NATO-Gipfel, Schottland-Deal, Alaska-Treffen mit Nachspiel in Washington

Anmerkungen zu drei weltpolitischen Events, das Verhältnis der USA zu ihren europäischen Alliierten betreffend

Auf welche Vorteile für Amerika, auf welchen greifbaren Nutzen will Trump eigentlich hinaus, wenn er so mit seinen europäischen Alliierten umspringt? Was will, was kann er mit den ominösen „5 %“, mit 15%igen Zöllen, mit 100en-Milliarden-Zusagen über Importe aus und Investitionen in Amerika, mit Freundlichkeiten gegenüber Russlands Präsidenten und unklaren Schutzzusagen für die Ukraine überhaupt „konkret“ erreichen? Vielleicht ist das ja die falsche Frage...

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NATO-Gipfel, Schottland-Deal, Alaska-Treffen mit Nachspiel in Washington 
Anmerkungen zu drei weltpolitischen Events, das Verhältnis der USA zu ihren europäischen Alliierten betreffend 

Das NATO-Treffen, der Schottland-Deal, auch der Gipfel mit Putin in Alaska und anschließend mit Selenskyj und Partnern in Washington: auf welche Vorteile für Amerika, auf welchen greifbaren Nutzen will Trump eigentlich hinaus, wenn er so mit seinen europäischen Alliierten umspringt? – fragt man sich beiderseits des Atlantik; gerne mit Blick auf vorgestellte „wohlverstandene Eigeninteressen“ der USA, aber auch mit Bezug auf die ganz disparaten Äußerungen des Präsidenten selbst dazu, denen eine eindeutige Antwort nicht zu entnehmen sei. Was will, was kann er mit den ominösen „5 %“, mit 15%igen Zöllen, mit 100en-Milliarden-Zusagen über Importe aus und Investitionen in Amerika, mit Freundlichkeiten gegenüber Russlands Präsidenten und unklaren Schutzzusagen für die Ukraine überhaupt „konkret“ erreichen?

Vielleicht ist das ja die falsche Frage.

Klarer sind jedenfalls Rückschlüsse aus seinen erpresserischen „Deals“ und seinen Initiativen zur Kriegsbeendigung darauf, was ihn an Europa und den Europäern stört, und inwiefern.

Was ist denn

mit den 5 %-Zusagen beim NATO-Gipfel? Gemeint sind sie, werden jedenfalls von den Partnern genommen als Bedingung dafür, dass Amerika überhaupt im Bündnis bleibt. Aber sonst? Seitens Amerika wird kein bestimmter strategischer Zweck damit verknüpft, kein weltpolitisches Programm auch nur ins Auge gefasst, keine Abmachung über nächste Vorhaben getroffen. Klar ist stattdessen die Absage: Vom amerikanischen Steuerzahler gibt es für die NATO nichts mehr wie bisher, was auch immer sie sich vornimmt; und schon gar nichts für das, was sie gerade treibt, nämlich für den Ukraine-Krieg. Was es, und nicht nur dafür, reichlich gibt, sind Rüstungsexporte, an denen Amerika verdient. Aber auch die sind nicht der wahre Zweck: Sie stehen für das von Trump geforderte Eingeständnis der Alliierten, dass das Bündnis bislang nichts als eine große Unkost für Amerika zugunsten der Europäer war; und für die unwiderrufliche Beendigung dieses unmöglichen Zustands. Amerika braucht die Europäer nicht, jedenfalls nicht wie bisher; wenn die Amerika brauchen, müssen sie nicht bloß zahlen, sondern mit eigenem Aufwand – wofür auch immer – beweisen, dass sie Amerika auf keinen Fall – wie bisher! – ausnutzen. Und zwar definitiv: mit dauerhaften Vorentscheidungen über ihre Staatshaushalte, immerhin über fast doppelt so viel, wie die sich im Rahmen der EU an neuen jährlichen Staatsschulden zugestehen.

Das ist der weltpolitische Stellenwert, den Trump seinen Alliierten in ihrer Eigenschaft als Alliierte zuweist: so wie bisher für die Weltmacht nichts wert.

Und was ist

mit dem schottischen Deal mit von der Leyen?

