Im Jahr 9 nach Amerikas „Hypothekenkrise“
Weltkapitalismus im Krisenmodus

Der GegenStandpunkt analysiert in fünf Kapiteln die Fortschritte und Widersprüche der globalen Krisenkonkurrenz, also die ökonomischen und politischen Gegensätze der Staaten, die mit Macht um ihren nationalen kapitalistischen Erfolg ringen:

  • Wie die Staaten mit ihren Zentralbanken den Zusammenbruch des finanzkapitalistischen Geschäfts verhindern – um den Preis, dass die Krise des Geldkapitals zum Dauerzustand wird. Mit einem Zusatz: Die EZB erklärt ihre Krisenpolitik;
  • wie sie mit ihrer Krisenpolitik einen Kapitalismus ohne Kapitalwachstum stiften und fördern;
  • wie ihre Konkurrenz ums Geld der Welt zum erbitterten Kampf um die Monopolisierung des Nutzens aus dem Weltgeschäft gerät;
  • so dass die Führungsmächte ihre Abhängigkeit von den in Anspruch genommenen Konkurrenten nicht mehr gut aushalten;
  • und alle und schon gleich die potenten Kapitalnationen entdecken und daran leiden, dass es ihnen an Macht über ihre Verhältnisse, also über die anderen, fehlt.
Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Im Jahr 9 nach Amerikas „Hypothekenkrise“
Weltkapitalismus im Krisenmodus

I.

Die maßgeblichen Weltwirtschaftsmächte geben ihrem Kreditgewerbe reichlich Geld zum Nulltarif – und nichts mehr zu verdienen: Ihre Notenbanken refinanzieren praktisch umsonst jeden Finanzbedarf ihrer Bankenwelt und bewirken damit eine Absenkung des allgemeinen Zinsniveaus in den niedrigen Promille-Bereich. Sie kaufen mit kraft Geldhoheit geschaffenem Geld staatliche und inzwischen auch kommerzielle Schuldpapiere in einem Umfang, der deren Rendite gegen Null sinken lässt. Die staatlichen Haushälter ihrerseits verkaufen ihre Anleihen zu minimalen Zinsen und sogar mit einem Aufschlag zu Lasten der Käufer, der die Rendite ins Minus drückt. Damit enttäuschen diese Staaten nicht bloß ihre Sparer: Sie führen das grundlegende Bankgeschäft, das Geldleihen gegen geringeren, das Geldverleihen gegen höheren Zins ad absurdum; sie machen die Geldanlage in einer Hauptabteilung des Wertpapiergeschäfts als Erwerbsquelle obsolet. Die Geldversorgung durch ihre Notenbank weiten sie nicht nur quantitativ in außergewöhnlichem Umfang aus; sie nehmen ihr die Qualität eines Zinsgeschäfts, sorgen für Zahlungsfähigkeit getrennt vom Kreditgeschäft der Banken, die die benötigte Liquidität im Normalfall aus dem Gang und für den Gang ihrer Kreditgeschäfte generieren, nehmen so dem Geld, das sie zirkulieren lassen, die Eigenschaft des Kreditzeichens: Es repräsentiert nur noch die gesetzliche Geldhoheit seines Schöpfers, nicht mehr ein finanzkapitalistisches Geschäft, das die staatliche Geldschöpfung ökonomisch rechtfertigen würde.

Das alles geschieht, weil das normale kapitalistische Kreditgeschäft mitsamt der davon abhängigen Geldversorgung der Gesellschaft nicht – nicht mehr und noch nicht wieder – funktioniert, zumindest nicht hinreichend Verlass darauf ist. Die Staaten refinanzieren den Bankensektor, um ihm von dem „Schuldenüberhang“ herunterzuhelfen, den der bis zur Krise der letzten acht Jahre auf- und noch immer nicht hinreichend abgebaut hat, so dass er dem normalen Refinanzierungsgeschäft der Branche noch immer im Weg steht. Sie übernehmen Liquiditätsrisiken der Banken, um deren Geldverkehr und den allgemeinen Geldfluss zu sichern, den die Geldinstitute noch immer nicht gewährleisten. Sie „belohnen“ Kreditvergabe, „bestrafen“ mit Zinsforderungen den Aufbau von Guthaben auf den Konten, die die Geschäftsbanken bei ihrer Notenbank unterhalten, investieren auch direkt in Unternehmensanleihen, um ihre Wirtschaft auf den Wachstumskurs zu bringen, den ihre Kreditbranche von sich aus nicht zustande bringt. Und das machen sie mangels durchschlagender Erfolge Jahr um Jahr.

Die großen Weltwirtschaftsmächte erhalten ihr Kreditgewerbe – auf Kosten des Kreditgeschäfts. Sie sichern ihr Kreditgeld – zu Lasten der Zweckbestimmung ihres Geldes, als Kredit zu fungieren. So wird die Krise des Geldkapitals mit und dank seiner Rettung zum Dauerzustand.

*

Wenn Banken und Sparkassen ihren Kunden keine Zinsen mehr zahlen, weil sie von der Notenbank jede Menge Geld zinslos ausleihen können; wenn Anleihen kaum mehr Rendite bringen, weil die Notenbanken mit ihren Wertpapierkäufen das Zinsniveau gegen Null drücken; wenn die größten Staaten mit dem größten Geldbedarf sogar für zehnjährige Anleihen praktisch keine Zinsen mehr bieten und die zu einem Kurs verkaufen, der auf eine ‚negative Verzinsung‘ hinausläuft; wenn die Notenbank auf Depositen der Geschäftsbanken nichts zahlt, sondern „Strafzinsen“ erhebt: dann ist mit dem freiheitlichen Finanzkapitalismus irgendetwas ganz grundsätzlich nicht in Ordnung. Die Fachwelt findet die Situation „absurd“, sorgt sich mehr oder weniger heuchlerisch um den Sparer, um den privaten Vermögensaufbau, um die Altersvorsorge, recht ernsthaft um das Geschäft der Lebensversicherungen; und gemeinsam mit politisch Verantwortlichen, sogar mit Haushaltspolitikern, die sich gleichzeitig für ihre neuen Schulden bezahlen lassen, kritisieren Sachverständige die Notenbank, die mit ihrer ebenso überflüssigen wie nutzlosen „Geldflut“ das gewohnte „Geschäftsmodell“, durchs Verleihen aus Geld mehr Geld zu machen, völlig durcheinanderbringt. Andere Experten nehmen die Notenbank mit dem Argument in Schutz, die müsse mit ihrer Politik des „quantitative easing“ die Banken geschäfts- und zahlungsfähig erhalten, um den sonst fälligen, zumindest immer noch drohenden Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern. Einig ist man sich in der Diagnose, dass eine Problemlage ziemlich fundamentaler Natur vorliegt, die von der Notenbank allein nicht zu bewältigen ist, sondern wirtschaftspolitisches Eingreifen der Regierungen verlangt: mehr Investitionen, mehr Strukturreformen, auf jeden Fall Maßnahmen, die bewirken, woran es fehlt, nämlich wirkliches, allgemeines, flächendeckendes usw. Wachstum. Ihr Begriff der ökonomischen Lage ist damit klar: Sie besteht darin, dass die Staatsgewalt sie mit aller Macht verbessern muss, damit sie wieder normal wird. Bis es so weit ist, ist die Sachlage auch für die kleinen Leute hinreichend erklärt: Sie werden sich darauf einstellen müssen, dass schlichtes Sparen bis auf Weiteres nichts bringt, sollten vielleicht mehr Risikobereitschaft entwickeln und gegen ihre Altersarmut anspekulieren, und vor allem sollen sie nicht aus Frust über Dinge, die sie nicht verstehen, populistische Parteien wählen, für deren Aufstieg ausgerechnet der deutsche Finanzminister ausgerechnet die EZB verantwortlich macht.

Indem der ideell wie der praktisch verantwortliche Sachverstand der Demokratie die Erklärung des ökonomischen Inhalts und Grundes der „absurden“ aktuellen Verfassung des Bankgeschäfts in eine Frage des rechten Umgangs mit ihr auflöst und statt Argumenten Ratschläge anbietet, erspart er sich einiges. Zuerst und vor allem das Eingeständnis, dass mit der Geld- und Schuldenpolitik der Notenbanker und Staatshaushälter das Geschäftsmodell des Kreditgewerbes nicht einfach um eine seltsame Facette und nie dagewesene Problemlage bereichert, sondern seiner wesentlichen Grundlage beraubt ist. Die beinhaltet nämlich, dass im Leihgeschäft die Macht des Geldes und seine Zweckbestimmung, als Kapital zu fungieren und seine eigene Vermehrung zu bewirken, zur Ware wird, die aus dem zu erzielenden Geldzuwachs zu bezahlen ist, und dass umgekehrt ein Zinsversprechen als Ware fungiert, die eine Investition wert ist, weil sie Geldkapital repräsentiert: Das gilt nicht mehr, ist – wenn überhaupt – dann mehr Ausnahme als Regel. Die Produktivkraft der Schulden, die das Kreditgewerbe bei der Geschäftswelt und ihren Anhängseln macht und die Geschäftswelt bei sich machen lässt; die Macht dieses Gewerbes, aus seinem laufenden Geschäft heraus die Unternehmen mit eigenen Zahlungsversprechen als Kapitalvorschuss auszustatten, diese schöpferische Kreditvergabe durch seine Teilhabe an dem dadurch in Gang gebrachten Kapitalwachstum zu rechtfertigen und dadurch selber zu wachsen: die Basis des Bankgeschäfts ist praktisch lahmgelegt. Die Versorgung der Geschäftswelt durch das Kreditgewerbe mit liquiden Mitteln, die im kapitalistischen Normalfall durch das Kreditgeschäft in die Welt gesetzt, in Umlauf gebracht und durch allgemeine Geschäftserfolge als ordentliches Geld mit der Macht zur Selbstvermehrung bestätigt werden, funktioniert nicht mehr; die Geldversorgung selber wäre zusammengebrochen, die Geldwirtschaft praktisch am Ende, wenn die Notenbanken nicht aushelfen würden. Deren Geldgeschäfte mit den Kreditinstituten stehen zu dem Geldverkehr, den die Banken und Sparkassen nach wie vor abwickeln, nicht mehr im Verhältnis der vorschriftsmäßigen Teilnahme am laufenden Refinanzierungsgeschäft der Finanzwelt, mit der der Staat der kapitalistischen Schuldenwirtschaft seinen hoheitlichen Segen erteilt und den zirkulierenden Kreditzeichen ihre Geldqualität bescheinigt: Mit ihrer „Geldflut“ ersetzen die Notenbanken, was die Banken nicht mehr hinreichend leisten. Sie setzen ihr gesetzliches Zahlungsmittel bzw. ihre gesetzlich begründete Garantie an die Stelle der Liquidität, die von den Banken als ihr Geschäftsmittel geschaffen wird, die deren Kreditvergabe sowie die Verwendung des Kredits als Kapital repräsentiert, die dadurch als wirkliche private Zugriffsmacht beglaubigt wird und die sich so in wachsendem Umfang selbst reproduziert.

So handeln die Staaten in ihrer Eigenschaft als höchster und letzter Rückhalt der Geld- und Schuldengeschäfte ihrer Kreditinstitute – die EZB als Organ der vergemeinschafteten Geldhoheit der Euro-Staaten –; und es stellt sich heraus, dass dieser Input resp. diese Geldgarantie von Staats wegen bloß die Geldfunktion der gewerblichen Kreditzeichen, aber nicht deren ökonomischen Inhalt, die darin vergegenständlichte Privatmacht des kapitalistischen, sich selbst vermehrenden Eigentums, zu ersetzen vermag. Gesetzlich geschaffene Liquidität anstelle privatwirtschaftlich geschaffener Kreditzeichen ist gleichbedeutend mit der Stornierung des Kreditgeschäfts, das in einem intakten Kapitalismus die benötigten Geldmittel generiert; sie ersetzt nicht einfach ein sonst fehlendes Geschäftsmittel, sondern tritt an die Stelle des Geschäfts und damit in Gegensatz zu dem Geschäft, das als Quelle seiner und der gesellschaftlich benötigten Geldmittel versagt. – Das ist die politökonomische Sachlage, wenn die Notenbanken Jahr um Jahr „die Märkte“ mit Geld zum Nulltarif „überschwemmen“. Diese Sachlage wird festgeschrieben, wenn Staatsanleihen den Null- oder Minus-Zins auf ein ganzes Jahrzehnt hinaus festlegen – was ja nebenbei bedeutet, dass jeder positive Zins auf künftige Wertpapiere dieser Art die laufenden Anleihen entwertet und bei vorfristiger Einlösung echte Vermögensverluste einbringt –: Der Staat selbst pervertiert das Anleihegeschäft zur puren Wertaufbewahrung, bestenfalls.

Bei der Suche nach den Gründen für die gegenwärtig so „absurde“ Verfassung des Kreditgeschäfts in den Zentren des Weltkapitalismus folgt die sachverständige öffentliche Meinung im Wesentlichen den psychopathologischen Denkmustern, mit denen sie sich auch sonst die bisweilen „erratischen Schwankungen“ im Geschäft mit Geld und Schulden erklärt. Irritationen, die dem so ungemein empfindsamen Kapital das Investieren schwerfallen lassen, Unsicherheiten, die nach allgemeinem Dafürhalten „Gift“ sind fürs Geschäft, politische Schockereignisse, die „den Märkten“ die Laune verderben, liefert das Weltgeschehen allemal reichlich; und wenn man gewohnt ist, das Weltgeschehen im Allgemeinen und den Gang der Wirtschaft im Besonderen aus der Befindlichkeit der maßgeblichen Macher abzuleiten, findet man genügend Zwischenfälle, Fehlentscheidungen, Wahlergebnisse, Naturereignisse und dergleichen, um der Finanzkrise und ihrem unentwegten Fortgang verständliche Gründe zuzubilligen.

Tatsächlich – auch das wird in etlichen Expertenmeinungen deutlich – sind es keine externen Einflussgrößen, die dem Finanzkapital sein Geschäft so gründlich kaputt gemacht haben, dass seine Grundgleichungen nicht mehr praktikabel sind und die Geldwirtschaft nur mehr kraft staatlicher Geldschöpfung und -garantie funktioniert. Die kundigen Rechtfertigungen der Politik der Notenbank, die sich um den noch immer nicht abgebauten „Schuldenüberhang“ im Kreditsektor kümmern und fortbestehende „Liquiditätsrisiken“ in den Bankbilanzen notgedrungen auf ihre Rechnung nehmen müsse, deuten immerhin darauf hin, dass das große, in den Zentren der Weltwirtschaft beheimatete Finanzkapital es mit seinen Erfolgen beim Aufbau von Verbindlichkeiten und Vermögenspositionen so weit gebracht hat, dass es Schulden nicht mehr eintreiben, Kredite nicht mehr bedienen, für handelbare Ertragsversprechen nicht mehr geradestehen kann und deswegen auch nicht mit genügender Sicherheit genügend Liquidität hervorbringt, um den gesellschaftlichen Zahlungsverkehr zu gewährleisten; diese Geschäftslage hält offenbar seit Jahren an. Sie hält eben dank der Intervention der Geldpolitiker im Sinne ihrer erklärten Zielsetzung, eine „sanfte“, nicht katastrophenmäßige Entschuldung des Bankensektors, eine schonende „Verkürzung“ seiner Bilanzen herbeizuführen, damit dessen Geschäft wieder in normale Bahnen kommt und wieder reguläres Wachstum stiftet. Dieser fortdauernde staatliche Eingriff ins Geldgeschäft ist praktisch der Offenbarungseid darüber, dass das Finanzsystem sich in ein unhaltbares Übermaß an Geschäften und Produkten hineingewirtschaftet, eine schließlich nicht mehr haltbare Überakkumulation von fiktivem Kapital zuwege gebracht hat. Das einzigartige, ganz Kapitalismus-eigene Paradox ist eingetreten, dass es zu viel von dem Reichtum gibt, um dessen schrankenlose Vermehrung sich doch alles dreht in dieser Welt; zu viel ausgerechnet dafür, dass er weiter wächst. Deswegen ist das zweite systemeigene Paradox fällig, nämlich die Zerstörung, die Annullierung dieses über-akkumulierten Reichtums, damit das reduzierte Kapital wieder seinen Daseinsgrund, -zweck und -inhalt realisieren und wieder wachsen kann. Auf diese wahrhaft absurde Lage antwortet die Staatsgewalt – aus Verantwortung für den und Eigeninteresse an dem Fortgang der nationalen Wirtschaft – mit dem dritten Paradox: Mit ihrem Machtwort, realisiert in einer Überfülle eigens geschaffener gesetzlicher Zahlungsmittel, unterbindet sie die fällige Vernichtung von Geldkapital, bewahrt Eigentümer, Schuldner und Händler fragwürdiger oder längst wertloser Vermögenstitel vor dem fälligen Bankrott – und verhindert so die nach der Logik des Systems fällige und nötige Dezimierung des Kapitals, sein „Gesundschrumpfen“ auf ein Niveau, von dem aus es wieder lohnend anzulegen wäre und wachsen könnte. Das endgültig paradoxe Ergebnis ist eben das, was die marktwirtschaftliche Expertise als „Absurdität“ verbucht: der Fortbestand kapitalistischen Vermögens ohne die Fähigkeit, als Kapital zu fungieren und zu wachsen; der Fortgang des kapitalistischen Geschäftsgangs ohne die Leistung, kapitalistisches Geschäft flächendeckend zu vermehren.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Regierungen der Weltwirtschaftsmächte so schonungsvoll und so paradox mit ihrer Kreditwirtschaft verfahren, nachdem die ihre überakkumulierten Schulden- und Vermögenspositionen gekündigt und sich in eine Krise hineingestürzt hat. Und die Sache zieht sich hin: in Japan seit Jahrzehnten, in Europa und den USA immerhin seit Jahren, mit zwischenzeitlichen Wachstumsepisoden. In einem System, das von seinen Widersprüchen lebt, sind auch solche Paradoxien anscheinend irgendwann normal. Auf jeden Fall wird so die Krise des Finanzkapitals, von Staats wegen storniert und in entsprechend verrückter Form, allmählich zum politökonomischen Dauerzustand der freien Welt.

