Weltwirtschaftsgipfel in St. Petersburg
The good and the ugly

Mitte Juli treffen sich die Großen 8 im frisch angestrichenen St. Petersburg. Ausweislich des Namens der Veranstaltung steht die Weltwirtschaft zur Befassung an; aber niemand ist sonderlich darüber erstaunt, dass dann die meiste Zeit auf den neuen Krieg im Libanon verwendet wird. Auch wenn es sich wie ein Themenwechsel anhört – der Hizbullah ist ja eine etwas andere Materie als der Dollarkurs, der Ölpreis oder die Schuldenländer –, ist der Gipfel damit nicht von seiner Hauptaufgabe abgekommen.

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Weltwirtschaftsgipfel in St. Petersburg
The good and the ugly

Mitte Juli treffen sich die Großen 8 im frisch angestrichenen St. Petersburg. Ausweislich des Namens der Veranstaltung steht die Weltwirtschaft zur Befassung an; aber niemand ist sonderlich darüber erstaunt, dass dann die meiste Zeit auf den neuen Krieg im Libanon verwendet wird. Auch wenn es sich wie ein Themenwechsel anhört – der Hizbullah ist ja eine etwas andere Materie als der Dollarkurs, der Ölpreis oder die Schuldenländer –, ist der Gipfel damit nicht von seiner Hauptaufgabe abgekommen. Denn wenn die Mächtigen über die Weltwirtschaft tagen, Konditionen für ihr künftiges Geschäftemachen auf dem Globus beschließen, geht es allemal um Fragen der Macht und ihrer Anwendung, der Kontrolle über andere und ihr Benehmen, alles Fragen vom Kaliber, wer in der Staatenwelt sich was herausnehmen darf. Auch Weltwirtschaftsfragen sind ein Unterfall von Weltordnung, dem Gesamtkunstwerk, in dem sich die Machthaber ihren aktuellen Bedarf beim Gebrauch ihrer Macht genehmigen.

Insofern hat der Gipfel den üblichen Verlauf genommen, weg von der Weltwirtschaft zu den Ordnungsfragen der Welt. Ganz zu kurz gekommen ist der Weltmarkt dann aber doch nicht, denn Russland, erstmals in der Rolle des Gastgebers, hat das Thema Energiesicherheit auf die Tagesordnung gesetzt. Und seine Partner – die Überprüfung des Gastgebers. Er steht auf dem Prüfstand, seine Gäste und mit ihnen deren dienstbeflissene Öffentlichkeit erörtern vor und während des Gipfels, ob Russland überhaupt in das Gremium hineinpasst, dafür qualifiziert ist … Anstatt sich der Lesart anzuschließen, nach der es darum gehen soll, Russland das Regelwerk guten Regierens nahe zu bringen, empfiehlt es sich, zwischen dem harten Stoff, der bei Treffen dieser Art verhandelt wird, und der Form, den diplomatischen Verballhornungen, zu unterscheiden.

Russland präsentiert seine unverzichtbaren Leistungen für die Energieversorgung der Weltwirtschaft und verlangt Respekt

Nachdem die Launen der Natur das Land mit Rohstoffvorkommen in beträchtlichem Umfang und Vielfalt ausgestattet haben und der reale Sozialismus die Potenzen zu deren industrieller Verarbeitung, bis hin zu einer kompletten Atomwirtschaft, hinzugefügt hat, verfügt es in allen Abteilungen der Energieproduktion über Voraussetzungen, um in der Welt des Kapitals mitzukonkurrieren. Dank der ordnungspolitischen Leistungen der Großen 7 ist auch die strategische Bedeutung der Ware Energie offenkundig: Die Aufmischung der Energiemärkte durch die Konkurrenz der führenden Nationen um jeweils ihre Energiesicherheit, vor allem durch die Eröffnung von Kriegsschauplätzen im Nahen Osten, haben Russland nach seinem Zusammenbruch einen Aufschwung beschert, das Land gewissermaßen in die Rolle des Krisengewinnlers versetzt; und aus der Lage will die zur Marktwirtschaft bekehrte Nation etwas machen. Das Rohstoffgeschäft soll die Mittel hergeben für die Emanzipation von der skandalösen Rolle als Rohstoffland, auf welche die frühere Weltmacht reduziert worden ist.

