Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Schleckerinsolvenz: Eine selten schöne Pleite
Die Drogeriemarktkette Schlecker beantragt Insolvenz, und ganz anders als sonst, wenn ein Unternehmer Pleite geht, wird das von der Öffentlichkeit nicht mit Betroffenheit, sondern mit Genugtuung und Häme registriert.: „For you, vor Ort, vorbei“ (HB), „Schlecker – Der Ladenhüter“ (SZ), „Den Richtigen hat es schon erwischt“ (SZ), ist der Tenor der Schlagzeilen.
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Schleckerinsolvenz: Eine selten schöne Pleite
Die Drogeriemarktkette Schlecker beantragt Insolvenz, und
ganz anders als sonst, wenn ein Unternehmer Pleite geht,
wird das von der Öffentlichkeit nicht mit Betroffenheit,
sondern mit Genugtuung und Häme registriert.: For you,
vor Ort, vorbei
(HB),
Schlecker – Der Ladenhüter
(SZ), Den Richtigen hat es schon
erwischt
(SZ), ist der
Tenor der Schlagzeilen.
Die Presse kennt eben ihren Schlecker. Schließlich hat sie ihn selbst schon mehrfach als schwarzes Schaf seiner Zunft an den Pranger gestellt. Zuletzt im sog. Leiharbeiterskandal, nachdem Schlecker versucht hatte, von dem neuen Gesetz zur Flexibilisierung der Zeitarbeit gleich so exzessiv Gebrauch zu machen, dass er bis dahin festangestellte und nach Tarif bezahlte Angestellte kündigen und in neu eröffnete Schlecker XL-Märkte als Leiharbeiter seiner eigenen Zeitarbeitsfirma wieder einstellen wollte. Das war allgemein als Missbrauch des Gesetzes skandalisiert, von der Politik mit einer Lex Schlecker unterbunden und als Zeichen der besonderen Profitgier und Rücksichtslosigkeit von Schlecker interpretiert worden.
Diesen Skandal hat die SZ vor Augen, wenn sie jetzt angesichts der Pleite aus ihrer Genugtuung kein Hehl macht und die ökonomische Niederlage von Schlecker mit der Skrupellosigkeit erklärt, die sie ihm als Unternehmer schon immer vorgeworfen hat.
„Das Konzept der immer zahlreicheren, aber kleinen und kargen Läden rechnete sich nicht: hohe Kosten, wenig Umsatz, noch weniger Gewinn. Viel lehrreicher aber als die materiellen Ursachen sind die menschlichen Aspekte dieser Firmenpleite. Es hat hier ein tatkräftiges Gründerpaar den Profit absolut und einseitig über die Moral gestellt und partout nicht begriffen, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann.“ (dieses und alle weiteren Zitate aus SZ, 21./22.1.12)
Dabei möchte die SZ keineswegs in Zweifel ziehen, dass
die Lohnsenkung, die Schlecker mit dem Einsatz der
Zeitarbeit intendiert hatte und die schließlich
verhindert worden war, im Geschäftsinteresse von
Schlecker stand. Das ist für die SZ selbstverständlich,
dass niedrige Löhne geschäftsdienlich sind. Als Lehre aus
der Pleite möchte sie aber gleichzeitig festgehalten
wissen, dass dieses Geschäftsmittel nur dann wirklich
und dauerhaft erfolgreich ist, wenn man gerade nicht
absolut und einseitig
darauf setzt. Schuld an der
Konkurrenzniederlage soll sein, dass die Schleckers mit
ihrer Tatkraft zu weit gegangen sind, dass sie
keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der
Angestellten resp. die gewerkschaftlichen Vereinbarungen
nehmen wollten, dass sie es mit der Durchsetzung ihrer
Geschäftsinteressen übertrieben haben.
Das, so die Behauptung, soll sich jetzt als Prinzip
der Marktwirtschaft nach der kleinen Weile einer
30-jährigen Marktführerschaft von Schlecker gegen ihn
geltend gemacht haben. Die Pleite zeigt: Der „Ausbeuter“
wurde nicht nur durch Öffentlichkeit und Recht, sondern
durch die Ökonomie selbst bestraft. Das Gute
triumphiert
, lautet die Überschrift des SZ-Kommentars
im Wirtschaftsteil.
Zum Vollstrecker dieser Lehre, derzufolge ein Unternehmer nur dann absolut erfolgreich ist, wenn er seinen ökonomischen Erfolg gerade nicht absolut und unbedingt verfolgt, erklärt die Öffentlichkeit den Kunden.