Die Drohung mit Zöllen in unabsehbarer Höhe – Richtwert fürs Erste 30 % –, dann auf „bloß“ 15 % festgelegt: das ist keine, auch keine erpresserische Abmachung über neue förmliche Konkurrenzbedingungen in der transatlantischen Handelspolitik. Das Zoll-Diktat ist schlichtes Wegnehmen, direktes Umlenken von Gelderlösen in Amerikas Kassen; und das unabhängig davon, wie viel von dem sich wie auszahlt. Es ist, seinem politischen Gehalt nach, ein korrigierender Eingriff in die Resultate der globalen Konkurrenz mit der EU vom Standpunkt absoluter politischer Herrschaft über den kapitalistischen Welthandel. Das einzige europäische Interesse, an das dieses Diktat anknüpft, ist das pur negative an der Vermeidung noch größerer Schäden. Andere Angebote als das, sich gemäß Trumps Ansprüchen um die Bereicherung Amerikas verdient zu machen, gibt es nicht. Auch nicht das, gegen Dritte gemeinsame Sache zu machen.

Im gleichen Sinn, in derselben Weise ist Europas Unterwerfung unter aberwitzig hoch bezifferte Forderungen nach Energie-Importen und Investitionen keine auch nur der Form nach einvernehmliche, auch keine erpresserisch einseitige Lösung irgendeines weltwirtschaftlichen Problems, weil es ein gemeinsam zu lösendes, und sei es noch so hartes Konkurrenzproblem nicht gibt. Was es gibt, ist die von Trump so definierte ungerechte Bereicherung der EU, die mit einem dezidiert willkürlich bezifferten Transfer von Geld und Kapital aus Europa nach Amerika direkt angegangen – was für Trump keineswegs heißt: wiedergutgemacht – wird.

Der Transfer hat sein Maß auch nicht in einem definierten, sei es Kurz- oder Langzeit-Nutzen der US-Wirtschaft. Vielmehr im Standpunkt absoluter, von Europa jedenfalls nicht – länger – begrenzbarer amerikanischer Verfügungsmacht über den Gang der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen. Der darin enthaltene Angriff auf Europas „grüne“ Energiepolitik, ebenso der auf die Industriestandortpolitik der europäischen Staaten dokumentieren die Reichweite imperialistischer Souveränität, die für Trump kein Projekt, sondern selbstverständliche Sachlage ist, von der alle Beteiligten auszugehen haben. Das ist jetzt der neue Stellenwert der Partner, deren beiderseits berechnende Partnerschaft über Jahrzehnte zu dieser einseitig entschiedenen Sachlage geführt hat. Die von der Leyen im Namen Europas anerkennt.

Was ist schließlich

mit dem amerikanisch-russischen Gipfeltreffen in Alaska und dem anschließenden Aufmarsch der Europäer zum „Gegengipfel“ in Washington?

Im ersten Akt demonstriert der US-Präsident ein freies, unbelastetes bilaterales Interesse seines Landes an Russland; den Willen zu beiderseits nützlichen Beziehungen, in denen die Europäer im Allgemeinen, die Ukrainer im Besonderen nichts verloren haben. Inszeniert wird hoheitlicher Respekt vor Putin als dem Präsidenten des – zwar nur flächenmäßig, aber immerhin – größten Landes der Welt mit enorm viel ökonomischem Potential. Und jedenfalls nicht als dem Befehlshaber einer Weltmacht, die um Gleichrangigkeit mit den USA und Anerkennung ihres Status durch die USA einen Krieg führt und auf jeden Fall kriegerisch zu bekämpfen ist.

Für die Ukraine bedeutet das: Den Krieg dort bezieht Trump nicht – mehr – auf Amerikas Weltmacht-Monopol, das dadurch angegriffen würde. Dass die US-Regierung das vor seinem zweiten Amtsantritt getan hat, gehört zu den unverzeihlichen Sünden der Vorgänger-Administration, die unterblieben wären, hätte man ihm nicht seinen Wahlsieg gestohlen – das Thema assoziiert der Mann bei jeder Gelegenheit, für ihn passt das immer. Für ihn ist der Ukraine-Krieg außerdem eine Affäre innerhalb Europas, ein Kampf zwischen der respektablen, wegen ihrer Größe und Stärke mit ihren Interessen ernstzunehmenden Großmacht und einem kleinen Nachbarland, das auf Amerikas Kosten einen Krieg weit über die eigenen Fähigkeiten hinaus führt und ohne guten Grund unbedingt immer weiter führen will. Der Krieg stört wegen der bloß kostspieligen Verwicklung der USA und als Hindernis für ihren vorteilhaften Zugriff auf die Region. Dabei stören seine Macher ganz unterschiedlich: Putin damit, dass er die eigentlich doch auch von ihm gewünschten vorteilhaften Beziehungen zu Amerika behindert und sich insoweit als widerspenstig erweist; Selenskyj dadurch, dass er sich so aufführt, als wäre sein fremdfinanzierter Krieg ein erfolgversprechender Einsatz im Sinne und zum Nutzen der USA und deswegen deren Unterstützung wert.