Und dieses Programm präsentiert Russland seinen Partnern im modernen Stil unter dem Titel „Energiesicherheit“, definiert sein Geschäft als einen Beitrag zur Weltwirtschaft, sein Interesse als eine äußerst gemeinschaftsdienliche Leistung, die die imperialistischen Partner und Konkurrenten entsprechend honorieren sollen. Es erhebt Anspruch darauf, dass daraus auch ein wachsender eigener Nutzen und von den anderen zu konzedierende Rechte zu folgen hätten. Sein Aufstiegsprogramm wird nämlich in Gestalt einer Reihe von Streitfällen mit den Partnern abgewickelt, die sich Russland weiterhin gut als Rohstoffland hätten vorstellen können, dem sie mit Kapital und Know-how aushelfen und dem sie auch die Last mit der Verwertung seiner Öldollars abnehmen. Aber entgegen ihren Lektionen über ‚Staat und Markt‘, darüber, wo überall sich ein vorbildlicher Staat ‚heraushalten‘ müsste, hat sich die russische Führung dann lieber doch genauso wenig herausgehalten wie ihre marktwirtschaftlichen Vorbilder, hat die Überführung der Rohstoffkonzerne in westliches Eigentum und unter westliche Kontrolle blockiert und damit die Grundlage für die marktwirtschaftliche Karriere ihrer Nation gesichert.

Das Programm, das Rohstoffgeschäft für den Aufbau einer imperialistischen Geschäftsgrundlage zu funktionalisieren, ist auch in seinen weiteren Etappen eine Frage der Durchsetzung gegen die auf dem Weltmarkt etablierten Interessen: Die Mittel aus dem Rohstoffhandel sollen weniger in internationale Geldanlagen „flüchten“, stattdessen in den weiteren kapitalistischen Aufbau der Nation geschleust und für die kapitalistische Inbetriebnahme der industriellen Grundlagen in Russland nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig soll sich das Rohstoffgeschäft als Hebel zur Durchsetzung des Rubel als anerkanntes Geschäfts- und Kreditmittel bewähren, die Einrichtung russischer Rohstoffbörsen die lieben Geschäftspartner zum Gebrauch des russischen Geldes animieren und darüber dessen „Einflusszone ausdehnen“[1] – gegen das amerikanische Weltgeld, das sich bislang den Energiehandel als seine „Einflusszone“ reserviert hat. Die russischen Rohstoffkonzerne, v.a. Gasprom, sollen sich zu bestimmenden Akteuren auf dem Weltmarkt aufbauen, die sich mit den etablierten Energieriesen messen können und ihrem politischen Hüter Gewicht verschaffen: Auf Grundlage der elementaren Bedeutung des Geschäfts mit der Energie und der Dimensionen, mit denen man in diesem Handel aufwarten kann, will sich Russland in den Rechnungen der jeweiligen ‚Verbraucher‘ als eine nicht hintergehbare Größe festsetzen, so dass die nicht umhinkommen, russische Interessen zu berücksichtigen, z.B. bei der Entscheidung über Bedingungen des Geschäfts, über die Regelung der Zulassung zu anderen Geschäftssphären, in die Russland vordringen möchte, oder in anderen politischen Fragen, bei denen Russland in den anderen Hauptstädten bislang vergebens versucht hat, sich Gehör zu verschaffen.

Aus russischer Sicht ist auf dem Weltmarkt mit seiner wunderbaren Marktordnung, die andere geschaffen haben, manches überhaupt nicht in Ordnung. Russland muss z.B. einen Kampf um Zulassung auf den europäischen Märkten führen, Europa soll sich „öffnen“; Russland liegt im Streit mit den USA, die als letzte Nation ihre Zustimmung zur Aufnahme Russlands in die WTO verweigern.

