutzen
! So will es ihnen
wenigstens scheinen, denn schließlich ist der Mann ja
auch unser Favorit.
*
Am selben Tag dient derselben Zeitung das Beben an den
Finanzmärkten
als Stoff für ein ganzseitiges Drama
in 10 Akten
. Die Spannung hält sich allerdings in
Grenzen, da gleich zu Beginn feststeht, wie es enden
wird:
Ein Traum zerbricht.
„Die einen wollten ein schönes Haus, die anderen einfach nur reich werden. Das konnte nicht gut gehen.“ (SZ, 26.9.)
Und warum nicht?
„Am Anfang ist der Traum. Er beginnt mit einer Unterschrift. Viele Amerikaner unterschreiben, weil sie sich den Traum vom eigenen Heim erfüllen wollen. Es gibt Kredite für alle. Alle sind glücklich, alle dürfen mitträumen. Auch die Finanzmakler sind glücklich, sie kassieren Provisionen, indem sie Menschen Darlehen aufschwatzen, die sich so etwas eigentlich gar nicht leisten können.“
Tja, Träume sind zum Träumen da. Das Glück jedenfalls,
das sich einfindet, macht man sich an ihre Erfüllung,
steht auf tönernen Füßen: Arme Leute machen doch nur
Schulden, die sie nie bezahlen können, wenn sie meinen,
die schöne Welt des Privateigentums wäre auch für sie
eingerichtet. Und Finanzmakler, die ausgerechnet mit
Armen noch reicher werden wollen, fliegen auf die Nase,
weil sich deren Selbsttäuschung bei ihnen bloß als Minus
in der Bilanz saldiert. So kommt es, wie es kommen muss,
und am Ende bleibt den Amerikanern wohl nichts anderes
übrig, als wieder anzufangen zu träumen
– nur dass
sie diesmal ihrer Einkommenslage entsprechend auch beim
Träumen zu bleiben haben.
*
Zum Wochenende die nächste Bankenpleite in den USA:
Größte Sparkasse kollabiert
, wie es so
unverantwortlich schlampig in der SZ heißt. Die
deutschen Sparkassenmanager müssen gleich am
Montag Beschwerde wegen Rufschädigung einlegen: Das war
keine Sparkasse, wie wir eine sind –
Deutschland und Europa sind anders! Freilich, die SZ ist
sich da nicht mehr so ganz sicher und ruft uns alle auf
dem alten Kontinent zur Umkehr auf, ehe es zu spät ist:
Wie sich Europa von den amerikanischen Exzessen lösen
kann
– ganz einfach, meint Alexander Hagelüken:
Abschied von der Gier nehmen
(SZ, 27./28.9.). Kam aber wohl doch zu
spät, der Tipp. Außer der verheerenden Niederlage für
die CSU
in den bayerischen Landtagswahlen gibt es
einen ersten deutschen Exzess zu vermelden.
HypoRealEstate! Die – vormals amerikanische – Krise ist
bei uns angekommen!
3. Das „amerikanische Virus“ infiziert Deutschland – die Nation ist betroffen
Noch aber ist Wochenende und damit auch Zeit für
Besinnliches. Gegen alle Neunmalklugen, die heute
sagen, das konnte nicht gut gehen
, gegen die
Kapitalismuskritiker aus allen Lagern
, die sich mit
ihrem alten Glauben, die Finanzmärkte sind des
Teufels, wieder sehen lassen können
, fühlt sich die
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zu einem weiteren
Kapitel im Kampf gegen unerträgliche
Systemkritik aufgerufen. Denn anstatt wie
die verzärtelten Apologeten des Kapitalismus
andauernd den Preis des Evolutionsgeschehens
, das
von der kapitalistischen Marktwirtschaft befördert wird,
klein zu reden oder ganz zu verschweigen, muss man schon
einmal eines deutlich machen: Eine wahre Apologie des
Systems ist nichts für Warmduscher und taugt ohne ein
glasklares Bekenntnis zu allen Härten und Gemeinheiten
des Kapitalismus einfach nichts! Ohne Wenn und Aber
gehört sich fürs System Partei ergriffen, dann muss man
sich auch von niemandem mehr mit dem Verweis auf
Kinkerlitzchen, die daneben gehen, anöden lassen: Ohne
Krisen sind freie Märkte tatsächlich nicht zu haben. Aber
das ist gut so
– denn risikofreudige
Finanzspekulanten sind ein einziger Segen für die
Evolution. Das sieht man erstens an der Eisenbahn:
„Am Beginn einer Finanzkrise steht gewöhnlich eine Spekulation, die aus billigem Geld und einer verheißungsvollen Investmentidee bestand. Nach der Krise war die Spekulation vorüber, die Investmentidee aber geblieben. Das berühmteste Beispiel sind die Spekulationen mit Eisenbahnaktien Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals finanzierten die Anleger den Eisenbahnbau, und wenn auch viele Gesellschaften pleite gingen, so blieb doch die Eisenbahn als volkswirtschaftlich höchst nützliches Transportmittel.“ (FAS, 28.9.)
So wird aus dem Irrsinn einer Produktionsweise, in der
die Schaffung des stofflichen Reichtums an die allererste
Bedingung geknüpft ist, dass sich mit ihr
Geldreichtum vermehren lässt, ein einziger
Geniestreich. Man verweist auf eine Eisenbahn, ein
ungemein nützlicher Gebrauchsgegenstand, wie man weiß,
und die soll natürlich auch fahren können, im Dienste des
Fortschritts für alle selbstverständlich. Dass dieses
schöne Projekt als riesiges
Spekulationsgeschäft, also nur wegen der
verlockenden Gewinnaussichten für Geldanleger zustande
kommt, nimmt man umgekehrt zur Kenntnis: Die
Investmentidee
, also die Spekulation mit
Eisenbahnaktien, ist der Weg zum späteren
Eisenbahnbau, und wenn die Spekulation dann
platzt und das Investment flöten geht – was bleibt dann
übrig, nachdem sich die große Staubwolke gelegt hat und
der zerstörte Reichtum nachgezählt ist? Richtig, die
Idee für ein neues Investment und eine
wirkliche Eisenbahn, an der man dann nur sieht,
was für ein höchst nützliches Transportmittel für den
Fortschritt von Technik und Menschheit das
Spekulieren ist. Das sieht man zweitens auch an ihm
selbst und dann besonders schön, wenn es in der Krise
ist:
„In der aktuellen Krise besteht der Fortschritt gerade in der Entwicklung und Verbreitung jenes heute verteufelten Finanzproduktes: der Verbriefung von Forderungen in handelbare Wertpapiere. Grundsätzlich verbessern diese Innovationen die Effizienz der Finanzmärkte, weil sie für die individuellen Bedürfnisse von Investoren maßgeschneidert werden können“.
Schon toll, diese Finanzmärkte: Jeder Spekulant kommt mit
ihnen auf seine Kosten! Mit ihren ‚Innovationen‘ schafft
die Spekulation ihren Fortschritt, und wenn sie dabei
platzt, dient auch das nur ihrem Fortschritt: Dass
nicht alle diese Produkte die Krise überstehen und nicht
wenige Banken bitteres Lehrgeld zahlen mussten, gehört zu
einem notwendigen, wenn auch teuren Lerneffekt.
Sicher: Etwas teuer ist er schon, der Lerneffekt, der in
der Vernichtung von Reichtum in erstaunlichen
Größenordnungen, Stilllegungen ganzer Schlüsselindustrien
und einer Beschädigung der Lebenslage von Millionen
besteht. Aber eben auch notwendig für den großartigen
Lernerfolg, dass das Spekulieren nach der Krise ja wieder
von vorne und genau so wie vorher losgehen kann! Schon
wahr: Was nicht verzärtelte Apologeten des Kapitalismus
betrifft: ohne eine gewisse Grobheit des Verstandes und
Rohheit des Gemüts ist ihr Anliegen einfach nicht zu
haben.
*
Dann kehrt doch wieder Ernst ein im Land: Erste Anzeichen
einer vernehmlichen Betroffenheit durch die Krise
kündigen sich an. Geistig ist man zwar noch ganz in
Amerika vertieft, geißelt zum wiederholten Mal die
Verfehlung, finanzkapitalistische Innovationen für das
soziale Programm einer Förderung von Wohneigentum
zweckentfremdet zu haben, und nimmt außerdem das sich
ankündigende wirtschaftspolitische Verbrechen ins Visier,
US-Autokonzerne am Leben erhalten zu wollen – wo doch
europäische Autos billiger, besser und
umweltfreundlicher sind
. Aber pünktlich zum
Wochenbeginn steht für die Redaktion des Weltblatts aus
München fest – der Konjunktur droht
Ungemach:
„Nun kann auch die Bundesregierung nicht mehr anders, als die Realität einzugestehen. Die deutsche Wirtschaft wird nächstes Jahr deutlich weniger wachsen als vorausgesagt ... Die Bundesagentur für Arbeit macht den Deutschen zwar ein wenig Hoffnung. 2009 soll es keine Zunahme der Arbeitslosigkeit geben. Aber das kann nur bedeuten: noch nicht. Die Wachstumsschwäche wird sich eher früher als später auf die Beschäftigung auswirken.“ (SZ, 29.9.)
Für einen Kenner der ökonomischen Gesetze, die in einer Marktwirtschaft gelten, besteht da kein Zweifel: Von einem Einbruch in der Ziffer des kapitalistischen Wachstums führt der Weg zielstrebig zum Anstieg der Zahl derer, die für dessen produktive Herstellung nicht mehr gebraucht werden. Und auch wenn er sich beim Zeitpunkt des Eintretens dieses Sachzwangs nicht festlegen will – eine Konsequenz weiß er aus dem schon für heute abzuleiten:
„Die nächsten Lohnabschlüsse werden in einer Phase des Abschwungs gelten. Wenn die Gewerkschaften zusätzliche Entlassungen vermeiden wollen, müssen sie dies berücksichtigen.“
Noch so ein unwiderrufliches Gesetz der Marktwirtschaft kommt mit dem Rückgang des kapitalistischen Geschäfts also zum Tragen. An den Verein, der sich der Besserstellung von Leuten widmet, die von ihrer Arbeit leben müssen, ergeht der sachverständige Rat, sich beim Lohnkampf äußerster Zurückhaltung zu befleißigen: Nur so nämlich ließen sich möglichst viele der Arbeitsplätze retten, die demnächst mangels Rentabilität ohnehin wegfallen werden. Und aus derselben Logik, keinesfalls mit verkehrten Diensten am Lebensunterhalt der lohnarbeitenden Massen den Umstand noch zu befördern, dass sich für die Ausbeuter der Arbeit ihr Geschäft demnächst wohl weniger rentieren wird, lässt sich auch noch eine Maxime für die politische Leitung des Standorts herleiten:
„Besonders brisant ist, dass der Abschwung in ein Wahljahr fällt. Weil die Deutschen 2005 die Schrödersche Agenda genauso abstraften wie Merkels Reformideen, sind SPD wie Union in letzter Zeit merklich nach links gerückt. Sie versuchen die Wähler mit Versprechen aller Art zu gewinnen, die im Zweifel Geld oder Wachstum kosten. Im Konjunkturtal sieht eine verantwortliche Politik anders aus. Die Gefahr ist groß, dass die verunsicherten Volksparteien die Folgen des Abschwungs verschlimmern.“
Gut, dass man seinen journalistischen Politikberater hat.
Der weiß auch in einer Lage, in der von irgendeiner
‚linken‘ Reaktion in den Reihen der wählenden Massenbasis
absolut nichts zu bemerken ist, vor der Gefahr eines
Linksrucks zu warnen. Die sieht er nämlich allein schon
dort gegeben, wo – nur weil gerade Wahlen anstehen –
irgendein politisch Verantwortlicher womöglich meint, den
Wählern unumgängliche Härten ersparen zu können, oder
auch nur so tut, als wollte er dies. Das hält der Mann
für den größten Fehler, den Politiker machen können, und
den macht er mit dem Etikett ‚links‘ als Skandal namhaft:
Die hohe Verantwortung fürs Wachstum, die Politiker
tragen, lässt Geldgeschenke an die falsche Adresse
grundsätzlich nicht zu, und in Zeiten, in denen das
Wachstum knapper wird, erst recht nicht. Was hingegen
ansteht, erläutert am selben Tag der Kollege von der
Bild-Zeitung. Der geht gleichfalls davon aus, dass das
Volk im deutschen Kapitalismus ein wahres Paradies
vorfindet, das man nicht antasten darf – die liberale
Marktordnung hat Millionen Menschen Wohlstand gebracht
und darf nicht leichtfertig infrage gestellt werden.
Und weil das für ihn so ist, gilt bei allem, was im
Abschwung der Konjunktur demnächst auf die Bewohner
dieser Glücksinsel zukommt, hauptsächlich eines: Wir
sollten nicht zulassen, dass die Linke in diesem Land das
Thema für Wahlkampfzwecke missbraucht.
(Bild,
29.9.)
*
Nachdem bis gestern noch feststand, dass die Finanzkrise eine hausgemachte amerikanische Angelegenheit ist, Deutschland davon allenfalls, wenn auch ziemlich wahrscheinlich, mit einem Abschwung beim Wachstum betroffen ist, ist tags darauf der Schrecken umso größer: Mit der
Pleite der HypoRealEstate
ist die Finanzkrise auch bei uns
gelandet!
„Jetzt ist die Finanzkrise bei jedem Deutschen vor der Haustür angekommen... Bisher schien es vor allem eine amerikanische Krankheit zu sein, dass Banker blind auf Rendite starrten und Risiken nicht verstanden oder ignorierten. Nun zeigt sich, dass folgenschwere Fehleinschätzungen auch im Zentrum der deutschen Finanzbranche vorkommen.“ (SZ, 30.9.)
Fehlleistungen der Bankmanager, von deren
ungesunder Gier man inzwischen ja weiß, waren es also,
die den deutschen Finanzriesen in die Klemme gebracht
haben – und für deren Fehler hat der Staat mit
einer Bürgschaft in Höhe von 26 Mrd. einzustehen, damit
die Folgen der Pleite nicht noch verheerender ausfallen.
Das ist, da kennt der Journalist seine Bürger und auch,
was die an der großen Welt der Politik besonders
interessiert, vor allem ein Problem für den
Gerechtigkeitssinn
im Volk: Deswegen hat er ihm ja
die Pleite einer Bank gleich vor die eigene Haustür
gelegt. Also macht die ‚Süddeutsche‘ sich vorauseilend
die Gedanken des ‚Steuerzahlers‘, der in jedem Bürger
steckt, um ihm behutsam beizubringen, wie er als diese
Charaktermaske zu denken hat:
„Falls das Geld fließt, muss rechnerisch jeder einzelne Deutsche vom Säugling bis zum Rentner 350 Euro zahlen, mehr als der Hartz-IV-Regelsatz. Ein hoher Preis für die Verfehlungen von Managern. Was bekommt der Steuerzahler als Gegenwert? Diese Frage lässt sich leider schwieriger beantworten. Die Gefahr ist immer, dass der Kollaps eines Finanzhauses Panik auslöst und den Rest der Wirtschaft in den Abgrund stürzt: Banken geben keine Kredite mehr, Firmen investieren nicht mehr, Sparer plündern ihre Konten. Ein solches Szenario gilt es natürlich zu verhindern.“
Dem ‚Steuerzahler‘, der sich die Gelder, die er abführen
muss, ja so gerne in einen eingebildeten „Gegenwert“
übersetzt, den er dafür erhält, wird empfohlen, in diesem
Fall Weitblick zu zeigen: Laufen die Bankgeschäfte nicht,
bricht alles Produzieren und Konsumieren zusammen und die
Ersparnisse sind auch futsch. Also spricht diese
Abhängigkeit der ganzen Volkswirtschaft bis hinunter zum
Notgroschen fürs Alter von einer intakten Finanzwelt
unbedingt für das staatliche Rettungsmanöver:
Eine volkswirtschaftliche Großkatastrophe gilt es
natürlich zu verhindern
. Das hat die Politik ihren
Bürgern eindringlich zu vermitteln, also zerbricht sich
ein verantwortlicher Journalist den Kopf, auf dass den
Amtsinhabern das schwierige Werk gelingen möge. Dazu ruft
er als erstes die eigentliche Bedeutung in
Erinnerung, die so eine Bankpleite und die staatliche
Bürgschaft, mit der sie abgewendet werden soll, in einer
Demokratie allemal haben:
„Mit dem in letzter Sekunde abgewendeten Zusammenbruch der Hypo Real Estate finden sich Merkel und ihre Regierung inmitten ihrer ersten großen Krise wieder, weil sie weit über die Tatsache hinausgeht, dass die Finanzmisere nun auch Deutschland endgültig erreicht hat. Es sind die politischen Auswirkungen, die das letzte Jahr vor der Bundestagswahl überschatten dürften, welche der Kanzlerin, der Union und auch der SPD zu denken geben müssen.“
Wie alles ist auch eine Bankenkrise Prüfstein für die Frage, welcher der politischen Herren bei der nächsten Wahl das Vertrauen des Publikums verdient, und da hat im vorliegenden Fall die diesbezügliche Werbung beim Volk eines zu berücksichtigen: Das Verständnis des Bürgers wird schon sehr strapaziert, wenn er die Milliarden, mit denen der Staat für die Rettung seiner Banken bürgt, unter dem zwar sachfremden, ihm aber allemal naheliegenden Gesichtspunkt der Gerechtigkeit in Augenschein nimmt – und sich augenblicklich äußerst ungerecht behandelt vorkommt! Diesen Unmut der Bürger kann man jedenfalls sehr gut nachvollziehen:
„Es geht in erster Linie um den vorhersehbaren und nachvollziehbaren Eindruck vieler Bürger, dass die Politik mit zweierlei Maß misst, wenn die Verteilung von Milliarden von Euro zur Debatte steht. Es geht schlicht um das Gefühl, dass hier etwas verdammt schiefläuft.“
Mindestens genauso gut einfühlen kann man sich daher auch in die Schwierigkeiten der Politiker, den Bürgern das ungute Gefühl, bei der Verteilung staatlicher Gelder irgendwie verarscht zu werden, wieder erfolgreich auszureden:
„Einstweilen lautet die Losung, man müsse Schlimmes tun, um noch Schlimmeres zu verhindern. Man nimmt also für sich in Anspruch, zum Ärger der Bürger im Sinne der Bürger zu verhandeln. Wer das erklären muss, ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden.“
Weil sein muss, was sein muss, darf der
Bürger sich zwar ungerecht behandelt vorkommen, daraus
aber keinesfalls etwas anderes als einen Vertrauensbeweis
für die ableiten, denen er die Verletzung seines
Gerechtigkeitsgefühls zu verdanken hat. Ärgern kann sich
der Untertan schon, sogar wütend
darf er über die
Machenschaften seiner Herrschaft sein – aber dann hat er
auch wieder die Schnauze zu halten: Und dennoch ist es
richtig, dass die Bundesregierung hier einspringt. Weil
es den Staat billiger kommt, diese Bank zu retten, als
tatenlos zuzusehen, wie ein Finanzinstitut andere mit in
den Abgrund reißt.
