Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die demokratische Öffentlichkeit kontrolliert die Zustände in Russland
Wenn Putin Sozialreformen auf die Tagesordnung setzt, großen Teilen seines Volks Vergünstigungen wegnimmt, mit denen die bislang eine Art von Subsistenz zustandegebracht haben, dann kann er dafür nach Auffassung der hiesigen Öffentlichkeit die Staatsmacht gar nicht rücksichtslos genug einsetzen.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Die demokratische Öffentlichkeit kontrolliert die Zustände in Russland
Die Öffentlichkeit hat auf vieles aufzupassen, nicht nur auf die heimischen Verhältnisse, sondern auch auf die der Nachbarn. So befasst man sich in diesem Sommer auch mit der Sozialreform in Russland, die dort die verschiedenen Etappen der parlamentarischen Beschlussfassung durchläuft und einen Haufen bisher gültiger Gesetze revidiert. Bislang dürfen mindestens 32 Millionen Russen, manchmal ist auch von bis zu 105 Millionen die Rede, Veteranen des 2. Weltkrieges, verdiente Arbeiter, Helden der Sowjetunion, Überlebende der Blockade von Leningrad, Tschernobyl-Veteranen, Opfer der Stalinschen Repressionen bzw. Rentner oder Invaliden gratis öffentliche Verkehrsmittel benutzen, zur Kur oder in Ferien fahren, telefonieren oder Medikamente beziehen, andere haben als Entgelt für lange Arbeit in der Arktis und in sibirischen Gebieten mit rauem Klima ein Recht auf reduzierte Wohn- und Kommunalgebühren u.a.m. Ähnliche Vergünstigungen gibt es auch für Militärangehörige, Mitarbeiter der Rechtsschutzorgane und andere Staatsbeamte. Anstelle dieser Rechte auf kostenlose oder verbilligte Sachleistungen sollen die bisherigen Begünstigten nun im Prinzip staatliche Geldzuschüsse erhalten. Was die russische Politik damit bezweckt, was sie damit durchsetzt und wie sie das den Geschädigten als Fortschritt verkauft, wird in der nächsten Ausgabe des GegenStandpunkt Thema. Hier soll die Meinungsbildung gewürdigt werden, die unsere Medien dazu veranstaltet haben, der „Spiegel“ z.B. unter dem Titel:
„Hartz IV auf russisch“
Damit ist schon mal klar, dass sich die Spiegel-Autoren
nicht in geistige Unkosten stürzen müssen, weil es in
Russland fast um dasselbe geht wie hier. Wie bei einem
internationalen Schaulaufen in der Disziplin, wer den
armen Leuten am besten Beine machen kann, bekommt Putin
erstens ein Lob, Putin wagt endlich eine
einschneidende Reform
und geht gegen soziale
Privilegien
vor. Zweitens aber auch den
obligatorischen Tadel, weil er auch bloß so ein
populistischer Drückeberger ist: Wie sein deutscher
Duzfreund Gerhard Schröder schreckte Putin vor
Einschnitten ins Sozialnetz zurück
(Nr. 33/04) Ja, wenn nicht Magazine wie
der Spiegel Woche für Woche die feigen Politiker zum
Jagen tragen würden… Insofern kommen die – viel zu spät,
viel zu zögerlich – immer nur dem nach, was die Vertreter
der 4. Gewalt schon lange für fällig halten, seitdem die
Politiker Reformen auf die Tagesordnung gesetzt haben.
Und wenn Putin jetzt endlich
Reformen macht,
wissen die Aufpasser von der Spiegel-Redaktion schon
gleich, wie reformbedürftig sein Laden ist.