Zusatz: Die EZB erklärt ihre Krisenpolitik

Wann immer die Euro-Notenbank bzw. ihr Chef ihre Politik der letzten Jahre erläutern, und das tun sie oft und gern, beteuern sie mit einer gewissen Penetranz, dass sie sich mit allen ihren Maßnahmen voll und ganz und unverbrüchlich an ihr gesetzliches Mandat halten: den Auftrag, für Preisstabilität zu sorgen. Dass Europas Notenbanker sich so gegen Vorwürfe vor allem von deutscher Seite verwahren, spätestens mit dem Aufkauf von Euro-Staatsanleihen würden sie diesen Handlungsrahmen in Richtung auf unerlaubte Staatshaushaltsfinanzierung überschreiten, ist unverkennbar. Falsch wäre jedoch die Unterstellung, sie gäben mit ihren Beteuerungen einer in Wahrheit auf andere Ziele berechneten Politik bloß eine unsachliche Deutung. Sie formulieren tatsächlich den Standpunkt, von dem aus, und das Selbstbewusstsein, mit dem sie tun, was in Wahrheit, nämlich der politökonomischen Sache nach, auf einen wesentlichen Beitrag der ihnen übertragenen staatlichen Geldhoheit dazu hinausläuft, die europäische Finanzkrise zu perpetuieren.

1.

Die Notenbanker des EZB-Systems finden ihren Auftrag, für Preisstabilität zu sorgen, richtig und wichtig. Denn – um es ganz bescheiden auszudrücken – ausweislich einer Vielzahl empirischer Studien und eines in Fachkreisen akzeptierten Konsenses ist es heutzutage weitgehend unumstritten, dass Preisstabilität dazu beiträgt, den wirtschaftlichen Wohlstand und das Wachstumspotential einer Volkswirtschaft zu steigern. (Die Geldpolitik der EZB, 3.Auflage 2011 [im Folgenden: GP], S. 60) Dabei sind sie sich bewusst, dass zwischen ihnen und der allgemeinen Preisentwicklung ein ziemlich großer Abstand liegt: Zentralbanken sehen sich mit einem komplexen Geflecht ökonomischer Wirkungszusammenhänge konfrontiert. (GP, S. 63) An dem einen Ende dieser „Wirkungszusammenhänge“ steht die Notenbank mit ihrem Basisgeld, das das Bankensystem braucht und folglich nachfragt, um den öffentlichen Bargeldbedarf zu decken, Interbankensalden auszugleichen und die Verpflichtungen hinsichtlich der bei der Zentralbank zu hinterlegenden Mindestreserve erfüllen zu können. (ebd.) Besagtes Bankensystem rangiert im Schematismus der Notenbanker als ein Hauptfaktor für die drei Wirkursachen Geldmenge/Kreditvolumen, Preise für Vermögenswerte und Bankzinsen, von denen – neben dem Wechselkurs und neben einer Anzahl von Faktoren außerhalb des Einflussbereichs der Zentralbank wie Veränderungen der Risikoprämien, Veränderungen des Eigenkapitals der Banken usw. – entscheidende Wirkungen auf Angebot und Nachfrage an den Güter- und Arbeitsmärkten, speziell auf Lohn- und Preisbildung, und von da aus auf die Preisentwicklung ausgehen (GP, S. 64). Hier findet die Notenbank daher den ersten und wichtigsten Transformationsmechanismus für ihre Einflussnahme auf die Preise, nämlich vor allem vermittels der Leitzinsen, die sie für ihr „Basisgeld“ verlangt. Unterstellt ist dabei die strukturelle Liquiditätsknappheit im Bankensystem, auf die sie mit der Festlegung des Mindestreserve-Soll entscheidenden Einfluss nimmt (GP, u.a. S. 110); denn so kann die Notenbank ihr Monopol als Anbieter der monetären Basis (GP, S. 60) nutzen, um mit liquiditätszuführenden und liquiditätsabschöpfenden Offenmarkt-Geschäften und ihren diesbezüglichen Zinssätzen auf die Zinsen am Geldmarkt einzuwirken, an dem die Banken einander kurzfristig benötigte Liquidität verschaffen, und darüber auf die Wirkungskette, die von da aus – letztlich – bis zur allgemeinen Preisentwicklung reicht. Dabei finden die Notenbanker neben ihrem unmittelbaren Zugriff auf die Zinssätze am Geldmarkt, soweit der von ihnen gestaltet wird, einen zweiten „Wirkungszusammenhang“ eher noch wichtiger, nämlich den Einfluss auf die Erwartungen des Bankensystems und seiner Kundschaft bezüglich der Preisentwicklung, die Inflationserwartungen der Wirtschaftsakteure, den sie mit der öffentlichen Bekanntgabe ihrer Entscheidungen nehmen. Denn die Geldpolitik kann auch die Inflationserwartungen der Wirtschaftsakteure lenken und somit die Preisentwicklung beeinflussen (GP, S. 64), und das kann sie nicht nur, das ist für den Chef eine moralische Herausforderung:

„Bei der Geldpolitik geht es großenteils darum, Erwartungen zu lenken… Dieser Mechanismus hängt entscheidend davon ab, dass die Zentralbank in ihrem Kampf gegen eine zu niedrige und eine zu hohe Teuerungsrate gleichermaßen glaubwürdig ist.“ (Draghi in einer Rede am 2.6.16)

Dass hier viele Unsicherheiten mit im Spiel sind und mit einer kaum kalkulierbaren Verzögerung der beabsichtigten Wirkungen zu rechnen ist, geben die Notenbanker gerne zu, schließlich haben sie es mit einem komplexen Geflecht etc. zu tun. Das schmälert aber nicht die Selbstsicherheit, mit der sie ihre Aufgabe wahrnehmen, die allgemeine Preisentwicklung oder, was nur ein anderer Ausdruck dafür ist, die Inflation zu steuern:

„Da es sich bei Inflation letztlich um ein monetäres Phänomen handelt, kann eine entschlossene Zentralbank ihr Mandat stets erfüllen. Und das gilt unabhängig von der Ausrichtung anderer makroökonomischer Maßnahmen.“ (Draghi in einer Rede vom 9.6.16)

Womit zumindest so viel schon mal feststeht: Was immer die „Wirtschaftsakteure“ treiben, die Notenbank hält die Preise stabil und verfügt dafür, wenn sie nur entschlossen genug ans Werk geht, über die nötigen Wirkungszusammenhänge. Und damit, siehe oben, über einen Hebel, den wirtschaftlichen Wohlstand und das Wachstumspotential ihrer Volkswirtschaft zu steigern.

2.

Die Preisstabilität, die sie herbeiführen will, definiert die EZB als Inflation unter, aber nahe 2 %. Warum nicht gleich 0 %, wenn es schon um Stabilität gehen soll? Der Chef nennt zwei unterschiedlich interessante Gründe.

„Ein stabiler Preisauftrieb von 2 % stellt für sich genommen bereits einen ‚Stoßdämpfer‘ dar, der es uns ermöglicht, für Stabilität zu sorgen.“ (Dass in der Bedingung schon die Stabilität steckt, die die Notenbank herbeizuführen gedenkt, braucht nicht weiter zu befremden.) „Hierfür gibt es mehrere Gründe, von denen ich gerne zwei herausgreifen möchte:

Erstens ist die Anpassung der relativen Preise bei einer leicht positiven Inflationsrate einfacher.“ Gedacht ist an eine Anpassung der realen Preise nach unten, und das vor allem bei den Nominallöhnen und -preisen, die sogar in den flexibelsten Volkswirtschaften träge sind und sich nur langsam nach unten anpassen. Bei einer Inflationsrate von 2 % können sich die Reallöhne bei einem Nachfragerückgang nach unten anpassen, auch wenn die Nominallöhne dies nicht tun. Gemäß der menschenfreundlichen Dogmatik der Notenbanker trägt dieser schöne Automatismus dazu bei, dass die Arbeitslosigkeit niedriger bleibt als das sonst der Fall wäre. Und was für die Löhne gilt, das gilt für Regionen – erst recht in einer viele Staaten umfassenden Währungsunion wie dem Euro-Raum, ganz besonders: Ein Inflationsziel von 2 % bedeutet, dass weniger wettbewerbsfähige Länder ihre Kosten und Preise im Verhältnis zum Durchschnitt des Währungsgebiets senken können – wie von selbst, also ohne destabilisierende Wirkungen, und weil natürlich kein wettbewerbsfähiges Land die Inflation seinerseits für Reallohnsenkungen ausnutzt... Auf jeden Fall sind die 2 % ein Beitrag zu einer quasi selbsttätigen flächendeckenden produktiven Verarmung – ein Notenbanker weiß ganz von selbst, welchem und wessen Reichtum er zu Diensten ist.

Interessanter ist der zweite Grund, warum ein Inflationsziel von 2 % dazu beiträgt, Schocks aufzufangen: Es fördert die Durchführung der Geldpolitik unter widrigen Umständen... Ein kleiner Puffer nach oben schafft mehr Spielraum, die Wirtschaft durch eine Senkung der Nominalzinsen zu stützen, und mindert das Risiko, dass die effektive Untergrenze erreicht wird. Was „die Wirtschaft“ nämlich vor allem braucht, ist ein gleichgewichtiger Realzinssatz, der dadurch definiert ist, dass bei ihm Investitionen und produktives Potenzial einer Volkswirtschaft optimal zueinander finden.[1] Ältere Forschungsarbeiten verorten den bei 2 %, neuere Theorien etwas darunter. Um unter den gegebenen widrigen Umständen das Wachstum wieder in Schwung zu bringen und dadurch den Geldwert zu stabilisieren, gilt es, die einzig wirklichen und wirklich beeinflussbaren, nämlich die Nominalzinsen so weit unter den angenommenen gleichgewichtigen Realzinssatz zu senken, dass Investitionen zur Ausschöpfung, womöglich Erweiterung des von der Notenbank unterstellten produktiven Potenzials der Volkswirtschaft unweigerlich wieder rentabel werden. Darauf kann die Notenbank per Leitzinssenkung natürlich leichter hinwirken, wenn sie in Gestalt einer Inflationsrate, die ja per definitionem den Abstand zwischen dem gleichgewichtigen Realzinssatz und dem wirklichen Nominalzins ausmacht, über einen Spielraum für Zinssenkungen verfügt; umgekehrt umso schwerer und am Ende gar nicht mehr, wenn der von ihr beeinflussbare Nominalzinssatz mangels Inflation und insbesondere mangels Inflationserwartung seine effektive Untergrenze bereits erreicht hat. Interessant ist hier erstens, dass sich der Notenbanker die Unfähigkeit „der Wirtschaft“, überhaupt noch mit Kredit ein nennenswertes Gesamtwachstum zu erwirtschaften, aus einem unbestimmten, aber auf jeden Fall zu hohen Preis für Kredit für Investitionen und Konsum als allein entscheidender Ursache erklärt, um sich diesen Missstand zweitens als ein geldpolitisches Problem zurechtzulegen, das er mit seiner Hoheit über „Basisgeld“ und Leitzinsen einerseits lösen muss, das ihm aber andererseits beim Gebrauch dieser Hoheit schwer zu schaffen macht. Denn mit gegen Null sinkender Inflationsrate kommt ihm der entscheidende „Transmissionsmechanismus“ für die Übertragung seiner Zielvorstellungen auf die Realwirtschaft und deren Preisgestaltung abhanden. Womit bewiesen wäre, wie sehr es darauf ankommt, dass die Notenbank eine stabile Inflationsrate – samt superstabilen Inflationserwartungen der Wirtschaftsakteure – hinkriegt (alle Zitate aus Draghi, 2.6.). Das mag zwar so zirkulär sein, wie es klingt; doch so begreift ein zu allem entschlossener Notenbanker die Welt: die Wirtschaft als geldpolitische Aufgabe und sich als Verantwortlichen für die 2-%-Lösung.

3.

In diesem Sinn, i.e. im Sinne ihres so konsequent aufgefassten Mandats, hat die EZB sich seinerzeit mit dem Lehman-Schock auseinandergesetzt. Für sie waren der Zusammenbruch der amerikanischen Großbank und die darauf folgende weltweite massenhafte Vernichtung finanzkapitalistischer Vermögenswerte eine externe, außerhalb des Einflussbereichs der Zentralbank liegende Störung des komplexen Geflechts ökonomischer Wirkungszusammenhänge, über das sie normalerweise die Preisentwicklung gestaltet.

„Ein reibungslos funktionierender Interbankenmarkt ist von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, geldpolitische Impulse, die am sehr kurzen Ende des Geldmarkts ansetzen, auf die Realwirtschaft zu übertragen.“ (GP, S. 103)

Davon konnte nicht mehr die Rede sein. Um die Tiefe und Liquidität gestörter Marktsegmente zu gewährleisten und das reibungslose Funktionieren des geldpolitischen Transmissionsmechanismus wiederherzustellen, konnte sich die EZB daher nicht mit einer Absenkung ihrer Leitzinsen begnügen und auch nicht auf ihre üblichen liquiditätszuführenden Refinanzierungsgeschäfte mit dem Bankensystem beschränken. Zwecks sachdienlicher Einwirkung auf die Liquidität der Banken wie auf die herrschenden Inflationserwartungen musste sie erweiterte Maßnahmen zur Unterstützung der Kreditvergabe ergreifen: längere Laufzeiten bei liquiditätszuführenden Geschäften, womit die Bedenken des Bankensystems im Euroraum in Bezug auf die Refinanzierung (insbesondere bei längeren Laufzeiten) zerstreut werden sollten; die Möglichkeit, illiquide Vermögenswerte über die Zentralbank zu refinanzieren und anderes mehr (GP, S. 137 ff.; dort auch die vollständige Maßnahmenliste). Mit dem Ergebnis sind die Euro-Banker sehr zufrieden:

„Insgesamt trugen die als Reaktion auf die Finanzkrise eingeleiteten Maßnahmen des Eurosystems zur Aufrechterhaltung der Finanzintermediation im Euroraum bei, indem die Refinanzierung solventer Banken gesichert und das Vertrauen der Finanzmarktteilnehmer wiederhergestellt wurden. Die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Bankensystems und wesentlicher Teilbereiche der Finanzmärkte war wiederum entscheidend dafür, dass den privaten Haushalten und Unternehmen weiterhin Kredite zu annehmbaren Zinssätzen zur Verfügung standen und dadurch letztlich auch die Preisstabilität gewahrt werden konnte.“ (GP, S. 135 f)

Gemäß der immanenten Logik ihrer Geldpolitik behandeln die EZB-Banker mit ihren geldpolitischen Sondermaßnahmen die speziellen Liquiditätsdefizite eines im Zuge der Finanzkrise aus den Fugen geratenen Bankensystems ganz nach dem Muster, mit dem sie den gewöhnlichen strukturellen Liquiditätsdefiziten des Bankensystems begegnen: Sie refinanzieren ihre Kundschaft. Freilich mit der kleinen Innovation, dass sie diesmal illiquide Vermögenswerte zu gutem Notenbankgeld machen, um ihre „Finanzintermediäre“ geschäftsfähig zu halten. Was das Eingeständnis einschließt, dass dieser Refinanzierungsbedarf die Konsequenz einer akut gewordenen allgemeinen Überakkumulation ist, also Indikator einer umfänglicheren Kapitalvernichtung und somit das Gegenteil einer Nachfrage nach Wachstumsmitteln. Seine Befriedigung durch die staatliche Notenbank bewirkt folglich nur die nominelle Fortexistenz entwerteter finanzkapitalistischer Vermögen und dient jedenfalls nicht der Finanzierung eines Wirtschaftsaufschwungs per Bereitstellung von „Basisgeld“ als Liquidität für produktive Kreditschöpfung. Aber die politische Ökonomie der Finanzkrise geht professionelle Notenbanker nichts an. Und der Widerspruch zwischen den außergewöhnlichen Schritten, die sie angesichts der Krise im Kreditgewerbe tun mussten, und dem strukturellen Liquiditätsdefizit, von dem sie für ihre Einflussnahme auf den Geldmarkt normalerweise ausgehen, geht für sie in Ordnung, weil das Ergebnis inflationsmäßig gestimmt hat:

„Trotz einer Vielzahl negativer Preisschocks und – seit Herbst 2008 – einer Krisenphase, wie es sie mindestens seit der Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre nicht gegeben hat, stand die durchschnittliche jährliche Teuerung nach dem HVPI (sc. ‚Harmonisierter Verbraucherpreisindex‘) im Eurogebiet von Januar 1999 bis Anfang 2011 vollständig mit dem Ziel des EZB-Rats im Einklang, die Preissteigerung mittelfristig unter, aber nahe bei 2 % zu halten.“ (GP, S. 139)

Die geldpolitischen Sondermaßnahmen sind daher außergewöhnlich und – um das Wenigste zu sagen – unterscheiden sich vom konventionellen Zinsinstrument, aber das macht nichts: sie ergänzen dieses und sind im Übrigen vorübergehender Natur (GP, S. 136).