(Bild,
30.9.) So hat man seinen Politikern nicht nur die
Rettung der Bank zu danken. Man hat ihnen darüberhinaus
auch jede Menge Respekt dafür zu zollen, ein demnächst
wieder florierendes Finanzkapital als verheißungsvolle
Perspektive für das eigene private Fortkommen zu
verkaufen!
*
Das weckt natürlich das Bedürfnis nach Verdeutlichung des moralischen Grundsatzproblems, zu dem die Krise und ihre Bewältigung gediehen sind. Onkel Wagner von der Bild-Zeitung geht das so an, dass er in einem kleinen Monolog an die Adresse des Finanzministers den politischen Stifter aller Gerechtigkeit, v.a. aber seine Leser daran erinnert, dass es der einfache Mann und seine Frau schon seit längerem auch nicht leicht haben; und in stummer Demut nicht nach Milliarden schreien, sondern höchstens um ein Paar Euro betteln:
„Lieber Finanzminister Steinbrück, die Hypo Real Estate, die Bank zur Immobilienfinanzierung, war nicht mehr liquide, flüssig. Mit einer 26,6-Milliarden-Bundesbürgschaft, dem Geld des Steuerzahlers, haben Sie die Bank über Nacht gerettet. Hier eine kleine Liste von Leuten, die auch nicht flüssig sind und auf Rettung warten. 1. Die alleinerziehende, berufstätige Mutter ... 2. Der Rentner ... 3. Die Kinder, die nicht mitdürfen zur Klassenfahrt, weil ihre Eltern die 20 Euro nicht haben. 4. Die Senioren ... 5. Die Studenten ... 6. Die Krankenhäuser ... Mein 7. Punkt ist der schlimmste: Es gibt Kinder, die kein richtiges Mittagessen bei uns in Deutschland haben. Lieber Finanzminister, Sie haben Milliarden für eine Bank. Warum haben Sie nicht ein paar Euros für uns.“ (Bild, 1.10.)
So gehört sich der Gerechtigkeitssinn im Bürger gepflegt. Man nimmt sich mitfühlend seines gewöhnlichen Elends an. Man erzählt ihm vor, was für ein armer Hund er ist, und wie recht er damit hat, sich von seinem Staat nicht besonders gerecht behandelt vorzukommen – erinnert ihn also daran, dass eine Behebung all seiner privaten Drangsale allemal ein Akt der Gewährung ist und würdigt seinen rechtschaffenen Lebenskampf ohne Staatshilfe. So übt man arme Leute in die Pose ein, die sich gegenüber der Macht, die über den Reichtum gebietet, allein geziemt: die des bescheidenen Bittstellers, der sich an seine Obrigkeit wendet und sich dabei gar nichts groß vormacht über den praktischen Effekt der eigenen Unterwürfigkeit. Der nur noch anerkannt werden möchte als jemand, der auch ein Recht hat auf Berücksichtigung seiner persönlichen Belange – auf dem er freilich, anständig, wie er nun einmal ist, überhaupt nicht besteht.
*
Dieser von der Bild-Zeitung im Namen aller ordinären Opfer des Kapitalismus erwiesene Vertrauensbeweis gegenüber der Instanz, die ihren kapitalistischen Laden gerade aus seiner Krise retten soll, ist manchem wirtschaftswissenschaftlichen Experten irgendwie zu oberflächlich. In der Krise des Finanzsystems, die jetzt auch Deutschland erwischt hat, entdecken sie eine
Vertrauenskrise
und über die machen sie sich in gebotener Grundsätzlichkeit her. Zum Beispiel so:
„Längst geht es nicht mehr allein um Aktienanleger. Weil in den USA und Europa Banken zusammenbrechen, fürchten Sparer um ihre überschaubaren Ersparnisse. Weil die Krise Staaten in die Rezession drückt, fürchten Beschäftigte um ihren Arbeitsplatz. Die Menschen müssen sich auf eine lange Zeit der Unsicherheit einstellen ... Wenn die Menschen unsicher werden, bedroht das die Existenz eines Wirtschaftssystems, das zuallererst auf Vertrauen aufgebaut ist ... Das ganze System basiert auf dem Zutrauen, dass all die virtuellen Billionensummen tatsächlich zur Verfügung stehen. Wenn aber Sparer das Vertrauen verlieren und die Filialen stürmen, bricht das System zusammen. Dann verlieren nicht einfach Banker ihre Millionengagen und Aktionäre ihre Dividenden. Dann bekommen Firmen keinen Kredit mehr, und die Maschinen stehen still. Weil die Menschen derzeit in rasantem Tempo unsicher werden, steht die Weltwirtschaft am Abgrund. Da alles auf Vertrauen gründet, ist es suizidal, dass die Finanzbranche so viel Vertrauen verspielt hat.“ (SZ, 1.10.)
Eines mag man dem Fachmann für Ökonomie nicht bestreiten:
Es wird schon so sein, dass die Krise der Menschheit im
Kapitalismus einiges an Unsicherheit
beschert.
Äußerst verwegen allerdings ist die Behauptung, es sei
deswegen die Unsicherheit der Menschen, die dem System
seine Krise beschere. Eine Konkurrenz von
Privateigentümern aus der Tugend herzuleiten, dass doch
jeder sich auf alle anderen verlassen können muss, und
derart eine Welt von Gegensätzen – zwischen den
Konkurrenten wie zwischen ihnen und dem Staat, der sie
mit seinem Recht kontrolliert – in ein System
zwischenmenschlicher Bindungen zu verfabeln: Das zeugt
erstens nur von einem abgrundtiefem Verständnis
für alles, was sich in diesem System so abspielt, und
zweitens vom unbedingten Wunsch, das alles möge
ewig so weiter klappen wie bis neulich noch. Beides zeugt
drittens aber schon auch von einer – höflich gesprochen:
– extremen Unsachlichkeit dieses affirmativen
Denkens, das vom Sparen und von virtuellen
Billionensummen in Bankbilanzen bis zum Kredit und dem
Stillstand der Produktion auf den Kapitalismus und seine
seltsamen Einrichtungen nur deutet, um das Lob
loszuwerden, welch filigranem Kunstwerk des
moralischen Willens seiner Insassen der sich
verdankt.
*
Altgediente Politiker aus den Reihen der christlichen
Union, die sich um den Kapitalismus in Deutschland sehr
verdient gemacht haben, avancieren mit ihrer christlichen
Soziallehre, nur weil Krise ist, zu den anerkannten
Kapitalismuskritikern. Ihre Kritik betrifft das
Vertrauen, das die Zocker
gründlich verspielt
haben. Sie sehen sich ins Recht gesetzt durch das
Scheitern einer verfehlten Idee
(Geißler), die mit Beginn ihres
politischen Ruhestands an die Macht gelangt sei, und
steigen in einen Abgesang auf den
Neoliberalismus ein:
„Der Neoliberalismus scheitert am Menschen, wie er ist, sein will und soll. (...) In der christlichen Soziallehre rechtfertigt sich Eigentum als ‚Frucht der Arbeit‘. Arbeit, mit der Eigentum legitimiert wird, kann freilich in vielerlei Gestalt auftreten. Sie kann auch eine Finanzdienstleistung sein, aber nur so lange sich diese Finanzdienstleistung in der Pflicht sieht, dem Allgemeinwohl zu dienen.“ (Blüm, SZ, 25.9.)
So konstruiert sich ein kritisierender Moralist den
Kapitalismus als Heimat der Menschennatur zurecht: Der
Mensch lebt im Kapitalismus von den Früchten seiner
Arbeit, wie sie ihm so zufallen, will nichts anderes und
soll auch nichts anderes wollen, womit es von der
Rechtfertigung des Eigentums als Ertrag rechtschaffener
Arbeit nahtlos zu der des Bankwesens als Dienst an der
Gemeinschaft aller Rechtschaffenen übergeht und die
Klassengesellschaft, wie sie geht und steht, als
verwirklichtes Menschenrecht fertig dasteht. Diese Idylle
haben wir schon einmal gehabt, nämlich in den goldenen
Zeiten, in denen ein fröhlicher Arbeitsminister noch
eigenhändig Plakate mit der Aufschrift klebte : ‚Die
Rente ist sicher!‘ – und schon damals die Frage nicht
aufkam, in welcher Höhe denn überhaupt. Diese schöne
soziale Marktwirtschaft
und den sozialfriedlichen
rheinischen Konsenskapitalismus
haben
neoliberale Verbrecher
pervertiert, aus dem
Kapitalismus, wie der Mensch sich ihn geschaffen hat,
eine durchkapitalisierte Gesellschaft
gemacht –
und herauskommt: Heimatlos ist der moderne
Arbeitnehmer
geworden. Und mit diesem tiefen Seufzer
nach der guten alten Zeit der Blümschen Rentenkürzungen
wird er von seinem politischen Interessenvertreter i. R.
in die neue entlassen, die auf ihn zukommt.
Der zweite, der sich in Talkshows und schriftlich in der
einzigen Sorte
Kapitalismuskritik exponiert,
die es in der deutschen Öffentlichkeit gibt, ist
Ex-Sozial- und Familienminister Geißler. Der hält
ziemlich viele der hierzulande eingerissenen
geschäftlichen Praktiken im Umgang mit der Arbeitskraft
für höchst skandalös – „20 % Rendite in
Rumänien statt 10 % in Bochum: dafür wird die
wirtschaftliche Existenz von 10 000 Leuten
vernichtet“ (WDR, Hart aber fair, 1.10.) –, hält
aber natürlich nicht das Geschäft für den
Skandal, dem es um seine Rentabilität geht. Das
kapitalistische System
, für dessen Abschaffung er
glatt plädiert, ist leider schon wieder nicht der
Kapitalismus, den es gibt, sondern bloß das, was ein
frommer Humanist an ihm unter den Titeln Turbo
oder ungezügelt
für kritisierenswert hält. An
die Stelle des jetzigen kapitalistischen Systems
hat
daher zu treten – der Kapitalismus in Gestalt
einer öko-sozialen Marktwirtschaft
, mit geordnetem
Wettbewerb, Demokratie, sozialer Ordnung und allem
übrigen, was einem Christenmenschen das Arbeitsleben
unbedingt lebenswert erscheinen lässt.
*
Und noch einer meldet sich, kaum ist die Finanzkrise in
Deutschland angekommen, mit einer Absage an
die kapitalistische Geldwirtschaft zu Wort:
Wir sehen nun, beim Zusammenbruch der großen Banken,
dass das Geld verschwindet, dass es nichts ist.
Wo
Werte vernichtet werden, die für den Papst ohnehin keine
sind, weil nur Konsequenz einer materialistischen
Verblendung der Menschheit, sieht er unmittelbar, wie
taufrisch die Lehre von der Eitelkeit alles Irdischen
ist, die seine Kirche seit Ewigkeiten predigt: Es gibt
kein richtiges Leben im falschen, in dem der schnöde
Mammon regiert, ein hoffnungsloser Idealist ist, wer im
Streben nach weltlichen Gütern sein Glück sucht – dies
alles wirkt so real, wird aber eines Tages verschwinden.
Ein wahrer Realist ist daher, wer auf das Wort Gottes
baut
. Für ihn jedenfalls gilt, was er sagt:
Angesichts der Opfer, die die Krise schafft, auf eine
Hochkonjunktur des Angebots zur seelischen Tröstung zu
spekulieren, für das er wirbt, zeugt durchaus vom
Realismus des Mannes. Blöd ist nur eines: ‚In God we
trust‘ steht ausgerechnet auf dem gewichtigsten
aller Gelder, die vor Gott und seinem real wirkenden
Stellvertreter nichts
sind – worauf sollen wir
jetzt bauen? Hilft nur noch beten?
4. Daumendrücken für die Rettung des deutschen Kapitalismus
Das kann schon angesichts täglich neuer Tiefststände bei
Dax und Dow Jones nicht schaden. Da bemühen
Nachrichtenredakteure auch mal einen Scherz, um das
Publikum auf die düsteren Zahlen einzustimmen: Heute
fielen die Kurse nicht in den Keller
, meldet uns Tom
Buhrow, denn am Wochenende haben die Weltbörsen
zu
. Die Krise macht keinen Ruhetag! Deshalb spielt
gerade das Wochenende in der
Finanzwelt eine große Rolle: Wo andere die Füße hoch
legen, finden in den Chefetagen der Nation fieberhafte
Aktivitäten
statt, um die Atempause zu nutzen
;
entscheidende Weichen
werden da hinter den
Kulissen
gestellt – und aktuell eine ganz besonders
wichtige: Bis zum Börsenstart Montag früh will der
deutsche Staat seine HRE-Bank retten.
Im Kanzleramt brennt noch Licht
(ARD)
– und was sehen wir da? Dem gebannten Blick auf die Taten
der Krisenmanager widmen die meinungsbildenden Anstalten
ihre Hauptsendezeit. Bei allem, was die Herrschaft
erörtert und verordnet: Das Volk ist live dabei! Gelingt
dem OP-Team unter Chefärztin Merkel der komplizierte
Eingriff
? Erste kantige Geste: Deutschlands
Top-Banker mussten zur Krisensitzung nach Berlin jetten.
Gegen 15 Uhr trafen die Chefs von u.a. Deutscher Bank
(Ackermann), Commerzbank (Blessing), Bankenverband
(Müller) in der Hauptstadt ein.
(Bild,
4.10.) TV-Reporter drücken uns allen die Daumen,
der Staat möge die illustre Runde
dazu bringen,
die Rettung der HRE nicht wieder zu verhindern
.
Hinter der Kulisse ist jedenfalls jede Menge was los: Es
wird regiert; Politiker handeln; sie
kümmern sich um unsere Probleme, bestellen die
Elite des Geldkapitals zum Rapport und zwingen sie zur
Spätschicht! Das nährt Zuversicht: Wird die Tatkraft
unserer politischen Häuptlinge Deutschlands Top-Banker
auf Linie und die Nation voran bringen?
Das Thema beschäftigt uns bis Sonntagabend bei Anne Will:
Turbo-Kapitalisten außer Rand und Band! Warum zahlen
wir für die Versager?
– eine Themenstellung mit
eingebauter Antwort: Erst lenkt man die Kritik auf
entartete Exemplare einer grundguten Spezies, erklärt
ausgerechnet die geschäftlichen Verfehlungen des freien
Unternehmertums zum Skandal und gelangt am Ende streng
pluralistisch zur Erkenntnis: Zwar eine Bande
von Miss-Managern, aber ein prima System, das
sie managen. Banker abwatschen, um die Rettung
der Banken zähneknirschend zu begrüßen: Soviel Dialektik
ist der Intelligenz am Sonntagabend zuzumuten.
Auch die SZ hakt kritisch nach: Tun unsere Entscheidungsträger das Richtige?
Muss der Staat die Banken retten?
Alexander Hagelüken und Marc Beise sind da konträrer
Ansicht: Ja, ohne Hilfe geht alles unter
, titelt
der erste, Nein, kein Geld. Für niemanden
(SZ, 4./5.10.) der zweite.
Pro Rettung spricht an sich nur eines: die
unverschämt hohe Meinung, die A. H. vom deutschen
Kapitalismus hat. Wenn dieser Laden einfach
alles ist, was uns lieb und teuer ist, dann ist
‚sozial, was Banken rettet‘. Geht dort nichts, geht gar
nichts! – und das drückt der Befürworter der Staatshilfe
dann glatt als Dienst aus, den er mit einer
kindgerechten Feuerwehr-Metapher in den Rang eines
humanitären Akts erhebt: Der Staat löscht Brände,
damit die Menschen nicht stärker unter der Finanzkrise
leiden
. Indem er seine Geldinstitute stützt, bewahrt
er uns vor dem Untergang – die deutsche
Klassengesellschaft, der süße Mittelstand, die
Bausparkassen, die unserer Zukunft ein Zuhause geben:
eine einzige Solidargemeinschaft! Kollege M. B. sieht die
Lage ebenso fundamentalistisch. Gleichfalls Anwalt dieses
kollektiven Wir, bezweifelt er mit seinem
Contra, ob die Geholfenen die Hilfe wirklich
wert sind: Verdienen die Banker unser Vertrauen, das
Richtige zu tun?
Darum sieht er die Milliarden im
Fall HRE sinnlos verpulvert: Es wird so sein, dass das
Signal ‚Der Staat paukt uns raus‘ der Startschuss zu
neuen Vabanque-Spielen ist – alles andere wäre wider die
menschliche Natur. Wie sicher ist es eigentlich, dass
nicht immer mehr Geld nachgeschossen werden muss, bis der
Staat am Ende kapitulieren muss?
Auch das ein sehr
staatstragender Alptraum: ‚Haushalt scheitert am Vabanque
der nimmersatten Menschennatur‘! Zur Kapitulation kommt
es – Berlin sei Dank – fürs erste dann aber doch nicht.
*
Chaos-Bank zum 2. Mal gerettet! Regierung und
Finanzwirtschaft beschließen Rettungspaket in Höhe von 50
Milliarden Euro
. Laut Bild ist das genau die richtige
Antwort der Kanzlerin
, und das Beste daran:
Sparer können aufatmen!
Denn: Der Staat wird die Spareinlagen garantieren, und
zwar zu 100 %! Im Klartext: Kein Bürger muss um sein Geld
fürchten, falls seine Bank Insolvenz anmeldet.
Vorausgesetzt, der Versicherungsfall tritt nicht ein,
zumindest nicht massenhaft, weil: Eine solche Garantie
könnte beim Zusammenbruch mehrerer Banken sehr teuer
werden. Deshalb muss der Staat alles tun, um ein
Bankensterben zu verhindern.
(Bild,
6.10.) So schmiedet das Volksblatt ausgerechnet
Sparer und Banken, die in ganz unterschiedlicher Weise
mit Schulden zu wirtschaften pflegen, zu einer einzigen
Einheitsfront zusammen: Für den gewöhnlichen Menschen und
Kunden der Bank sind Schulden, die er macht,
oder Geld, das er spart, zwei alternative Formen des
Managements der Armut. Für die Bank
hingegen sind Schulden, die ihre Kunden bei ihr oder sie
bei ihren Kunden macht, prinzipiell Geschäftsmittel und
Hebel der Geldvermehrung in ihrer Hand - und
miteinander kommensurabel werden die derart
entgegengesetzten Dienste, die Schulden für Arme und für
Banken tun, überhaupt nur vom Standpunkt des praktischen
Interesses armer Schlucker, die bei den Banken ihr Konto
unterhalten: Für die gilt allemal, dass ihr Geld bei der
Bank nur sicher ist, wenn die in der Krise ihrer
Geschäfte auch überlebt! An diesem Interesse wird der
Mensch gepackt, zum Aufatmen animiert, wenn der Staat
seine Banken rettet – und darüber auch zur unbedingten
Parteinahme für die Sicherstellung der Macht der
Banken. Sie ist alternativlos und deshalb
vernünftig.
„Viele wünschen sich, der Staat solle solche Banken doch untergehen lassen – und ihre Vorstände ebenfalls. Aber jetzt hilft nicht Wut weiter, sondern nur ein kühler Kopf. Und die Staatsgarantie für Sparer.“
Derweil hat sich auch die SZ von der Entwicklung belehren lassen, was das Gebot der Stunde ist:
Starker Staat gefragt!