Beim weltweiten Feldzug gegen unverzeihliche soziale
Rücksichtnahmen hat man in Russland auch etwas Besonderes
entdeckt, ein Relikt der Sowjetzeit
. Auch mit dem
Fahndungsgesichtspunkt, dass die Politik dort ihren alten
Fehlern immer noch nicht ganz abgeschworen hat, liegt der
Spiegel also wieder goldrichtig und malt sich das
Relikt
in seiner ganzen Ungeheuerlichkeit aus:
„Es war wie ein Rundum-Sorglos-Paket: Dorflehrer genossen das Anrecht auf kostenlosen Wohnraum, Licht und Heizung inklusive, Rentner durften im Staatsforst einfach mal so Bau- und Ofenholz schlagen, Veteranen unbeschwert den Bus in die nächste Kleinstadt besteigen.“
Ja, wo sind wir denn hier. Angesichts von so viel
Unvernunft, dass es dort allen Ernstes Zeug umsonst gab
und gibt, können sich die Leute vom Spiegel nur wundern.
Sie werden sich allerdings auch nie ganz einig, was sie
denn nun eigentlich zum Skandal erklären wollen: Einen
unverdienten Wohlstand, bargeldlose Privilegien
,
in deren Genuss russische Rentner bisher gekommen sind,
oder eine Sozialhilfe zum Nulltarif
, also eine
eher schäbige Behandlung, für Sozialfälle aber auch
wieder unverschämt billig? Eine soziale
Hängematte
, in der es sich die Leute viel zu bequem
machen, oder das Gegenteil, weil diese Matte manch
hässliches Loch hatte
? Und wenn der verwirrte Leser
dann doch einmal wissen möchte, ob es 32 Millionen Russen
nun zu gut oder zu schlecht geht, lautet die Antwort vom
Spiegel – beides! Das Magazin ist nämlich der Auffassung,
dass es ihnen so schlecht geht, weil es ihnen zu gut
geht. Dass ihr Staat ihnen gewisse Versorgungsleistungen
gewährt – sogar Brennholz dürfen sie im Rahmen ihres
Rundum-Sorglos-Pakets schneiden! –, zeigt, dass sie
schlecht regiert werden. Eine gute Regierung hätte ihnen
diese Versorgungsleistungen nämlich längst weggenommen –
dann ginge es ihnen heute besser. Umgekehrt, umgekehrt.
„Selbst die Erhöhung des Rentenalters … blieb tabu. Statt durch längere Arbeitszeiten die Mittel des Rentenfonds zu Gunsten wirklich Bedürftiger umzuschichten, verteilte Putin das Geld mit der Gießkanne, gemäß dem früheren sowjetischen Gleichheitsprinzip. So leben trotz steigender Staatseinnahmen weiter 33 Millionen Russen unter der Armutsgrenze.“
Dass es zwischen Gießkanne und Armutsgrenze einen
ursächlichen Zusammenhang geben muss, hat man dem
lapidaren so
zu glauben. Denn – so
die
unterstellte Logik – würde der russische Staat nicht mit
der egalitären Gießkanne verteilen, sondern stattdessen
unter den Armen entschieden sortieren, schon würde Geld
frei für die entscheidenden Staatsaufgaben wie Wachstum
etc. etc. Und auf jeden Fall hätte er auch den Erfolg zu
verzeichnen, dass mit Einführung der Kategorie der
wirklich Bedürftigen ein großer Haufen aus der Armut
definitorisch herausfällt. Dieser Erfolg stellt sich beim
Spiegel schon auf der nächsten Seite ein. Nachdem noch zu
Beginn des Artikels von Millionen bedürftiger
Russen
die Rede ist, deren Überleben
an den
Gratishilfen hängt, darf am Ende ein russischer
Experte für volkswirtschaftliche Analysen
vorrechnen: In 80% der Fälle kämen die Hilfen nicht
Bedürftigen, sondern gut Verdienenden zu Gute.
Wahrscheinlich Michail Chodorkowskij.