Das dauert allerdings. Es kam zu nächsten „Störungen“ des geldpolitischen „Transmissionsmechanismus“ durch Schocks außerhalb des Einflussbereichs der Zentralbank, diesmal aufgrund steigender Risikoprämien im Zusammenhang mit unbegründeten Sorgen hinsichtlich des Fortbestands des Eurogebiets und dann aufgrund eines weitverbreiteten Schuldenabbaus bei Banken. Es ist schon eindrucksvoll: Staaten und Banken können auf den Bankrott zusteuern, der Prozess kreditfinanzierter Kapitalakkumulation kann großflächig scheitern und die Lebensbedingungen ganzer Völker ruinieren – der Notenbanker behält Ruhe und Überblick. Aus seiner Sicht haben verkehrte Erwartungen – unberechtigte Sorgen in Sachen Euroraum – und eine fällige Verkürzung der Bankbilanzen die Geldpolitik geärgert, nämlich zum einen die Wirksamkeit unserer Impulse beeinträchtigt und zum anderen die großen sowie variablen zeitlichen Verzögerungen, mit denen geldpolitische Maßnahmen Wirkung zeigen, weiter verlängert. Um dem entgegenzuwirken, haben wir unsere Maßnahmen so ausgestaltet, dass Transmissionsstörungen beseitigt werden, nämlich vor allem die „liquiditätszuführenden“ Geschäfte auf den Finanzmärkten von allen gewöhnlichen Schranken des Umfangs und der Laufzeit befreit. Auch den neu aufgekommenen kapitalistisch unproduktiven Finanzbedarf haben die Notenbanker also mit ihrem „Basisgeld“ gedeckt und sich dabei um das von ihnen eigentlich zu bewirtschaftende strukturelle Liquiditätsdefizit im Bankensektor ganz entschlossen nicht gekümmert, um die eingerissenen Störungen zu beheben und den Normalfall einer manipulierbaren Nachfrage nach „Basisgeld“ wiederherzustellen.

Damit sie dabei nicht dauernd gestört werden, haben die Leute von der EZB freilich ein paar nachdrückliche Forderungen an die Instanzen, die sich sonst noch an Europas Wirtschaft zu schaffen machen: Die Finanzpolitik muss die Gesamtnachfrage in dieselbe Richtung steuern wie die Geldpolitiker der EZB, die ohne solche Unterstützung vor dem Hintergrund einer gestörten Transmission nicht verhindern konnten, dass die Produktion langsamer zu ihrem Potential zurückkehrte als es bei einer stärkeren Unterstützung durch die Finanzpolitik der Fall gewesen wäre; es müssen die richtigen strukturpolitischen Maßnahmen ergriffen werden, um die Bedingungen zu schaffen, unter denen die Zentralbank wieder die herkömmliche Zinspolitik zur Gewährleistung von Preisstabilität einsetzen kann; auch die Unsicherheit in Bezug auf die institutionelle Stabilität des Eurogebiets ist von Schaden, warum? da auch sie die Transmission der Geldpolitik verlangsamen kann. (Alle Zitate aus Draghi, 9.6.) Die Welt dreht sich um den geldpolitischen Transmissionsmechanismus der EZB, nur derzeit bei weitem nicht gut genug. Ihr Chef ist deswegen auch gerne bereit, ein paar politische Prioritäten abzuleiten, mit denen seine, nein: die Welt wieder in Ordnung käme. Auf der Wunschliste des geplagten Geldmanagers steht da ganz oben die Umsetzung von Strukturreformen ..., um die strukturelle Arbeitslosigkeit zu verringern und das Wachstum des Produktionspotenzials im Euroraum zu steigern (Draghi, 21.7.), aber auch internationale Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Krise ist dringend vonnöten:

„So war z. B. zu beobachten, wie durch eine auseinanderlaufende Geldpolitik der größten Zentralbanken Unsicherheit über die künftige geldpolitische Ausrichtung aufkommen kann, was wiederum zu einer höheren Wechselkursvolatilität und höheren Risikoprämien führt. Dem muss dann mit einer noch expansiveren Geldpolitik begegnet werden, was die Ansteckungseffekte für andere erhöht. Wir wissen auch, dass wettbewerbsbedingte Abwertungen mit Blick auf die Weltwirtschaft nur Verlierer kennen, da sie lediglich eine größere Marktvolatilität herbeiführen, auf die andere Zentralbanken dann reagieren müssen, um ihre jeweiligen Mandate erfüllen zu können. Wir würden also ganz klar von einer stärkeren Abstimmung zwischen den Zentralbanken über die jeweiligen geldpolitischen Kurse profitieren. Letztlich läuft das vor allem auf eine bessere Kommunikation bezüglich unserer Reaktionsfunktionen und unseres geldpolitischen Handlungsrahmens hinaus.“

Wobei für den Herrn des Euro völlig klar ist, wo die Defizite liegen – so klar, dass er die Kollegen aus Amerika noch nicht einmal explizit beim Namen zu nennen braucht:

„Die Weltwirtschaft könnte auch davon profitieren, wenn Volkswirtschaften, die Ansteckungseffekte verursachen, und Länder, die von diesen Effekten betroffen sind, mit Blick auf die Bekämpfung unerwünschter Nebenwirkungen kooperieren würden.“ (Draghi, 28.6.)

4.

Doch wen auch immer die Hauptschuld trifft, betrübliche Tatsache ist: Mit ihrer entschlossenen Geldpolitik hat die EZB das entscheidende Übel noch immer nicht aus der Welt geschafft. Das Inflationsziel von unter, aber nahe bei 2 % ist nicht erreicht und nicht in Reichweite. Im Gegenteil, immer schärfer stellt sich das Problem, dass der gleichgewichtige Zinssatz, zu dem „die Wirtschaft“ rentabel wirtschaften würde, so niedrig – genau genommen nämlich so weit im Minus – ist, dass die Zentralbank ihren Leitzins nicht weit genug unter sein Niveau senken kann, um damit stärkere Impulse zu erzeugen. Ohnmächtig ist die Bank dennoch nicht. Gottlob gibt es in der Realität nicht nur einen Zinssatz, der in der Gesamtwirtschaft für Ersparnisse und Investitionen von Bedeutung ist, sondern neben dem fürs „Basisgeld“ am kurzen Ende des Geldmarkts noch eine ganze Reihe von Zinssätzen, die für unterschiedliche Laufzeiten, Arten von Finanzinstrumenten sowie Kreditnehmer und Kreditgeber gelten. Daher können Zentralbanken die Wirtschaft auch ohne große Leitzinsänderungen immer noch ankurbeln, indem sie das Niveau dieser Zinsen herabsetzen. Es gibt also noch einiges an Zinsgeschäft kaputt zu machen, damit, also bis kreditfinanzierte Investitionen sich wieder lohnen – politökonomisch rational ausgedrückt: Es gibt noch immer Massen von unterschiedlich konstruiertem Finanzkapital, deren Renditeversprechen nichts wert sind; es ist gar nicht absehbar, dass neue „Finanzinstrumente“ verlässlich nennenswerte Zinsen einspielen könnten. Mit ihrem Vorgehen gegen das Zinsniveau an den Märkten für länger- und langfristige Finanzprodukte leistet die EZB im Grunde einen Offenbarungseid über den Bankrott des normalen Zinsgeschäfts, schreibt fest, dass sich da auf absehbare Zeit nichts mehr rentiert. Eben das tut sie aber in der festen Absicht und mit dem über jeden Zweifel erhabenen Ziel, genau so eine Wiederbelebung der kreditfinanzierten Geschäftstätigkeit herbeizuzwingen, die die Preisstabilität endlich wieder auf die nötigen 2 % anhebt: Sie kauft den Markt für zinstragende Papiere leer, um über alle Marktsegmente hinweg das Zinsniveau herabzusetzen.

Die Zuflucht zu solchen ‚unkonventionellen‘ Instrumenten ist zur Gewährleistung von Preisstabilität nötig, bringt aber zusätzliche Komplikationen mit sich, insbesondere das Risiko unbeabsichtigter verzerrender Effekte. Das gibt der Chef zu. Aber nur, um seine Entschlossenheit zu verdeutlichen, „Komplikationen“, welche auch immer, in Kauf zu nehmen; das ist er offenbar der „Glaubwürdigkeit“, dieser elementaren Geschäftsbedingung seines Instituts schuldig:

„Heißt das also, wir sollten diese Instrumente nicht nutzen, wenn sie – wie derzeit – zur Wiederherstellung von Preisstabilität nötig sind? Da wir innerhalb eines Rahmens geldpolitischer Dominanz handeln, lautet die Antwort hierauf ganz eindeutig nein. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, die Chancen für Preisstabilität ohne Nebenwirkungen zu maximieren, denn Geldpolitik hat immer Nebenwirkungen. Und es steht uns nicht frei, uns für die Nichterfüllung unseres Mandats zu entscheiden.“

Deswegen nimmt er auch eine zweite mit unkonventionellen Maßnahmen verbundene Komplikation in Kauf, nämlich dass die Öffentlichkeit unweigerlich weniger über deren Transmissionskanäle und Wirkungsweise weiß. Doch nicht zuletzt deswegen lässt er kräftig forschen; und er ist zuversichtlich, dass wir die noch verbleibende Wissenslücke in Bezug auf unkonventionelle Instrumente im Laufe der Zeit durch unsere Erfahrungen füllen werden. (Alle Zitate aus Draghi, 2.6.)

So ganz genau weiß der Notenbankpräsident selber nicht, was er tut. Aber eines weiß er genau:

Wir befinden uns auf dem richtigen Weg. (Ebd.)

II.

Die Krise des Geldkapitals in den maßgeblichen Weltwirtschaftsmächten ist und geht nicht vorbei, weil dem Finanzgewerbe bei aller Potenz, über die es dank staatlicher Intervention verfügt, die lohnenden Einsatzfelder fehlen, die ihm die Finanzierung eines flächendeckenden Wachstums erlauben würden. Oder von der Seite der Staatsgewalt her ausgedrückt: weil die Gelder, die die Politiker als Ersatz für kreditgewerblich geschöpfte und angewandte Liquidität zirkulieren lassen, auch kein Wachstum bewirken, das den staatlichen Input rechtfertigen, also überflüssig machen würde.

Die realwirtschaftlichen Geschäfte, die mit diesem Geld kreditiert und abgewickelt werden, sind solche der Krisenkonkurrenz: um Größe und Marktanteile auf Kosten oder per Aneignung fremden Kapitals; um neue, nicht zuletzt Internet-basierte, auf weltweite Monopole berechnete Märkte zu Lasten herkömmlicher Branchen und Geschäftsmodelle; um die Entwertung des Kapitals ganzer Geschäftszweige, teilweise infolge neuer staatlicher Vorgaben, durch neue Produkte und Produktionsverfahren. Was da an Firmenwachstum und Unternehmensgründungen zustande kommt, steht in Gegensatz zu einer allgemeinen Kapitalakkumulation. Was neben der Betreuung der Konkurrenz um die Zentralisation von Kapital, neben fortgesetzter Börsen- und Immobilienspekulation und neben der Investition von „Risikokapital“ in „neue Märkte“ an Finanzgeschäft zustande kommt, bezweckt und leistet in großem Umfang nichts weiter als Geldanlage ohne Rendite, Wertaufbewahrung ohne Verwertung, Spekulation auf Sicherheit statt auf Gewinn – ein Rückfall des Finanzkapitals auf Schatzbildung.

*

Zu Beginn der Finanzkrise vor acht Jahren herrschte unter Experten und Politikern die hoffnungsvolle Erwartung, der Zusammenbruch der Geschäfte könnte auf die Derivate-Abteilung der Finanzspekulation beschränkt bleiben oder – nachdem die „Schieflage“ der Branche nicht mehr zu übersehen war – auf den Bankensektor zu begrenzen sein; die Krise könnte an der „Realwirtschaft“ vorbeigehen und müsste nicht in die „Vernichtung von Arbeitsplätzen“ einmünden. Seit ein paar Jahren richten sich die hoffnungsvollen Erwartungen derselben Fachleute und Machthaber darauf, dass der Staat mit seiner Notenbank und deren „Geldflut“ sowie mit seinen Haushaltsmitteln die Wirtschaft wieder in Schwung bringt und den halben Nachwuchs ganzer Nationen vor dem drohenden Schicksal der Arbeitslosigkeit bewahrt.

An den tatsächlichen Leistungen sowohl des Kreditgewerbes als auch der mit Kredit finanzierten, staatlich intensiv betreuten „Realwirtschaft“ gingen die damaligen Hoffnungen und geht die heutige Erwartung vorbei. Mit ihrer gesammelten Macht, die anlässlich einer Handvoll uneinbringlicher amerikanischer Hypothekenschulden in eine immer umfassendere „Abwärtsspirale“ hineingeraten ist, hat die Kreditbranche sich selbst so gewaltig aufgeblasen, dass sie sich schließlich das Vertrauen in die Haltbarkeit ihrer Spekulation gekündigt hat. Mit derselben Macht hat sie der Unternehmenswelt zu einer Konjunktur verholfen, deren Übermaß nicht zuletzt an weltweiten Überkapazitäten in wesentlichen Industriezweigen deutlich geworden und schon längst nicht mehr durch den zeitweilig rasant gewachsenen chinesischen Markt kompensiert worden ist.

Seit einem knappen Jahrzehnt wird der Weltwirtschaft nun mangelhaftes Wachstum attestiert, eine Erholung ist auf absehbare Zeit nicht in Sicht.[2] Das kapitalistische Geschäftsleben ist darüber keineswegs zum Erliegen gekommen, sondern befindet sich – finanziert und organisiert durch das Finanzkapital – im dauerhaften Modus der Krisenkonkurrenz.

Fusionen und Übernahmen verzeichnen einen anhaltenden Boom, die M&A (Mergers and Acquisitions)-Abteilungen der Banken, die diese Geschäfte vermitteln und finanzieren, sind in der Krise noch einer der wenigen Gewinnbringer des Finanzkapitals. Die Herstellung von Kapitalgröße durch Zentralisation gehört zwar in allen Konjunkturphasen zum Repertoire der Konkurrenzmanöver. Für Firmen, die Gewinne machen, in ihrem eigenen Geschäftsfeld und überhaupt aber mit allenfalls gleichbleibender, eher sinkender Nachfrage rechnen oder schon konfrontiert sind und auch auf den Finanzmärkten keine ertragreichen Anlagemöglichkeiten finden, ist der Aufkauf anderer Unternehmen der nächstliegende, wenn nicht einzige Weg, für ihre Überschüsse eine lohnende Verwendung zu finden und überhaupt noch zu wachsen. Strategisches Ziel ist es dabei meistens, Konkurrenten vom Markt zu verdrängen, am besten eine Monopol-, wenigstens aber eine marktbeherrschende Stellung zu erringen.[3] So nötigen sie konkurrierenden Unternehmen einen Kampf ums Überleben auf, scheitern damit oft genug aber auch selber, so dass im Ergebnis jede Menge Kapital „verbrannt“ wird. Bei den Siegern dieser Konkurrenz sind Gewinnrückgänge allgemein verbreitet, nicht zuletzt deshalb, weil der Übernahmeboom die Preise für Unternehmen rasant nach oben getrieben hat.