Der soll sich jedoch nicht bloß durchs Spendieren von teurem Staatsgeld auszeichnen, sondern Stärke zeigen, indem er das Krisenvirus präventiv an seiner Wurzel packt:
„Mit teuren nationalen Rettungsaktionen bis zur kompletten Verstaatlichung lassen sich nur die Symptome der Krise angehen, nicht aber die Ursachen. Wer die Ursachen bekämpfen will, muss die staatliche Aufsicht verstärken. Aber nicht rückwärts gerichtet im Sinne der Wiedereinführung eines allumsorgenden Nanny-Kapitalismus, sondern auf Basis eines vorausschauenden Finanzmarkt-Regelwerks. Dazu zählen strengere Kriterien für Bonuszahlungen sowie schärfere Bilanzierungs- und Eigenkapitalvorschriften. Starke Eingriffe also, die wie Leitplanken wirken.“ (SZ, 6.10.)
Die Diagnose von der fehlenden Aufsicht als
Grund der Krise, also die Erklärung einer
geplatzten Spekulation aus einer unterlassenen
Verhinderung ihres Platzens, scheint dem Autor zu
gefallen. So gut, dass er die Ursachenforschung
konsequent weiter spinnt: Mehr Kontrolle, ja – aber bitte
keine Nanny
, nur Leitplanken
! Offenbar
wächst mit jeder Festrede auf den heilsamen Effekt
staatlicher Eingriffe das Bedürfnis, den
Eindruck eines Angriffs auf die Freiheit des
Kapitals zu vermeiden. Ihr gilt es, einen soliden Rahmen
zu geben; dafür entwirft der Fachmann das Bild
eines allumsorgenden
überlebten Kapitalismus, der
mit der rechten Dosierung aus Freiheit für die
Spekulation und deren Schutz vor allzu riskanten
Wetten vorsorglich zu bekämpfen ist. So macht sich die
blühende Fantasie berufener Politikberater einmal mehr um
die Abwehr von Ideen verdient, die sie für
marktwirtschaftlich absolut unvernünftig und
deswegen tendenziell für systemkritisch halten –
und wenn sie sich die erst selber ausdenken müssen!
Am selben Tag erscheint der Spiegel:
Angst vor der Angst – Die gefährliche Psychologie der
Finanzkrise!
Die Titelgeschichte entführt uns geistig einerseits ins
Wunderland der Seele, das auf den realen Kapitalismus
mehr Einfluss hat, als man denkt: Angst, diese uralte
menschliche Emotion, ist das Benzin in der Welt des
Mammons – die Mutter aller schlechten Eigenschaften.
Die Herleitung der Finanzkrise aus der Angst vor
ihr ist zwar paradox, hat aber einen bedeutenden
intellektuellen Nährwert. Man kann sich die Finanzkrise
einmal als etwas ganz anderes vorstellen, als Bootsfahrt
auf einem See in Afrika z. B.: Die Besatzung ahnt,
dass da Krokodile lauern, aber sie weiß nicht, wie viele
und wie groß sie sind.
Spiegel-Leser dagegen wissen mehr:
Über die internationale Finanzwelt – unheimlich
,
eine heimliche Welt
; über die Politik – eine
virtuelle Welt des Machtspiels
; über die Bürger –
Angst macht sich breit
; über Politiker und Banker
– Angst vor der Angst der Bürger
; über unser
demokratisches Gemeinwesen im Allgemeinen und die Folgen
der Angst für es im Besonderen – die Finanzkrise lässt
nicht nur Vermögen schwinden, sondern auch das Vertrauen
in die soziale Marktwirtschaft und die Reformfähigkeit
Deutschlands. Das alles ist ein Werk von Spielern
;
und am Ende wissen Spiegel-Leser auch noch alles darüber,
wie man in einem See, der ein einziges Krokodil ist, eine
Bootsfahrt heil übersteht: Viel hängt davon ab, wie
schnell die Akteure an den globalen Märkten wieder
Vertrauen fassen, wie lange sie brauchen, bis diese
fatale Angst vor der Angst gebannt ist.
Absolut gar
nichts hängt für den Spiegel hingegen von der Frage ab, ob
die Leute jetzt Grund für die Angst haben oder die Angst
der Grund ist, vor dem sie sich ängstigen: Er lässt sie
offen. Eines aber ist auch so klar: Wo andere beim
Krisen-Management vorschnell politische Tatkraft
bejubeln, herrscht beim Spiegel allergrößte Skepsis. Dass die
Krise noch immer da ist, zeigt nur, dass die
verantwortlichen Akteure ihre Befangenheit in der eigenen
Befangenheit doch gar nicht von sich abgestreift haben.
In der setzen sie auch noch den Fortbestand des
Gemeinwesens aufs Spiel, das sie regieren, wenngleich da,
beim schwindenden Vertrauen in die Marktwirtschaft, noch
eine Frage offen bleibt: Sind die Leute in der jetzt gut
aufgehoben – oder sollen sie glauben, sie wären es?
Jedenfalls soll man sich für das VWL-Autorenkollektiv vom
Spiegel die Lage auf den
Märkten in dieser Woche als Produkt einer
Angstspirale
zurechtdeuten – und kann sich am Ende
des Artikels aussuchen, welche weiterführende Deutung der
Zukunft man bevorzugt: Endzeitfantasien
? Manches
spricht für sie, manches gegen sie, z. B. dass ein
Wissenschaftler sich sogar vorsichtig optimistisch
äußert
. Sogar ein Szenario bietet sich an, das
Hoffnung macht
: Während in den gebeutelten Staaten
USA, Spanien und Irland der Finanzsektor die
produzierende Wirtschaft immer weiter zurückgedrängt hat,
verfügt Deutschland nach wie vor über einen soliden
industriellen Kern.
Sieht dann doch nicht so schlecht
aus, wenn es nach der Krise wieder losgeht. Wenn da bei
den Verantwortlichen nur nicht immer diese grundverkehrte
Einstellung wäre, die sie bei allem lähmt, was bis dahin
auf den Weg zu bringen wäre ...
*
Immerhin versuchen sie ihr Bestes, pumpen Abermilliarden
in ihre Banken – doch was passiert? Die Aktienbörsen
brechen ein!
Gestern hat man der sturzvernünftigen
Finanzwelt Signale
gegeben und geflissentliche
Beachtung empfohlen, heute wird gejammert:
Die Märkte handeln völlig irrational!
(Börse im Ersten)
Offenbar wurde erwartet, die Börse müsse den
vielen Nullen Respekt zollen; jetzt sind wir betrübt, sie
tut es nicht. Offenbar haben dieselben Leute, die
gewohnheitsmäßig die Macht der Börse anerkennen, den
Reichtum der Gesellschaft zu bewerten, und es ganz
vernünftig finden, dass ihr Auf und Ab als das
Erfolgskriterium der Volkswirtschaft gewürdigt wird,
überhaupt kein Problem damit, dem dort stattfindenden
Treiben jede Vernunft abzusprechen. Wenn die Börse den
fälligen Dienst am Vertrauen nicht erbringt und just da
nicht steigt, wo sie es unbedingt soll, dann
spielt
derselbe Markt, den man als Olymp des
kapitalistischen Reichtums anhimmelt, eben
verrückt
.
Zeitgleich streiten sich die Volksaufklärer über die
korrekte Dosis von Entwarnung und Alarm. Das
1-Billion-Versprechen
ist zwar die vermutlich
größte Garantie der Weltgeschichte
(Bild);
Sorgen erspart das Kanzler-Ehrenwort den Inhabern von
Girokonten und Lebensversicherungen aber nicht.
Wie sicher ist mein Geld?
Experten bei Jauch oder Plasberg, die die Ängste der
Leute ernst nehmen
, antworten auf Zuschauerfragen
nach der heutzutage richtigen Anlageform – und geben mit
jedem Tipp zu Protokoll, was für eine trostlose Figur die
Opfer der Geldwirtschaft auch als Sparer sind: Von
Sachverständigen erfahren sie, dass man sich in der
eigenen Armut tatsächlich mehr oder weniger geschickt
einteilen kann!
Der SZ reicht da schon
Die Merkel-Garantie
zur Beruhigung unnötiger Ängste: Welchen Wert hat das
Wort einer Kanzlerin? Fünf Milliarden? Zehn? Hundert? Es
gibt dafür keine Waage, keinen Umrechnungsfaktor, keine
Wertanalyse. Die Garantie, die Angela Merkel für private
Bankguthaben abgegeben und bekräftigt hat, ist nicht
einklagbar, sie hat keinerlei juristische Bedeutung. Sie
ist keine Anspruchsgrundlage für einen Sparer, wenn der
sein Geld verliert. Und trotzdem: Die Merkel-Garantie ist
wichtig und richtig. Sie ist kein politischer
Leerverkauf, sondern eine vertrauensbildende Maßnahme;
sie ist ein politisches Großversprechen, keine
Großmäuligkeit. Sie soll den Deutschen sagen: Die
Regierung bleibt gefasst, bleibt ihr es auch.
Vertrauen auf die Macht ist die erste Bürgerpflicht,
darum Obacht vor verkehrten Bauernfängern:
Fernsehsendungen, die die Frage ‚Welches Geld, wie
viel ist abgesichert?‘ deklinieren, liegen an der Grenze
zur Volksverdummung, das schafft nur Konfusion.
Der
kluge Staat dagegen gaukelt den Leuten erst gar keine
Sicherheit vor, nur das schafft Klarheit, weil alle
gefasst sind. Der reine Wein ist es, den die Leute
eingeschenkt haben wollen, auch wenn er sauer ist. Das
macht ja lustig.
*
Um uns herum befinden sich Staaten allerdings in einer weniger kommoden Lage:
Island kurz vor dem Staatsbankrott
Eine Frage stellt sich da sofort: Ist das jetzt
bloß Island oder das erste Land, das
vom Bankrott erwischt wird? Weltwirtschaftlich
belangloser Inselstaat mit warmen Geysiren und Zocken
als Volkssport
(FR)
oder Vorbote eines unheilvollen Trends, der noch
andere in den Sog der Spekulation
reißt? Dafür,
das zu entscheiden, hat die deutsche Presse ein festes
Kriterium: Wer alles – außer den Bewohnern, die
im Supermarkt vor leeren Regalen stehen – ist betroffen
von der Staatspleite? Am Ende gar wir? An dem
spannenden Gesichtspunkt hängt, ob man mehr oder weniger
besorgt sein soll. Wer entwarnen will, bebildert den
Beinahe-Bankrott mit außergewöhnlicher Kleinheit, Gier,
Wetterlage etc., wonach keinen mehr wundert, dass die
Krise dort zugeschlagen hat. Die Warner zeigen
auf die Verstrickung
hiesiger Anleger, die kräftig
auf lokale Anleihen spekulierten, und fürchten, das
Desaster betreffe auch Deutschland. Wichtig zu
wissen ist vor allem eines noch: Russland könnte
Islands Staatsbankrott abwenden, weil es auf einen
Sympathie-Bonus hofft
– und das gehört sich ja wohl
nicht für einen Staat, der mit seinem unerträglich
‚neo-imperialistischen‘ Georgien-Krieg unsere Sympathien
gründlich verscherzt hat.
Ganz wichtig in dieser Zeit des Untergangs ist die Erinnerung an einen Staatsbankrott, den wir nie vergessen dürfen, weil wir ihn über alles schätzen.
Nie wieder DDR!
ruft die FAZ in die Nation hinein, deren Jugend, wie man
hört, mehrheitlich glatt vergessen hat, welches
Unrechtswesen sich da auf deutschem Boden breit gemacht
hatte: Rückschläge sind kein Grund, an der
grundsätzlich segensreichen Wirkung der Marktwirtschaft
zu zweifeln. Wer ernsthaft glaubt, die DDR sei die
bessere Lebensform, der möge sich melden und dann nach
Nordkorea auswandern.
Geh doch nach Pjöngjang!
*
Einstweilen wird in der besten aller möglichen
Lebensformen weiter gerettet. Die Notenbanken zücken
ihr schärfstes Schwert! Frankfurt und Washington stemmen
sich mit einer konzertierten Leitzinssenkung gegen die
Finanzmarktkrise. Aber der Dank der Anleger fällt sehr
verhalten aus
– was schade ist, weil die
segensreichen Märkte, da macht die FAZ uns nichts vor, zu
mehr Risiko ermuntert werden sollen: „Nur wenn das
Vertrauen wieder wächst, wird die Bereitschaft größer
werden, neue Risiken einzugehen. Die für ein
gedeihliches Wachstum unentbehrliche Kreditvergabe wird
aber erst wieder in Gang kommen, wenn sich die Banken
gesundgeschrumpft haben“. Und weil das – Banken
dermaßen gesund zu pflegen, dass sie wieder Wachstum
generieren! – eine Herkulesaufgabe ist, seufzt die Nation
an jedem Schwarzen
Freitag oder Montag nach
Führern, denen sie im Fach Krisenmanagement
gute
Noten geben kann.
Ein Fall für Zwei!
„Merkel (CDU) & Steinbrück (SPD) zeigen, wie stark eine Große Koalition sein kann. SIE – zielstrebig, pragmatisch und Bundeskanzlerin: Angela Merkel (54, CDU). ER – nervenstark, selbstbewusst bis an die Grenze zur Arroganz und Finanzminister: Peer Steinbrück (61, SPD). Zusammen sind sie DAS Krisenteam der Nation.“ (BamS, 12.10.)
Endlich! Der Wunsch nach Führung, zu der an
Schwäche und Zerrissenheit
der Herrschaft leidende
Meinungsmacher das Publikum anstacheln, erfüllt sich im
Bild nicht mehr aussitzender, sondern
zielstrebiger Politiker. Die Sehnsucht nach
Führern, an deren Mittelmäßigkeit
die
Leute ebenso leiden sollten wie an Arbeitslosigkeit,
Inflation oder Gammelfleisch, ist befriedigt mit der
guten Figur
in der Krise. So fein kann Große
Koalition sein! Alles, was die Chefs in der Sache
durchsetzen und wie sie sich dabei präsentieren, ist
Material des demokratischen Personenkults, der
in der Finanzkrise extra boomt.
Durchsetzungsfähigkeit und
glaubwürdiges Auftreten der Macher, beim
wählenden Volk wie auf internationaler Bühne: Die
Krisenbewältigung ist bei den beiden in besten Händen!
Und weil das so ist, setzt einer noch eins drauf und will
im Namen aller Sparer auch noch schwer hoffen, dass dem
auch wirklich so ist:
„Lieber Sparer, jeder gesparte Euro im Land ist sicher, garantiert die Kanzlerin. Das will ich schwer hoffen, auch für die Sparschweine unserer Kinder. Es ist die erste Bank des Kindes, man hortet späteres Glück. Es ist auch die Bank der Entsagung und des Verzichts. Beten und Sparen. Heute klingt das altmodisch, aber ich wuchs mit diesen Sprichwörtern auf: ‚Auf Sparen folgt Haben‘, ‚Aus kleinen Bächen werden große Flüsse‘, Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!‘. Wir leben nun alle in der Sünde des Verschwendens. Wir brauchen die Kultur des Sparschweins. Kinder, die auf Süßigkeiten verzichten, Kinder, die sich kein Playmobil kaufen. Das Prinzip Sparschwein rettet die Welt. Ihr F. J. Wagner“
Dieser Intellektuelle macht sich und anderen gar nichts darüber vor, dass Sparen etwas anderes wäre als die Tugend der Armut und die Technik des Einteilens beim Verzichten. In grenzdebilem Tonfall macht er sich seine Leser als die moralischen Kindsköpfe zurecht, als die er sie haben will, verklärt die praktische Not, die jeder kennt, zur sittlichen Kultur der Entsagung, verdammt den Sündenfall des Materialismus, verhimmelt das Sparschwein zum Inbegriff menschlicher Kultur – und leitet dann aus all dem den einen Anspruch ab, den ein Volk an seine Herrschaft noch richten mag: Sie möge es doch in seiner Tugendhaftigkeit belohnen und ihm weiterhin das Leben in seiner kindlich-gemütlichen Sparschweinkultur sicherstellen!
Gehört so moralisch gesehen gerade das ärmere Volk zu den
Gewinnern der Finanzkrise
, so darf sich nach gut
informierten Kreisen auch
Gott
zu denen zählen:
Gott soll die Finanzen richten
, berichtet N24 über
den Run auf die Kirchen durch Banker und ruinierte
Kleinanleger, die im Crash das Beten lernen.
„In der Nikolaikirche, mitten im Zentrum der Bankstadt Frankfurt, hat der Gemeindepfarrer einen Krug aufgestellt, der einlädt, ‚Fürbitten und Sorgen‘ in das Gefäß zu legen“.
Der Papst, Apotheker und Psychologen sind sehr gefragt.
Das kriegt echt kein anderes System hin: Der moderne
Kapitalismus produziert nicht nur Figuren, die sich in
den guten Zeiten ihres Geschäfts als Masters of the
Universe
vorkommen; für den GAU steht sein Heer
berufsmäßiger Tröster auch gleich als moralisches
Auffangbecken parat. Der Abschwung der Kurse bewirkt den
Aufschwung innerer Werte: Von diesem Gesetz der
kommunizierenden Röhren zwischen den Werten in der freien
Marktwirtschaft leben ihre Sinnstifter,
Persönlichkeitspfleger und andere Muntermacher; im
Beichtstuhl und auf der Couch, mit Antidepressiva oder 3
Rosenkränzen sind große wie kleine Versager
der
kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft bestens bedient.
*
Internationale Krisengipfel stehen an, alle nationalen WIRs fiebern dem Ereignis entgegen – das ist schon eine eigene Meldung wert:
Die Erwartungen sind groß!
Die FAZ berichtet aus Berlin:
„Alle Blicke richten sich nun auf das Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs in Amerika an diesem Wochenende. Die EU-Staats- und Regierungschefs werden sich am Sonntag zu einem Krisengipfel treffen, wie das ZDF unter Berufung auf einen Regierungssprecher in Berlin meldet“. (FAZ, 13.10)
Der Spiegel (NOT!
HALT! Weltwirtschaft: Wer stoppt den freien Fall des
freien Marktes?
) und die SZ stimmen uns ein auf
bedeutende Weichenstellungen, weil es bei der
Kernschmelze der Finanzsysteme nicht nur um ökonomische
Korrekturen geht, sondern um harte Geopolitik, um die
Verschiebung der politischen Gewichte auf der Welt
.
Die darin enthaltene Kampfansage an die Staatenwelt
irritiert den Schreiber solcher Zeilen nicht: Er begrüßt
das Projekt ‚Krisenbewältigung als Aufmischen der
Kräfteverhältnisse‘ und begutachtet, ob die Staaten –
namentlich die Europäer und insbesondere Deutschland –
dabei Fortschritte verzeichnen. Gelingt es, ihre
Ambitionen auf ökonomische und strategische Weltgeltung
in die diplomatische Waagschale zu werfen? Schaffen sie
es, die Schäden der Krise möglichst anderswo zu
platzieren? Gemessen an solchen Ansprüchen bezüglich
Führungskunst und Tatkraft ihrer Herrschaften kehrt
Zufriedenheit naturgemäß nie ein. Der Spiegel bleibt auch diese Woche
gewohnt skeptisch und muss der globalen Performance
deutscher Politik leider schlechte Noten geben: Das
Krisenmanagement der Bundesregierung stand von Beginn an
unter keinem guten Stern. Es ist geprägt von
Zögerlichkeit, Fehleinschätzungen und abrupten
Meinungsänderungen. Seit der Pleite der US-Investmentbank
Lehman Brothers wirken Kanzlerin und ihr Finanzminister
eher wie Getriebene denn wie Gestalter.