In ihrer Schilderung mischen die Spiegel-Autoren frühere
und heutige Verhältnisse in Russland durcheinander – mal
eine kostenlose Rundum-Versorgung, dann wieder
galoppierende Armut und leere Versprechungen –, wie es
ihrem argumentativen Bedarf entspricht. Denn einmal steht
die schlechte Lage des russischen Volks – gemäß dem Ideal
vom Staat und Volk einenden Allgemeinwohl – für die
schlechte Lage des russischen Staats: Am massenhaften
Elend der Untertanen bebildert man sich die
Unfähigkeit der ehemaligen Großmacht, die sich
auf ein an Dritt-Welt-Verhältnisse heranreichendes Niveau
heruntergewirtschaftet hat und damit ihren
imperialistischen Nachbarn ein erfreulich verändertes
Kräfteverhältnis eröffnet. Ein anderes Mal weiß man –
marktwirtschaftlich-sachkundig –, dass der russische
Staat darunter leidet, dass er viel zu wenig gegen die
Ansprüche seiner Leute vorgeht: An einem ausufernden
Versorgungssystem, in dem an die kleinen Leute Geld
verschwendet wird, bebildert man sich, dass dort
falsch regiert wird. Früher auf jeden Fall und
heute irgendwie immer noch; siehe Relikt aus der
Sowjetzeit
. Im Jahr 13 nach Ende der
kommunistischen Zeitrechnung ist dieses System ein
Anachronismus
, bestätigt der Kollege von der
Süddeutschen Zeitung (2.7.).
Das dritte Mal fällt dem Spiegel sein Bedürfnis ein, die
Aufmerksamkeit gegenüber einer konkurrierenden
Staatsmacht zu schärfen: Dann spürt er 13 Jahre nach
Ende der kommunistischen Zeitrechnung
in Russland
Relikte
auf, erzählt haarsträubenden Unsinn
darüber, wie schon Stalin
damit angefangen hat,
sein marodes Sowjetreich
mit
Ersatzleistungen
fürs Volk zugrunde zu richten,
behauptet, dass die das heute unter unseren Augen immer
noch so weitertreiben – um das alles als Indiz für einen
abweichenden politischen Willen oder
unterschwelligen Widerstand gegen die richtige Linie zu
verwenden.
Allerdings ist auch dem Durcheinander noch unschwer die
historische Reihenfolge zu entnehmen, dass seit
Einführung des kapitalistischen Systems und seiner
Rechnungsweisen die Existenz der ehemaligen Werktätigen
zu einem Überlebenskampf umgemodelt und aus den
bescheidenen Vergünstigungen des realen Sozialismus etwas
ganz anderes gemacht worden ist, nämlich elende
Hilfsmittel beim Kampf um Subsistenz. So akribisch aber,
wie die Hüter der freien Meinung dem Fortleben des alten
Systems in seinen Relikten
auf der Spur sind, so
scharfsinnig, wie sie noch in der schäbigsten Form der
Fürsorge ein sowjetisches Gleichheitsprinzip
entlarven, so wenig erkennen sie ihr eigenes
System in der russischen Wirtschaft wieder. Auch die
Süddeutsche Zeitung befasst sich mit dem Thema und
entdeckt ein eigentümliches System
dort, wo von
dem hochvernünftigen marktwirtschaftlichen Prinzip, dass
es die Mittel des Bedarfs nur gegen Geld gibt,
abgewichen wird:
„Galina Kowaljenko überlebt nicht dank des Geldes, das sie bekommt, sondern dank des Geldes, das sie nicht zahlen muss. Sie fährt nicht nur umsonst Bus, sie erhält auch kostenfreie Arznei und hat Anspruch auf allerlei weitere Preisnachlässe.“ (SZ, 6.8.)
Das ist eben so eine Sache mit den Negationen. Ob da nicht eher die Leute dank des Geldes, das sie heutzutage für alles und jedes aufbringen müssen, ohne aber groß die Gelegenheit zu erhalten, an Geld heranzukommen, in solche Überlebensprobleme hineinbefördert worden sind?
Auch das Langzeitgedächtnis scheint nicht zu den
journalistischen Grundqualifikationen zu gehören. So wäre
es z.B. deplatziert, sich in diesem Zusammenhang daran zu
erinnern, dass der klassische Systemvergleich zu den
Zeiten, als es das andere noch gab, ein anderes Dogma
gepredigt hat, nach dem der Sozialismus seine Massen vom
Wohlstand ausschließt, indem er ihnen das Konsumparadies
vorenthält, das im Westen errichtet worden ist. Dass er
nur seinen Fehlern abschwören und sich öffnen
muss, damit dieselben Zustände bei ihm einkehren. Aber
das Geschwätz von gestern kümmert die um Aufklärung
bedachte Öffentlichkeit auch nur insoweit, als sie bei
der Klärung der Schuldfrage darauf besteht, das
abgeschaffte System für die heutigen Missstände haftbar
zu machen. Vom Dogma des einzig richtigen Systems lässt
man doch nicht ab, wenn sich die alte Propaganda blamiert
und seine Einführung eine Nation ruiniert hat.