Der technologische Fortschritt bei der Nutzung von Energie aus den alternativen Quellen Wind und Sonne hat einer neuen expandierenden Branche zu Profiten verholfen. Je höher die Weltmarktpreise von Erdöl und -gas stiegen, desto lohnender wurde das Geschäft mit der umweltfreundlichen Energieversorgung und erst recht mit der dazu benötigten Hardware. Den Staaten hat die Aussicht schwer eingeleuchtet, die Versorgung ihrer Volkswirtschaften mit dem elementaren Geschäfts- und Lebensmittel Energie auf dem Wege eigener quasi industrieller Produktion zu sichern, die Abhängigkeit von Rohstoffquellen unter fremder Herrschaft in politisch unsicheren Weltgegenden zu reduzieren und nebenbei auch noch die Schadstoff- und CO2-Belastung von Mensch und Natur daheim zu senken. Insbesondere die deutsche Politik hat sich für eine globale Energiewende stark gemacht, ihrem Standort den Fahrplan für einen neuen „Energie-Mix“ verordnet und die neuen Geschäftsfelder nach Kräften gefördert und subventioniert. Und natürlich hat sie das gleich mit der Erwartung verbunden, dass ihre Hochtechnologie-Konzerne mit dem Verkauf von Wind- und Solarenergie-Equipment auf dem Weltmarkt auftrumpfen und einen Beitrag zum nationalen Wachstum leisten. Die Geschäftswelt ist bereitwillig auf die staatlichen Vorgaben eingestiegen und hat nicht zuletzt dank staatlicher Subventionen die Republik mit Solardächern und Windrädern vollgepflastert. Ein durchschlagender Wachstumsschub ist allerdings ausgeblieben. Denn die Krise der Weltwirtschaft hat sich auch in einer weltweit verminderten Nachfrage nach Energie und infolgedessen einem drastisch gesunkenen Ölpreis bemerkbar gemacht, so dass sich die Energiewende erst einmal in einer verschärften Konkurrenz auf einem kontrahierten Weltenergiemarkt mit gefallenen Preisen geltend gemacht hat, auf dem die Produzenten herkömmlicher und neuer Energiearten sich wechselseitig ihr Wachstum bestreiten. So ist die Geschäftsgrundlage der etablierten Abteilung der Energiewirtschaft untergraben, der Wert einer Unmenge produktiven Kapitals angegriffen worden; nicht dadurch, dass kostengünstigere neue Produktionsverfahren die vorhandene funktionstüchtige Produktion konkurrenzuntauglich machen – einem solchen „moralischen Verschleiß“ ihrer Betriebe haben die Energiekonzerne mit erheblichen Investitionen in moderne Techniken der Kohle-, Öl- und Gasverstromung erfolgreich vorgebeugt –, sondern deswegen, weil der staatlich verordnete und vorangetriebene Fortschritt unter Krisenbedingungen mit dem rentablen Weiterbetrieb der bis dato so ertragreichen Produktionsanlagen kollidiert. Die im Bereich der Verarbeitung „fossiler Energieträger“ etablierten Branchenriesen (RWE, E.ON, ...) erleiden krisenbedingt einen sehr speziellen „moralischen Verschleiß“ ihres Betriebskapitals, drohen als kapitalistische Fossile aus dem Markt auszuscheiden und büßen schon jetzt an Marktmacht ein; ihre Aktien und Wertpapiere, die den Unternehmenswert in seiner maßgeblichen Form repräsentieren, verlieren an Wert, weil das Finanzkapital diese Titel als lohnende Investments zunehmend abschreibt. Die Firmen kämpfen darum, einerseits ihre bei den niedrigen Rohstoffpreisen hochprofitablen Kraftwerke auf Basis von Gas, Öl und Kohle noch möglichst lange betreiben zu dürfen, andererseits die Wende zu alternativen Technologien heimischer Energieerzeugung hinzubekommen. Dabei bekommen sie es mit neuen Konkurrenten aus der Wind- und Solarenergiebranche und neuen Geschäftsmodellen zu tun, z.B. der Vermarktung von Sonnenenergie durch Vernetzung privater Solaranlagen zu „virtuellen Kraftwerken“. Die haben ihrerseits mit dem niedrigen Ölpreis, der ihre Rentabilität drückt, und mit der Konkurrenz vor allem aus Fernost zu kämpfen, die ihnen die Technologieführerschaft auf dem Feld der alternativen Energien zunehmend streitig macht. Statt eine neue potenzielle Wachstumsbranche entstehen zu lassen, ist die Energiewende so zu einer Verdrängungskonkurrenz aller Abteilungen der Energiewirtschaft geraten, die Kapital in ziemlich großem Stil vernichtet.[4]

Auch die Autobranche sieht sich staatlicherseits einschneidenden Veränderungen ihrer Geschäftstätigkeit ausgesetzt: Umweltstandards für die herkömmliche Technik werden ständig verschärft und der schrittweise Ersatz von benzin- und dieselbetriebenen Fahrzeugen durch Elektroautos forciert und subventioniert. Was durchaus als Wachstumsimpuls gemeint war, erweist sich in Krisenzeiten aber eher als Entwertungsimpuls: Die staatlichen Vorgaben treffen auf eine Lage, in der die weltweite Überproduktion von Autos zu einem erbitterten Verdrängungswettbewerb zwischen den verbliebenen Konzernen geführt hat, die mit und wegen ihrer Kapitalgröße überhaupt noch konkurrenzfähig sind. Damit wird auch in der Schlüsselindustrie Automobilbau eine hoch entwickelte Produktionstechnologie als Mittel zur Gewinnerwirtschaftung mittelfristig obsolet, die Rentabilität des investierten Kapitals fraglich und die Finanzwelt skeptisch, inwieweit Investments in diese multinationalen Konzerne sich noch lohnen. Die sehen sich deshalb herausgefordert, die Potenzen der vorhandenen Produktion so schnell wie möglich gewinnbringend auszuschöpfen und sich mit dem Auslaufmodell Verbrennungsmotor auf dem umkämpften Weltmarkt einen Konkurrenzvorsprung zur Vorbereitung auf die staatlich induzierte „Elektromobilität“ zu erwirtschaften, um sich überhaupt als Marktsubjekt und großes Kapital zu erhalten. Dabei konkurrieren sie nicht mehr nur gegeneinander, sondern außerdem gegen Firmen wie Tesla, der mit (fast) autonom fahrenden Elektroautos der Einstieg auf dem umkämpften Automarkt gelungen ist, und Google, dem für die Entwicklung selbstfahrender Elektrovehikel ebenfalls jede Menge Kapital zufließt und das sich als ernstzunehmender potenter Neueinsteiger in den globalen Verdrängungswettbewerb aufbaut.

Dabei werden nicht nur die Autokonzerne noch in ganz anderer Hinsicht herausgefordert: In die Konkurrenz mit herkömmlichen Industrieunternehmen der „Old Economy“ steigen Unternehmen wie Google und Uber von vornherein auf der Ebene globaler Vernetzung ein, indem sie mit ihren Dienstleistungsangeboten ein neues Geschäftsfeld auf Weltmarktebene eröffnen. Uber z.B. tritt mit einer Ware neuen Typs namens „Mobilität“ an und vermittelt Transport-Dienstleistungen, wobei der Markt für diese „Ware“ samt Angebot und Nachfrage erst durch die vermittelnde Instanz, per Vernetzung, zustande kommt. Der erste Geschäftserfolg, bevor auch nur ansatzweise Geld verdient wird, besteht darin, die Vermittlung des Transportbedürfnisses als an jedem Ort abrufbereite App zu organisieren, dafür möglichst viele private Autobesitzer als Quasi-Taxifahrer exklusiv zu gewinnen, um sich als erste, möglichst einzige Adresse für preisgünstigen Individualtransport weltweit anbieten zu können. Auch eine Art und Weise, an fremder Arbeit zu verdienen, ohne Arbeitsplätze in dem Sinn zu schaffen.

Die Befürchtung, dass sich die Vermarktung der privaten Nutzung von Autos das Geschäft mit deren Produktion unterordnen könnte – Anhaltspunkt dafür sind die zig Milliarden, die das Finanzkapital für solche Internetfirmen übrig hat; Uber weist z.B. einen größeren Börsenwert als VW aus! –, hat die großen Automobilhersteller so weit beeindruckt, dass sie sich neuerdings als „Mobilitätsdienstleister“ präsentieren und ihrerseits alles dafür tun, ihre Geschäftstätigkeit nicht mit dem Verkauf von Autos abzuschließen; den Profit daraus halten sie als Geschäftserfolg ihres kapitalistischen Unternehmens gerade in Krisenzeiten für unzureichend. Sie versuchen, den Verkauf ihrer Ware mit Dienstleistungen aller Art bezüglich deren Benutzung zu verknüpfen. Was da die Konkurrenten aus der IT-Branche schon an mannigfachen Gebrauchsweisen entdeckt haben bzw. höchst spekulativ in Aussicht stellen, was es am Navigieren, an „Car Sharing“ oder am Auto als privatem Nebenerwerbsvehikel zu verdienen geben könnte, erst recht an der verheißungsvollen Vermarktung der „data“, die diese „hochintelligenten Smartphones auf Rädern“ ziemlich „big“ absondern, das wollen sie selbst als Gewinnquellen, die möglicherweise in der Zukunft sprudeln könnten, in die eigene Hand bekommen.

Auf der Grundlage, dass mit dem Internet ein Medium mit universeller Reichweite vorliegt, in dem große Teile des privaten, geschäftlichen und öffentlichen Lebens abgewickelt werden, wollen etablierte Internetunternehmen wie eine Vielzahl von Start-Ups vom Schlage Uber [5] die Zahlungsfähigkeit des modernen Menschen als „User“ von Handys und anderen smarten Geräten ausnutzen und sich die Befriedigung von Bedürfnissen, an deren Umorientierung und oftmals Erzeugung sie erfindungsreich mitwirken, als Gewinnquellen erschließen. Sie generieren viel neues, aber insgesamt kein zusätzliches kapitalistisches Geschäft. Denn die Ausnutzung des Internet als globaler Marktplatz für Waren und Dienstleistungen aller Art stellt einen Angriff auf etablierte Märkte dar und ist darauf berechnet, Kaufkraft zu erobern und zu monopolisieren, die damit anderen, etablierten Geschäftszweigen entzogen wird. Das spekulative Engagement in dieser Sphäre, das der Finanzwelt die Investition großer Geldsummen wert ist, hat seine Grundlage nicht darin, dass diese Branche eine erfolgreiche Akkumulation und eine anständige Rendite als Basis für gewinnbringende Zukunftsaussichten vorweisen könnte. Es zielt darauf ab, findigen „Kreativen“ einen Internetauftritt zu ermöglichen, mit dem die sich, von vornherein quasi monopolistisch, eine noch nie dagewesene „Marktlücke“ erschließen wollen und sollen, damit aus ihrer Geschäftsidee eine Erfolgsgeschichte wird.

Die kapitalistische Konkurrenz, die sich nicht nur dort unter dem Stichwort „Digitalisierung“ in der Vernetzung von Handel, Industrie und Konsumtion mit- und untereinander abspielt, vollzieht sich als Herstellung und Beherrschung von „Wertschöpfungsketten“, wie der Kampf um die Durchsetzung von Gewinnansprüchen vornehmerweise ausgedrückt wird.[6] Globale internetbasierte Handelskapitale, die den Mittelstand zur „verlängerten Werkbank“ zu degradieren drohen, treten an gegen Konzerne, die längst ihre industrielle Basis um die digitale Vermarktung von Dienstleistungen rund um die von ihnen hergestellten Produkte samt den von ihnen produzierten Daten erweitert haben.

In die globale Verdrängungskonkurrenz steigt die Finanzbranche groß ein: mit der Organisation und Finanzierung von Fusionen und Firmenübernahmen; mit Krediten und Beteiligungen an den Bemühungen von etablierten Konzernen, sich – an Stelle ihrer alten – neue Geschäftsfelder zu erobern, wie von neuen Champions, herkömmliche Märkte und Sphären aufzumischen; mit der Spekulation auf globale Geschäftserfolge, die nicht aus Akkumulation durch zunehmend rentable Arbeit auf insgesamt wachsenden Märkten entstehen, sondern aus der Potenz, sich zu Lasten anderer auf alten und neu geschaffenen Weltmärkten monopolistisch breitzumachen. In Ermangelung besserer Investitionsgelegenheiten setzt sie in ihrer unermüdlichen Suche nach Bereicherungsquellen viel Geld auf nichts als die Möglichkeit eines zukünftigen Weltgeschäfts, auf unternehmerische Vorhaben ohne Grundlage in irgendwelchen über längere Zeit gewachsenen Umsätzen und in einem nach traditionellen Maßstäben ganz irrationalen Verhältnis zu solchen Kennziffern. So schafft sie mit ihrer Spekulation Kapitale von enormer Größe und der Fähigkeit zu weltweitem Auftritt. Was in dieser Sphäre investiert wird, heißt nicht umsonst „Risikokapital“, weil nur ein Bruchteil der so ungemein viel versprechenden Geschäftsideen, die bei potenziellen Geldgebern angemeldet werden, überhaupt zum Geschäft wird und auch bei den paar aufgeblühten „Start-Ups“ von einer Kapitalrendite – „noch“ – überhaupt nicht die Rede sein kann. Da entsteht, wie es sich für Krisenzeiten gehört, eine Unmenge fiktives Kapital ohne reelle Vermehrungschance: Geschäfte, die Geldvermögen vernichten, das sonst gar kein Betätigungsfeld gefunden hätte.

Daneben betätigen sich Geldbesitzer und Finanzunternehmen auf den klassischen Geschäftsfeldern der Geldvermehrung ohne rentable Arbeit und „realwirtschaftliches“ Wachstum: Die Hausse an den Aktienmärkten verdankt sich erklärtermaßen weder dem Wachstum des Reichtums, der in den Betrieben erwirtschaftet wird, deren Aktien gehandelt werden, noch der Erwartung eines zünftigen Aufschwungs; ebenso wenig der Boom am Immobilienmarkt einer erhöhten geschäftlichen Inanspruchnahme von Grund und Boden. Getrieben vom drängenden Bedürfnis, Anlage suchendes Geld einer kapitalistischen Verwendung zuzuführen, erzeugt das Finanzkapital an seinen Märkten spekulative „Blasen“, vor deren „Platzen“ im Fall einer auch nur geringfügigen Zinserhöhung bzw. Geldverknappung es sich selber fürchtet – eben weil sonst nichts wächst.

Und weil bei so viel Risiko das Bedürfnis nach Sicherheit für vorhandene, kapitalistisch nicht zu verwertende Vermögen zunimmt, bei Privatleuten sowie nach gesetzlicher Vorschrift bei Versicherungsunternehmen und bei den Banken selbst, befasst das Gewerbe sich daneben mit dem paradoxen Geschäft der Geldaufbewahrung – paradox, weil es sich dabei um ein Nicht-Geschäft handelt, das dem hineingesteckten Geld seine Kapitaleigenschaft nimmt und am Ende sogar Geld kostet...

III.

Die maßgeblichen Weltwirtschaftsmächte stiften mit ihrer Krisenpolitik einen Kapitalismus ohne Kapitalwachstum; sie erhalten ein Finanzgewerbe ohne Kreditschöpfung für und gerechtfertigt durch allgemeine Kapitalakkumulation; sie wirtschaften und lassen ihre Geschäftswelt mit einem Kreditgeld wirtschaften, dem seine ökonomische Grundlage in lohnenden Kreditgeschäften und seine ökonomische Beglaubigung durch deren Erfolg abgeht. Sie leisten sich diesen Widerspruch in der Sicherheit, die sie aus dem jahre- und jahrzehntelangen Gang der Weltwirtschaft gewonnen haben: dass ihr nationales Kreditgeld weltweit gebrauchtes, durch seinen Gebrauch praktisch anerkanntes, für Industrie und Handel wie fürs Kreditgewerbe unentbehrliches Geschäftsmittel ist und bleibt.

Tatsächlich hat das Geldgewerbe guten Grund, die etablierten Weltkreditgelder, auch wenn keine erfolgreichen Finanzgeschäfte, sondern allein politische Entscheidungen ihre Gültigkeit verbürgen, weiterhin als Materie des kapitalistischen Reichtums der Welt gelten zu lassen. Erstens sind seine Alternativen beschränkt, und keine ist prinzipiell besser als die anderen. Zweitens ist bislang noch jede Spekulation gegen den relativen Wert einer der maßgeblichen Währungen – die einzige Art der Infragestellung ihrer kapitalistischen Qualität, zu der das Geldgewerbe fähig ist – durch die Notenbank- und Schuldenpolitik der Emittenten entkräftet worden. Dabei wirken die Instanzen zusammen, die allein in der Lage wären, das hoheitliche Machtwort selbst in Frage zu stellen, das den Weltkreditgeldern ihre fortdauernde Gültigkeit sichert: die staatlichen Geldschöpfer und Schuldenmacher selber. Die widersprüchliche Krisenpolitik, die die Weltwirtschaftsmächte sich leisten, ist haltbar, weil diese Mächte in der Frage der Anerkennung ihres Kreditgelds gegen spekulative Angriffe auf eine der etablierten Weltwährungen zusammenhalten.

*

Der internationale Geldhandel stellt permanent ein Verhältnis zwischen Angebot von und Nachfrage nach den verschiedenen Währungen her. Er verdient daran, indem er billiger an- als verkauft; und er verdient, u.U. ein Vielfaches, mit der Spekulation auf Veränderungen im relativen Wert der gehandelten Gelder, die er vorwegnimmt und im Konkurrenzkampf der Akteure herbeiführt oder auch nicht. Die fortwährenden Verschiebungen der Wertverhältnisse halten sich bei dem halben Dutzend weltweit als Geschäftsmittel benutzten Nationalgeldern in engen Grenzen, schon allein wegen der Größe der bewegten Summen, bei der auch große Beträge nur wenig Veränderung im Wechselkurs bewirken; in den betreffenden Währungen lassen sich andererseits leicht große Kredite zur Spekulation auch auf kleine Margen in der Kursentwicklung mobilisieren. An die Macht der maßgeblichen Notenbanken, mit der Emission oder dem Rückkauf eigenen Geldes auf Spekulationen zu reagieren und Kursausschläge zu glätten oder zu verhindern, kommen freilich auch potente Geldhändler nicht heran. Normalerweise.