Und das ist
in Zeiten, in denen unsere Führer Kompetenzteam
Geopolitik
heißen, schon nicht so erfreulich.
Immerhin attestiert die SZ Merkel, Brown und Sarkozy
erste Schritte in die richtige Richtung: Ein starkes
und harmonisiertes Europa
ist Bedingung für die
angesagte Feindschaft gegen das niedergehende Imperium
der USA
.
Dennoch kehrt nach dem überfälligen
Kursfeuerwerk
am 13.10. wieder Katzenjammer ein:
5. Die Rettung kommt nicht in Gang: Alte Schuldige und neue Opfer!
Die Finanzkrise erfasst ein Land nach dem anderen. Immer mehr Regierungen sehen sich genötigt, rettend einzugreifen – Ungarn, Österreich, Russland, China; selbst der Finanzplatz Schweiz verliert den bislang unerschütterlichen Ruf als ‚sicherer Hort des Geldes‘, wie nicht ohne Schadenfreude gemeldet wird. Bekanntlich ist diese ‚Steueroase‘ Steinbrück schon lange ein Ärgernis.
Auch die deutsche Regierung beschließt einen
milliardenschweren Bankenrettungsplan. Endlich –
so der allgemeine Tenor. Die Kanzlerin verkündet
offiziell, dass dieser Plan alternativlos
sei, der
Finanzminister stellt unter öffentlichem Beifall klar,
dass erst einmal gelöscht werden muss
, später aber
die Brandstifter zur Rechenschaft gezogen und der
Brandschutz verbessert
werden sollen. So bringen die
zuständigen Politiker die gewünschte Sichtweise über das
vorliegende Desaster und über ihre eigene Rolle darin in
Umlauf: Sie präsentieren sich als tatkräftige
Krisenmanager, die ‚Rettung‘ ausgerechnet für den
Finanzsektor versprechen, der den ‚Brand‘ ausgelöst hat,
damit der nach Löschung des Brandes wieder dort weiter
machen kann, wo er vorher aufgehört hat. So verpflichten
sie die Nation auf die bedingungslose
Anerkennung der dringlichen Bedürfnissen der
Finanzwelt: Das dort zum Stillstand gekommene Geschäft
muss um jeden Preis wieder in Gang gebracht werden, sein
Scheitern ist bedrohlich für uns alle, weshalb Kanzlerin
und Finanzminister dieser Drohung jetzt mit staatlichen
Milliarden alternativlos und tapfer
entgegentreten – und ihr Engagement für die Rettung der
guten Spekulation dem Gerechtigkeitssinn des
Volkes mit dem Versprechen versüßen, gnadenlos gegen die
schlechten Spekulanten vorzugehen.
Die Öffentlichkeit nimmt die Sache so konstruktiv auf, wie man das in schwerer Stunde erwarten kann. Die wichtigen Blätter widmen sich also einmal mehr der Frage, wie es um das
Vertrauen in die Retter in der Not
steht. Die FAZ lässt an ihrem Urteil, ob Kanzlerin und
Finanzminister beim Retten auch die ordentliche Figur
machen, auf die es ankommt, keine Zweifel zu: Frau
Merkel hat im entscheidenden Moment ... das Heft des
Handelns an sich gerissen. Steinbrück ... hat sich als
beherzter und kompetenter Brandmeister gezeigt.
(FAZ, 16.10.) Die SZ lobt das
Wahlvolk dafür, dass es nicht zulässt, dass die Linken
von der Finanzkrise profitieren.
Sie besteht darauf,
dass das Vertrauen des Volkes in die Führung intakt
bleibt. Und dass gemeinsam bedrohte Deutsche ihrer
volkstümlichen Tradition treu bleiben und im Auge des
Orkans ... nicht nach Parteien (rufen), sondern nach
Rettung. Das ist die Stunde der großen Koalition
–
wie die Bild-Zeitung ja schon die Woche vorher zu melden
wusste. Neu ist, was die SZ von den Deutschen weiß, die
keine Parteien, sondern nur noch Vertrauen in ihre Führer
kennen: Sie sind die Helden der Finanzkrise
.
*
Noch ehe das Regierungsvorhaben parlamentarisch abgesegnet ist und die genauen Konditionen festgelegt sind, drängt sich den Beobachtern allerdings schon die Sorge auf, ob die Finanzwelt reagiert: Wird das Rettungspaket angenommen? Da kann sich die SZ zunächst nur wundern:
„Was ist denn mit den deutschen Banken los? Erst rufen ihre Spitzenkräfte in der Krise nach staatlicher Unterstützung und jetzt, da die Regierung allein Kapitalspritzen von 100 Milliarden Euro verteilen will, zieren sie sich.“ (SZ, 16.10.)
Wollen die sich etwa nicht retten lassen?! Und das, wo mit den Bankhäusern wir alle am ‚Abgrund‘ stehen und eine allgemeine ‚Katastrophe‘ abgewendet werden muss! Dann aber klärt die SZ ihre Leserschaft darüber auf, was hinter den Konkurrenzberechnungen der Banken steckt, denen man, gerade als Kenner der Verhältnisse, ein gewisses Verständnis nicht verweigern kann: Die Spieltheorie!
„Das Verhalten der Banken ist aus dem Blickwinkel der Spieltheorie durchaus rational. Spieltheoretisch befinden sich die Banken im sogenannten Nash-Gleichgewicht. Würde eine Bank vorpreschen und ihren Bedarf anmelden, würde wahrscheinlich der Aktienkurs einbrechen.“
Und das kann ja wohl keiner wollen! Also im Nash-Gleichgewicht bleiben, solange es geht!
*
Bloß: Irgendwann geht es eben nicht mehr – Nash hin, Gleichgewicht her. Das staatliche Rettungswerk muss ein Erfolg werden. Am nächsten Tag sagt es die SZ überdeutlich:
„Die Aktion von Merkel & Co. ist mehr oder weniger der letzte Schuss gegen das Monster. Dieser Schuss muss sitzen.“ (SZ, 17.10.)
Ob aber der ‚Schuss sitzt‘ und die ‚Aktion‘ das Krisenmonster stoppt, hängt von dem in Misskredit geratenen Stand der Finanzmanager, Aufsichtsräte und Großspekulanten ab, und das soll ja auch nach dem politischen Willen von Merkel & Co. so sein. Die müssen von den staatlichen Rettungsangeboten Gebrauch machen. Was heißt, dass diese vor dem prüfenden Blick ihres finanzkapitalistischen Geschäftsinteresses Bestand haben müssen, und da gibt es an der Qualität des staatlichen Eingreifens so manches auszusetzen. Die FAZ, die sich in die Sicht der gefragten Banker leicht einfühlen kann, hat, bezogen auf die staatlichen Beteiligungsangebote an gefährdeten Instituten, ernste Bedenken:
„Wie werden es die Aktionäre oder Anleihebesitzer goutieren, wenn der Staat bei einer Bank plötzlich direkt mitbestimmen darf? ‚Peer Steinbrück im eigenen Aufsichtsrat zu haben, das ist das Letzte, was die Spitzenmanager in den obersten Etagen anstreben‘, sagt ein erfahrener Branchenbeobachter.“ (FAZ, 17.10.)
Ziemlich unangemessen findet man in Frankfurt überdies
die Höhe der Gebühr, die der Staat für seine
Absicherung des Geldhandels zwischen den Banken verlangen
will
, und auch die beschlossene Aufweichung der
staatlichen Bilanzierungsvorschriften, die den
Banken die Abschreibung von Verlusten ersparen soll, ist
nicht unproblematisch:
„Das Problem, dass man den Bewertungen in den Bilanzen nicht traue, sei damit noch nicht aus der Welt geschafft, heißt es. Deshalb lehnen die Analysten auch die vorgesehene Lockerung der Bilanzierungsregeln ab.“
Das alles wirft die Frage auf, ob man sich als Bank nicht sogar schadet, wenn man sich unter den staatlichen Rettungsschirm begibt:
„Wenn Geschäftsbanken die Garantien der Regierung in Anspruch nehmen müssen, dann dürfte sich die Wettbewerbsposition dieser Banken wegen der staatlichen Auflagen signifikant verschlechtern.“
Eine Annahmeverpflichtung wie in den USA? Das geht schon gleich nicht:
„Eine solche Zwangssolidargemeinschaft käme in der deutschen Finanzwelt überhaupt nicht gut an.“
Den Widerspruch, dass der Staat mit seinen Angeboten das
ruinierte Vertrauen in die Geschäftsfähigkeit der
Konkurrenten wiederherstellen will, damit aber zugleich
den schlechten Stand von deren Finanzgeschäften aufdeckt,
also die politische Vertrauensstiftung unweigerlich
zugleich das Misstrauen in die ökonomische Verfassung des
jeweiligen Kandidaten bestätigt, kreidet die FAZ mithin
ganz dem schlecht gemachten Rettungspaket an. Man wüsste
zwar eine Lösung für das Dilemma – wenn genügend
Banken sich vom Staat Eigenkapital besorgen, dann bleibt
auch kein Makel bei einem einzelnen Institut hängen,
lautet die Devise
–, aber ob sich genügend finden,
damit dann bei ihnen allen derselbe Makel hängen bleibt
und der derart verallgemeinerte Makel bei keiner
einzelnen Bank mehr ins Gewicht fällt: Das zu entscheiden
bleibt natürlich trotz der klugen Idee dem weiteren Gang
der Dinge überlassen.
*
Sehr hoch gehängt wird die im Hilfspaket vorgesehene Deckelung der Managergehälter. Ein läppisches Detail, das zwar nichts zur Bankensanierung beiträgt, aber – von der Politik als moralischer Prüfstein eingeführt und propagiert – als Ausweis gilt, dass der Staat die Finanzchefs materiell in die Pflicht nimmt. Entsprechend hohe Wellen schlägt diese Rechtsbestimmung: An der 500 000 Euro-Grenze scheiden sich jetzt Gier und Verantwortungsbewusstsein bzw. Respekt vor der oder Angriff auf die Freiheit der Wirtschaft.
Soviel steht fest: Der deutsche Bürger hat ein Anrecht darauf, dass die Agenten des Finanzwesens ‚Verantwortung‘ für ihr Scheitern übernehmen, und darf von ihnen daher persönlichen Verzicht als demonstrativen Akt der Wiedergutmachung verlangen. Es findet sich auch ein Prominenter, der – zumindest nach dem Geschmack von Bild – mit gutem Beispiel vorangeht und öffentlich freiwillig auf seine Boni verzichtet:
„Es ist eine Nachricht, die Nachahmer verdient! Josef Ackermann, Vorstandschef der Deutschen Bank, verzichtet wegen der Finanzkrise auf Millionen! Tragen eigentlich die anderen Banken auch etwas zur Rettung ihrer Branche bei? Bild fragte gestern bei den Großbanken nach, was sie zum Rettungs-Plan beitragen. Ergebnis: Fehlanzeige! Die Steuerzahler sollen’s richten.“ (Bild, 17.10.)
So leicht ist dann doch, ein Lob zu bekommen. Auch wenn bekannt ist, dass der Bonus wegen des Misserfolgs der Bank geringer ausgefallen wäre als sonst. Ackermanns Verzicht wird immerhin als Beitrag zur Rettung der Branche gewürdigt, den andere nicht erbringen. Das ist zwar ökonomisch kompletter Unsinn, die moralische Wucht aber ist ungeheuer.
*
Damit der kleine Anleger vor lauter Finanzkrise seine Zukunftssicherung nicht vergisst, macht die FAZ ihn damit vertraut, dass er nicht immer nur fragen kann, wo sein Geld noch sicher ist. Für seine künftige Rente ist schon die richtige Mischung von Risiko und Sicherheitsbewusstsein entscheidend. Zwar sollte man nach Expertenmeinung
„nur Finanzprodukte kaufen, die man auch wirklich versteht und die zudem konkurssicher sind. Auf Dauer reichen die Renditen dieser Papiere und die Zinsen der klassischen Spareinlagen aber nicht aus, um zum Beispiel eine private Altersvorsorge aufzubauen.“
Die FAZ hat Nerven: Mitten in der Krise, in der massenhaft private Versorgungsrechnungen auffliegen, erteilt sie den guten Rat, dass ohne ein bisschen risikofreudige Spekulation nicht einmal die Rente sicher ist! Mit ihr aber – wie man gerade sieht – auch nicht. Ein Problem mehr für den kleinen Langfristanleger, der an der privaten Säule seiner Altersarmut baut. Aber die Ratgeber von der FAZ werden ihn sicher auch in Zukunft damit nicht alleine lassen.
Die politische Einstellung des Volks wird ständig mit beobachtet. Die FAZ ist in dieser Angelegenheit allerdings bedeutend weniger optimistisch als die SZ mit ihrem Lob des gegen linke Einflüsterungen gefeiten Bürgers:
„Sozialistische Schalmeienklänge treffen wieder auf offene Ohren, während die Erinnerung an den Ruin des realen Sozialismus in der DDR verblasst. Ein Grundprinzip der Marktwirtschaft gerät in der Finanzkrise in Verruf: der Wettbewerb.“
Gerade weil der gute Ruf der Marktwirtschaft wegen des geschäftlichen Einbruchs gelitten hat, ist es umso wichtiger, an ihrer prinzipiellen Einzigartigkeit nicht irre zu werden: Die Warnung vor den Ex-Stasi-Rattenfängern, die aus der Krise ein Anrecht auf Kritik und auf Wählerstimmen für ihre politischen Verbesserungsversprechen ableiten, ist da einfach nie verkehrt.
Auch Besinnliches und Nachdenkliches kommt nicht
zu kurz: Im SZ-Feuilleton widmet sich ein
Kulturvertreter der in der Spekulationswelt
herrschenden falschen Einstellung der Akteure,
bekanntlich der Grund aller Probleme. Er sieht da statt
reiner ‚Gier‘ eher die sportliche Seite der
Finanzwirtschaft
: Nicht Habgier, allenfalls eine
Art Spielsucht
(noch eine
Spieltheorie?) ist da am Werk. Ganz nebenbei
liefert er eine höchst originelle Auflösung des heißen
Rätsels,
„wo das viele Geld geblieben ist. Nicht bei den Banken. Geblieben ist das Geld bei den amerikanischen Häuslebauern. Wenn die heute sogar die laufenden Kosten für ihre neuen Häuser nicht mehr aufbringen könnten, könnte man die Finanzkrise als eine gewaltige soziale Umverteilungsmaßnahme von oben nach unten deuten.“
Wenn man also mal vergisst, dass die besagten
‚Häuslebauer‘ heillos verschuldet und ihre
Häuser los sind, wenn also die Krise nicht einen
gewaltigen Verarmungsschub für zahlungsunfähig gewordene
Amis mit sich brächte, könnte
man sie glatt als
gewaltig
bereichert deuten
und die ganze
Finanzkrise als eine geradezu unverschämt soziale
Angelegenheit.
Freilich kann man dem Phänomen Finanzkrise auch noch mit ganz anderen Deutungen beikommen: Dann erschließt sie sich etwa als Ausfluss einer Menschennatur, die mit so äußerlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten wie Kapitalismus, Geld etc. nichts zu tun hat, vielmehr ureigentlich in der schlecht bewältigten Überwindung der Tiernatur des Menschen besteht. Jedenfalls dann, wenn man mit einem Psychiater statt auf die Börse, wo sich garantiert keine Erklärung in Sachen Finanzkrise findet, besonders tief in die menschliche Seele blickt, die in all ihren verschiedenen Äußerungen von Natur aus zu dem immergleichen irrationalen Verhalten neigt:
„Bei Geldanlagen kennt sich Borwin Bandelow nicht gut aus, dafür aber mit allen Arten von Ängsten. Wer mit Bandelow spricht“, wie die SZ, „der versteht, welchen Einfluss archaische Verhaltensweisen wie die Angst vor dem Verhungern bei der Finanzkrise spielen. Da werden Banker, die sonst völlig rational ihre Kurse rauf und runterschieben, plötzlich von Emotionen befallen. Man kann diese Verhaltensänderung auf den banalen Gedanken zurückführen, dass sie plötzlich Angst vor dem Verhungern haben.“
*
Von den aktuellen Sorgen um das Bankenrettungsprogramm muss man zwischendurch auch einmal Abstand gewinnen. Das Wochenende ist die Zeit, da man dem Leser Buntes, Tröstliches und Lehrreiches in Sachen Krise mitgeben kann. Die FAZ, noch ganz nah am Geschehen, strickt einfach mal zwei Spalten lang lustvoll weiter am Bild des Flächenbrandes:
„Noch lässt sich die Situation mit einem Großbrand vergleichen. Die Menge steht bangend vor der brennenden Stadt. Die Menschen atmen auf, denn die Feuerwehr ist angekommen und packt die Schläuche aus. Das sollte man nicht gering schätzen: Es hätte ja auch sein können, dass der Zugführer im Urlaub ist, dass die Telefone nicht funktionieren oder es an Wasser fehlt. Aber man sollte die Ankunft der Katastrophenkräfte auch nicht zu hoch bewerten. Denn bis jetzt sind nicht einmal die Hydranten gefunden, noch hat niemand gerufen: ‚Wasser marsch!‘“ (FAZ, 18.10.)
Wir haben, genau genommen, trotz der laufenden Katastrophe noch mal Glück gehabt. Merkel und Steinbrück waren nicht im Urlaub. Und an den Finanzen fehlt es offenbar auch nicht. Jetzt müssen sie nur noch den Geldhahn finden! Hätte doch wirklich noch schlimmer kommen können.
Der Blick, den die SZ in die Geschichte wirft, trägt zwar auch nichts zur Sache, aber vielleicht etwas zur Moral der Truppe mitten im unberechenbaren Geschehen bei:
„Bankenkräche hat es immer wieder gegeben. Und oft sind die Zeitgenossen überrascht, wie schnell die Krise dann doch zu Ende gegangen ist.“
Wenn das im Kapitalismus schon immer so war, blicken wir mal einen Augenblick lang einfach nicht in den Abgrund, sondern gelassener in die Zukunft und lassen uns überraschen. Abträglich für diese Moral könnte es allerdings sein, wenn sich die Repräsentanten des Reichtums im Lichte der Finanzkrise aufführen wie immer. Das bespricht die SZ anlässlich eines Blickes in die Welt der Reichen, auf der Millionärsmesse in München. Der Klatschreporter aus der VIP-Welt lässt sich regelrecht hinreißen:
„Im größten Wirtschaftschaos seit 1929 sind im Angebot: Lederbezogene Strandkörbe mit integriertem Ventilator und Wohnmobile mit Champagnervitrine oder ein elektrischer Schuhwärmer vom Aussehen einer erleuchteten Mülltonne. Man möchte die Blondine im Negligé-artigen Abendkleid gerne fragen, ob sie es nicht mal mit Wollsocken versuchen will und überhaupt, ob sie sich ausgerechnet momentan solche Dinge kaufen muss. Frau Effenberg busselt zwei russische Windhunde ab, sie finde die Tiere ‚voll süß‘. Die Finanzkrise findet sie wahrscheinlich ‚voll doof‘.“ (SZ, 18.10.)