Also gibt es auch angesichts des Elends in Russland nur
eine Konsequenz zu ziehen: Die Abschaffung der
unzulässigen Ausnahmen aus der neuen Geldrechnung ist
geboten. Die Gesetze des Marktes, hier gelten sie
nicht
, moniert die Süddeutsche. In diesem Bereich
sind Geldtransfers besser als Sachleistungen
,
befindet der Chefökonom der Weltbank in Russland
(SZ, 2.7.), Rubel statt
Vergünstigungen … ökonomisch äußerst sinnvoll.
(NZZ, 3.7.) Alle Waren und
Dienstleistungen brauchen einen Preis. Erst dann lassen
sich Kosten und Nutzen kalkulieren, lässt sich sparen
oder vernünftig investieren
. (Spiegel)
Dass man in Russland die Erfindung von Preisen, damit man
dann kalkulieren kann, erst noch vor sich hat, stimmt
zwar auch nicht ganz. Zu Preisen hat man es dort durchaus
schon gebracht, eben zu solchen, die viele nicht zahlen
können. Aber dieselben Fachleute wissen ja auch sofort,
dass es nicht ums Kalkulieren geht, sondern darum, auf
der einen Seite den Ausschluss vom Reichtum, der mit den
Warenpreisen eingerichtet ist, weitergehend als bisher
gültig zu machen, damit auf der anderen Seite mehr an
Preisen verdient werden kann. Sie sortieren nämlich die
verschiedenen Parteien in Russland sehr parteilich bzw.
korrekt, was den dort neu installierten Klassengegensatz
angeht. Da gibt es Betriebe
, die Leistungen
erbringen, ohne dafür korrekt entschädigt zu werden
,
und denen es künftig leichter fallen sollte, das Geld
für die dringend benötigten Modernisierungsinvestitionen
zu finden
, deren kapitalistisches
Bereicherungsinteresse dient also einem edlen Zweck, so
dass nur zu gut zu verstehen ist, dass es bisher
entsprechend unwillig
war, wenn es die verlangten
Versorgungsleistungen herausrücken sollte. Da gibt es den
Staat, der diesen Gegensatz eingerichtet hat; dessen
leeren Kassen
gilt das Mitgefühl der Kommentatoren
in erster Linie, und deshalb verlangen sie auch vom Leser
volles Verständnis dafür, dass beim wohlwollend so
genannten Ersatz
der Gratisleistungen durch
Geldtransfers garantiert nicht einmal ein auf heutige
Preise berechneter finanzieller Ersatz
herauskommt. Die Berichterstatter wollen keinen Zweifel
zulassen, dass ein weiterer Schritt bei der Subsumtion
der russischen Hungerleider unter das Diktat, dass das
Überleben eine Frage des Geldbeutels zu sein hat,
unumgänglich ist. Aber damit werden sie auch regelrecht
befreit von einer entmündigenden staatlichen Versorgung:
Diese Reform erlaubt den Begünstigten, das Geld für
das auszugeben, was sie am dringendsten brauchen
.
(NZZ, 3.7.) Nichts Schöneres,
als endlich frei darüber entscheiden zu dürfen, worauf
man verzichten muss. Dass sich die Betroffenen dennoch
echt Sorgen machen, in die weitere Armut abgedrängt zu
werden
, wird der Genauigkeit halber vermeldet, hat
allerdings gegenüber der anderen Sorge um die
erheblichen Kosten
, die die Reform dem
Finanzministerium verursacht, zurückzustehen.