Die Finanzkrise der letzten Jahre stellt die Währungspolitiker der Weltwirtschaftsmächte vor ein paar außergewöhnliche Aufgaben. Die Entwertung von Finanztiteln in ihrem Geld greift anders und stärker ins Weltgeschäft mit Währungen und Wechselkursen ein als eine Spekulation in normalen Zeiten. Mit dem Zusammenbruch des Handels mit Wertpapieren ist zugleich die Nachfrage nach dem Geld unterbrochen, in dem diese Titel notiert sind und Ertrag versprechen, das also in diesen Titeln existiert. Die Geld- und Kredithändler stellen in Frage, was die Schulden der Krisennationen noch und überhaupt wert sind, wie viel Wert deren Kreditgeld also überhaupt noch repräsentiert, wie viel es folglich selber wert ist, vergleichsweise. Und sie beantworten diese Frage auch gleich: auf jeden Fall weniger. Betroffen sind natürlich auch alle neu emittierten Schuldpapiere einschließlich derjenigen der Staatsmacht selbst, die damit ihren Haushalt finanziert: Die Geschäftswelt steht kritisch zu den Krediten, die die Nation braucht, und damit zu dem Geld, das deren Wert beziffert. Mit ihren Währungsgeschäften unterzieht sie die Haltbarkeit der Schulden des Landes und die Bewertung seines Geldes insgesamt einem Härtetest – das ist ihre Art, sich auf die Entwertung des in diesem Geld notierten fiktiven Kapitals zu beziehen und der Tatsache Rechnung zu tragen, dass dem nationalen Kreditgeld damit seine ökonomische Grundlage abhanden gekommen ist.

Die Notenbanken der Weltwirtschaftsmächte tun, was in ihrer Macht steht, um den Wert des Geldes zu sichern, das sie emittieren. Dabei begnügen sie sich keineswegs damit, eigene Währung aufzukaufen und dadurch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage zu beeinflussen. Sie schaffen im Gegenteil viel mehr davon, üben damit, direkt oder indirekt, die Nachfrage nach nationalen Kreditpapieren aus, die die Finanzmärkte von sich aus schuldig bleiben, sichern so deren Wert und damit den des Kreditgeldes, das darin steckt – dies die währungspolitische Seite der Krisenpolitik, mit der der Staat vermittels seiner Notenbank das Kreditgewerbe vor einem fortschreitenden Offenbarungseid über die Wertlosigkeit seiner Forderungen und Verbindlichkeiten bewahrt. So eine Operation kann sich natürlich nicht jeder Staat leisten. Immerhin umgeht die Notenbank hier ganz direkt und offensichtlich die ökonomische Anerkennung der nationalen Schulden als Geldkapital durch „die Märkte“, auch wenn sie die „Treasuries“, „Bundesanleihen“ oder sonstigen Papiere dann doch nicht ganz direkt vom Finanzminister, sondern aus den Händen zwischengeschalteter Kreditinstitute kauft. Jede andere als eine Weltwährung wäre durch so ein Manöver sofort als Schwindel entlarvt: als so wertlos wie die Anleihen, deren Wertlosigkeit der Staat selbst eingesteht, wenn er sie selber kauft, weil niemand sonst sie haben will. Den paar Geldern jedoch, in denen das weltweite Geschäft mit Waren und Krediten abgewickelt wird, nehmen die internationalen Geld- und Schuldenhändler die widersprüchliche Selbstbeglaubigung des Kreditgelds durch den Emittenten als Aufkäufer darauf lautender Wertpapiere im Prinzip so ab, wie sie gemeint ist; und zwar aus einem unwidersprechlich guten Grund: Sie verlassen sich, wenn schon nicht mehr aufeinander und auf die ökonomische Stichhaltigkeit ihrer eigenen Geschäfte, also wenn schon auf sonst nichts, dann auf die über ihre nationalen Grenzen hinausreichende Durchsetzungsmacht einer Staatsgewalt, die es sich herausnimmt, ganz jenseits aller ökonomischen Rechtfertigung allein durch ihre Tat, den Aufkauf eigener Schulden, diesen Schulden Haltbarkeit zuzuerkennen und dem dafür geschaffenen Geld dementsprechend einen unverwüstlichen internationalen Wert. Die staatliche Macht muss im internationalen Vergleich nur groß genug sein; dann ersetzt sie mit ihrer machtvollen Selbstbeglaubigung zwar immer noch nicht die kapitalistische Vermehrung der Privatmacht des Geldes, aber allemal das Vertrauen in ihre Schulden und ihre Währung, für das die Geschäftswelt keine ökonomischen Gründe mehr findet.

Die Zweifel des internationalen Finanzkapitals am Wert des so beglaubigten Geldes sind damit freilich nicht aus der Welt. Aus der alle Alternativen vergleichenden Spekulation ergibt sich auf jeden Fall und vor allem die eine Anforderung an den sich selbst beglaubigenden Staat: Wenn der es sich herausnimmt, international so aufzutreten, wie eine höchste Gewalt es gerade in Gelddingen nur innerhalb ihres Hoheitsbereichs vermag, nämlich dem eigenen Geldzeichen Wert zuzuschreiben und auf dessen Anerkennung zu bestehen, dann müssen ihm auf alle Fälle andere Staaten, und zwar genau diejenigen, die mit dem gleichen internationalen Geltungsanspruch auftreten, die Geltung seines Machtworts konzedieren. Die Anerkennung des geldschöpferischen Gewaltakts einer Notenbank durch die Kollegen, die das Gleiche tun und für sich einfordern, braucht es schon, um das geschäftliche Vertrauen der sich selbst misstrauenden finanzkapitalistischen Internationale zu gewinnen. Das freche Kunststück, durch Vermehrung von Schulden und Geld für deren Aufkauf den Wert von beidem, von Schulden und Geld, nicht zu zerstören, sondern bestätigt haben zu wollen, geht nur auf, i.e. überzeugt die globale Kreditmafia nur, wenn die Staaten, mit deren Währung weltweit spekuliert und gezahlt wird, sich wechselseitig diesen Schwindel abnehmen.

Deswegen hat es die US-Notenbank in der Anfangsphase der Finanzkrise nicht bei einem einseitigen Beschluss zu einer „historischen“ Zinssenkung und zum massiven Ankauf von Wertpapieren mit frischem Geld belassen und die EZB nicht bei dem ebenso historischen Wir werden alles tun, was nötig ist, um den Euro zu retten – und glauben Sie mir, es wird genug sein! ihres Präsidenten Draghi in einer späteren Phase. Die großen Notenbanken haben schon zusammengewirkt, um die Spekulation gegen ihre Kreditgelder zu „entmutigen“. Dass Fed und EZB und die paar anderen relevanten Notenbanken einander Zugriff auf nicht beschränkte Mengen ihres jeweiligen Geldes gewährt haben, war und bleibt der entscheidende Nachweis der Stichhaltigkeit ihrer Produkte. Um wirkliche Geldtransfers, um gegen eine anlaufende Spekulation eigene Währung zurückkaufen zu können und so „dem Markt“ deren Wert zu beweisen, ging und geht es da allenfalls nebenher: Der Kredit, den die Weltwährungsmächte einander einräumen, ist politischer Natur, besteht nämlich in der grundsätzlichen Anerkennung der fortdauernden Weltgeltung ihres Geldes und beweist seine Macht darin, dass er reale Leihgeschäfte zwischen den Notenbanken – über das technisch Nötige hinaus – überflüssig macht.

In dem Sinn brauchen die Weltwirtschaftsmächte einander, um in der Finanzkrise ihr Geld allein vermöge ihrer politischen Macht als verbindliches, international gültiges, für alle ökonomischen Transaktionen uneingeschränkt brauchbares Wertzeichen zu sichern, nachdem ihm die Qualität eines ökonomisch gerechtfertigten Kreditzeichens abhandengekommen ist, und Spekulationen, die über marginale Verschiebungen in den Wechselkursen hinausgehen, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Deswegen überlassen sie ihre Einigkeit auch nicht den ohnehin international kooperierenden Funktionären ihrer Notenbanken. Ihres fürs weltweite Finanzgeschäft notwendigen Zusammenhalts versichern sich die zuständigen Souveräne auf höchster Ebene; exemplarisch als G7: In der Formation zeichnen sie kollektiv verantwortlich für die politische Ökonomie ihres Imperialismus, für deren Stoff, ein Weltgeld in mehrfacher Ausfertigung – und selbstverständlich für das davon abhängige „Schicksal der Menschheit“.

Zusatz: Die Krise des Dollar-Kredits und die Rettungspolitik der Fed begründen die krisenpolitische Kumpanei der Weltwährungsmächte

Die imperialistischen Weltgeldmächte brauchen einander, um mit ihren jeweiligen geldschöpferischen Machtworten wirksam das zu ersetzen, was das Kapital an Leistungen beim Schöpfen und Verwerten von Kredit schuldig bleibt. Ihre entsprechende Abhängigkeit voneinander organisieren ihre Notenbanker, indem sie mit dem doppelten Ziel der Rettung der Finanzmärkte und der Entmutigung der Spekulation gegen ihre nationalen Währungen kooperieren.

Die Rollenverteilung zwischen ihnen ist dabei erkennbar asymmetrisch. Das verdankt sich zum einen dem Umstand, dass die große Krise ihren Ausgangspunkt in den USA nimmt, amerikanische Kreditinstitute als erste vom Crash betroffen sind und sich damit ihr ‚lender of last resort‘ – die Federal Reserve Bank – als erste Notenbank dazu herausgefordert sieht, das von ihr betreute nationale Finanzsystem und damit das nationale Geldzeichen, in dem dieses System wirtschaftet, zu retten. Zum anderen und vor allem aber sorgt die globale Sonderrolle des amerikanischen Finanzmarkts und des amerikanischen Kreditgelds dafür, dass die Maßnahmen der Fed von vornherein weit über diesen nationalen Markt hinaus dimensioniert sind und schließlich zur praktischen Vorgabe für die Krisenbewältigung auch in den anderen Metropolen des Weltkreditgeschäfts, insbesondere in seinen europäischen Zentren, werden.

Es sind ja nicht nur amerikanische Finanzunternehmen aller Art, die Geschäfte auf dem Dollar-Finanzmarkt tätigen, sondern daran ist die finanzkapitalistische Gemeinde aller kapitalistischen Metropolen und ihrer Peripherien beteiligt. Daher werden in der Krise Dollarvermögen überall auf der Welt, in erster Linie in Europa, in zweiter und dritter Linie in Japan und diversen ‚Schwellenländern‘ entwertet oder sind von Entwertung bedroht, Dollarkredite entpuppen sich weltweit als uneinbringbare Forderungen, die nötigen Refinanzierungsgeschäfte sind für die betroffenen Institute ‚auf den Märkten‘ nicht mehr zu haben. Weil die Interbankenmärkte von globaler Dimension sind (Fed-Chef Bernanke 2009), sieht sich die Fed als Emittent der Währung globaler Kreditgeschäfte in entsprechend globaler Verantwortung. Der kommt sie nach.

Freilich nicht so, dass sie jeden Bedarf nach ihren Dollars stets auf die gleiche Weise befriedigt, egal wo welche privaten Finanzinstitute den entwickeln, weil sie sich wechselseitig keinen Kredit in Dollar mehr einräumen. Ihrem gesetzlichen Auftrag gemäß sortiert die Fed die auf Dollarliquidität angewiesenen Finanzakteure entlang der nationalen Grenzen ihres Mandats: Diejenigen institutionellen Marktteilnehmer, die unter ihre Zuständigkeit fallen, bedient sie kraft ihrer Hoheit über das Dollargeld unmittelbar. Der Bedarf ausländischer Institute begegnet ihr als solcher hingegen erst einmal gar nicht: Die sind ja mit ihren der Krise geschuldeten Refinanzierungsnöten auf ihre Zentralbanken als ‚lenders of last resort‘ verwiesen. Was der Fed stattdessen unterkommt, ist der Dollarbedarf der ausländischen Zentralbanken. Diesen Bedarf entwickeln die fremden Zentralbanken, weil sie für die Aufrechterhaltung ihrer privaten Finanzsektoren in dem Umfang amerikanisches Geld brauchen, in dem sich die ‚Schieflage‘ ihrer Banken eben dem Platzen von deren Dollargeschäften verdankt. Dem Dollarbedarf der auswärtigen Notenbanken, der das jeweilige nationale Aggregat der vielen einzelnen finanzkapitalistischen Dollarnöte darstellt und entsprechend groß dimensioniert und dringlich ist, begegnet die Fed überaus aufgeschlossen: Sie schließt im Rahmen der Krise, erstmals Ende 2007, zeitlich begrenzte Swap-Abkommen mit einer Reihe von Zentralbanken ab, in deren Rahmen letztere sich Dollars von der Fed leihen können.[7]

Dies nun ist ein überaus ironisches, nach allen Maßstäben des internationalen Finanzkapitalismus aber absolut gerechtes Zwischenergebnis: Dass der Ausgangspunkt der weltweiten Finanzkrise in Amerika liegt, dass der größte Teil der geplatzten Geschäfte dort stattfindet und ein noch viel größerer Teil der weltweit ruinösen Blase in Dollar denominiert ist, bringt die Hüterin eben dieses Kreditgeldes weder in Verlegenheit noch in Verruf, sondern verschafft ihr im Gegenteil die erhabene Position des Gläubigers gegenüber allen anderen relevanten Zentralbanken. Die sind wegen des Totalschadens, den das kaputtgegangene Dollargeschäft an ihren Finanzsektoren anrichtet, im Prinzip bedingungslos darauf angewiesen, dass die Fed die Rettung der auswärtigen Finanzsektoren und der daran hängenden Volkswirtschaften unter dem Gesichtspunkt ihrer Wichtigkeit für den amerikanischen Standort und sein Geld als notwendig anerkennt und ihren Partnern die erforderlichen Dollar-Kreditlinien einräumt.

Mit dem Ergebnis der ersten Swap-Abkommen 2007 sind die Beteiligten im Prinzip zufrieden – sie haben jeweils für sich und alle zusammen ihre Finanzstandorte aus der Krise herausgekauft, in die sie die global agierenden Akteure dieser Standorte hineinspekuliert haben –; vorbei ist die Sache damit aber nicht. Denn die auswärtigen Zentralbanken stehen nun mit ihrem Geld für den riesigen Dollarbedarf ein, den ihre nationalen Finanzinstitute ihnen antragen: Die Swap-Abkommen sehen zwei- bis dreistellige Dollar-Milliarden ja nicht als Geschenk, sondern als Leihobjekt vor. So dass sie sich mit dem Gefallen, den die Fed ihnen tut, zugleich die Notwendigkeit einhandeln, nach Ablauf der Swap-Fristen über die Dollars zu verfügen, mit denen sie verabredungsgemäß ihre Euros usw. zurückzukaufen haben. Ein Einfallstor für spekulative Zweifel an der Fähigkeit dieser Fed-Schuldner ist das allemal, weil die Finanzspekulanten eines auf jeden Fall wissen: Die staatlichen Geldhüter haben mit ihren groß angelegten Rettungsaktionen die kapitalistische Unproduktivität, die ihre Finanzmärkte ihrer eigenen Schuldenwirtschaft bescheinigen, ja nicht aus der Welt geschafft, sondern dauerhaft ersetzt durch zwar ‚systemisch‘ dringend notwendige, aber ebenso unproduktive Schuldverhältnisse zwischen sich und den damit geretteten Finanzkapitalisten. Dass die auf einmal – ‚aus dem Nichts‘ – eine muntere Akkumulation von Dollarvermögen anfangen, die die Zentralbanken in die Lage versetzte, ihren Verpflichtungen gegenüber der Fed nachzukommen, ist vom Ausgangspunkt her, den die Rettungsaktionen ja nur perpetuieren, eher unwahrscheinlich.

Für die Liquiditäts-Swap-Abkommen der großen Zentralbanken bedeutet dies zweierlei: Erstens müssen die eingeräumten Verfügungsrahmen so groß dimensioniert sein, dass Zweifel über die allseitige Dollar-Zahlungsfähigkeit der hoheitlichen Systembetreuer von vornherein erstickt werden. Und nicht zuletzt für die Summen, die dann doch fließen, produziert jede zeitlich begrenzte Swap-Runde die Notwendigkeit, sie zu erneuern, bevor auch nur die Möglichkeit auftaucht, mit der Annäherung an eine vereinbarte Frist könne eines der beteiligten notenausgebenden Institute tatsächlich in Bedrängnis geraten. Tatsächlich löst nach 2007 ein Swap-Abkommen das nächste ab, in der Regel mit immer länger vereinbarten Fristen.

Diese konsekutiven Swap-Zusicherungen sind eine bemerkenswert doppelbödige Angelegenheit. In erster Instanz haften nun die Nicht-Dollar-Zentralbanken für die Dollarnöte ihrer Finanzmärkte; was die Fed dafür an Dollars schöpft, ist durch die Position der Empfänger als letztinstanzliche Kreditschöpfer ihrer Nationen „gedeckt“. Insofern garantieren die Partner der Fed die unverwüstliche Geltung des Geldes, in dem der Kredit existiert, der global flächendeckend „kritisch“ geworden ist und mit dessen Vermehrung die US-Notenbank den Fortbestand geplatzter Vermögenswerte garantiert: Sie sorgen maßgeblich mit dafür, dass mit der Krise aller Geschäfte, die in US-Dollar getätigt werden, und mit der darauf gemünzten, kapitalistisch unproduktiven Ausweitung der Dollar-Summen pur durch staatliches Machtwort der Bedarf nach diesem Geld nicht sinkt, sondern quasi automatisch steigt. Mit ihren nationalen Rettungsmanövern fungieren sie praktisch als Vehikel der amerikanischen Krisenbewältigung. Mit entsprechenden Hinweisen beruhigen denn auch die US-Notenbanker ihre kritische Öffentlichkeit: Der amerikanische Steuerzahler müsse sich um die im Rahmen der Swap-Abkommen gegebenen Währungskredite keine Sorgen machen, weil die ja nicht an private Banken gegeben werden, die pleitegehen könnten, sondern an Notenbanken, die per definitionem unbegrenzt zahlungsfähig seien. Freilich: ‚Unbegrenzt zahlungsfähig‘ sind die bloß in ihrer eigenen Währung. Ihre Fähigkeit, mit ihrer nationalen Geldhoheit ihre international und zum großen Teil eben in Dollar tätigen Finanzsektoren zu retten, ist letztlich nur so groß wie der Kredit, den sie bei der Fed haben; davon zeugt ihr bleibender Bedarf an Zugriff auf deren Geld. Die US-Notenbank finanziert insoweit also die Garantie der anderen Notenbanken für die Dollarsummen, die sie denen verfügbar macht.