Ja, wenn die nicht gerade Milliarden verspekuliert
hätten! Aber so haben sie einfach kein Recht, ihren
Reichtum so schamlos zur Schau zu stellen. Vorbildlich
dagegen das Rollenspiel
von Reichen in den USA:
Einen Tag lang muss Savannahs High Society in die
Rollen arbeitsloser Väter, verarmter Kinder und
alleinerziehender Mütter schlüpfen, ein Leben am Rande
der Gesellschaft führen.
Nach dem kurzen Ausflug in
die Welt der Armut dürfen sie sich wieder, natürlich
geläutert und ihrer sozialen Verantwortung bewusst, ihrem
Reichtum widmen. So mögen wir sie, unsere Reichen!
Der FAZ-Anleger darf eine trostreiche Expertenweisheit mit ins Wochenende nehmen:
„Es wird wieder aufwärts gehen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Es ist noch immer aufwärtsgegangen.“
*
Aber: Aufwärts geht es eben nicht von alleine. Die Krise muss tatkräftig bewältigt werden von denen, die – auch dafür – an der Spitze der Nation stehen. Deswegen geraten bald wieder die politischen Heldenfiguren und ihr schwieriges Werk ins Blickfeld. Zum Auftakt der neuen Woche ist die Öffentlichkeit wieder einmal einen Tag lang mit ihren Politikern ziemlich zufrieden – es geht schließlich um die verantwortungsvolle Daueraufgabe der nationalen Vertrauensstiftung. Und da gehört auch die erfolgreiche Verbreitung von Zuversicht mit dazu. Bild meldet es dem einfachen Volk kurz und bündig:
„Die Politik hat eine riesige Bewährungsprobe mit Bravour bestanden. Denn nur die Politik konnte die Voraussetzungen für Stabilität und Vertrauen schaffen.“ (Bild, 20.10.)
Und die SZ stimmt wortreich zu: Hier hat die große Stunde der Politiker geschlagen – und, mehr denn je, die ihrer internationalen Konkurrenz:
„Nachdem Amerika die Finanz-Führungsrolle abgetreten hat, sucht Europa nach einem eigenen Helden. Jede Krise sucht ihren Helden, für jede Not findet sich ein Retter. Schwierig nur, wenn gleich mehrere den Job der Lichtgestalt für sich beanspruchen: Nicolas Sarkozy, Gordon Brown, Angela Merkel – eine europäische Helden-Trias in Zeiten der Finanzkrise, die den Spitzenplatz noch unter sich ausmachen muss.“ (SZ, 20.10.)
Fest steht also, dass nicht nur eine Finanzkrise zu bewältigen ist und Politikern damit die Gelegenheit geboten wird, sich als ‚Retter‘ zu profilieren; hier gilt es, das verlangen Krise und drohende nationale Notlage, zugleich die Gelegenheit zu einer vorteilhaften Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen den Nationen zu nutzen. Von ‚unseren‘ Repräsentanten erwarten die aufmerksamen Beobachter der SZ nämlich, dass sie bei der Vergabe des ‚Spitzenplatzes‘ ein gewichtiges Wort mitreden. Sie fühlen sich so involviert in diese hochinteressante Frage, dass sie sich sogar einmal ein wenig einfühlsame Ironie leisten. Die Konkurrenz der europäischen Führungsnationen wird jedenfalls mit so viel teilnahmsvoller Solidarität verfolgt, dass den USA schon vorab der Verlust ihrer vormaligen Führungskompetenz wie ein selbstverständliches Faktum attestiert wird. Steinbrücks Spruch vom Ende der Wall Street ist also voll angekommen.
Die sorgenvolle Debatte über den Erfolg des
Staatsprogramms hört natürlich auch am neuen Wochenanfang
nicht auf. Den einen gibt zu denken, dass es in Krisen
keine mathematischen Abläufe
(SZ) gibt, die anderen wissen auch nicht,
ob die Notoperation
an der Wirtschaft etwas hilft.
Eines aber wissen sie genau: Die Deutschen
, die es
sich bisher immer so geradezu unverschämt gut gehen
ließen, müssen sich auf das Ende der Gemütlichkeit
und härtere Zeiten
einstellen. (Spiegel) Kein Wunder, dass mancher
Beobachter bei der Kanzlerin eine echte Blut-,
Schweiß- und Tränen-Rede
vermisst hat, die die
Deutschen in ihrem nicht mehr haltbaren Wohlleben gehörig
aufscheucht.
*
Tags darauf gilt die öffentliche Aufregung wieder dem Thema: Ackermann und die fehlenden Solidarität der Banken.
Nachdem das ‚Rettungspaket‘ nun schon seit Tagen steht und in seinen Einzelheiten ausgiebig bekannt gemacht ist, kommt immer mehr Unruhe über die Frage auf, ob die Banker die nationale Pflicht erfüllen, die die Öffentlichkeit von ihnen erwartet, und die Staatshilfe ‚annehmen‘. An die Adresse des Steuerzahlers ergeht die Mitteilung, dass er sich über die 500 Milliarden keine Sorgen zu machen braucht; wenn alles gut geht, wird es unterm Strich weit billiger. Dafür ist es aber nötig und deswegen hat der Bürger jetzt ein Anrecht darauf, dass die Banker das Rettungspaket massenhaft in Anspruch nehmen. Bild redet den Bankern im Namen des Volkes von Bankkunden ins Gewissen:
„Kaum zu glauben, dass plötzlich viele Geldhäuser die staatlichen Hilfen angeblich nicht in Anspruch nehmen wollen. Auf dieses staatliche Hilfsangebot zu verzichten ist kein Zeichen von Stärke, sondern ein Zeichen von Überheblichkeit und vielleicht sogar von Gier. Denn möglicherweise geht die Aktie einer Bank, die Staatshilfe will, deutlich ins Minus – und damit auch der Bonus des Vorstands. Doch darum geht es jetzt nicht, sondern um die vielen verunsicherten Kunden. Deshalb sollte jeder verantwortungsvolle Bankchef sorgfältig prüfen, ob die Milliardenhilfen und Garantien in Anspruch genommen werden können. Genau das wäre im Sinne der Kunden.“ (Bild, 21.10.)
Schon nett: Die Öffentlichkeit drängt die Banken, neulich noch der hemmungslosen Geldgier bezichtigt, im Verein mit der Politik dazu, gefälligst die vom Staat angebotenen Milliarden anzunehmen, und entdeckt die Gier nun darin, dass Banker mit dem Angebot ihre eigenen Berechnungen anstellen und es nach Möglichkeit vermeiden. Da ist schon wieder pure private Bereicherungssucht statt Verantwortung für das Bankgeschäft am Werk.
Der Chef der Deutschen Bank, Ackermann, gibt sich stark:
Ich würde mich schämen, wenn wir in der Krise
Staatsgeld annehmen würden,
und redet damit die
Konkurrenten, die das Staatsangebot in Anspruch nehmen
wollen und müssen, gründlich schlecht.
„Natürlich dürfe es nicht dazu kommen, dass hilfsbedürftige Banken aus falschem Prestigedenken die von der Regierung angebotene Hilfe nicht in Anspruch nehmen.“
Er tut alles dafür, die Krise als Gewinner zu überstehen. Und macht damit stellvertretend deutlich, dass die Adressaten des staatlichen Programms bei ihren Geschäftskalkulationen keineswegs auf dem Standpunkt einer nationalen Rettung stehen, den die Öffentlichkeit ihnen anträgt. Die aber lässt sich von ihrem Standpunkt nicht abbringen.
„Das sind völlig neue Töne. Hält das Gesetz des Stärkeren Einzug in die privat organisierten Banken?“,
entrüstet sich die SZ. Das sollen ‚neue Töne‘ sein? Offenbar hat der Verfasser des Artikels bisher die höfliche Heuchelei der diversen ‚Beraterbanken‘ mit der Konkurrenz im real existierenden Kreditgeschäft verwechselt. Dabei muss ihm entgangen sein, dass die Krise erst recht nicht das Ende der Bankenkonkurrenz ist, sondern den Kampf um Krisengewinne und die Verteilung des Schadens richtig in Schwung bringt. So klagt denn die SZ erbittert, dass der Vorstand der größten deutschen Geschäftsbank mit der ihm durch die Größe seines Finanzgeschäft zugewachsenen ökonomischen Macht so wenig ‚verantwortlich‘ umgeht:
„Wer sich schämen muss? Josef Ackermann gefährdet den Erfolg des Rettungsfonds ... Die Finanzkrise so mitverursacht zu haben, wäre ein Anlass, sich zu schämen – nicht eine Inanspruchnahme staatlicher Hilfe.“ (SZ, 21.10.)
Derselbe Mann, der uns und die Weltwirtschaft in verantwortlicher Position mit an den Rand des Abgrundes geführt hat, stößt uns mit seiner destruktiven Haltung jetzt möglicherweise noch ganz hinunter! Er sollte sich also schämen für sein Verhalten und damit für einen moralischen Neustart im deutschen Bankgewerbe sorgen! Dann stünde dem Erfolg des Rettungsfonds nichts mehr im Wege, außer natürlich die unberechenbare Bankenkrise ...
*
Zur Vertiefung des Gesamtthemas meldet sich aus dem Reich der Wissenschaft einer, der das Bild von der drohenden Katastrophe längst konsequent bis zum bitteren Menschheits-Ende vorangedacht hat:
„‚Die Menschen verlangen der Erde so viel ab, dass ihre Tragfähigkeit überschritten ist‘, lautet die Kernthese Meadows. Es gibt mehrere 100 000 Lebensformen auf der Erde. Alle haben gelernt, dass sie im Einklang mit der Natur leben müssen, wenn sie überleben wollen. Es gibt nur eine Ausnahme: der Mensch. Wird ein bestimmtes Niveau überschritten, kommt es zum Kollaps, alles bricht zusammen. Das gilt auch für das Finanzsystem. Schrumpfen ist nicht vorgesehen, das macht die Sache so instabil. Der Treiber ökonomischen Wachstums ist der persönliche Konsum. Es geht darum, den Leuten zu vermitteln, dass sie weniger konsumieren müssen. Dann benötigen wir weniger oder auch gar kein Wachstum und sparen Ressourcen und auch Geld. Diese Botschaft ist aber sehr unpopulär.“ (SZ, 21.10.)
Mitten in einer Welt des entfalteten kapitalistischen Reichtums, wo die Beherrschung der Natur und die Entfaltung der Produktivkräfte für den Zweck der Profitvermehrung ständig voranschreitet, wo auf der anderen Seite kein Konsumbedürfnis gilt, wenn es nicht zahlungsfähig ist, und immer größere Teile der ‚Menschheit‘ mit ihren Lebensnotwendigkeiten an ihrer beschränkten Kaufkraft scheitern, macht der Mann eine beschränkte Natur vorstellig, gegen die wir alle uns ständig vergehen. Im kapitalistischen Getriebe mit seinen Folgen entdeckt er ausgerechnet den ausufernden Konsum einer ‚Menschheit‘ am Werk, die sich damit an ehernen Naturschranken versündigt. Und diese verhängnisvolle Konsumgier soll dann auch für die exorbitanten Finanzgeschäfte verantwortlich sein. Wie der Konsum das hinkriegt, die schönsten Derivate platzen zu lassen? Egal. Jedenfalls ist alles zu viel – Konsum und Spekulation und sonst so einiges –, so dass die Natur das einfach nicht mehr aushält. Die Krise beweist es doch! So gehen wir also alle dem verdienten Untergang entgegen. Eine zwar nachhaltig blöde, aber durch und durch populäre kulturkritische Botschaft!
*
Doch die drängenden praktischen Fragen des täglichen Krisenmanagements stehen bald wieder auf der Tagesordnung: Wie sollen wir mit unseren Bankern umgehen? Welchen Beitrag zur Bankenrettung sollte man ihnen abverlangen?
Die Bild vom 22.10., dem
Gerechtigkeitsempfinden ihrer Leserschaft gegenüber den
Gemeinwohlschädlingen aus den Banktürmen genauso
verpflichtet wie dem Gemeinwohl selber, ventiliert einen
radikalen Vorschlag, wie der Staat die gebotene
finanzielle Beteiligung der Finanzchefs sicherstellen
könnte. Das Blatt schlägt ganz konstruktiv vor, einfach
alle Gehaltsbestandteile
über 500 000 Euro
vollständig einzuziehen
, damit könnte der Fiskus
die Einkommenssteuerverluste vermeiden, die ihm bei einer
einfachen Begrenzung von Vorstandsgehältern entstünde.
Clever mitgedacht!
Die FAZ dagegen – nicht nur der Kapitalismus, auch der
Pluralismus lebt! – bricht eine Lanze für Ackermann und
Kollegen und sieht beim Manager-Schelten niedrigste
Instinkte
am Werk. Wenn die deutsche
Sozialstaats-Kundschaft auch so schamhaft wäre gegenüber
staatlichen Geschenken wie Ackermann, dann wären die
Sozialkassen saniert
. Das sitzt.
*
Da Regierungen aller möglichen Länder Konjunkturprogramme auf die Tagesordnung setzen, muss die SZ rechtzeitig warnen. Der Unterschied zwischen den Banken und dem Rest des nationalen Getriebes darf nämlich keinesfalls verwischt werden, wenn es ums richtige Geldverteilen geht:
„Seit die Regierung den Banken 500 Milliarden Euro versprochen hat, vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein Politiker oder Lobbyist irgendein Programm vorschlägt, um darbenden Branchen oder Gesellschaftsgruppen zu helfen. Sollte der Staat ihnen mehr Geld geben, werden die Bürger es sparen. Aus Angst, die Krise könne noch schlimmer werden.“ (SZ, 22.10.)
Was im einen Fall ein Muss ist, geht es doch ums nationale Geldwachstum, sind im anderen Fall nur kostspielige und nutzlose Geschenke ausgerechnet an Bürger, die sich mit ihrer gesellschaftlichen Aufgabe, dem Arbeiten, Konsumieren und Sparen für dieses Wachstum, nie richtig einteilen – in der Krise schon gleich nicht. Vor ein paar Tagen drohten sie noch ihr Geld abzuheben, statt ordentlich weiterzusparen, ihre Gewerkschaften wollen mitten in der Krise mehr Lohn, und statt zu kaufen, sparen sie jetzt wieder tendenziell viel zu viel, um als Konjunkturmotor zu taugen. Also Hände weg von Geldgeschenken, mit denen sie in ihrer Krisenangst ohnehin nichts Rechtes anzufangen wissen!
*
Daneben berichtet das Blatt ungerührt über den aktuellen Armutsbericht der OECD:
„Armut wächst in Deutschland am schnellsten – in jedem fünften Haushalt hat niemand einen Job. Kinder sind am stärksten betroffen, Rentner gewinnen am meisten dazu. Die Wissenschaftler nennen mehrere Ursachen: Arbeitslosigkeit; die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich lässt die Armutsquoten steigen.“
Die Kluft zwischen Arm und Reich soll also für die steigende Armutsquote verantwortlich sein? Oder ist es die Quote, die die Kluft wachsen lässt? Da muss die OECD wohl noch weiterforschen. Nichts spricht jedenfalls dem Bericht zufolge dafür, dass die geltenden Prinzipien kapitalistischer Geldvermehrung und Lohnabhängigkeit, in der all die aufgeführten sozialen Verhältnisse eingeschlossen sind, mit der Armut etwas zu tun haben. Auch ein Ergebnis.
*
Außerdem lässt uns die SZ auch noch mit einem
Philosophie-Professor alle miteinander in einen
Abgrund
hinab- und dann zum Staat aufschauen, der uns
mit ordentlichen globalen ‚Regeln‘ vor dem Absturz retten
muss. Ein paar Seiten weiter allerdings erfahren wir,
dass es gar nicht an globaler Kontrolle fehlt, sondern am
Gegenteil: nämlich an persönlichen Beziehungen
zwischen Schuldnern und Gläubigern im Bankensystem
,
etwa in der Art eines in Chinas Armutshaushalten vormals
üblichen Schuldbuchs, also an menschennahen und damit
vertrauensschaffenden Lösungen. Wer ruft schon beim IWF
an, um Missstände bei einer Bank in seinem Dorf zu
melden
. Stimmt!
*
Dann allerdings, nachdem die Aktienmärkte am Vortag noch
stabil waren, ist wieder Katastrophenstimmung angesagt:
Angst und Unsicherheit in allen Ecken der Welt
,
Aktienmärkte hochnervös
. Die Öffentlichkeit auch.
Die Banker lassen nämlich bei der Annahme des
‚Rettungspakets‘ mehrheitlich immer noch auf sich warten.
Also nimmt sich die SZ die Freiheit, mit ihrem ‚Thema des
Tages‘ über Konsequenzen aus der Schuldfrage
nachzudenken:
„Täglich neue Milliardenverluste. Kreditinstitute stehen vor der Pleite. Kleinanleger verlieren ihr Erspartes. Millionen Bürger müssen mit ihren Steuern Banken retten. Doch was ist mit den Verantwortlichen für das Desaster? Müssen jetzt auch all die Spitzenmanager der Kreditinstitute die Zeche zahlen für ihre gravierenden Versäumnisse und Fehleinschätzungen? Einer hat sogar schon gezahlt. Aber so richtig an den Kragen geht es kaum jemandem.“ (SZ, 23.10.)
Da breitet der Schreiber vor unseren Augen ein
kunterbuntes Szenario von Krisenopfern aus: Alle zusammen
ergeben sie das inzwischen sattsam bekannte nationale
Desaster. Das ist der geeignete Vorlauf dafür,
einmal mehr dem unbefriedigten Bedürfnis nach strafender
Gerechtigkeit gegen die Schuldigen – die Manager! –
Ausdruck zu verleihen. Diese Rufschädigung ist –
moralisch betrachtet – einerseits sehr befriedigend,
zieht aber andererseits doch – spätestens im
Wirtschaftsteil – das Bedürfnis nach einer gewissen
Rehabilitierung der Verfemten nach sich: Die von
fachmännischer Seite geäußerten Zweifel, dass man mit
einer festgelegten Gehaltssumme die besten Manager
bekommt, die man braucht, um die Aufräumarbeiten zu
machen
, überzeugen den in der Metaphorik des
Brandlöschens gut eingelesenen Bürger davon, dass man das
Schlechtreden unserer verdienten Wirtschaftselite auch
nicht zu weit treiben soll.
*
Mittlerweile ist allen klar: Die Krise weitet sich aus! Was tun? Daimler und VW melden Absatz- und Gewinneinbrüche, kündigen Zwangsurlaub und Entlassungen von Leiharbeitern sowie Verzicht auf Sonder- und Wochenendschichten an:
Automobilindustrie in der Krise
Bild bietet gleich Orientierung: Was droht uns da als abhängigen Proleten?
