Nach einem Jahr Krieg in der Ukraine sind ungefähr so viele russische Soldaten tot oder kaputt, wie vor einem Jahr zur „militärischen Sonderoperation“ angetreten sind. Wofür? Nach dem ersten Kriegsjahr ist die Ukraine verwüstet; einen beträchtlichen Bevölkerungsanteil hat die Regierung ihrem Kampf gegen die russische Invasion geopfert. Wozu? Nach einem Jahr „Zeitenwende“ registriert der Westen die Kosten seines Einsatzes gegen Russland in der Ukraine. Wofür das alles?
Oder wie soll man das sonst verstehen, wenn täglich von Mitgliedern der regierenden Koalition der Krieg in der Ukraine zu unserer, also Deutschlands Sache erklärt wird? Wenn zu jeder Gelegenheit die Entsendung von mehr und schwereren Waffen gefordert wird und das auch in steigendem Umfang stattfindet? Wenn es regierungsamtliche Linie ist, die Ukraine in ihrer Kriegsführung dauerhaft zu unterstützen, solange sie das braucht?
Ende September werden drei der vier Röhren der Gaspipeline Nord Stream gesprengt. Eine beachtliche Leistung angesichts der Lage und Beschaffenheit der Objekte: „Die betroffenen Stellen liegen 80 bis 110 Meter unter der Meeresoberfläche. Beide Pipelines haben einen Innendurchmesser von 1,15 Metern, Stahlwände mit einer Dicke zwischen 26,8 und 41 Millimetern und einen mehrlagigen Korrosionsschutz.
Im Sommer entdecken ein paar europäische Zuständige öffentlich, dass, während in der Ukraine der Krieg ins zweite Halbjahr geht, Bürger der russischen Föderation die ehedem für sie gültig gemachten Visa- und Einreiseregeln in Länder der EU weiterhin benutzen und als Touristen den heiligen europäischen Binnenraum betreten. Ein großes innereuropäisches Diskutierenhebt an, ob man denen das weiterhin erlauben soll.
Was hat man eigentlich zu halten von dem „Überraschungsangriff, der Putins Armee kalt erwischt hat“? Von dem „atemberaubenden Tempo des Vormarschs und des überstürzten russischen Rückzugs“, der „militärisch hochbedeutsamen Befreiung von 454 Städten und Erbeutung Hunderter Panzer“ sowie von vielen Toten auf beiden Seiten und an zwei Fronten?
Die deutsche Öffentlichkeit steht eindeutig zum russisch-ukrainischen Krieg. Sie teilt ihrem Publikum tagtäglich mit, was in der Ukraine vor sich geht und „uns“ aufregen muss. Dabei ist eins klar: Um Krieg geht es bei allen Bildern und Berichten aus dem Krieg nicht.
Das gründliche Vorgehen von Putins Propagandamaschine in
Russland ist hierzulande längst bestens dokumentiert; über
die neuesten Lügengebäude und Repressionsmaßnahmen wird man
auch stets und umfassend auf dem Laufenden gehalten – auch
über die tragische Wirkung der Repression, dass die freie
Rede, die ungehinderte Zirkulation von Informationen und
Meinungen ihre störende bis umstürzlerische Potenz
ausgerechnet dort nicht entfalten können, wo es sie am
dringendsten bräuchte. Aber wenn es bloß das wäre!
Die westlichen Medien fluten ihr Publikum in Bildern und Texten zur Demonstration der beeindruckend unbeugsamen Kriegsmoral und des opferbereiten Kampfeinsatzes des ukrainischen Volks. Konsequent ausgeblendet aus diesem quasi Hollywood-reifen Szenario wird die banale Tatsache, dass es ja doch nicht ganz so ist, dass die komplette Nation freiwillig und begeistert wie ein Mann hinter ihrem Führer steht. Schließlich unternimmt die ukrainische Staatsgewalt auch einiges, um ihr Volk auf den Kriegsgang zu verpflichten und dafür zu verheizen.