Insofern ist die beschwichtigende Argumentation der Fed-Funktionäre für den inneramerikanischen Hausgebrauch schon ein bisschen fadenscheinig. Was sie damit ankündigen, ist aber umso deutlicher: Sie haben partout nicht vor, ihren Partnern den Kredit zu streichen, der sie erst ‚unbegrenzt liquide‘ macht. In der Sache ist darin die Klarstellung enthalten, dass die außerordentliche Freiheit Amerikas zur Schöpfung unbegrenzter Dollarliquidität letztlich daran hängt, dass das die Liquidität eines Weltfinanzsystems ist, das funktioniert und nicht global zusammenbricht. Die Fed ist zweifellos die mächtigste Notenbank der Welt; doch wenn das globale Geschäftstreiben der privaten Geldvermehrer die ökonomische Beglaubigung der so grenzen- wie zweifellosen Gültigkeit ihrer Druckerzeugnisse nicht mehr leistet, dann benötigt sie dafür den Rückgriff auf die Internationale der Zentralbanken, die ihrerseits zur Erhaltung des Werts der US-Währung nur so weit in der Lage sind, wie der Kredit der Fed sie dazu befähigt. Die Macht der Bank aller Zentralbanken erfordert einen Gebrauch dieser Macht, dessen Eigentümlichkeit in der Krise offenkundig wird: Sie muss mit ihrer Dollarmacht die restlichen Zentralbanken kreditieren, damit die in ihrer kollektiven Schuldnerstellung eben diese Macht beglaubigen.

Zu diesem kompletten Inter-Zentralbanken-Kreditzirkel bekennen sich diejenigen, die ihn betreiben, nicht ausdrücklich,[8] praktisch aber unzweideutig: Ende 2013 beschließen die sechs wichtigsten westlichen Zentralbanken – die Fed, die EZB, die Schweizerische Nationalbank, die Bank of England, die Bank of Japan und die Kanadische Zentralbank – den historisch neuartigen Übergang, ihr Netz von Swap-Abkommen endgültig von jeder Frist und Obergrenze zu befreien. Die Kehrseite dieser kollektiven Aktion zur vorauseilenden Entmutigung jeder potenziell gefährlichen Spekulation gegen eines ihrer Kreditgelder ist freilich, dass sie damit gleichsam per Vertrag den allseitigen Verlust national-autonomer Herrschaft über Kreditsystem und Kreditgeld festschreiben. Aber so, wie imperialistische Weltgeldmächte nun einmal gestrickt sind, werden sie darüber nicht kleinlaut und auch nicht versöhnlich, sondern entnehmen ihrer Abhängigkeit voneinander geradlinig die Notwendigkeiten der Konkurrenz, die sie sich – nunmehr auf dieser Basis – umso entschlossener liefern.

IV.

Die Kumpanei der maßgeblichen Weltwirtschaftsmächte, realisiert im wechselseitigen Beistand ihrer Notenbanken und in Absprachen über ihre Schuldenpolitik, beendet nicht deren Konkurrenz, sondern sichert den Zusammenhang, in dem diese stattfindet. Die kapitalistischen Unternehmen und „Start-Ups“ unterschiedlicher Nationalität konkurrieren um die Monopolisierung alter und neuer Märkte, um die auf Größe gegründete Macht zur Verdrängung von Rivalen, um die Liquidierung resp. Rettung ganzer Branchen und Geschäftsmodelle. Die zuständigen Staaten konkurrieren dementsprechend nicht mehr um überproportionale Teilhabe ihres Standorts an einem allgemeinen Wachstum; sie kämpfen darum, die auf Verdrängung und Zerstörung von Wettbewerbern und Gegnern zielende Krisenkonkurrenz der Unternehmen und die Spekulation der Finanzmärkte auf sich statt auf ihre Partner als Nutznießer zu ziehen: auf die Solidität ihres Geldes und ihrer Schulden, auf sich als Standort der Entwicklung, Gestaltung und Okkupation von Weltmärkten. Damit tritt ihre Krisenpolitik zunehmend in Widerspruch zu der unerlässlichen Voraussetzung und praktischen Grundlage ihres Geschäftsverkehrs miteinander: der wechselseitigen Anerkennung und Unterstützung als (Mit-)Urheber und Garanten der Bedingungen ihrer Konkurrenz und namentlich des „Stoffs“, des kapitalistischen Reichtums in seinen nationalen Geldformen, um dessen Produktivkraft sie kämpfen. Die Krise resp. ihr Umgang damit machen den Widerspruch virulent, der allemal darin steckt, wenn imperialistische Mächte sich in der ökonomischen (Über-)Lebensfrage ihrer Nation von anderen Souveränen abhängig machen, und der derzeit nicht mehr durch einen dank wechselseitiger Benutzung für alle tendenziell wachsenden Ertrag aushaltbar gemacht wird. Da ihre Konkurrenz ums Geld der Welt zum Kampf um die Monopolisierung des Nutzens aus dem Weltgeschäft, also um wechselseitige Bestreitung des Zugriffs darauf gerät, halten die Führungsmächte ihre Angewiesenheit aufeinander, den Widerspruch ihrer Abhängigkeit von den in Anspruch genommenen Konkurrenten, nicht mehr gut aus – vielmehr nur noch so, dass sie alles daran setzen, eben diesen Kampf eindeutiger als zuvor für sich zu entscheiden. Mit ihren ökonomischen Mitteln, mit der Potenz ihrer Geldquellen und ihres Geldes, führen sie einen Machtkampf um die einseitige Funktionalisierung ihrer Kontrahenten.

*

Das Instrumentarium ihrer Krisenkonkurrenz brauchen die Großmächte der Weltwirtschaft nicht neu zu erfinden. Die Mittel und auch die Strategien, mit denen sie einander aus Gewinn bringenden Positionen an den von ihnen etablierten Weltmärkten zu verdrängen suchen, sind allesamt vorhanden. Der krisenpolitische Fortschritt besteht in ihrem Bemühen, bei der Ausnutzung ihrer Partner als Quelle kapitalistischen Wachstums den Sachzwang zur Rücksichtnahme auf fremde Interessen und zur Bedienung fremden Nutzens loszuwerden, der in ihrem berechnenden Umgang miteinander – der „Globalisierung“ – enthalten ist.

Dieses identische Bemühen fällt bei den beiden Haupt-Protagonisten des ökonomischen Weltgeschehens naturgemäß unterschiedlich aus.

Die USA

Dass die amerikanische Finanzkrise den großen Partner – mehr noch als den Rest der Welt – gleichfalls in die Krise stürzt, ist die notwendige Kehrseite des ökonomischen Nutzens, den Amerikas potenter Konkurrent Europa aus den Errungenschaften eines in aller Welt gültigen Kreditgelds, der Weltwährung US-Dollar, und der Unterwerfung der Staatenwelt unter eine internationale Geschäftsordnung der Kapitalakkumulation, dem „Dollar-Imperialismus“, für sich als Standort kapitalistischer Akkumulation herausgewirtschaftet hat. Umgekehrt, und nur folgerichtig im Sinne ihrer Abhängigkeit vom amerikanischen Finanzmarkt, sind die in ihren spekulativen Dollar-Vermögen geschädigten Finanzkapitalisten in Europa und anderswo sowie die von der Geschäftsfähigkeit ihres Bankensystems abhängigen Staaten durch Amerikas Krisenpolitik, die umfassende Staatsgarantie für praktisch annullierte US-Wertpapiere, mit „gerettet“ worden. Vom amerikanischen Standpunkt aus handelt es sich dabei um einen Dienst, den eine entschlossene Regierung und eine tatkräftige Notenbank dem eigenen und dem Finanzkapital der ganzen Welt geleistet haben.

Das Ergebnis stellt sich den Verantwortlichen im Lichte des tatsächlich erlittenen Schadens, des noch immer nicht richtig überwundenen Rückschlags für die Akkumulation amerikanischen Kapitals, als ein zwar ganz schöner, aber noch mit vielen Mängeln behafteter Erfolg dar. Nicht zuletzt deswegen, weil die auswärtigen Partner nicht nur Gegenleistungen schuldig bleiben, auf die sich Amerika ein Recht zuspricht, sondern weil sie zum Nachteil der US-Ökonomie Anteile am Weltgeschäft okkupieren und dem amerikanischen Staat Erträge vorenthalten. Die Konsequenz, die die US-Regierung aus diesem Befund zieht, ist eine Handhabung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums der Nation, die in der Tendenz auf eine Revision des jahrzehntelang – zwar immer kritisch beäugten und modifizierten, insgesamt aber – aufrecht erhaltenen Standpunkts hinausläuft, ein von politischen Vorgaben freigesetztes, („de-“)reguliertes, aus Amerika (mit-)finanziertes Weltgeschäft sowie die förmlich gleichberechtigte Teilnahme aller anderen Nationen daran könnten letztlich gar nicht anders als gut für Amerikas Macht und Wohlstand sein.

  • Einen Revisionsbedarf entdecken die Organe der US-Administration in der eigenen nationalen Kreditwirtschaft. Von deren kühnen Derivategeschäften ist die weltweite Krise ausgegangen; deren wieder in Kraft gesetztes tatkräftiges Bereicherungsinteresse hat die „Rückkehr zur Normalität“ noch immer nicht gebracht, bleibt jedenfalls ihren fälligen Dienst an Amerikas Konjunktur schuldig. Die krisenauslösenden Geschäftspraktiken des Finanzgewerbes stehen daher rückblickend unter dem Generalverdacht, nicht bloß fehlgeschlagen, sondern Verstöße gegen das Recht, nämlich das des amerikanischen Reichtums auf Erfolg – gewesen – zu sein, und werden nach zweckmäßig ausgesuchten Tatbestandsmerkmalen kriminalisiert. Vorausblickend wird die Branche darauf festgelegt, die spekulative Schöpfung von Geldvermehrungsversprechen garantiert solide, also erfolgreich abzuwickeln; der Betrugsverdacht gegen spekulative Abenteuer zum Nachteil der Allgemeinheit bleibt als Drohung bestehen. Und das ist für amerikanische Verhältnisse ein Eingriff in eben die Autonomie der Privatmacht des kapitalistischen Reichtums, für deren bedingungslose Respektierung in aller Welt die USA immer eingetreten sind und erfolgreich gesorgt haben.
  • Mindestens ebenso entschieden geht die US-Administration gegen die Leistungen vor, die das einheimische und vor allem das ausländische Finanzgewerbe, dem sie die Freiheit zu US-Dollar-Geschäften gewährt, in Sachen Steuerhinterziehung zum Nachteil des amerikanischen Fiskus – womöglich sogar zum Vorteil fremder Staaten – oder auch mit der Beihilfe zur Umgehung von weltordnungspolitisch begründeten Sanktionen gegen verkehrte Mächte und Machthaber erbringt. Peinliche Untersuchungen und immense Bußgelder werden dann fällig. Mit ins Visier geraten, automatisch oder beabsichtigt, fremde Staaten und Hoheitsträger, die so etwas zulassen, womöglich sogar fördern. Das Mittel der Wahl, um gegen solche Machenschaften vorzugehen, ist eben die Errungenschaft, zu der es die USA gerade mit ihrer Garantie für freie Betätigung des Finanzkapitals aus aller Welt und in aller Welt gebracht haben, nämlich ein amerikanischer, auf US-Dollar basierender Finanzmarkt von solcher Breite und Tiefe, dass jeder Finanzakteur, der im Weltgeschäft irgendwie mitmischen will, dort präsent sein muss. Dass die Geschäftswelt insoweit amerikanischer Jurisdiktion unterliegt und irgendwie an die Refinanzierung durch die US-Notenbank gebunden ist, nutzt die Administration – in der Krise noch entschiedener und zielstrebiger als sonst – als Hebel, ihre finanziellen Interessen und ordnungs- wie wirtschaftspolitischen Ziele gegen Geldbesitzer, Banken und Regierungen durchzusetzen. Dieses Vorgehen stellt die globale Freiheit kapitalistischer Geschäftemacherei sehr explizit unter amerikanischen Vorbehalt, kassiert also das große Geschenk des Heimatlandes der freien Konkurrenz an die Völker der Welt so ziemlich wieder ein.
  • Dass die auswärtige Geschäftswelt die Freiheiten des Weltmarkts auch auf Kosten amerikanischer Profite ausnutzt und fremde Staaten viel dafür tun, aus Amerika mehr Geld herauszuwirtschaften als sie den Kapitalisten des Landes zu verdienen geben, ist für die Erfinder und Protagonisten der „Globalisierung“ immer wieder ein Ärgernis. Die andauernde Krise macht die Regierenden tendenziell unduldsam gegen die großen Konkurrenten aus Europa und Fernost. Mit der Aufstellung einer offiziellen „monitoring list“ erklären sie deren Überschüsse in Handels- und Leistungsbilanzen sowie fremde Interventionen in den Devisenmarkt praktisch zu Unrechtstatbeständen, die den amerikanischen Staat zu Gegenmaßnahmen herausfordern und berechtigen. Wie insbesondere der große europäische Konkurrenzblock seine Hoheit über Geld und Kredit stattdessen sachgemäß zu gebrauchen hätte, wissen die USA auch: Mit „deficit spending“, wie Amerika es vorlebt, hätte der gefälligst dafür zu sorgen, dass eine Zahlungsfähigkeit in die Welt kommt, die so riesig ist wie die amerikanischen Ansprüche auf deren Okkupation. Konsequent von diesem Standpunkt her betrachtet die amerikanische Politik die von Deutschland in Europa durchgesetzte Austeritätspolitik und kommt zu dem Urteil, dass damit ihren Firmen Profitgelegenheiten vorenthalten werden, die diese ganz sicher erobern würden, wenn es sie gäbe und man sie nur ließe.
  • Was die USA derzeit an großen Projekten für Freihandelszonen – TPP und TTIP – betreiben, ist darum neben der selbstverständlich weiter gepflegten „Wachstum für alle“-Rhetorik wesentlich auf eines gerichtet: das prinzipiell als störend ausgemachte Konkurrenzgebaren der anderen Staaten in den Griff zu bekommen. ‚Freihandel‘ definiert sich hier zum einen als das vertraglich festgehaltene Verbot von allen beeinflussenden oder korrigierenden Maßnahmen, die das Inventar von Standortpolitik nun einmal ausmachen: Die können, vom inzwischen erreichten polemischen Anspruch einseitiger amerikanischer Inanspruchnahme des Weltmarkts aus betrachtet, gar nichts anderes sein als Verletzungen amerikanischer Rechte. In diesem Sinne verfolgen die USA mit diesen Abkommen zum anderen das Ideal, dass durch die Tiefe und Breite der damit zu errichtenden Freihandelszonen ein für den Rest der Weltmarktteilnehmer ganz ohne jede handelspolitische Einigung geltender Sachzwang geschaffen wird, sich den dort geltenden Regeln ebenfalls zu beugen. Die Gegenprobe auf diese Zielsetzung liefern die Zweifel, die in der amerikanischen Politik am Nutzen dieser Abkommen laut werden. Die Zweifler messen diese Höhepunkte der Freihandelsdiplomatie an dem schlecht erfüllbaren Kriterium, dass nicht bloß amerikanisches Kapital auswärts unter Garantie mehr Geld verdient, sondern auswärtige Geschäfte, mit denen amerikanisches Geld verdient wird, wieder nach Amerika „heimkehren“. Zur Untermauerung dieses Anspruchs werden schon geltende Abkommen für Negativposten in der Handelsbilanz, in vergleichenden Arbeitsplatzstatistiken etc. haftbar gemacht. Damit begründet sich eine Kritik, die in der Tendenz auf die Kündigung des Grundsatzes hinausläuft, dass Freihandel für alle beteiligten Nationen von Nutzen sein soll.
  • Befürworter wie Gegner neuer Freihandelsabkommen sind sich in einem Hauptpunkt ihrer Krisendiagnose einig, nämlich im kritischen Blick nach innen, auf die Potenzen, über die Amerika eigentlich verfügt. Die über die Jahrzehnte eingerissenen Resultate des Hin und Her von Waren und Kapital werden als „De-Industrialisierung“ beklagt – eben als Verlust autonomer Wirtschaftsmacht, mit der Amerika sich den Weltmarkt so einseitig nutzbar machen kann, wie es sich das schuldig ist. Also wird die „Re-Industrialisierung“ zum Programm erhoben. Allem voran und exemplarisch wird der Energiesektor bearbeitet: Mittels der neuen exklusiv amerikanischen Fracking-Technologie, von deren Warte aus sich der nordamerikanische Kontinent als ein einziger großer Gastank darstellt, soll allen amerikanischen Kapitalen ein exklusiver Kostenvorteil für ihre globale Konkurrenz verschafft werden. Zugleich macht sich Amerika so perspektivisch unabhängig von auswärts gelegenen Energiequellen, also von der Notwendigkeit, dicke Importrechnungen zu bezahlen, sowie von jeglicher Rücksichtnahme, zu der es genötigt sein könnte – auch und gerade in Bezug auf die Öl-Staaten, deren Lebensgrundlage es mit dieser neuen Energiepolitik nachhaltig beschädigt. Der internationale Maßstab für konkurrenzfähige fossile Energieproduktion soll so neu definiert, also der Weltenergiemarkt neu als amerikanischer wiederhergestellt werden. Vervollständigt wird dieses Programm mit dem entschlossenen Vorgehen in der ‚Klimafrage‘: Die USA nehmen die Konkurrenz um die Etablierung eines komplett neuen, immer mehr durch Technologie statt durch territoriale Verfügung über Rohstoffe bestimmten globalen Energiemarktes in allen konventionellen und neuen Energiesparten auf mit dem Ziel, diesen neuen Weltmarkt auf keinen Fall den Deutschen und den Chinesen zu überlassen, sondern im Zuge seiner Entstehung bereits zu einem möglichst exklusiv amerikanischen zu machen. Der soll ihnen – in genauer Umkehrung dessen, was sie im Ausgangspunkt beklagen – mit der sachlichen Abhängigkeit der anderen Standorte von amerikanischer Energie und Energietechnologie nicht zuletzt ein entscheidendes Mittel dafür in die Hand geben, die Welt – wieder! – so einseitig zum Betätigungsfeld der eigenen kommerziellen Interessen zu machen, wie es sich aus US-Sicht gehört.
  • Und wie es bereits in erfreulichem Umfang und mit noch erfreulicheren Perspektiven auf dem Gebiet des bis in die letzte Erdenprovinz hinein virtuell allgegenwärtigen, insoweit real existierenden Weltmarkts für Güter und Dienstleistungen aller, auch noch nie dagewesener neuer Art der Fall ist, den die USA mit dem Ausbau des Internets hingekriegt haben. Ein bisschen analog zum Weltfinanzmarkt, der im Wesentlichen unter amerikanischer Kontrolle stattfindet, verfügen die USA in Gestalt ihrer gewaltigen Internet-Konzerne und ihrer erfolgreichen „Start-Ups“ über diesen globalen Marktplatz; ihren Firmen bieten sie im Kampf um weltweite Monopole jeden diplomatischen Rückhalt; und sie wehren bislang erfolgreich alle Initiativen fremder Staaten ab, sich diesem zunehmend engmaschigen Netz zum flächendeckenden Einfangen der Kaufkraft der Welt bzw. dem Sachzwang zur Beteiligung daran zu entziehen oder Alternativen dazu einzurichten. Unter dieser quasi technischen Vorgabe amerikanischer Dominanz kann die Beteiligung fremder Staaten und Firmen am digitalen Weltgeschäftsverkehr gar nicht umfassend genug sein.