„‚Die Antwort des Westens auf die Zulassung westlicher Unternehmen zur russischen Energiewirtschaft muss symmetrisch sein. Unsere Freunde ersuchen uns um einen Zugang zum Herzen der russischen Wirtschaft. Die Energiewirtschaft ist für Russland von heute eine überaus wichtige Branche. Dann sollten auch Sie uns Zugang zu den wichtigsten Sektoren Ihrer Wirtschaft verschaffen. Die Antwort muss symmetrisch sein.‘ In diesem Zusammenhang äußerte Putin Befremden darüber, dass gegenüber Russland immer noch überholte Listen gültig sind, die den Zugang von Hochtechnologien zum russischen Markt einschränken. ‚Der Kalte Krieg ist schon längst vorbei, aber die Einschränkungen sind immer noch gültig‘…
Putin verwies darauf, dass Russland aufgerufen werde, sich der Energiecharta anzuschließen. ‚Hierbei geht es um den Zugang zu zwei Infrastrukturen: Förderung und Fernleitungen für den Transport von Kohlenwasserstoffen. Es erhebt sich die Frage: Wir lassen Sie zu. Aber wo werden Sie uns zulassen? Wo sind Lagerstätten, zu denen uns Zugang verschafft wird? Es gibt sie nicht. Der Beitritt zur Energiecharta wäre eine einseitige Entscheidung Russlands…‘
Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Kritik an die Adresse Russlands zurückgewiesen, dass das Land als Energielieferant unzuverlässig sei. ‚Der Versuch, diese Fragen zur Sprache zu bringen, wird von uns als ein Hebel dazu aufgefasst, uns zur Annahme einseitiger Beschlüsse zu bewegen, die unseren Partnern zugute kommen und den Interessen der russischen Wirtschaft keine Rechnung tragen würden.‘ Das sei eine Methode des Konkurrenzkampfes… ‚Wir wollen nichts aufzwingen. Wir haben Ressourcen, die wir anbieten, weil Sie darauf angewiesen sind‘, sagte Putin.“ (Putin bei einem Treffen mit den Leitern der führenden Nachrichtenagenturen der G8-Länder, RIA Novosti, 2. Juni 2006)

In der Marktwirtschaft zu spät gekommen und vom ‚Leben‘ bestraft, d.h. umgeben von Weltwirtschaftsmächten, die den Verkehr zu ihren Gunsten regeln und deshalb bei jedem russischen Korrekturbedarf „Finger weg vom Markt!“ schreien, macht Russland keinen Hehl daraus, dass seine Konkurrenz mit den anderen Wirtschaftsmächten ein Kampf ist, um solche Bedingungen der Konkurrenz herzustellen, die für die russischen Rechnungen taugen. Als Parvenü auf dem Weltmarkt zu reüssieren, Russland zu einer auf Energiegeschäfte gegründeten Weltmacht aufzubauen, ist ohne einen Angriff auf die bereits etablierten Nationen nicht zu haben. Und gegen deren Vorhaltungen, Russland verstoße gegen die Sittlichkeit der Marktwirtschaft und die Freiheitsrechte des Kapitals – nämlich ihrer überlegenen Kapitalmacht – nimmt der oberste Russe mittlerweile gerne Zuflucht zum Klartext: dass die Herstellung von Geschäften dieses Kalibers der Schacher von Nationen ist; dass es um Lebens-, Überlebens-, Statusfragen von Nationen geht… – alles Banalitäten, die bloß deswegen seltener zur Sprache kommen, weil die Subjekte des Weltmarkts gewohnt sind, ihre Nutzenkalkulationen ganz hinter dem zu deren Durchsetzung erlassenen Regelwerk verschwinden zu lassen und sich als vorurteilslose Schiedsrichter über Anstand und Wohlverhalten zu präsentieren.