„Folgen der weltweiten Finanzkrise immer dramatischer: Alles knallt runter! Bild fragte Experten: Warum stürzt jetzt alles ab? Euro. Aktien. Gold. Niedrige Kurse bedeuten, dass ausländische Großinvestoren unsere Top-Konzerne zum Schnäppchenpreis kaufen könnten. Was bedeutet das für Mitarbeiter und Jobs? Wie groß ist die Gefahr, dass deutsche Firmen geschluckt werden?“ (Bild, 24.10.)
Ja, da droht einiges, aber das Wichtigste von all dem ist, von wem das Übel ausgeht: ‚Alles knallt runter‘ – und die spannendste Frage daran ist, ob nicht das Ausland das zu seinem Vorteil nutzt! Und deutsche Arbeiter dann von Kapitalisten entlassen werden, die hier gar nichts verloren haben!
Die FAZ ist am selben Tag vor Ort:
„Daimler-Chef Dieter Zetsche versucht, seiner Mannschaft Mut zu machen. Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft für die Mitarbeiter wie auch die Aktionäre des Stuttgarter Autoherstellers an diesem Tag: dass dem unter seinem markanten Walrossbart ewig freundlich wirkenden Daimler-Vorstandschef das Lachen offenbar noch nicht ganz vergangen ist. Zugleich mit den Finanzmärkten informiert er auch die Mitarbeiter – und fordert von ihnen, was er selbst am besten verkörpert: Kampfgeist und Durchhaltevermögen.“
Vorbildlich, wie endlich einmal ein Manager – es handelt sich hier eben nicht um einen zwielichtigen Finanzer, sondern um einen Betriebsführer von der ehrlichen Ausbeutungsfront – in schwerer Stunde allen Betroffenen zur Seite steht. Sowohl denen, die für die Behauptung des Unternehmens in der Krisenkonkurrenz mobil gemacht werden, wie denen, die vom Unternehmenserfolg zu profitieren gewohnt sind! Die entlassenen Leiharbeiter und die in Zwangsurlaub geschickte Stammbelegschaft dürfen ihm für den Appell an ihre Belegschaftstugenden danken. Sie werden sie noch brauchen.
*
Die SZ weiß dagegen, dass jetzt mehr gefragt ist, um das
nationale Durchhaltevermögen zu
stärken, denn: Die Rettungsaktion für die Banken hat
gewirkt, aber nun droht eine weltweite Rezession.
(SZ, 24.10.) Nach der
bewährten Logik, dass Krise und Not nach dem staatlichen
Retter verlangen, der mit seiner Gewalt das
kapitalistische Wachstum fördert und betreut, das die
Krisen produziert, steht damit fest:
„Dies ist die Stunde des Staates, und es ist die Stunde von John Maynard Keynes. Alle erwarten, dass alles viel schlimmer kommt. Hier ist es Aufgabe der Regierungen zu sagen: Schluss mit der Panik, es wird nicht alles immer schlechter.“
Ein Konjunkturprogramm braucht es, meint die
‚Süddeutsche‘ im Gegensatz zu vorgestern heute, aber
genau so wichtig ist die Ansprache an den Gemütszustand
der Bevölkerung, die, ganz gleich wie ernst die Lage
wirklich ist, jedenfalls eine positive Grundeinstellung
braucht. Da muss man als verantwortliche Öffentlichkeit
der Regierung einfach ab und zu ihre ‚Aufgaben‘ in
Erinnerung bringen. Optimismus,
Zutrauen in die Macher und unsere
Zukunft ist gefragt. Das gilt es herbeizuregieren!
Die Frage ist nur: Wie macht man das?
, wie schafft
man Vertrauen? Klare Antwort: Indem man es tut: Worauf
es ankommt, ist, Vertrauen zu schaffen, schnell und auf
globaler Ebene.
*
Dagegen warnt wiederum Barbier von der
Wirtschaftsredaktion der FAZ wie die SZ zwei Tage vorher
vor grundfalschen populistischen Tendenzen in
der aktuellen Parteipolitik. Unter dem beziehungsreichen
Titel Ganz ohne Scham
liest er Politikern die
Leviten, die seine ökonomischen Leitfiguren öffentlich
derzeit so schlecht behandeln:
„Nun aber das Konjunkturprogramm. Ein guter und erfahrener Ökonom würde sich schämen, mit einem solchen Programm an die Öffentlichkeit zu treten. Ein Programm zur Besänftigung des Verteilungsneids kleiner Leute. Und es ist – wieder mal – der Verteilungsneid, den nicht die kleinen Leute artikulieren, sondern den die Politiker ihnen unterstellen, um Anlass zu haben, ihn mit Geld zu bedienen. Es ist nicht das Volk, das nach einem Konjunkturprogramm zum Ausgleich für das Rettungsprogramm ruft. Es sind die Hinterzimmerstrategen der Parteien, die sich nicht vorstellen können, das Finanzwesen eines Landes zu retten, ohne dem kleinen Mann die vorgezogene Anschaffung eines umweltfreundlichen Autos oder die Sanierung der Außenwände seines Hauses zu subventionieren. Aber schämen tun die sich nicht.“ (FAZ, 24.10.)
So kann man ein paar hundert Euro Steuerersparnis, die das Autogeschäft und die Bauwirtschaft beleben sollen, also auch sehen: Da werfen Politiker, die sich nicht zur nationalen Ausnahmestellung der Banken bekennen wollen, aus Kleinmut dem Volk Geld in den Rachen, statt sich auf dessen bessere Einsicht in die Notwendigkeit einer nationalen Bankenrettung zu verlassen, für die der FAZ-Mann schließlich wochenlang agitiert hat. Den Massen konzediert er ausnahmsweise einmal Einsicht in seine uralten Grundüberzeugungen, was sich fürs Volk, was für die Politik gehört und was der Finanzwelt zusteht, um den Politikern den Vorwurf zu machen, sie würden den ‚Verteilungsneid‘ überhaupt erst provozieren, nur damit sie populistisch tätig werden können. Die gerade mit einer 500-Milliarden-Garantie bedachten Banker – Opfer von Politikern, die mit ein paar Hundert Millionen Wirtschaftsförderung das Volk gegen seine Bankerelite aufhetzen! Offenbar hält der Mann den im Zuge der Finanzkrise verschlechterten Leumund seiner nationalen Lieblingsbürger im Kopf nicht mehr aus.
*
Am nächsten Tag wird konstruktiv umgedacht. Dieselben, die jeweils genau gewusst haben, dass die Krise auf ein paar missratene Kreditpapiere in Amerika, dann auf ein paar unfähige Finanzinstitute dort, dann auf die Finanzwelt beschränkt war, wissen es auch jetzt genau: alles naive Täuschung! Die Krise hat die „Realwirtschaft erreicht“
Die SZ kann nur den Kopf schütteln:
„Noch bis in das Frühjahr hatten die Anleger naiv daran geglaubt, die Probleme der Banken würden die Realwirtschaft kaum berühren.“ (SZ, 25.10.)
Und die FAZ verkündet es in großen Lettern:
„Die Finanzkrise erreicht die Realwirtschaft. Noch vor wenigen Wochen hielten es viele Volkswirte für wahrscheinlich, dass Westeuropa von einer Rezession in Amerika kaum betroffen wäre.“
Bis neulich haben Journalisten wie Volkswirte noch glauben machen wollen, Finanzkapital und ‚Realwirtschaft‘ könne man in der Krise vielleicht doch irgendwie auseinander dividieren und die Krise bei den Banken würde den Rest der Wirtschaft ‚unberührt‘ lassen – weil sie eben die Abteilungen der kapitalistischen Geschäftswelt wie zwei getrennte Welten begreifen: In der einen werden Güterberge produziert, und die andere erledigt die Versorgung dieser Abteilung sowie des Restes der Gesellschaft mit Geld und Kredit, damit alle eifrig produzieren und konsumieren können. Jetzt wissen sie es nachträglich natürlich von Anfang an besser, ohne auch nur irgendwie von der Auffassung abrücken zu müssen, Finanz- und ‚reale‘ Wirtschaft stünden zueinander im Verhältnis zweier funktionell für das Gelingen der Volkswirtschaft insgesamt wirkender Sphären:
„Es war immer klar, dass die Finanzkrise mit ihren Verheerungen für die Realwirtschaft nicht ohne Folgen bleibt.“
Für das, was ihnen schon „immer klar“ war, haben sie gar kein anderes ‚Argument‘ als die jetzt eben eingetretene Lage – aber warum sollten sich ausgerechnet Wirtschaftsjournalisten um ihr dummes Geschwätz von gestern kümmern?
*
Viel wichtiger ist jetzt, sich auf die aktuellen Probleme zu konzentrieren. Da drohen gerade die Börsianer jedes Augenmaß für rationales Spekulieren zu verlieren! Die FAZ klagt:
„Leider kommt das irrationale Element in diesen angespannten Oktobertagen weiterhin nicht zu kurz. Die Verunsicherung, die Angst vor immer neuen unangenehmen Überraschungen sitzt so tief, dass starke Kursschwankungen für die kommenden Monate ein treuer Wegbegleiter bleiben sollten.“ (FAZ, 25.10.)
Die SZ sieht noch schwärzer: Die Anleger scheinen geradezu von einer Rezessions-Sehnsucht gepackt. Die Deutschen neigen nun einmal besonders dazu, pessimistisch in die Zukunft zu blicken.“
Den bis neulich ‚naiv‘ optimistischen Anlegern wird jetzt vorgehalten, dass sie die Hoffnung der SZ-Auguren auf eine positive Spekulation, die sie als Beweis gelungener ‚Vertrauensstiftung‘ herbeisehnen, so arg enttäuschen. Das ist ‚irrational‘ und eine höchst gefährliche ‚Neigung‘ zum ‚Pessimismus‘. Könnten die nicht mal auf Optimismus setzen, wenn die Nation so sehnsüchtig darauf wartet?! Das wäre der gesunde Börsenrealismus und das rationale Element in diesen Oktobertagen, das wir jetzt bräuchten!
*
Aber es hilft ja nichts. Man muss den unausweichlichen Folgen ins Auge sehen:
„Ein Blick auf die Automobilbranche lässt jedoch erahnen, was dem Land noch blüht. Nach Absatzeinbrüchen und Gewinnwarnungen sind Tausende Zeitarbeiter bedroht. Morgen kann es schon um Stammbelegschaften gehen.“ (FAZ)
Und die SZ meldet sachkundig, warum als erste die
Leiharbeiter gehen müssen: ‚Damit lasse sich die
Beschäftigtenzahl ‚unkompliziert abbauen, wenn eine
Produktionsspitze vorbei ist‘, sagte ein Sprecher.
Bild fasst sich wie immer kurz und bündig:
„Weltwirtschaftskrise trifft deutsche Unternehmen – Experten befürchten drastischen Anstieg der Arbeitslosenzahlen – In Deutschland geht wieder die Job-Angst um. Gibt es bald wieder fünf Millionen Arbeitslose? Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft: ‚So schlimm wird es selbst in diesen schwierigen Zeiten nicht mehr kommen.‘“
So prägnant kann man seine Informationspflicht für proletarische Leser erfüllen. Man teilt den abhängig Beschäftigten mit, was nach berufener Auskunft alles auf sie zukommt, nennt ihnen die Krise des kapitalistischen Geschäfts als unwidersprechlichen Grund und wiegelt zugleich ab. Und bekommt von den Gewerkschaften öffentlich recht: Die Metall-Gewerkschaft signalisiert, dass sie von einer Forderung nach Lohnerhöhung um 8 % Abstand nimmt, also anerkennt, dass in der Krise die Gewerkschaften der Arbeitsplätze wegen gegenüber ihren Mitgliedern in der Pflicht sind. Verdi bereitet ebenfalls die Beschäftigten darauf vor, was auf sie zukommt:
„Wir haben einen verhaltenen Optimismus, dass man die Beschäftigten halten kann oder dass es zumindest nicht zu Massenentlassungen kommt.“
Die Einstimmung ist also fertig: Das Kapital führt vor, wie mobil und einsatzfähig moderne Belegschaften sind, wenn es gilt, sich der Konkurrenz in der Krise zu stellen. Die atmende Fabrik beginnt kräftig auszuatmen, und zeigt, was an Potenzen für die Steigerung der Rentabilität in ihr steckt, die es braucht, um sich auf kontrahierten Märkten zu behaupten: Hire and fire auf deutsch. Und von der versammelten Öffentlichkeit werden die Opfer schon vorsorglich als unvermeidliche nationale Lasten der Krisenkatastrophe verbucht. Die ist über ‚die Wirtschaft‘ hereingebrochen, macht ihr das Arbeitgeben schwer, und allen anderen, vom reichsten Anleger bis zum letzten Proleten, so unendliche Schwierigkeiten. So ist das, wenn Deutschland Probleme hat.
*
Daher stellt sich mit neuer Dringlichkeit die alte Frage: Warum nehmen die Banken das Rettungspaket nicht an, obwohl sogar die Kanzlerin dazu aufruft? Die SZ weiß, woran das liegt: Nicht zuletzt sie hat mitzuverantworten, dass die Banker just dann, wenn sie als entschlossene Finanzakteure gebraucht werden, so kleinlaut und handlungsunfähig sind, also ist statt der ewigen Kritik an deren ‚Gier‘ auch einmal Selbstkritik der Öffentlichkeit geboten:
„Wem nützt es, wenn Banker jetzt in Sack und Asche gehen und aus Angst um ihr Image keine Hilfe anzunehmen wagen? Wenn die Banken aus Scham keine Hilfe annehmen und lieber die Kreditvergabe einschränken, könnte auch das den Abschwung verschärfen.“
Angst vor Größenwahn hat man in der Münchener Redaktion offenbar nicht. Man meint glatt, mit den Beschwerden über die Arroganz unfähiger Banker habe man den Stand um sein Selbstwertgefühl gebracht, legt sich die Frage vor, wem das nun nütze, und geht davon aus, dass die Banker die neue Milde der Zeitung unverzüglich mit entschlossenem Zugreifen auf die staatlichen Gelder beantworten werden. Und wenn die Waffenruhe an der moralischen Kampffront schon wirkt wie ein Konjunkturprogramm, sichert sie ja auch Arbeitsplätze, weswegen der Vorstand von ver.di nur beipflichten kann:
„Das Klima der Häme gegen Banken, die eine Inanspruchnahme der Hilfe erwägen, muss abgestellt werden.“
6. Die Krise als neue Normalität: Viel moralischer Einordnungsbedarf – und ein zukunftsweisender deutscher Blick in die Welt
Der Monat geht seinem Ende zu, und jeder kann
die Krise jetzt auch
sehen, an jener Branche
nämlich, die
, laut SZ, als das Herz der
deutschen Wirtschaft gilt. Alle Bänder stehen still. Bei
Mercedes in Sindelfingen. Bei BMW in Leipzig. Bei Opel in
Bochum.
Das ist sichtbar
, im Unterschied zur
bisherigen Krise, deren Folgen viele Menschen erahnen,
die aber – weil sie sich bislang vor allem in den Türmen
der Banken in Frankfurt, London und New York abgespielt
hat – für den normalen Bürger bislang nicht sichtbar war.
Doch die Menschen ahnen, dass die düsteren Nachrichten,
die jeden Tag auf sie niederprasseln, auch sie irgendwann
erreichen werden.
(SZ,
28.10.)Wenn die Krise da ist, gebietet die
journalistische Sorgfaltspflicht zu berichten, dass sie
da ist. Weil nämlich nicht zuletzt die sorgfältigen
Journalisten bis neulich noch die Sichtweise ausgegeben
hatten, dass es in den Türmen
wahrscheinlich nicht
die Falschen trifft. Und weil sie auch in Sachen
Autoindustrie vor nicht allzu langer Zeit noch anders
gehofft hatten: Die Optimisten dachten noch im Sommer,
die Krise träfe in erster Linie die amerikanischen
Hersteller.
Europäische Schadenfreude heißt also
neuerdings Optimismus. Aber wenn jetzt das Herz der
deutschen Wirtschaft selber dran ist, ist es damit schon
wieder vorbei.
*
Wo nichts dringlicher geboten ist als starke
politische Führung, heißt es höllisch
aufpassen, dass die Posten nicht schlecht besetzt sind
und falsche Figuren die Lage
unberechtigterweise ausnutzen. Die Krise hätte sich doch
nun wirklich zu einem passenderen Zeitpunkt, z. B. unter
deutscher EU-Präsidentschaft einstellen können; nun aber
muss die deutsche Presse mit Säuernis zusehen, wie sich
immer wieder dieser Franzmann in den Vordergrund spielt.
Spiegel – großes Ego
– und FAZ bemühen sich darum,
den aktuellen Europa-Vorstand auf die Größe
zurückzuschrauben, die ihm aus deutscher Sicht zusteht.
Seine Idee, den kommenden Ratsvorsitz der
europaskeptischen Tschechen unschädlich zu machen, indem
er sich daneben als Vorsitzender der Euro-Gruppe und
eigentlicher Führer des Vereins Europa installiert, hat
mit unserer Vorstellung von guter Führung nun aber auch
überhaupt nichts gemein. Er hat sie ja auch nicht
vorab mit der Bundesregierung besprochen, sondern
lauthals in die Mikrofone der Weltpresse
hinausgerufen.
Aber das kennen wir ja schon.
Sarkozys Aktionismus läuft ins Leere, Sarkozys Welt
ist nun einmal nicht das beharrliche Bohren dicker
Bretter. Er muss die Welt jeden Tag mit mindestens einer
neuen Idee versorgen.
(FAZ,
27.10.) Der Ärger, dass ausgerechnet Frankreich im
Namen Europas das Wort führt, wurmt auch noch am nächsten
Tag weiter in der FAZ herum:
„Unstrittig hat sich der französische Präsident einen Namen als Krisenmanager gemacht und einen europäischen Konsens über die Bewältigung der Krise zustande gebracht. Diesen Konsens hat er seither missbraucht. Was er an neuen Vorschlägen – stets auf eigene Rechnung – präsentierte, hat mit den Finanzmärkten wenig zu tun, sehr viel dagegen mit uralten französischen Vorstellungen. Er nutzt die Finanzkrise als Vorwand, um seine Forderungen nach mehr Staat allüberall zu rechtfertigen.“ (28.10.)
Bei den Chefs anderer Nationen lässt sich jedenfalls gut
unterscheiden, wo ihre Leistung Europa gilt und wo sie
bloß an sich oder an zu viel Staat denken. Solche
unangenehmen politischen Krisengewinnler gibt es
allerorten. Auch Berlusconi nutzt die Lage zum
Machtgewinn
, hat die FAZ ermittelt, während sie im
Wirtschaftsteil dem deutschen Finanzminister eine ganze
Seite einräumt, auf der dieser anhand devoter Stichworte
demonstrieren darf, wie er die Lage im Griff hat, wie
schwer aber auch seine Aufgabe ist, was sich an ihrer
Beinahe-Unmöglichkeit ermessen lässt: Steinbrück sucht
das magische Dreieck der Wirtschaftspolitik.