Der Kommentator der Tagesthemen ernennt sich zum Repräsentanten der bundesrepublikanischen Kundschaft und brüstet sich, die Pleite in bester humanitärer Absicht herbeigeführt zu haben:
„Auch ich gehöre zu denen, die um Schlecker schon seit geraumer Zeit einen Bogen machen. Einkaufen in heruntergekommenen Ramschläden und in einem Betrieb, der Mitarbeiter schikaniert, nein danke. Und weil nicht nur ich, sondern viele so dachten, ist Schlecker mit seinem Geschäftsmodell an die Wand gefahren.“ (Tagesthemen, 29.2.12)
Und das ist dann schon bemerkenswert, welches Kriterium durch den Kunden, der für die Öffentlichkeit im Namen des Anstands unterwegs ist, an die Marktwirtschaft angelegt wird. Der Kunde „will nicht nur billig“, er kann Ramsch und Schikane nicht leiden. Eine Überprüfung der Drogeriemärkte unter dem Gesichtspunkt, wo die Löhne am höchsten und die Belastungen, die die Beschäftigten dafür aushalten müssen, am Geringsten sind, ist deshalb freilich nicht im Programm.
„Es ist schön, wenn es das Shampoo billiger gibt, aber man möchte beim Einkauf auch ein gutes Gefühl haben.“
Einkaufen ist schön, billig einkaufen nicht unbedingt. Der anspruchsvolle Kunde, den die SZ vorstellig macht, will sich wohlfühlen und das heißt beim Einkaufen nicht nur seine materiellen, sondern auch seine ideellen Ansprüche bedient sehen und mit seinem moralischen Gemüt im Reinen sein. Er will sich ein schönes Einkaufserlebnis durch die Kenntnis der schäbigen Arbeitsbedingungen im Handel und das Bewusstsein darüber, auf wessen Kosten es Handelsketten wie Schlecker und Co gelingt, mit Discountpreisen ansehnliche Gewinne zu erwirtschaften, nicht trüben lassen. Dafür ist der von der SZ imaginierte ideale Gesamtkonsument auch bereit, mal nicht so streng auf den Cent zu achten.
Der Kunde verfügt laut SZ über ein Sensorium für das Betriebsklima.
„Eiskalt sei das Klima gewesen, heißt es seit langem. Kurz gehalten wurden die Mitarbeiter, standen unter Druck. Arbeitsbedingungen wurden diktiert, ausgeklügelte Kontrollmechanismen eingeführt, Sozialstandards nur widerwillig eingehalten, Menschlichkeit wurde kleingeschrieben. Kurz: die Schleckers hatten kein Vertrauen zu ihren Mitarbeitern. Kunden konnten, wenn sie einen Blick dafür haben wollten, die Lieblosigkeit des Geschäftsmodells erkennen, es lag ja auf der Hand: kärgliche, lieblos zusammengeschusterte Filialen, gedrückte Mitarbeiter.“
Die drastische Wortwahl lässt den Leser nacherleben, was
die SZ als Wahrnehmung des Kunden behauptet: Der Kunde
spürt angeblich, dass die schlechtgelaunte
Verkäuferin nicht mit dem falschen Bein aufgestanden ist,
sondern dass die schlechte Laune System hat und der
schlechten Behandlung der Mitarbeiter durch die
Unternehmensführung zuzuschreiben ist. Der Kunde blieb
weg, so die Behauptung, weil bei Schleckers mit Druck und
Kontrolle der Mitarbeiter übertrieben wurde. Und
das kann der Kunde mit „Anstand im Leib“ laut SZ eben
nicht leiden, wenn gedrückte Mitarbeiter
an die
Gegensätze und armselige Läden an die Schäbigkeit
erinnern, auf denen das Einkaufparadies beruht.
Die ständigen Abmahnungen und der Psychoterror haben
also, wie man im Nachhinein weiß, gerade nicht dazu
getaugt, alle erforderlichen Leistungen an den
Angestellten herzustellen. Fleißig waren die
Verkäuferinnen schon, geplagt haben sie sich, die Ware
ausgepackt und Regale eingeräumt, etikettiert und
kassiert, daran hat es nicht gemangelt. Aber dabei waren
sie gedrückt
, haben gewissermaßen genauso
lieblos und zusammengeschustert gewirkt wie ihre
kärglichen Filialen. Zu abgehetzt waren die
Verkäuferinnen, um noch freundlich zu sein.
Der berüchtigte Umgang der Führungsriege mit den Mitarbeitern mag gemein gewesen sein. Wirklich verwerflich aber wird er dadurch, dass er sich als nutzlos erweist, weil sich „Druck und Kontrolle“ für den Unternehmer nicht rentierten. Wenn damit die Ansprüche der gehobenen Kundschaft an freundliche, fröhliche und selbstbewusste Mitarbeiter nicht bedient wurden, dann war der Druck, der den Mitarbeitern aufgemacht wurde, zuviel. Dann blamieren sich die bekannten Methoden zum Abpressen der gewünschten Leistungen als sinnlos, als reine Schikane, weil sie offensichtlich an den Arbeitnehmern die Leistungen, die für den Erfolg des Unternehmens nötig sind, nicht hergestellt haben.