Jede einzelne dieser Maßnahmen und Initiativen wird mit besonderen Umständen, Notwendigkeiten und Problemlagen begründet. Ihnen allen gemeinsam ist die Tendenz zu einer ziemlich fundamentalen Absage: zu einer Kündigung der Abhängigkeit, in die sich die Weltmacht mit ihrem vereinnahmenden Zugriff auf die Staatenwelt als ihre Geschäftssphäre unweigerlich begibt; der Abhängigkeit nämlich von dem Willen und der Fähigkeit der Geschäftspartner, diesen Zugriff zuzulassen und Amerikas Ansprüchen zu genügen – einer Abhängigkeit, die für die USA den prinzipiellen Widerspruch enthält, dass sie ihre Erfolgsbedingungen nicht wirklich souverän im Griff haben, und die sie deshalb in der Krise, in der die Welt ihre freiwilligen Dienste versagt und die eigene ökonomische Zugriffsmacht leidet, immer schlechter aushält. Was da als Tendenz in der US-Politik Stück um Stück wirksam wird, das machen die Bewerber um den Chefposten des Landes in ihrem Wahlkampf – unterschiedlich offensiv und unterschiedlich polemisch vorgetragen – zum erklärten Programm der Nation. Kandidat Trump, in seiner ganzen Person das verletzte Recht Amerikas auf Erfolg, liefert das brutal offene Bekenntnis zum Standpunkt der Unvereinbarkeit des Anspruchs auf Beherrschung und einseitige Ausnutzung des Weltmarkts mit der Tatsache, dass es diesen Weltmarkt ein für allemal nur als Ensemble konkurrierender Staatsmaterialismen gibt. Kandidatin Clinton propagiert, weniger ehrlich, denselben Standpunkt unter der Parole der Vereinbarkeit beider Seiten eben dieses Widerspruchs.

Die EU

Einen kurzen historischen Moment lang ist es Europas Weltpolitikern zu Beginn der US-Finanzkrise so vorgekommen, als hätte sich die Euro-Zone vom Schicksal des US-Dollar emanzipiert: als wäre sie von der Krise des aus Amerika gestifteten Kredits dank eigener und in eigenem Geld realisierter Kreditschöpfung und -verwendung nicht betroffen; als hätte das große Projekt, per Union, i.e. per Binnenmarkt und Gemeinschaftswährung eine echte ebenbürtige Alternative zum Dollar-Imperialismus zu schaffen, seinen ersten ernsthaften Härtetest bestanden. Mit der Illusion war es schnell vorbei – Europas Kreditwirtschaft hat sich dann doch in überkritischem Umfang als Dependance spekulativer Dollar-Geschäfte erwiesen –, mit der Ambition überhaupt nicht. Aus der leiten die Zuständigen ab, was angesichts der Krisenlage, in der sie stecken, fällig ist: im Verhältnis zu den USA und deren Vorgaben, hinsichtlich der eigenen Euro-Finanzwirtschaft und speziell, was den Zusammenhalt ihrer krisen- und konkurrenzgeschädigten Währungsunion betrifft.

  • Wo Amerika sich mit großen Freihandelsabkommen ganze Wirtschaftsregionen zu exklusiver Ausnutzung zueignen und auf diese Weise über die einzelnen Freihandelszonen hinaus sich das Regelungsmonopol über den Globus der kapitalistischen Standorte sichern will, entdeckt die EU die Notwendigkeit wie Gelegenheit, den USA ein Duopol aufzunötigen, ohne das Amerika seine Sonderstellung gegen den ganzen Rest – insbesondere gegen den aufstrebenden wirtschaftlichen Ordnungsmachtkonkurrenten China – gleich gar nicht mehr behaupten könnte. Die „Wirtschafts-NATO“ soll – wenn es nach ihren europäischen Befürwortern geht – analog zur richtigen auf dem Feld der globalen Wirtschaftsregeln die Vorherrschaft des Westens ein für allemal sichern, aber im Gegensatz zur echten NATO dabei gerade nicht auf der eindeutigen Vorherrschaft der USA, sondern auf der wirtschaftsstrategischen Symmetrie der Alliierten gründen. Auf eben letzteres beziehen sich denn auch all die politisch relevanten Bedenken, die in Europa zugleich und derzeit immer stärker artikuliert werden: Deren Protagonisten befürchten – und haben dafür in den berüchtigten Schiedsgerichten den triftigsten Anhaltspunkt –, dass ein transatlantischer Binnenmarkt mehr oder weniger automatisch zu einer einseitigen Dominanz Amerikas über die europäischen Kapitalstandorte und deren politische Hüter führen würde. Diese Abwehr befürchteter amerikanischer Übergriffigkeit hat einen durchaus offensiven Inhalt: Beansprucht wird nicht weniger, als – sei es durch den Verzicht auf TTIP, sei es per Revision in den einschlägigen Punkten – die Dominanz auszuhebeln, die den Europäern seitens der US-Unterhändler begegnet, also dem großen Amerika den Status der Gleichrangigkeit mit dem großen Europa zuzuweisen.
  • Wo sich die USA auf ihre Beherrschung der Weltmarktschlüsseltechnologien im Bereich IT stützen, diese ausnutzen und auszubauen versuchen, da macht die deutsche Kernmacht des europäischen Wirtschaftsblocks die „Industrie 4.0“ zur politischen Chefsache mit einem offen verkündeten doppelten Zweck: Dass der Zugang zum technisch real existierenden Weltmarkt Internet ausschließlich über Zugbrücken zu haben ist, die vollständig in amerikanischer Hand liegen, wird nicht nur als ökonomischer Nachteil, sondern als (wirtschafts-)strategische Zumutung definiert, die überwunden werden muss – das amerikanische Monopol auf diesem Gebiet zu brechen, ist also das Programm. Und zweitens verkünden deutsche Politiker ungeniert, dass sie ihrerseits die deutsche Vorherrschaft in industriestrategisch entscheidenden Bereichen der Produktionsmittelfertigung und Autoproduktion dadurch zu verewigen trachten, dass sie sie auf den neuen Technologiemix von Maschinen- bzw. Autobau und IT ausdehnen.
  • Wo die USA einen neuen, auf ihre Potenzen und Bedarfslagen ausgerichteten Weltenergiemarkt schaffen wollen, da stellt sich Deutschland mit seiner Energiewende weg vom Atom und mit seiner Pionierrolle in der berechnend eröffneten Schicksalsfrage eines globalen CO2-Regimes seinerseits als Energietechnologie-Standort auf, von dem ausgehend und auf den ausgerichtet die globale Geschäftsordnung in Sachen Energie komplett umgekrempelt werden soll.
  • In ihrem Anspruch und ihrer Selbstgewissheit, gerade die größten und gefährlichsten Konkurrenten im Fernen Osten für die Bewältigung der eigenen Krisenfolgen und darüber hinausgehend für die Ausgestaltung eines den eigenen Ambitionen angemessenen globalen ökonomischen Kräfteverhältnisses auszunutzen, stehen die deutsch-europäischen Wirtschaftspolitiker hinter ihren US-Kollegen nicht zurück. Sie ringen um die Okkupation insbesondere des chinesischen Absatz- und Investitionsstandortes, scheuen dafür auch entscheidende Zugeständnisse in Sachen europäischen Marktzuganges nicht, die sie der umworbenen Wirtschaftsmacht nicht ausschlagen können, und machen mit den offiziellen Dauerbeschwerden über eine gewisse marktwirtschaftliche Unreife und unkapitalistische Unsitten ihrer Geschäftspartner auf allen dafür vorgesehenen diplomatischen Kanälen klar: Ihr Nutzen ist und bleibt der entscheidende Vorbehalt gegenüber allen chinesischen Begehrlichkeiten bezüglich gleichberechtigten Konkurrierens.
  • Dieser für das gegenwärtige Stadium von Krise und Krisenkonkurrenz typische und wesentliche Anspruch möglichst einseitiger Bestimmungshoheit über die Weltökonomie, um ihre konkurrierenden Teilnehmer zu benutzen, ohne sich dadurch in schädliche Abhängigkeiten zu begeben, prägt auch die Betreuung, die der europäische Finanzsektor seitens der EU-Standortpolitik erfährt. Mit den Projekten zu einer Bankenunion, diversen reformierten Sicherheitsvorkehrungen und Notfallplänen, institutionalisierten Stresstests etc. will Europa seinen Kreditsektor für ‚künftige Krisen wappnen‘. Dass mit denen zu rechnen ist, dessen sind sich die europäischen Politiker sicher – schließlich setzen sie alles daran, dass sich ihre Geldkapitalisten möglichst umfassend möglichst überall in der offenbar so krisenanfälligen Weltwirtschaft betätigen. Das Ziel ihrer Konkurrenzanstrengungen besteht darin, die kontinentale Kreditwirtschaft für ihre umfassende Teilhabe an der weltweiten Spekulation gegen deren schädliche Wirkungen zu immunisieren. Und das bedeutet nichts Geringeres als: Der Euro-Kreditsektor soll zum autonomen, „die Lage“ bestimmenden Subjekt auf den Weltfinanzmärkten werden, also zu einer solchen Größe und Finanzmacht heranwachsen, dass sein Kredit und das diesen Kredit repräsentierende Geld auch durch „externe Schocks“ von der Wucht der letzten Finanzkrise nicht mehr zu erschüttern sind. Nie wieder soll er in Abhängigkeit von den aufgeblasenen Finanzgeschäften der Dollar-Spekulanten – und nach deren Platzen von Rettungsgeldern der Fed – geraten, vielmehr einen eigenen Finanzmarkt von vergleichbarer Tiefe und Breite wie der US-amerikanische schaffen. Das ist der gar nicht bescheidene Endzweck des so bescheiden formulierten Vorhabens, das europäische Bankensystem „krisenfest“ zu machen.
  • Dieser Anspruchshaltung und Logik folgt insbesondere auch das von Deutschland gegen alle Widerstände durchgesetzte Staatshaushaltsregime, dem sich die Euro-Mitgliedsstaaten anzuschließen haben und von dem sich seine Verfechter auch durch Verweise auf seine wenig wachstumsdienlichen Wirkungen nicht abbringen lassen. Die Krise ist noch gar nicht wirklich vorbei; in etlichen Euroländern ist die Liquidierung wertloser Kredite noch lange nicht gelungen; da denken die Hauptverantwortlichen schon entschieden nach vorwärts und nicht nur für ihr Bankensystem vorsorglich bereits an die nächste Krise: Sie bestehen auf Richtlinien für den Gebrauch, den Europas Regierungen vom Instrument der Staatsverschuldung machen dürfen. Dabei geht es darum sicherzustellen, dass alles, was in Euro an Kredit in die Welt gesetzt wird, ökonomisch als Kapital sein Werk tut und dadurch den Anteil des Euro-Kredits am Weltfinanzgeschäft so wachsen lässt, zugleich aber so solide ist, dass der Euro-Finanzmarkt eventuelle Entwertungskatastrophen, die von anderen Teilmärkten des Weltfinanzgeschäfts ausgehen, aus eigener Kraft übersteht. Dieser Aufgabe haben sich alle Euroländer zu stellen; denn nur in der Summe erreichen sie mit ihrem Binnenmarkt die Größenordnung, die ihr dort zirkulierendes Kreditgeld braucht, um dem US-Dollar ebenbürtig zu werden und ihm seine Monopolstellung zu nehmen. Das ist jedenfalls der politökonomische Sinn und Zweck des Dogmas, dass der Euro-Club auf Biegen und Brechen zusammenbleiben muss, die Mitgliedschaft irreversibel ist. Das der deutschen Sturheit zugeschriebene „Spardiktat“ ist die negative Seite dieses ehrgeizigen Programms: Damit dringt die Euro-Politik darauf, dass in ihrer Währung keine staatlichen Schulden gemacht werden, die nicht durch die ökonomischen Leistungen gerechtfertigt sind, die der jeweilige nationale Standort erbringt. Notfalls muss eben in den Ländern, die an dieser Aufgabe nicht wachsen, sondern scheitern, das ökonomische Leben gnadenlos zusammengestrichen werden. Dabei ist eines klar: Die Fähigkeit, die Mitglieder des Währungsverbundes so rücksichtslos wie irreversibel auf die Notwendigkeiten eines solchen Glaubwürdigkeitsbeweises des Euro zu verpflichten, ist kein Gemeinschaftswerk und die Bereitschaft dazu alles andere als ein Gemeinschaftsanliegen. Das Interesse daran wie die Macht dazu ist hauptsächlich Sache der deutschen Führungsmacht. Die ist daher auf besondere Weise damit konfrontiert, dass das große finanzimperialistische Euro-Programm Einvernehmen mit den Partnern ebenso fordert wie Rücksichtslosigkeit gegen deren Überlebensinteressen in der Krise. An dem Widerspruch arbeitet die Berliner Politik.

V.

Die Härte, mit der die maßgeblichen Weltwirtschaftsmächte gegeneinander und gegen den Rest der Welt um den ausbleibenden Nutzen aus dem globalen Geschäft konkurrieren und um die hoheitliche Durchsetzung für unerlässlich gehaltener Korrekturen an den internationalen Geschäftsgrundlagen ringen, untergräbt ihr notwendiges Einvernehmen. Mit ihrer Krisenkonkurrenz, die wegen des allseits konstatierten ökonomischen Schadens zum politökonomischen Machtkampf um die Aneignung von Reichtum und die Durchsetzung von Regelungen zu Lasten der Partner gerät, wird für alle Nationen der Widerspruch akut, dass die materiellen Mittel der eigenen Souveränität nicht mehr verlässlich mit dem berechnenden Willen der Konkurrenten, aber auch nicht rücksichtslos gegen ihn zu sichern sind. Rücksichtnahmen sind verlangt, die keiner der Beteiligten sich mehr leisten kann und will. Sie sind auf die berechnende Kooperationsbereitschaft ihrer Partner verwiesen, können und wollen sich aber in der Krise auf die nicht mehr verlassen. Folglich wächst ihr Bedarf nach verlässlichen Garantien ihres Einflusses auf den Willen der anderen, den sie gleichermaßen brauchen wie strapazieren und übergehen; und im selben Maß wächst das komplementäre Bedürfnis, sich gegen einschlägige Ansprüche und Diktate von Seiten ihrer Partner zu verwahren, die ihrerseits darauf bestehen, dass ihre entgegengesetzten Interessen zur Geltung kommen, also ihr Wille respektiert wird.