(29.10.)
*
Wie kommt die Krisenbewältigung voran?
Beim Rettungsprogramm darf weiter mitgefiebert werden. Gespanntes Warten, ob sich Banken melden, aber keine Bange, die FAZ meldet:
„Steinbrück macht Druck. Berlin drängt Banken zur Annahme des Hilfspakets. Steinbrück: Unverantwortlich, wenn Schutzschirm nicht genutzt wird. Kritiker fürchten, dass Bankvorstände wegen drohender Gehaltskürzungen und einer Stigmatisierung der Institute auf die Inanspruchnahme verzichten.“ (27.10.)
Am Dienstag meldet sich die Postbank: Die Postbank
schockiert die Branche.
(SZ,
28.10.) Auch sie hat Derivate und Lehman
Brothers
in ihren Bilanzen zu verdauen. Das hätte die
Süddeutsche von unserer braven Postbank nicht gedacht.
Aber immerhin: Unternehmen will dennoch keine
Staatshilfe in Anspruch nehmen.
Sehr anständig im
Unterschied zu amerikanischen Banken und Versicherern,
die die Gelegenheit zu dem völlig banken-untypischen
Laster nutzen, sich zu bereichern. Die Rettung ist auch
in Sachen Realwirtschaft schon unterwegs, wie SZ und FAZ
am Mittwoch melden: EU will Autoindustrie mit
Krisengipfel helfen
, Einigkeit über
Kfz-Steuerreform. Steinbrück: Das hilft!
(FAZ, 29.10.) Das Programm ist nicht nur
nützlich, sondern auch noch gut zur Umwelt:
Wärmedämmen gegen den Abschwung. Mit Förderprogrammen
für umweltfreundliche Häuser und Autos will die Regierung
die Konjunktur beleben.
(SZ,
30.10.) Und gut zum Mittelstand: Steuerbonus
auf Handwerkerarbeit verdoppelt. Die Weichen für das
Konjunkturpaket sind gestellt.
(FAZ, 1.11.)Zwischendurch verteilt die
Süddeutsche auch noch eine große Portion Lob fürs Volk.
Es übt sich tapfer in der Tugend des Konsums:
„Deutsche trotz Finanzkrise in Kauflaune. Die Deutschen reagieren erstaunlich gelassen. Die meisten machen sich keine Sorgen um das Ersparte und vertrauen ihren angestammten Geldinstituten.“ (SZ, 29.10.)
Es bleibt ihnen zwar auch nicht viel anderes übrig, aber
dennoch, alle Achtung! Stillhalten, das Geld, wie immer,
in Banken und Kaufhäuser tragen, das ist die
Gelassenheit, die den minderbemittelten Teilnehmern am
Wirtschaftskreislauf gut zu Gesicht steht. Gleichzeitig
wird besichtigt, wie die Realwirtschaft ihre Krise durch
Kostensenkung angeht. Dass dadurch die gerade noch
gelobte Fähigkeit zum Konsumieren irgendwie beschädigt
werden könnte, gehört als Gesichtspunkt nicht hierher.
Stattdessen wird durchgenommen, was es da alles für
maßgeschneiderte Instrumente gibt, die der Rendite
drohende Beschädigung auf andere abzuwälzen:
Zustimmung für die Zwangspause. Längere Werksferien,
Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit
. (FAZ, 29.10.) Wenn das
Kapital die Wirkung der Krise ganz selbstverständlich von
seinen Beschäftigten ausbaden lässt, dann nur mit größter
Behutsamkeit. Manchmal allerdings müssen sich die
Berichterstatter schon sehr wundern:
„Jahrelang wurden Leiharbeiter händeringend gesucht – in der Krise verzichten die Firmen nun als Erste auf sie. Im Aufschwung galt die Zeitarbeit als gelungenes Beispiel der Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung. Der Nachteil dieser höheren Flexibilität zeigt sich allerdings im Abschwung: Dann können die Unternehmen die Zeitarbeiter nämlich genauso rasch wieder zurückgeben.“ (SZ, 29.10.)
Wer hätte das gedacht. Genau dafür ist die Institution
Leiharbeit zwar erfunden worden. Aber weil man bei der
Süddeutschen die Sache genau umgekehrt sehen wollte und
noch jetzt große Loblieder auf die Leiharbeit singt – sie
hat vielen Menschen einen neuen Job gebracht.
Zeitarbeitsfirmen verzeichneten Wachstumsraten von mehr
als 20 % und verdienten glänzend. Die Zahl der
Zeitarbeiter hat sich seit 04 mehr als verdoppelt. Und
bis vor kurzem sah die Zukunft noch glänzend aus.
Experten erwarteten einen Anstieg auf 4 bis 5 Millionen
Leiharbeiter
–, darf man jetzt den Enttäuschten mimen
und – interessanterweise – den Vorwurf nicht bei
Erfindern und Anwendern der Leiharbeit, sondern bei der
Gewerkschaft abliefern: Ungünstige Tarifverträge
hätte die vereinbart.
*
Das Hauptereignis der Woche ist aber ein Fall von
Spekulation, der die Nation wegen des unvorhergesehenen
Booms einer Aktie und des Dax aufscheucht:
Porsche als Spekulant
– ist jetzt
Porsche eine Heuschrecke? Eine ganze Woche lang spielt
die Börse verrückt. Bild erklärt den Aktien-Irrsinn.
Warum war VW gestern der wertvollste Konzern der
Welt?
Die Kommentatoren wissen im ersten Anlauf nicht
so recht, in welche Schublade sie das Ereignis jetzt
einsortieren sollen:
„Mitten in der Finanzkrise scheint das Wunder noch unverständlicher, das Porsche vollbracht hat: ein kleiner Sportwagenbauer bringt den größten deutschen Autohersteller unter seine Kontrolle.“
Der Fall Porsche bringt die lieb gewonnenen
Unterscheidungen durcheinander, alles, was sie zur
Orientierung des Publikums so aufgebaut haben. Nix ist’s
mit notleidender Autoindustrie, nix mit tüchtiger
Realwirtschaft und verantwortungslosen Finanzgeiern, die
die ersteren ins Unglück mit hineinreißen... Aber
vielleicht blickt ja der Fachmann durch. Der erstaunt als
erstes mit der Auskunft, dass ihm die Personalidentität
einer ehrbaren Autofabrik mit einem Börsenhai durchaus
geläufig ist: Kernstück sind sogenannte ‚cash
gesettelte Optionen‘. Der Effekt ist einleuchtend
(28.10.), befindet die FAZ,
denn Porsche hat entweder die Aktien für die VW-Übernahme
oder verdient ein Schweinegeld mit dem Verkauf der
Optionen. Wenn man schon länger zu würdigen weiß, dass
jede Autofirma mindestens eine Finanzabteilung, meistens
eine Bank ihr eigen nennt und die Gewinne aus solchen
Finanzoperationen nicht nur die jeweiligen Strategien zur
Eroberung der Märkte beflügeln, sondern zuweilen das
‚Basisgeschäft‘ in den Schatten stellen, kann man auch
diesem Geniestreich die Bewunderung nicht versagen:
ein brillanter Finanzalchemist
. (29.10.) Ein
gelungener Fall von Gier ist eben für Fans
dieser Wirtschaft kein Fall von Gier! Die Kollegen aus
München wiederum finden es zwar erst einmal klasse, wie
Porsche es den dubiosen Hedge Fonds mal gezeigt hat:
Die Krise entzaubert auch Hedge Fonds, denn bei VW
haben sich viele mit Wetten auf fallende Kurse eine
blutige Nase geholt.
Bloß fällt ihnen dann auf, dass
auch ein seriöses deutsches Institut unter den
Geschädigten auftaucht: Doch selbst die Münchner Rück
wird als möglicher Leerverkäufer von VW-Aktien
genannt.
Und vor allem – was heißt das für VW?!
„Seit dem Einstieg von Porsche ist der Preis der VW-Aktie kein klares Indiz mehr für die echte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Trotzdem ist die Entwicklung von VW in den vergangenen Jahren eine Erfolgsgeschichte.“ (29.10.)
Im Wirtschaftsressort der SZ möchte man doch nicht gleich
auf die liebgewordene Gewohnheit verzichten, vom hohen
Stand der Aktie auf die Klasse unseres
Vorzeigeunternehmens zu schließen, bloß weil der jetzt
das Produkt einer Finanzmachenschaft von Porsche ist.
Wenn aber mit der VW-Aktie der ganze Dax eine
Fieberkurve
einlegt, ist die Süddeutsche sauer und
attestiert Wiedeking Fehler
:
„So mancher Beobachter amüsiert sich darüber. Denn inzwischen erkennt auch der Laie, dass hier die Jongleure des Finanzmarktes mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden. Aber dann beging Wiedeking den ersten Fehler. Er verspielte das Vertrauen der VW-Mitarbeiter. Nun steht das Vertrauen der Anleger auf dem Spiel. Es droht Fehler Nr. 2.“ (30.10.)
Zu bewerten hat man die Affäre also streng parteilich,
und das heißt: je nachdem! Wenn böse Hedge-Fonds
geschädigt werden, geschieht es denen recht; wenn die SZ
dieselben aber als ehrbare Anleger identifiziert hat,
muss sie sich über Porsche entrüsten. Und dass sich
Porsche dann auch noch am Dax vergreift, geht endgültig
zu weit: Die guten Anleger sind empört über die
mysteriösen Vorgänge um die Aktie
, die zwar überhaupt
nicht mysteriös, sondern in den Tagen schon mehrmals
erklärt worden sind. Aber der Leitindex am Gängelband
des Sportwagenherstellers
! Das ist des Guten zu viel,
denn Wiedeking hat Geldanlagen im wichtigsten
deutschen Aktienindex unkalkulierbar gemacht
, und das
ist allerhand. Spekulanten mögen wir zwar überhaupt nicht
leiden, aber unser Dax ist uns lieb und teuer und viel zu
schade, um durch den Coup von Porsche in den Ruch eines
unsicheren Datums fürs Spekulieren zu geraten. Nachher
tragen die Herren Spekulanten ihr Geld noch woandershin
statt in unseren Dax. Die schönste Frage zum Thema hat
sich Bild in der
Abteilung Lebenshilfe ausgedacht: Ist mein VW-Golf
jetzt mehr wert als früher? Nein, die Kursexplosion macht
VW-Autos nicht wertvoller.
(29.10.) Der Zaubertrick, Werte
explodieren zu lassen, gelingt leider nur in der Hand von
Fachkräften und nicht dem Laien.
*
In der Abteilung freiberufliches Strafgericht
über Banken und Manager wird unermüdlich
weitergearbeitet. Die SZ hat gleich zwei neue Vorschläge
parat. Einen radikalen: Warum nicht an die Größe der
Banken rangehen? Die ist doch das Problem, oder? Warum
werden die Großbanken beispielsweise nicht
zerschlagen?
; und eine vom Sportteil inspirierte
Idee: Heuern und Feuern, wie es die Bundesliga bei
ihren Trainern schon lange praktiziert
. Und dann noch
mal draufrumtrampeln:
„Was Manager von Erwin Huber lernen können. Diese Manager haben zwar austeilen können. Jetzt in schwarzen Zeiten verfallen sie in Weinerlichkeit.“ (27.10.)
Andererseits hat sich zu Wochenbeginn ein verbitterter Liebhaber des Systems mit einer Kritik an der Schuldfrage zu Wort gemeldet. Professor Sinn, dessen ganzes Institut der Erforschung der Stimmungslage jenes kostbaren Berufsstands gewidmet ist, von dessen Erfolgen als Wirtschaftsführer wir doch schließlich alle leben, kann nicht länger an sich halten, wenn die Wirtschaftselite am Pranger steht. Schließlich wird das Fundament seines Weltbilds, die Triebkraft des Fortschritts, der homo oeconomicus mit seinem Nutzenstreben, vulgo: die Manager durch den Schmutz gezogen. Also greift er zur schärfsten Waffe in der deutschen Öffentlichkeit, der Erinnerung an 29 und all das Schlimme, was daraus gefolgt sein soll, und beklagt ein öffentliches Managerpogrom:
„In jeder Krise wird nach Schuldigen gesucht, nach Sündenböcken. Auch in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wollte niemand an einen anonymen Systemfehler glauben. Damals hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute die Manager“. (SZ, 27.10.)
Er bekommt, was er gewollt hat, ganz viel Öffentlichkeit, aber anders als er die sich gewünscht hat, nämlich einen Sturm der Entrüstung. Merke: Im Zusammenhang mit Juden ist jeder Vergleich mit den Tätern erlaubt, sofern das Abstandsgebot in Sachen Singularität gewahrt bleibt, mit den Opfern jedoch in keinem Fall, gleichfalls wegen ihrer Singularität. Auf das übliche fassungslose Entsetzen angesichts von unerlaubten Vergleichen, vom Zentralrat der Juden bis zum Sprecher der Bundeskanzlerin, folgt die Entschuldigung. Sinn
„wollte ‚das Schicksal der Juden nach 33 in keiner Weise mit der heutigen Situation der Manager vergleichen‘. Ihm sei es allein darum gegangen, dass die wirklichen Ursachen Systemfehler seien, die aufgedeckt und beseitigt werden müssten. Die Suche nach vermeintlichen Schuldigen führe stets in die Irre.“ (FAZ, 28.10.)
Wegen der Aufregung über verletzte Anstandsregeln des
Vergleichens wird ganz übersehen, wie originell Sinn mit
dem Argument System hantiert: Um die Manager zu
entschuldigen, führt er einen „anonymen
Systemfehler“ ins Feld und bringt damit immerhin das
System in eine gefährliche Nähe zum Vorwurf der
schuldhaften Verursachung einer Weltwirtschaftskrise. Das
macht aber nichts, denn die andere Seite, auch nicht
faul, stürzt sich lieber auf die kenntliche Absicht der
Entschuldigung; anhaltende Proteste kommen von Bischöfin
Käßmann, die ihre Domäne der Moralkritik an gierigen
Bankern verteidigt. Gegenwehr kommt auch aus den
Feuilletons, in denen der hohe Nutzen der Schuldfrage
verteidigt wird. Eine Stimme aus dem Wirtschaftsteil der
FAZ kommt dem unglücklichen Vergleicher zu Hilfe und gibt
am Dienstag mit der Dialektik von Einzelnem und System
erstmal beiden Seiten recht: Es ist wahr, dass die
Verurteilung Einzelner zu kurz greift. Das ändert aber
nichts daran, dass es immer wieder Einzelne und ihr
Handeln sind, die zum Versagen des Systems führen
.
Von diesen Einzelnen würde sich der Kommentator mehr
selbstkritische Beschäftigung
wünschen; er
empfiehlt die bewährte Technik, sich selbst zwecks
Entschuldigung zu beschuldigen:
Manager wie Unternehmer müssen darauf endlich
reagieren, um nicht noch stärker in eine Defensive zu
geraten, die intelligente Menschen wie Sinn zu hilflosen
Vergleichen greifen lässt.
(28.10.)
Dann hätten es ihre Apologeten auch nicht so schwer. Im
Feuilleton geht das gepflegte Leiden am
unseligen Juden-Vergleich dann erst so
richtig los: Der historische Vergleich führt in die
Irre und erzeugt erst die Folgen, vor denen er warnt.
Wie das? Soll man sich fürchten, dass Professor Sinn
womöglich wieder einen Faschismus herbeiredet? Irgendwie
schon, denn der Chef des FAZ-Feuilletons wartet mit einer
äußerst erlesenen Sorge auf. Um die zu lancieren,
verwechselt er Vergleiche mit Metaphern, um dann davor zu
warnen,
„dass wir uns immer in einem symbolischen System absoluter Metaphern bewegen ... 1929 ... Wir reden vom Brutofen der Jahrhundertkatastrophe ... Die Frage ist, inwieweit diese Analogie ... erst die Realität schafft, von der sie redet.“
Er hat vielleicht zu viel Harry Potter gelesen, kann sich
aber auch auf Autoritäten berufen: Kahnemann (ein
Wirtschafts-Nobelpreisträger) hat experimentell gezeigt,
dass sich ökonomische und soziale Urteilsfindung in
Wahrheit in einem Raum der Poesie abspielen.
Und da
ist der Herr des Feuilletons schließlich in seinem
Metier, die Verlängerung in erkenntnistheoretischen Unfug
geht ihm locker von der Hand:
„Koppeln sich hochtraumatisierte Begriffe (selbst das Wort ‚krank‘) mit der Sphäre des Geldes, verändern sich erst die assoziativen Strukturen und schließlich die Moral der Handlungen.“
Kranke Begriffe sind hochgefährlich:
„Verbindet sich die Sphäre des Geldes mit der Sphäre der Traumatisierung und ihrer Metaphern – und was wäre traumatischer als ’1929‘ – schaffen Metaphern völlig neue Reaktionsmuster. Es entstehen immer mehr Gründe die Metapher mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Die Politik wäre gut beraten, den Menschen zu sagen, dass sie nicht in der Lage von 1929 sind.“ (28.10.)
Das Ganze ist dann doch nur – unter gebührender Herausstellung des immensen Tiefgangs, mit dem der Verfasser zu Werke geht – eine reichlich umständliche Warnung vor zu viel Kapitalismuskritik: Wenn immerzu schlecht übers Geld geredet wird, kann das zu Faschismus führen. Am Donnerstag meldet sich im Feuilleton der SZ ein Professor für deutsche Literatur zu Wort. Er hat was von Fiktionen läuten hören; da ist seine Fachwissenschaft gefragt:
„Die jähen Ausschläge an der Börse erinnern unsanft daran, welche Rolle Fiktionen für das alltägliche Funktionieren moderner Gesellschaften spielen. Sie sind nicht bloß in Filmen, Schauspielen und Romanen, in den Rückzugsgebieten der Unterhaltungsindustrie oder Ästhetik zu Hause, sondern wohnen im Herzen der Volkswirtschaften.“
Nach längeren Erwägungen über Vor- und Nachteile von
Fiktionen für Gesellschaften
, und der kühnen
Vermutung, dass das moderne Wirtschaften nicht länger gut
gehen konnte, wird man auf einen ganz neuen
intellektuellen Bedarf aufmerksam gemacht, an dem wohl
auch die Krise schuld ist:
„Auf welche alternativen Fiktionen kann eine Gesellschaft zugreifen, die sich nicht wie bisher als Zugewinngemeinschaft versteht? Und auf welchem kulturellen Nährboden gedeiht sie?“ (30.10.)
An welche utopischen Entwürfe oder auch nur Märchen über den Sinn der Bescheidenheit und die Reize der Armut der Herr Professor denkt, verrät er nicht. Jedenfalls hat er seinen originellen Beitrag geliefert zum Streit um die zur Krise passende Fassung des Menschenbilds, der im Feuilleton seinen Aufschwung nimmt. Eine solche Gelegenheit wie diese Mordskrise haben die Sinnhuber aller Fakultäten lange nicht geboten bekommen. Voller Eifer sind sie damit unterwegs, an einem Paradigmenwechsel zu stricken, Fragen zu wagen, ob man nicht im homo oeconomicus außer Nutzenstreben noch ganz andere Kräfte vermuten muss, also neue Karrieren mit der Ausformulierung des passenden Zeitgeists zu bestreiten.