Die Europäer sind dadurch betroffen, dass sie in Trumps Verhältnis zu Russland praktisch gar nicht, in seiner Stellung zum Ukraine-Krieg auf jeden Fall nicht mehr als Alliierte vorkommen, die mit den USA einen gemeinsamen Kriegszweck verfolgen. So nehmen die führenden europäischen Machthaber die – durch den Alaska-Gipfel bestätigte – transatlantische Lage auch wahr. Und sie stellen sich darauf ein, indem sie ihrem antirussischen Engagement in der Ukraine einen neuen strategischen Inhalt beilegen: Dem Willen der Amerikaner zur Beendigung des Ukraine-Kriegs treten sie entgegen und entsprechen sie zugleich mit dem Standpunkt, dem von Trump gewollten Frieden und schon jedem Schritt dahin sei nur durch weitere Sanktionierung Russlands und eine durch die USA garantierte Abschreckung näher zu kommen. Ihre militärische Unterstützung ihres kriegführenden Vorpostens und ihren Willen, die unerbittlich fortzusetzen, präsentieren sie der kriegsunwilligen Weltmacht als Unterstützung des Friedensprozesses, den der große Noch-NATO-Partner auf die Tagesordnung gesetzt hat, die er also doch auch wollen muss. So wäre wenigstens ein Moment der ursprünglichen Zielsetzung, Russland in der Ukraine mit fortdauernder Gewalt mit dem Monopol des Westens auf eine europäische Friedensordnung zu konfrontieren, als gemeinsames transatlantisches Anliegen gerettet. In dem Sinn treten die wichtigsten Inhaber und Repräsentanten europäischer Anti-Russland-Macht sofort nach „Alaska“ in Washington zu einem „Gegengipfel“ an. Zeitpunkt und Ziel ihrer Versammlung in Trumps Weißem Haus erklären sie als diplomatische Intervention zugunsten des ukrainischen Präsidenten, dem Trump gleich nach seiner Begegnung mit Putin die Gelegenheit gibt, sich dafür zu bedanken, dass der US-Chef die berechnende Zustimmung des Kreml-Chefs zur Perspektive einer amerikanisch vermittelten Stornierung und Beendigung des vielen Tötens in der Ukraine eingeholt hat.

Die Führer Europas bedanken sich gleichfalls; gemeinsam mit ihren Kommentatoren besonders dafür, dass Trump den Mann aus Kiew nicht wieder so schlecht wie im Frühjahr behandelt hat. Und bestätigen damit, was ihr „Gegengipfel“ in Washington für Washington bedeutet, also weltpolitisch ist: ein Treffen mit dem entscheidenden, wenn nicht – aus US-Sicht sowieso – einzigen Inhalt, dass sie den Vorgaben des MAGA-Imperialismus folgen. Das vorausgesetzt, könnten sie sogar für die ungeschmälerte Herrschaft der amerikanischen Weltfriedensmacht wieder nützlich sein mit ihrer antirussischen Entschlossenheit; für den Fall nämlich, dass Putin mit seinem Krieg Amerikas Anspruch auf Anerkennung seiner unteilbaren Bestimmungsmacht über die Staatenwelt als erste weltpolitische Tatsache am Ende doch zu sehr stört – eine Ermessensentscheidung, die selbstverständlich nicht der Störer, sondern MAGA trifft. Insoweit stören die Europäer mit ihrem kriegerischen Friedenswillen nicht nur nicht; so gefallen sie Trump sogar, kriegen Komplimente – und vom Vize sogleich den Auftrag, im Fall einer nötigen Friedenssicherung die nötigen Lasten zu übernehmen, ohne durch Forderungen nach Schutz durch Abschreckung gleich wieder die Freiheit Amerikas einschränken zu wollen.

Denn um die geht es. Worum sonst könnte es in der Welt überhaupt gehen?