Alle staatlichen Aktivisten erfahren und begreifen deshalb die Krisenkonkurrenz, die sie veranstalten, als dauernde Zumutung von Seiten derjenigen, gegen die und um deren Wohlverhalten sie konkurrieren: als Angriff auf die nationalen Anrechte, als die sie ihre Interessen gegenüber den anderen Staaten geltend machen, von denen sie in ihren Interessen systematisch abhängig sind. Alle und schon gleich die potenten Kapitalnationen entdecken daher in der Krise, dass es ihnen an Macht über ihre Verhältnisse, also über die anderen, fehlt. Sie leiden am Internationalismus ihrer Nationen, am Gegensatz zwischen ihrer nationalen Souveränität und den internationalisierten Mitteln, aus denen sie sich speist. Und sie kämpfen darum, diesen Widerspruch für sich aufzulösen: Sie konkurrieren darum, sich als Subjekt ihrer internationalen Abhängigkeiten, also als wirksame Instanz der eigenen Rechte zu bewähren und von anderen Staaten als solches anerkannt zu werden.

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Überall, bei Machern und Mitmachern der globalen Konkurrenz, regt sich fundamentale Kritik, die den bisherigen Weg der Nation überhaupt infrage stellt, die bisherigen Beziehungen und Abhängigkeiten des eigenen Landes als eine einzige Fessel begreift und eine entsprechend radikale Korrektur des nationalen Wegs anmahnt.

In Europa erstarkt mit der Krise in allen Nationen eine Opposition, die die Mitgliedschaft ihres jeweiligen Landes im europäischen Staatenverbund grundsätzlich in Zweifel zieht. Sie entdeckt allenthalben wachsende Brüsseler Bevormundung und ein nicht länger erträgliches deutsches Vormachtstreben und verlangt eine mehr oder weniger radikale nationale Abkehr und Umkehr bis hin zur Aufkündigung des Staatenbündnisses. Umgekehrt ist in Deutschland die politische Kritik von ‚Wutbürgern‘ parteifähig und wählerwirksam geworden, wonach die Merkel-Regierung Deutschland von seinen europäischen Partnern ausnutzen und missbrauchen lässt, statt seine Rechte und seine Stärke zur Geltung zu bringen. Eine FPÖ in Österreich, der Front National in Frankreich oder die AfD in Deutschland und andere nationale Parteien mehr wenden sich polemisch gegen den ‚Internationalismus‘ ihrer Regierungen, werfen denen Schwäche und am Ende Verrat an der eigenen Nation vor und fordern eine Beendigung dieses national entwürdigenden Zustands: eine umfassende ‚Rückbesinnung‘ auf die eigene Nation. In Ungarn und Polen sind solche Kritiker am Status der Nation an der Regierung und verfolgen das Programm einer sittlichen Erneuerung und institutionellen Formierung des eigenen Staats im Sinne einer geschlossenen Volksgemeinschaft, die sich unter einer nationalbewussten Führung nach außen gegen Brüsseler Diktate und deutsche Vorherrschaft in Europa zur Wehr setzt – bis an die Grenzen eines offenen Bruchs. In Großbritannien hat sich mit der Volksabstimmung über den Brexit die Kritik durchgesetzt, dass sich das Land mit seiner EU-Mitgliedschaft unerträgliche Beschränkungen seiner nationalen Interessenverfolgung auferlegt und die nationalen Belange Europa opfert, sich also von der EU befreien muss.

In den USA tritt mit Trump eine radikale Kritik auf den Plan, die unter dem Motto „America first“ alle eingerichteten Beziehungen, in denen die Weltmachtzentrale ihren bestimmenden Einfluss geltend macht, unter den Generalverdacht stellt, dabei handle es sich um lauter für die amerikanische Führungsmacht schädliche und unwürdige Zugeständnisse. Er sät Zweifel am fest etablierten Bündnis zwischen USA und Europa, relativiert öffentlich die gültige Sortierung in Freunde und Feinde Amerikas und rüttelt überhaupt an allen Richtlinien amerikanischer Weltordnungsdefinition bis hin zu ihrer atomaren Abschreckungsdoktrin, die ihm wie eine Selbstfesselung erscheint. Obama und dem ganzen politischen Establishment wirft er vor, dass sie die Stärke der USA untergraben, statt, wie es sich für die Weltmacht gehört, aus eigener Machtvollkommenheit zu agieren. Die Aktivitäten der Weltordnungsmacht, die mit ihrer ‚Verantwortung für die Welt‘ ja keineswegs schwächlich, sondern als das dominierende globale Machtsubjekt tätig ist, sind in seinen Augen nicht mehr bloß, wie für die Akteure des amerikanischen Imperialismus üblich, eine Last, die Amerika für die Welt übernimmt und die seine Bündnisgenossen zu Gegenleistungen und Gefolgschaft verpflichten; sie sind ein Dienst an anderen statt an Amerika und damit eine Schädigung amerikanischer Macht. Dagegen verspricht er, Amerika „wieder groß“ zu machen, indem es sich auf sich selbst besinnt, sich als von allen Bindungen freie Macht begreift und aufstellt.

In Europa genauso wie in den USA gehört zum kritischen Befund über die Lage der Nation an prominenter Stelle immer auch die nationalistische Sorge vor einer Überfremdung der Nation; die Flüchtlinge und Migranten sind für diese Kritiker Indiz für denselben fundamentalen Missstand, den sie auch im politökonomischen Internationalismus ihrer Herrschaft ausmachen: Es mangelt der Nation an nationaler Selbstbestimmung – an Geschlossenheit nach innen und an machtvollem Auftreten nach außen, und daran ist nicht zuletzt die eigene nationalvergessene Führung schuld.

Die Verantwortlichen und Anwälte des bisherigen nationalen Wegs, die vor den schädlichen Folgen einer „Abkehr von Europa“, „nationalistischer Alleingänge“ oder eines amerikanischen „Isolationismus“ warnen, teilen ihrerseits den Bedarf nach kraftvoller Neubestimmung der Verhältnisse. Die regierenden Parteigänger des gemeinsamen Europa verteidigen die Zugehörigkeit zur europäischen Gemeinschaft mit dem Hinweis, diese Mitgliedschaft sei das verlässlichste Mittel, die Abhängigkeiten, die keinesfalls so bleiben können, im nationalen Sinne zu korrigieren; sie versprechen, die nationalen Anrechte mit aller Entschiedenheit und Stärke gegen die sperrigen Partner zur Geltung zu bringen. Und in Washington werfen Obama und sein demokratisches Gefolge ihrerseits Trump vor, dass er es ist, der mit seiner Infragestellung aller Beziehungen Amerikas dessen Einfluss auf die Welt aufs Spiel setzt und die gerade jetzt notwendige Stärkung amerikanischer Führungsmacht untergräbt. Deren viel freieren und nachdrücklicheren Gebrauch für die Interessen Amerikas verspricht jedenfalls auch Hillary Clinton.

Die Streitparteien sind sich also im Prinzip einig, dass der bisherige Weg der Nation, die mit ihm verbundenen unvermeidlichen Rücksichten gegenüber außen und die Wirkungen auf das nationale Innenleben den Ansprüchen der Nation keinesfalls mehr genügen. Alle geben zu Protokoll, dass ihr Land sich in ‚schwieriger Lage‘ auf seine nationale ‚Kraft‘ besinnen und als eine nach innen gefestigte, ‚einige‘ und damit nach außen starke, ‚selbstbewusste‘ Nation auftreten muss: Alle spitzen die ökonomischen wie die politischen Streitfragen auf die Grundfrage zu, was überhaupt der richtige Weg der Nation ist – ob, wieweit und wie überhaupt die Nation Herr über ihre Verhältnisse innen und außen ist. Gestritten wird nicht über die Frage des nationalen Nutzens; vom verletzten Anrecht der eigenen Nation auf einen solchen wird – da sind sich erst einmal noch alle Streitparteien einig – umstandslos auf den Unwillen anderer Nationen, diesem Recht Genüge zu tun, und von da auf einen dringlichen Bedarf an nationaler Hoheit geschlossen. Gestritten wird darüber, wieweit es unter den gegebenen Bedingungen an solcher Hoheit und am Willen der Regierung fehlt, sie in Anschlag zu bringen oder sie sich überhaupt erst zurückzuerobern.

Der Standpunkt, das nationale Vorankommen hinge wesentlich von der Freiheit der Gewalt ab, mit der der eigene Staat über seine Gesellschaft nach innen herrscht, und von der Freiheit der Macht, mit der er seine äußeren Verhältnisse in den Griff zu nehmen vermag, gilt ohnehin immer. In der Krise aber hält kein Anwalt des Anrechts auf nationales Vorankommen, also keiner, der politische Verantwortung trägt oder übernehmen will, den Widerspruch aus zwischen der nationalen Souveränität und deren internationalen Mitteln, über die andere Hoheiten gebieten. Am Versagen der Mittel entdecken alle den Mangel an Souveränität. Daher die einseitige Deutung der imperialistischen Verhältnisse, in denen sich die Nation betätigt, als umfassender Souveränitätsverzicht; daher der Fanatismus einer Rückbesinnung auf die Autonomie der eigenen Nation, auf ihre eigenständige Kraft und Größe; daher das fundamentalistische Begehren nach mehr Souveränität: nach nationaler Selbstbestimmung nach innen und außen, das Kritiker wie Verteidiger eint und ihren Streit so erbittert macht. Nach innen ist strittig, wie sich die Nation überhaupt als eigenständiges Subjekt begreifen, wie national ausgrenzend oder internationalistisch weltoffen sie ihr Volk und dessen nationale Identität definieren soll, und wie die jeweilige Herrschaft von daher ihr Verhältnis zum eigenen Volk zu organisieren hat, damit es als Basis machtvollen Auftretens nach außen taugt. Und nach außen herrscht ein grundsätzlicher Dissens über die Definition der Staatsräson: ob die gewohnten Wege überhaupt als Mittel für die Stärkung nationaler Macht taugen und jemals getaugt haben oder nicht vielmehr von Haus aus der eigenen Herrschaft die unerlässliche Freiheit zu machtvoller nationaler Interessenverfolgung nehmen.

[1] Für Notenbanker wie für ihre wirtschaftswissenschaftlichen Zuarbeiter ist der Zins nicht einfach der Anteil an der Verwertung eines Kapitals, der auf den dafür aufgenommenen Kredit entfällt – resp. das Recht darauf –, sondern – gemäß der Gleichung ‚interessierter Standpunkt = Begriff der Sache‘ – ein Manipulationsinstrument: der Preis des verliehenen Geldes als die Größe, die über die Fähigkeit einer Wirtschaft entscheidet, ihr – wie auch immer definiertes und errechnetes – „Potenzial“ auszuschöpfen. Der „Realzinssatz“ ist für sie der wirkliche, bereinigt um die Inflationsrate; der „gleichgewichtige“ ist derjenige fiktive „Realzinssatz“, bei dem eben dies gelingt und die von Herrn E.S. Phelps entdeckte „goldene Regel der Akkumulation“ bzw. die von Herrn Taylor empirisch ermittelte Regel des „potentialgerechten Wachstums“ ihr Werk tun. Mit dem wirklichen Zinssatz, den sie am Geldmarkt herbeiführen und der sich eben um die Inflationsrate vom „realen“ unterscheidet, wollen die Notenbanker eben diesen herbeiführen, wenn „Potenzial“ und Wachstum nicht zusammenpassen, damit sie wieder zusammenpassen.

[2] Die Fachwelt macht sich bereits Sorgen, ob womöglich die unverwüstliche Wachstumskraft des Kapitalismus insgesamt erlahmt, und wüsste sogar – nach dem Muster, Unerwünschtes mit dem Fehlen des Erwünschten zu erklären – einen Grund dafür: das Ausbleiben eines Innovationsschubs von der Art der Dampfmaschine oder des Automobils, die dem besten aller Wirtschaftssysteme angeblich immer gerade rechtzeitig aus der Verlegenheit des Falls seiner Profitrate herausgeholfen haben, bzw. der Umstand, dass die neueste „technische Revolution“, die „digitale“, diesen Dienst an Rendite und lohnendem Investieren schuldig bleibt. Die Sorge um eine dauerhafte Wachstumsschwäche belastet nicht bloß die Ideologen des kapitalistischen Fortschritts; sie ist bei den berufenen Hütern der Materie des kapitalistischen Reichtums angekommen:

Sieben Jahre nachdem die Rezession offiziell vorbei war … ist die Rückkehr zur Normalität nicht abzusehen. Stattdessen setzt sich eine bohrende Sorge durch, dass die Wirtschaft dauerhaft in eine Ära schwachen Wachstums abgeglitten ist, die umzukehren die Politik wenig Macht hat. Fed-Beamte haben die Hoffnung auf ein 3-%-Wachstum, das früher als die Untergrenze einer gesunden Wirtschaft angesehen wurde, so gut wie aufgegeben. Stattdessen beginnen sie sich damit abzufinden, dass eine schwächliche Wachstumsrate das beste ist, was von dieser Wirtschaftserholung zu erwarten ist. (Why the Federal Reserve is rethinking everything, Washington Post, 27.7.16)

 Für Europa, immerhin, gibt der Chef der Notenbank Entwarnung: Aus dem Befund, dass das Produktivitätswachstum im Dienstleistungssektor des Euroraums weit hinter dem in Amerika zurückgeblieben ist, schließt Draghi auf einen gewissen Spielraum für Produktivitätssteigerungen durch die Einführung digitaler Technologien. Und weil in seinem Weltbild ein solcher Fortschritt „der Wirtschaft“ auf alle Fälle gut bekommt, weil dann nämlich sich mehr Unternehmen der Produktivitätsgrenze annähern, kann er seinem Publikum mitteilen: Somit ist die derzeit unter US-Ökonomen intensiv diskutierte Frage, ob die großen technologischen Innovationswellen nun vorbei sind, vorerst weniger relevant. (Draghi am 9.6. vor dem Brüsseler Wirtschaftsforum 2016)

[3] Die vom Chemie-Konzern Bayer ins Auge gefasste Übernahme der Gentech-Firma Monsanto z.B. zielt darauf ab, mit der Monopolisierung eines notwendigen Produktionsmittels der Landwirtschaft (Saatgut) samt den darauf abgestimmten Pestiziden gleich eine ganze „Wertschöpfungskette“ der Nahrungsmittelindustrie exklusiv für sich zu okkupieren und sich Zahlungsfähigkeit zu erschließen, die bisher von konkurrierenden Produzenten genutzt wurde.

[4] Auch der amerikanische Fracking-Boom, also die extensive Förderung bisher nicht erschließbarer eigener fossiler Ölvorkommen, hat die hochgesteckten Erwartungen, das nationale Wachstum anzukurbeln und entscheidend zu konsolidieren, nicht erfüllen können. Der gesunkene Ölpreis hat auch in dieser Branche unkonventioneller Öl- und Gasgewinnung manche Gewinnrechnung zunichtegemacht und einiges an Kapital vernichtet (vgl. dazu Fracking in den USA in GegenStandpunkt 4-15).

[5] Das Geschäftsmodell lässt sich genauso gut anwenden auf Unterkunftsvermittlungen (Airbnb), die Nahrungsmittelzufuhr (Lieferando), die Vermittlung von Handwerkern und Gesundheitsdiensten jedweder Fachrichtung, überhaupt auf alles, was ehedem die Gelben Seiten füllte, und vieles mehr.

[6] Hierzu äußert sich ausführlich der Artikel Industrie 4.0 in GegenStandpunkt 2-16.

[7] Technisch läuft das als Kauf mit Rückkauf-Verpflichtung: 1.: Die EZB ‚zieht‘ ihre Swap-Linie, die ihr von der Fed eingeräumt wird. Das bedeutet, dass sie der Fed einen Euro-Betrag (z. B. 100 Mrd. Euro), den sie ‚aus dem Nichts‘ schafft, zum gegebenen EUR/USD-Wechselkurs (z. B. 1,30) verkauft. Sie erhält dafür einen entsprechenden US-Dollar-Betrag (in diesem Beispiel 130 Mrd. US-Dollar), den die Fed ebenfalls ‚aus dem Nichts‘ schafft. 2.: Die EZB verpflichtet sich, die 100 Mrd. Euro in der Zukunft (z. B. in drei Monaten) zurückzukaufen, und zwar zum unveränderten Wechselkurs, d. h., sie wird der Fed die 130 Mrd. US-Dollar zurückzahlen. („Wirtschaftswoche“ vom 3.11.13) In den Spitzenzeiten beträgt der Umfang der Swap-Vereinbarungen eine halbe Billion Dollar, der größte Teil davon geht auf die europäischen Partner (ebd.).

[8] Auch hier bleiben sie sich treu, verweisen auf die positiven Wirkungen, die sie sich zuschreiben, und die negativen, die umgehend einträten, wenn sie unterließen, was sie tun: ‚Die bestehenden, befristeten Swap-Abkommen haben dazu beigetragen, den Anspannungen an den Finanzmärkten entgegenzuwirken und deren Folgen auf die Wirtschaftsentwicklung zu mildern. Die unbefristeten Abkommen werden weiterhin als vorsorgliche Maßnahme gegen Liquiditätsengpässe dienen‘, schrieb die EZB in Frankfurt... ‚Es gibt kein Zuviel, wenn es um Sicherheitsnetze für die weltweiten Märkte geht‘, sagt Daisuke Karakama, Marktökonom bei Mizuho Bank Ltd. ‚Es ist derzeit nicht notwendig, aber die Dinge passieren immer schnell.‘ („Die Welt“, 31.10.13)