Interessant sind die Befürchtungen der Betroffenen angesichts der aktuellen Enteignungskampagne in Russland allerdings in einer ganz anderen Hinsicht. Dass die Berichterstatter Putins Reformen einhellig für notwendig, ja für längst überfällig befinden, hindert sie nicht im mindesten daran, auch dem politischen Unfrieden, den Putin damit erntet, etwas abzugewinnen und hoffnungsfroh die Schwierigkeiten zu taxieren, die ihm ins Haus stehen:
„Doch ist in den nächsten Wochen mit Diskussionen zu rechnen, in deren Verlauf sich zeigen wird, wie durchsetzungsfähig die angeblich so starke Regierung tatsächlich ist.“ (NZZ) „Es ist das erste Mal, dass das Bild dieses Präsidenten sichtbare Kratzer bekommt… nickte das Parlament den Reformkatalog ab, in verdächtiger Eile, als fürchte der Kreml weiteren Widerstand.“ (Spiegel) „Für Putin könnte es erstmals ein heißer Herbst werden.“ (SZ)
Angesichts der Tatsache, dass Putins Popularitätskurve einknickt, gönnt man sich ungeniert ein bisschen Schadenfreude. Denn wenn unser russischer Freund und Partner an seiner geradezu undemokratisch großen Beliebtheit Schaden nimmt und einen Kopf kleiner gemacht wird, ist das auch nicht verkehrt. Umso umgänglicher und empfänglicher sollte er sich gegenüber den Vorschlägen seiner auswärtigen Partner zeigen.
*
Wenn Putin Sozialreformen auf die Tagesordnung setzt,
großen Teilen seines Volks Vergünstigungen wegnimmt, mit
denen die bislang eine Art von Subsistenz
zustandegebracht haben, dann kann er dafür nach
Auffassung der hiesigen Öffentlichkeit die Staatsmacht
gar nicht rücksichtslos genug einsetzen. Aber wehe, er
geht mit juristischen Mitteln gegen einen prominenten
Nutznießer des marktwirtschaftlichen Systems vor. Dann
kennt die menschliche Betroffenheit in den Redaktionen
von Spiegel bis Weser-Kurier keine Grenzen; dann liegt
eindeutig ein Fall von rücksichtslosem Gebrauch der
Staatsmacht vor, wie ihn Demokraten nur einem neuen
Zaren
und Herrscher über einen Neo-Byzantismus
zutrauen; dann weist unsere Presse den Kanzler an, in
Moskau Verstöße gegen Demokratie & Menschenrechte zu
inkriminieren; dann sind unsere Journalisten enttäuscht
und verbittert, wenn der dort Putin ein Stück Respekt
gegenüber der russischen Steuerhoheit und einer
innerrussischen Angelegenheit
bekundet, und werfen
ihm mindestens Leisetreterei vor, wenn nicht Verrat an
unseren Werten zugunsten schnöder Wirtschaftsinteressen.
Die Grünen ergreifen die Gelegenheit, rügen öffentlich
den Kanzler und empfehlen sich den Repräsentanten des
großen Geldes mit der Einsicht, dass ihre
Geschäftemacherei es geradezu verlangt, am Fall Yukos die
Menschenrechte hochzuhalten:
„Aber zu viele Strategen des Geldes haben nicht rechtzeitig begriffen, dass auch derjenige Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit früh verteidigen muss, der bloß nicht draufzahlen will.“ (Bütikofer)
Aber diese hochgradige Sensibilität für Chodorkowskijs Menschenrechte ist ja auch konsequent: Schließlich werden mit seiner Person auch deutsche Interessen angegriffen. In seinem Konzern ist das gute Geld deutscher Banken und Aktienbesitzer angelegt, er ist der Repräsentant einer Fusionsstrategie mit westlichen Multis, steht überhaupt für eine Linie der schrankenlosen Öffnung des russischen Energiesektors für westliche Interessen,
so dass sich Spekulanten und Journalisten eine Weile gemeinsam in düsterste Prophezeiungen über eine bevorstehende großflächige Enteignungswelle in Russland hineinsteigern. So einer verdient natürlich unser ganzes Mitgefühl – zumindest solange, wie die russische Regierung uns gegenüber nicht ausreichend klargestellt hat, was alles mit dem russischen Staat beim Zugriff auf russische Reichtümer zu machen geht.