Zu seiner Durchsetzung greift auch Russland zum Mittel der Erpressung und setzt eine Beteiligung bzw. den Ausschluss von Rohstoffprojekten als Angebot/Druckmittel gegenüber den imperialistischen Abnehmern ein, damit diese umgekehrt Russland Geschäftsmöglichkeiten auf ihren Märkten einräumen.[2] Es bahnt Beziehungen zu anderen Lieferanten an, mit Angeboten zur Kooperation, bei der Förderung, beim Ausbau von Transport- und Verarbeitungskapazitäten, und zu einer gemeinsamen Vertriebspolitik mit Perspektive einer Gas-OPEC – als Antwort der Lieferländer auf das Kampfprogramm der Diversifizierung, mit dem die Abnehmerländer aufwarten. Bei einem flächendeckend von den westlichen Multis und den westlichen Staaten beherrschten Weltmarkt eröffnet der Anti-Amerikanismus in der Staatenwelt Russland Gelegenheiten, um Fuß zu fassen. Es knüpft Geschäfte und Beziehungen an mit Kandidaten wie dem Iran, Venezuela, Bolivien. Und da Russland seine neuen Völkerfreundschaften auch noch mit einer anderen interessanten Warenkategorie unterfüttern kann, die Ausstattung mit Waffen höherer Qualität im Angebot hat und für die Anbahnung solcher Völkerfreundschaften auch gute politische Gründe kennt – die sich in der Ablehnung einer unipolaren Welt zusammenfassen –, sind hässliche Töne im Verhältnis zur Weltmacht Nr. 1 unvermeidlich.

Eben dieses Konkurrenzprogramm sagt der jetzige Präsident mal mehr und mal weniger höflich auf und erwartet von den G8-Kollegen eine konstruktive Stellungnahme. Die imperialistischen Kollegen sollen überhaupt die Botschaft zur Kenntnis nehmen, dass sie mit Russland als einer Macht zu rechnen haben, mit der man nicht mehr wie zu Jelzins Zeiten umspringen kann, was durch ein paar Klarstellungen auf anderen Gebieten untermauert wird.[3] Wenn die Partnerländer Russland immerzu mit den Marktprinzipien nerven, um die Schlagkraft ihrer Kapitalmassen auf russischem Boden zur Enteignung und Unterwanderung der russischen Hoheit wirksam werden zu lassen, kontert Russland mit seinen unverzichtbaren Leistungen zur Herstellung ihrer „Energiesicherheit“. Nach guter demokratischer Sitte hat sich der russische Präsident noch vor dem Gipfel ein Gesetz der Duma bestellt, das dem nationalen Konzern Gasprom das Monopol auf den Gasexport zuspricht, ihm also einfach die Hände bindet.[4] Außerdem dringt Putin auf die Unterlassung der üblen Nachrede, Russland sei ein unzuverlässiger Lieferant – schließlich weiß jeder, wo das Gas damals geblieben ist und was mit der Beschwerde gemeint ist, neulich wäre das Gas mitten im Winter nicht angekommen: das Quidproquo, bei dem Russland der Versuch verübelt wird, seine Druckmittel gegen die Ukraine auszuspielen. Auch in dem Fall redet der russische Präsident Klartext, dass der Gaskrieg mit der Ukraine natürlich strategische Qualität hat – nämlich schon längst, und zwar aufgrund der entsprechenden Beteiligung der USA:

„Die Hysterie, die mit den Gaslieferungen an die Ukraine und dem Bau der Ostseepipeline verbunden war, hat den US-Interessen in Europa gedient… Die Vereinigten Staaten unterhalten besondere Beziehungen zu einigen osteuropäischen Ländern, die sie unterstützen wollen. Die Amerikaner beschlossen aber, nur auf ein bestimmtes politisches Spektrum zu setzen und wollen dieses unbedingt unterstützen, so auch mit billigen Energielieferungen aus Russland… Wenn jemand bestimmte politische Kräfte unterstützen will, bitte schön, aber nicht auf unsere Kosten.“ (RIA Novosti, 13. Juli 2006)

Russland hat aber auch Angebote zu machen: Bei seinen großformatigen Erschließungsvorhaben, dem Ausbau der Weiterverarbeitung und der Transportwege in alle Himmelsrichtungen wäre auswärtige Kapitalbeteiligung erwünscht, Beteiligungen an Geschäften der Extraklasse wären zu haben – das aber unter der Bedingung, dass die russische Kontrolle nicht in Frage gestellt wird. Auch Russland kennt die Kategorie politischen Wohlverhaltens im Geschäftsverkehr mit anderen Nationen, entscheidet demgemäß über die Zulassung auswärtiger Konzerne und verlangt von deren Vaterländern, ihre Angriffe auf die ökonomischen Instrumente Russlands einzustellen und ihrerseits die weitergehende Zulassung russischen Kapitals zum Weltmarkt zu genehmigen.