Umgekehrt, umgekehrt. Der Zuspruch der Kundschaft zu
anderen Drogeriemärkten zeichnet diese als Hort der
Menschlichkeit aus. Die von den gedrückten
Schlecker-Frauen abgestoßene Kundschaft musste wegen
ihres Anstands auf ihr Shampoo nicht verzichten:
„Zumal die Konkurrenz leuchtete. Vor allem der dm- Eigentümer Götz Werner lebt vor, was Familienunternehmen im besten Sinne heißen kann. Er schätzt und fördert seine Belegschaft, und sie dankt es ihm in den Filialen.“
Die Niederlage von Schlecker lässt die Konkurrenz, die
dieses Resultat hergestellt hat, leuchten. Da
kennt die SZ keine Distanz mehr. Da herrscht das reinste
Familienidyll. Von Druck und Kontrolle, wie sie jeder
Arbeitnehmer aus seinem Arbeitsalltag kennt und zu
akzeptieren gelernt hat, bei dm – keine Spur. Da ist das
in der Freizeit anberaumte Verkaufstraining keine
Schikane, sondern Förderung, und die Arbeit, die
die Arbeitnehmer in den Filialen abliefern, keine
Leistung, die sie für ihren Lohn abliefern müssen,
sondern Dank. Das ist schon bemerkenswert, wie
die kritischen Köpfe der Wirtschaftsredaktion das Image,
mit dem die Konkurrenz von Schlecker für sich wirbt, für
bare Münze nehmen. Wenn der Philanthrop von dm den
schlechten Ruf, den die Öffentlichkeit Schlecker verpasst
hat, für sich nutzt, indem er sich mit dem Slogan Hier
bin ich Mensch, hier kauf ich ein
als menschen- und
kundenfreundlicher Arbeitgeber profiliert, dann will das
in diesem Fall mal nicht als billiges Glücksversprechen
der Werbung durchschaut werden, dann will die Presse das
teilen und auch nicht darüber rechten, ob der Philantrop
bloß wegen des Geschäfts oder grundsätzlich und überhaupt
gut zu seinen Mitarbeitern ist.
Angesichts der Konkurrenzniederlage von Schlecker hat sich in den Augen der SZ die schönfärberische Ansicht des Lohnarbeitsverhältnisses, an der ihr so liegt, eben in der ökonomischen Realität bewährt. Da steht die Menschlichkeit für ökonomischen Nutzen und umgekehrt. Chef und Angestellte wirken im Sinne des Unternehmererfolgs zusammen, jede Zumutung in Sachen Lohn und Leistung kann als Dienst an den geschätzten Mitarbeitern begriffen werden, weil denen in ihrer ökonomischen Abhängigkeit nichts anderes übrigbleibt als gegen Lohn zu arbeiten. Und weil es einen Arbeitsplatz nur gibt, wenn er sich auch für den Unternehmer bewährt, können und sollen sie den Erfolg des Unternehmens gleich als ihren eigenen begreifen und froh sein, eine Gelegenheit zur Arbeit bekommen zu haben.
Mit dieser Sichtweise ist das Lohnarbeitsverhältnis dann nicht nur gut, also menschlich in Ordnung, sondern auch vorteilhaft für das Unternehmen. Denn dann, so die Bilderbuchvorstellung, sitzt die Verkäuferin nicht nur wegen des Lohns und weil sie muss, sondern „gerne“ an der Kasse. Damit ist eine freundliche Einkaufsatmosphäre geschaffen, da fühlt sich dann auch der Kunde wohl.
*
Schlecker ist also zu Recht Pleite gegangen. Dumm nur, dass der wirklich Leidtragende dieses ökonomischen Strafgerichts gar nicht Schlecker selbst ist, sondern dass es seine Angestellten sind, die mit der Pleite um ihre Existenz gebracht werden. Aber deren Entlassung gilt dann eben als unvermeidlicher Kollateralschaden der Moral, die über den Geschäftserfolg entscheidet und damit die Güte der Marktwirtschaft beweist.
Das insolvente Unternehmen und sein Konkursverwalter haben verstanden und beherzigen die Lehre der Öffentlichkeit nach Kräften. Sie entnehmen der öffentlichen Analyse der Pleite den Anspruch, der darin an die Mitarbeiter enthalten ist. Die zusätzliche Anforderung an die Verkäuferin, den Kunden nicht nur mit günstigen Waren, sondern mit einem frohen Wesen zufrieden zu stellen, wird zur Leitlinie des unternehmerischen Neuanfangs. In einem Informationsblatt lässt das Unternehmen die um ihren Arbeitsplatz fürchtenden Frauen bekunden:
Wir arbeiten gerne in unserem Schleckermarkt, weil
– Wir immer ganz nah bei Ihnen, unseren Kunden, sind
– Wir seit Jahren nach einem guten Tarifvertrag
arbeiten
– Wir mit Schlecker einen verlässlichen Arbeitgeber
haben, der uns gute Arbeitsbedingungen bietet
– Wir alle gemeinsam unsere offene Unternehmenskultur
weiter entwickeln möchten.
Diesen Weg möchten wir weiter gehen.
So schweißt die ökonomische Abhängigkeit vom Arbeitsplatz ein Unternehmen zur Betriebsfamilie zusammen, wie es sich die Philanthropen nicht schöner wünschen können.