*
Die Deutsche Bahn ruft zu Wochenbeginn ein Drittel
ihrer ICE-Züge zur Überprüfung in die Werkstätten
. Es
wird zwar erwähnt, dass die Bahn Meldungen über
möglicherweise fehlerhafte Achsen wg. des guten
Eindrucks, den sie an der Börse machen wollte, im Sommer
noch bestritten hat; für weitaus bedenklicher aber werden
die immer schlechteren Aussichten für den Börsengang der
Bahn befunden. Womit man dann auch wieder beim Kern des
ganzen Übels angekommen wäre: Um unverdiente
Bonuszahlungen für schlechtes
Finanzmanagement soll es bei der Deutschen
Bahn gegangen sein!
„Wenn es aber stimmt, dass der Vorstand um Hartmut Mehdorn schon dafür entlohnt werden soll, dass der Börsengang gerade mal 3,5 Milliarden Euro abwirft, dann ist der Bonus kein Bonus mehr. Dann wird er zu Mehdorns Malus. So handelt keiner, der sich seiner Verantwortung für das Eigentum der Republik und ihrer Bürger bewusst ist. Bleibt es bei einer Belohnung fürs Verramschen, dann ist Mehdorn nicht der Richtige für den Verkauf der Bahnanteile.“ (SZ, 27.10.)
Vor lauter Ingrimm erklärt der Autor der Süddeutschen die
Bahn nachgerade zu Volkseigentum, während der Spiegel für
die Ausdehnung der Managerkritik auf misslungene
Börsengeher plädiert. Es kann doch nicht sein, dass
wir bei Bankmanagern hart durchgreifen, aber die Chefs
unserer eigenen Unternehmen dafür belohnen, wenn sie
Bundesvermögen verschleudern.
Nach eingehender
Befassung mit der Frage, wer wann was gewusst haben kann,
hält man es sich noch offen, ob die Affäre insgesamt mehr
an Mehdorn oder Tiefensee hängen bleibt. Das sind
schließlich die Themen, die die Demokratie so lebendig
machen. Gleichzeitig steht natürlich Ackermann
weiterhin unter scharfer Beobachtung. Zum Wochenende aber
meldet sich Barbier, der in der FAZ als fleischgewordene
Altersweisheit eine eigene Kolumne Zur Ordnung
bewohnt, mit einer menschheitsgeschichtlichen
Rettung des in Verruf geratenen
Kredits:
„Eine andere Frage ist, ob Sparen und Investieren als bürgerliche Attitüde der Lebens- und Erwerbsplanung durch eine solche Vertrauenskrise nachhaltig in Misskredit geraten können.“
Was natürlich gar keine Frage ist, wenn man sich nur einmal daran erinnert, dass
„schon in der vorindustriellen Zeit der Rhythmus des Säens, des Erntens und Verbrauchens keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass vor dem Investieren das Sparen zu stehen habe. Heute sparen, um für morgen zu investieren: Die dämmernde, auf Erprobung drängende Idee, dass man im Wald gefundene Nüsse nicht nur verzehren, sondern alternativ auch als Saatgut für das Heranziehen von Nussbäumen verwenden kann, darf als bewegendes Detail aus der Frühgeschichte der kulturellen Evolution des Menschen begriffen werden. Die Kultur erstickt nicht an einer Finanzierungskrise.“ (31.10.)
Und so dürfen wir getrost darauf hoffen, dass Herr Wiedeking seine cash-gesettelten calls und puts nicht mehr aufisst, sondern im Rhythmus des Säens und Erntens von Porsches auf bewegende Weise die kulturelle Evolution im Dax vorantreibt.Gäbe es bloß nicht soviel Unvernunft in der Jetztzeit.
„Die Weltwirtschaft kommt in eine Rezession, die so lang und tief sein wird wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Aber die hessischen Möchtegern-Regierungswechsler juckt das nicht. Was sie zum Ausbau des Frankfurter Flughafens beschlossen haben, wird Land und Leute teuer zu stehen kommen.“ (1.11.)
Schon 3 Tage später ist dann der Jubel in der FAZ-Redaktion riesig. Ob die Weltwirtschaft dankend zur Kenntnis genommen hat, dass der Anschlag von Frau Ypsilanti auf sie gerade noch einmal abgeschmettert wurde, ist noch nicht bekannt.
*
Inzwischen ist die Krise überall, genauso global wie das Wunder von Weltmarkt, das man in den letzten Dekaden anstaunen sollte. Und die sachkundige Presse weiß sofort, was da zur Klärung ansteht.
Von der Abschätzung von Schäden zur Berechnung imperialistischer Krisengewinne
wird der Fragebogen gespannt: Wo überall müssen
wir
damit rechnen, dass unsere Geschäftsfelder
wegbrechen
? Welche Schäden stehen uns in Haus
wegen den Versagern anderswo? Was hat man von fremden
Regierungen alles an Gewaltakten gegen die dortigen
Völker im Namen unserer Krisenbewältigung zu verlangen?
Das ist ja wohl selbstverständlich, dass beim Blick in
die Welt das Wohl und Wehe der eigenen Nation den
geistigen Maßstab abgibt; denn ohne deutsches Wachstum
und deutsche Weltpolitik steht ja wohl auch der Rest der
Welt ziemlich blöd da.Was müssen wir da aber hören aus
Ländern wie Indien und China,
die „Deutschlands Unternehmen“ schon fest verplant
hatten?
„Indien – Land der großen Erwartungen ... Deutschlands Unternehmen sollen vom Wachstumsmarkt Indien profitieren, und die deutsche Regierung möchte den neuen ‚global player‘, wie sie sagt, stabilisieren. Das alles geht indes nur, wenn die Wachstumsraten der vergangenen Jahre sich fortsetzen.“
Wenn schon hier Krise ist, können die uns doch nicht auch
noch ihr Wachstum vorenthalten! Stattdessen vermehren sie
aber die ohnehin notorische Armut
und das
gefährdet nicht die Armen, sondern ein höheres Gut:
„Kein Mensch wisse, wie lange das Land deshalb noch stabil bleibe.“ (SZ, 27.10.)
Die FAZ – Asien im Abwärtssog
– teilt die Sorge um
die politische Stabilität unserer Wachstumsmärkte, sieht
aber auch eine gute Gelegenheit, der chinesischen Führung
wieder einmal Versäumnisse in Sachen Demokratie
vorzuhalten. Denn ihr Modell hat kein Ventil
. Dort
ist wachsender Wohlstand
„Kernstück eines sozialen Paktes mit der Regierung. Letztere sorgt für Stabilität und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse, dafür begehren die im relativen Wohlstand Geborenen nicht auf. Wird dieser Pakt einseitig aufgelöst, vermag niemand die Folgen vorherzusagen. Abschwung und Aufruhr sind hässliche Brüder. In Indien wird sich dies auf dem Wahlzettel niederschlagen. In China gibt es keine Wahlen als Ventil.“ (27.10.)
Das florierende chinesische Kapitalwachstum mit seiner
nicht minder florierenden Verelendung: ein
Wohlstandswachstum für alle Chinesen – der Mann ist nicht
zimperlich, wenn er den chinesischen Massen lauter gute
Gründe für Zufriedenheit mit ihrer bisherigen sozialen
Lage attestiert! Und ein Kompliment für die Demokratie
als beste Herrschaftstechnik, unzufriedene Massen still
zu halten – alle Achtung, was Demokraten sich so trauen,
zu Papier zu bringen! Am nächsten Tag wird
Brasilien durchgenommen, ein
Fall, bei dem der Spekulation ernsthafte Vorwürfe gemacht
werden: Beispiellose Kursverluste auf Brasiliens
Aktienmarkt.
Schuld sind
„Liquidationen der kaum regulierten Hedge Fonds. Die Hausse des Real hat Hedge Fonds zu sogenannten Carry Trades bewogen, in deren Rahmen sie sich nach dem Verkauf von japanischen Yen und auch amerikanischen Dollar im Real engagierten. Die Auflösung von Restpositionen aus diesen Carry Trades gilt als einer der Gründe für die Schwäche der Aktienkurse und des Real.“
Das Geschäft mit unterschiedlichen Zinsraten in verschiedenen Nationen ist zwar genau der Grund, aus dem die Spekulanten den Real erst steigen und dann fallen lassen. Das hält der Wirtschaftsbetrachter hier aber für sehr ungerecht, zumindest für ungeschickt. Er würdigt eingehend
„das Exportpotenzial des Landes, eine konkurrenzlos breite Palette von Rohstoffen, von denen sich besonders Agrargüter wie Sojabohnen, Fleisch, Kaffee, Kakao und Orangensaft aller Erfahrung nach auch in konjunkturell schwierigen Zeiten recht robuster internationaler Nachfrage erfreuen“.
Nach seiner Auffassung
„gelten für Brasilien die makroökonomischen und monetären Chancen als vergleichsweise gut. Dass die Börse in Sao Paulo diese Einschätzung allem Anschein nach ignoriert, wird mit der globalen Panik an den Aktienmärkten begründet“ (FAZ, 28.10.) –
einfach blöd, dass die Spekulanten der internationalen
Finanzwelt die „Daten“ ignorieren, die der Fachmann einer
senkrechten Spekulation ihnen zur Berücksichtigung ans
Herz legt. Die Süddeutsche kümmert sich um
die neuen EU-Mitglieder im
Osten. Wir waren doch so gut zu denen und
haben ihnen ihr Wachstum praktisch geschenkt:
Westliche Investoren finanzierten die hohen
Wachstumsraten
. Nicht etwa, dass diese Investoren an
den Ländern gut verdient hätten. Und jetzt, wo die
Investoren befinden, dass ihr Geld und Kredit im Osten
nicht mehr so gut aufgehoben sind, was müssen wir da
entdecken?
„Ein ganzes Volk hat auf Kredit gelebt. Estland und Lettland, lange Zeit Vorbilder für den Umbau in Marktwirtschaften, aber eben auch abhängig von ausländischem Geld.“
Man mag gar nicht fragen, wer denn eigentlich diese
windigen Staatsprojekte bis neulich noch zu Vorbildern
erklärt hat; wer bis gerade neulich noch das Herrichten
zur Anlagesphäre für Euro-Kapitale, die Attraktion von
ausländischem Geld zu dem nationalen Erfolgsweg
erklärt hat. Spätestens jetzt ist klar, wie ungesund das
dortige Wachstum war. Große Enttäuschung über diese
verantwortungslosen Brüder macht sich breit, irgendwie
haben sie uns ja all die Jahre hinters Licht geführt:
Erst galt die Entwicklung Mittelosteuropas als
Erfolgsgeschichte, nun erweist sich, dass sie auf Sand
gebaut war – ein Leben auf Pump mit Hilfe fauler
Kredite.
Aber: das eigentliche Problem liegt noch
woanders, Cathrin Kalweit weiß, wo genau:
„In Osteuropa geraten etliche Volkswirtschaften ins Taumeln, was die Demokratie gefährden könnte. Die Wähler in vielen jungen Demokratien sind ohnehin desillusioniert. Wenn nun die nötigen Einschnitte und eine radikale Sparpolitik erzwungen würden, könnte das einen Zuwachs ganz anderer Art befördern: einen Zuwachs an Populisten und Anti-Europäern.“ (SZ, 29.10.)
Blöd, dass wir den Völkern dort auch noch die Demokratie geschenkt und das Missverständnis haben durchgehen lassen, dass die Bekehrung zum rechten System sich für sie irgendwie auch materiell auszahlen müsste. Jetzt müssen wir uns auch noch Sorgen machen, dass sie von der Demokratie einen Gebrauch machen, der uns überhaupt nicht passt. Aber auch alte EU-Partner sind ordentlich in der Krise, und das geschieht ihnen nach Auffassung der SZ ganz recht:
„Euro-Feinde im Abseits. Währungsunion stärkt die Mitgliedsstaaten in der Finanzkrise. Vor 8 Jahren feierten die Dänen die Ablehnung des Euro. Island ist schon untergegangen.“ (28.10.)
Warum haben sie sich auch dem Dienst an unserem Europa und der Stärkung unserer Währung entzogen. Im Fall Russland wiederum ließe sich zwar, analog zu Brasilien, auch eine letztlich robuste internationale Nachfrage für dessen Rohstoff diagnostizieren, aber der Eigentümer fällt nun mal bei uns immer wieder unangenehm auf, so dass man dem Preisverfall beim Öl einiges abgewinnen kann:
„Der Anstieg des Ölpreises hatte das ressourcenreiche Russland einst gemästet, nun trifft es der schnelle Fall besonders hart.“
Außerdem macht die Regierung schon wieder alles verkehrt:
Mit Zusagen und Krediten in Milliardenhöhe füttert die
staatliche Entwicklungsbank die angeschlagene Industrie
und weckt bei manchen die Sorge
– wer mögen die
„manchen“ bloß sein?! – der Kreml nutze die Krise, um
eine Welle der Verstaatlichung auszulösen.
Was
woanders ein Konjunkturpaket wäre, heißt in Putins Reich:
Rückkehr zum Staatsdirigismus; wo hier der Mittelstand
und Deutschlands Schlüsselindustrien gerettet werden,
heißt es dort: Russland stützt seine Oligarchen.
Wo so vieles falsch läuft, birgt die Krise die Hoffnung,
dass sie in Russland das Verhältnis von oben und unten
mal gründlich aufmischt. Noch hält sich die
Bevölkerung mit Attacken gegen die politische Führung
zurück.
(FAZ, 28.10.)
Aber schon einen Tag später ist die Hoffnung der FAZ fast
Wirklichkeit: Gefahr für das System
Putin!
Alles wird aufgelistet, was jetzt am
in Russland geplanten kapitalistischen Aufbau in die
Binsen geht, und das ist gut und nicht schlecht, denn:
„Bislang galt, ‚denen da oben‘ freie Hand in der Politik zu lassen, solange sie für wachsenden Wohlstand sorgten. Das könnte sich ändern, wenn Russland in eine Rezession geriete. ... liberale Kräfte hoffen geradezu darauf, dass die Finanzkrise zum Katalysator für eine freiheitlichere Entwicklung wird.“ (29.10.)
Schon schön, dass jemand über die Krise auch mal positiv denken kann. Jedenfalls erwärmt sich der FAZ-Schreiber sichtlich beim Ausmalen dieser von ihm propagierten, aber auch bei Nationalisten russischer Machtart eher seltenen Gemütshaltung. Aber einem Land, das es uns nicht recht macht und deshalb zurecht „System“ heißt, kann man einen richtigen Aufruhr nur wünschen – im Gegensatz zu unserem politischen Gemeinwesen, bei dem ein paar Prozent Linkswähler schon eine drohende Gefahr für die Demokratie darstellen, der man gar nicht entschieden genug begegnen kann.
*
Der Chefökonom der SZ besichtigt das weltweite
Krisenpanorama unter dem immerhin moralisch wertvollen
Gesichtspunkt von Schuld und Sühne: Der Flächenbrand
gefährdet viele Staaten, die mit den Exzessen im
Finanzsektor überhaupt nichts zu tun hatten... Zu den
Krisenopfern gehören zunächst einmal Mitschuldige.
Nämlich: Island. Die baltischen Republiken
finanzierten ihren Boom durch leichtes Geld und
Immobilienspekulation
– ja, wie konnten sie nur?!
Die zweite Kategorie umfasst all die Staaten, die
bisher vom globalen Rohstoffboom profitierten. In
Südafrika verstärkt die Krise die Instabilität des
politischen Systems
, das ist betrüblich, in
Russland und Venezuela geraten die Autokraten Putin und
Chavez unter Druck
, was wiederum erfreulich
ist. Und schließlich gibt es all jene Länder, die mehr
oder weniger unschuldig in den Strudel geraten sind.
Ob man jetzt als Rohstoffexporteur zu den Schuldigen oder
Unschuldigen gehört, ergibt sich schlicht und einfach
daraus, ob man in der SZ-Redaktion die Staaten leiden
kann oder nicht. Weiter geht es mit Brasilien,
Mexiko
und der Türkei
. Die wurden teilweise
Opfer der Rettungsmaßnahmen der Industrieländer: Deren
Banken sind jetzt geschützt.
Weshalb es nur logisch
ist, genau an dieselben Länder den Antrag zu stellen, die
Schwellenländer zu retten.
„Die Industrieländer müssen die Schwellenländer wie ihresgleichen behandeln. Mittelfristig sollte der IWF mit einer neuen großzügigen Kreditlinie einspringen. Dabei wird es nicht zu vermeiden sein, dass auch Länder gestützt werden, die das gar nicht verdienen.“
Schade, dass da Moral und Wirtschaft doch wieder nicht dasselbe sind.
„Zweitens gehört China mit an den Tisch. Asien ist die einzige Region der Welt, in der noch große Mengen an Kapital zur Verfügung stehen.“
Jedenfalls stehen sie ideell schon mal dem
Wirtschaftsstrategen aus München zur Verfügung, der sich
im übrigen auch in Chinas Interessen viel besser auskennt
als China selbst: China sollte, im eigenen Interesse,
dieses Kapital in die Zukunft Weltwirtschaft
investieren.
(30.10.) Und
nicht nur er. Deutsche Leitartikler verstehen sich
darauf, Vorschläge für einen gesamteuropäischen
Rettungsfonds als Angriff auf das gute deutsche Geld
abzuschmettern; sie verstehen sich noch besser darauf,
über die Fonds anderer Nationen zu disponieren. Leider
sind nicht alle Nationen so vernünftig und hilfreich wie
wir Deutschen:
„Knauserei im Königspalast. Beim saudischen Herrscher wirbt Außenminister Steinmeier um großzügige Hilfe für Pakistan – doch Abdallah plaudert lieber über Religion“ (30.10.),
muss die SZ am Donnerstag berichten. Samstags liefert die FAZ noch einen Nachtrag zur Gerechtigkeit der Krise:
„Der scharfe Rückgang der Preise für Rohstoffe und Agrarprodukte bringt vor allem Länder wie Venezuela, Ecuador und Bolivien in Schwierigkeiten, die am meisten von der Hausse profitierten – und deren Regierungen gleichzeitig am lautesten gegen den Kapitalismus hetzten.“ (31.10.)
Was soll jetzt eigentlich gesagt sein? Hätten sie nicht so gehetzt, hätte der Kapitalismus sie nicht in die Krise gestürzt? Oder geschieht ihnen gleich recht, dass der Kapitalismus sich genauso ruinös aufführt, wie sie in ihrer Hetze es ihm schon immer nachgesagt haben? Egal, jedenfalls trifft es die Richtigen.Wenn die Verhältnisse global aufgemischt werden, hält es die professionellen Politikberater jedenfalls kaum noch auf ihrem Sessel, sie spekulieren ungerührt auf neue Chancenund mögliche Krisengewinne, auf eine neue Aufteilung der Welt Das ökonomische Desaster kann gar nicht so groß sein, die Folgen für die Statisten in aller Welt gar nicht so schlimm, dass ihr imperialistischer Verstand Schaden leiden würde. Im Gegenteil! Er wird durch die Krise beflügelt.