Mitte Juli treffen sich die Großen 8 im frisch angestrichenen St. Petersburg. Ausweislich des Namens der Veranstaltung steht die Weltwirtschaft zur Befassung an; aber niemand ist sonderlich darüber erstaunt, dass dann die meiste Zeit auf den neuen Krieg im Libanon verwendet wird. Auch wenn es sich wie ein Themenwechsel anhört – der Hizbullah ist ja eine etwas andere Materie als der Dollarkurs, der Ölpreis oder die Schuldenländer –, ist der Gipfel damit nicht von seiner Hauptaufgabe abgekommen.
Wenn Putin Sozialreformen auf die Tagesordnung setzt, großen Teilen seines Volks Vergünstigungen wegnimmt, mit denen die bislang eine Art von Subsistenz zustandegebracht haben, dann kann er dafür nach Auffassung der hiesigen Öffentlichkeit die Staatsmacht gar nicht rücksichtslos genug einsetzen.
Den Krieg in der Ukraine führen drei Beteiligte: Russland als Angreifer unter dem Titel einer „militärischen Spezialoperation“; die angegriffene Staatsgewalt in Kiew mit ihrem Kommando über eine von den USA und der NATO gedrillte und ausgerüstete Armee; der Westen nicht direkt als Kriegspartei, dafür doppelt: als Finanzier des ukrainischen Staates, als Organisator seiner Militärmacht; sowie, und das wiederum ganz direkt, mit einem Wirtschaftskrieg, der diesen Namen verdient, weil er auf die Zerstörung der kapitalistischen Grundlage der russischen Staatsmacht zielt.
Die Massen protestieren – gegen die Schuldigen des Elends, von dessen Gründen sie nichts wissen wollen. Die Veranstalter des Protests – Gewerkschaften und Kommunisten – sorgen sich um den sozialen Frieden. So dokumentieren sie einerseits ihre völlige Ignoranz gegenüber den russischen Verhältnissen und andererseits ihren verlogenen Nationalismus.
Textauszug
… von schlechtem Regieren, verwenden sich für die Propaganda, nach der am ganzen neuen Rußland eigentlich …
Am Anfang hat nur eine Unterschrift gefehlt unter einem Vertrag, von dem die Europäer behaupten, dass er für alle Seiten nur das Beste gewollt hat. Jetzt zerlegt sich die Ukraine in einem Bürgerkrieg. Und NATO und Russland lassen Truppen aufmarschieren. Die Öffentlichkeit überholt die Politik bei weitem mit ihren Imperativen, was „wir“ an russischem Benehmen keinesfalls dulden können.
Ein halbes Jahr nach Beginn des Krieges in der Ukraine bescheinigen die zuständigen Instanzen der Weltwirtschaft einen ausgesprochen schlechten Gesundheitszustand.
Im Krieg wird die Moralität der bürgerlichen Gesellschaft auf den Kopf gestellt: Was der Mensch im Frieden keinesfalls darf, andere Menschen umbringen, wird ihm nun befohlen; das Recht auf Leben, sein Schutz ein Höchstwert der Verfassung, weicht der Pflicht, es für den Staat hinzugeben. Die Umwertung der Werte macht den Krieg zur ultimativen moralischen Herausforderung. Er provoziert – ausgerechnet – das Bedürfnis nach Rechtfertigung.
USA und EU sehen sich herausgefordert durch Russlands Politik
zur Rettung seiner Vorherrschaft über eine staatliche
Nachbarschaft, die bis vor 25 Jahren zum Moskauer
Vorgängerstaat gehört hatte. Sie verstehen den russischen
Machtanspruch auf eine kooperative Regierung in der Ukraine,
die Annexion der Krim und die Unterstützung der
Aufständischen im Donbass als Angriff auf ihr Recht und ihre
Machtstellung in der Welt. Die EU sieht – was sie für ihr
Recht hält – die fortschreitende friedliche Eroberung des
Kontinents, d.h.
Im August 2021 sind es noch ein paar handvoll Flüchtlinge, die im Białowieża-Wald über die weißrussisch-polnische Grenze in die EU wollen; dann werden es mehr, gute 2000 im Oktober. Innerhalb kürzester Zeit verhängen Polen und Balten den Ausnahmezustand in einer Lage, von der sie vermelden, dass sie ihrer nicht mehr anders Herr werden können, als ihre Asyl- und sonstigen EU-Rechtsverpflichtungen sowie die hohen europäischen Werte hintanzustellen und in stattlichem Ausmaß Truppen zur Abriegelung ihrer Grenzgebiete aufmarschieren zu lassen.
Die Nation, die über die besten, vielfältigsten und meisten atomaren Massenvernichtungsmittel verfügt, hat in Europa Polen und Tschechien ausgesucht, um dort demnächst eine Batterie ballistischer Raketen bzw. eine Radarstation zur Bekämpfung feindlicher Atomraketen aufzustellen. Georgien wird – u.a. – ebenfalls als Kandidat gehandelt, bei dem ein weiterer Radarschirm untergebracht werden könnte. Russlands Präsident Putin protestiert scharf, droht Gegenmaßnahmen an und verkündet als Erstes die Aussetzung des Vertrags für konventionelle Streitkräfte in Europa, KSE.