Am Ende des Gipfels vermeldet der russische Veranstalter als Erfolg, dass man gemeinsam zu einer neuen Definition von Energiesicherheit gefunden habe, wonach darunter die Sicherheit von Lieferung und Verkauf, von Verbrauch und Versorgung zu verstehen ist. Er will auch das Verständnis der Partner dafür gefunden haben, dass sich um die Sicherheit der Energie-Infrastruktur gekümmert werden muss und dabei die Rolle des Staates nicht zu verachten ist. (Presseerklärung im Anschluss an den G8-Gipfel, President. kremlin.ru) Die anderen haben ihm diese Formeln unterschrieben, er seinerseits denen wieder einmal ihre Marktprinzipien. Mit der Würdigung der Rolle des Lieferanten und seiner Infrastruktur ist ein Stück Anerkennung des russischen Konkurrenzprogramms in den Abschlussdokumenten verankert, so dass auch einem außerordentlich gemeinsamen Wert nichts mehr im Wege steht: dem der Interdependenz, auf den sich Russland und Europa schon bei ihrem letzten Treffen als Formel für den Komplex ihrer Interessengegensätze und -gemeinsamkeiten geeinigt haben.

„Russland ist an der ‚zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Produzenten-, Transit- und den Verbraucherländern‘ interessiert. Anders ausgedrückt: Die Sicherheit der Energieverbraucher ist nicht weniger wichtig als die Sicherheit der Energieproduzenten, und die Zuverlässigkeit der Lieferungen ebenso bedeutend wie auch eine garantierte langfristige Nachfrage.“ (G8-Treffen: Neue Sicht auf die globale Energiesicherheit, Andrej Kolesnikow, RIA Novosti, 19. Juli 2006)

Während Europa gewohnheitsmäßig sein Recht auf Kontrolle über den ganzen Energiesektor daraus ableitet, dass es sonst einer unerträglichen einseitigen Abhängigkeit von seinen Lieferanten ausgesetzt wäre, hat sich Russland eine konstruktive Fortschreibung der Sprachregelung in diesem Energiedialog einfallen lassen: Es präsentiert Europa seine Gegenrechnung, dass ein Lieferant mindestens ebenso abhängig ist, und drückt seinen Anspruch darauf, als in diesem Energiesektor maßgeblicher Player anerkannt zu werden, kongenial so aus, dass es an der zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeit interessiert ist.

Die amerikanische Antwort

Bush ist gekommen, und das war auch schon das hauptsächliche Entgegenkommen gegenüber dem Gastgeber. Viel mehr an Eintracht ist im amerikanisch-russischen Verhältnis nicht zu erzielen.

Amerika befindet über Ausschluss und Zulassung auf dem Weltmarkt

Statt der kurz vor dem Gipfel hoffnungsvoll angekündigten Einigung über die Aufnahme Russlands in die WTO erfolgt die erneute Absage, so dass auch die ewige Zusage einer Aufhebung des Jackson-Vanick-Amendments von neuem vertagt wird.[5] Zu allerletzt sollen die WTO-Verhandlungen daran gescheitert sein, dass „die amerikanische Seite darauf bestanden hatte, dass Russland ein Zertifikat für die Fleischlieferungen ohne entsprechende Überprüfung des amerikanischen Systems der Veterinärkontrolle erteilt.“ Es ist eher unwahrscheinlich, dass die US-Wirtschaft dadurch schwer geschädigt wird, wenn Russland sich beim Import von US-Ware eine eigene veterinärmedizinische Kontrollbefugnis vorbehält – die Lächerlichkeit des Punkts, an dem die USA ihre Zustimmung diesmal scheitern lassen, demonstriert, dass es ihnen viel mehr auf die Beibehaltung des Druckmittels selbst ankommt. Man möchte vorerst weder auf das Verfahren der alljährlichen Genehmigung der Meistbegünstigung verzichten noch auf die Position, sich das Ja zum WTO-Beitritt abhandeln zu lassen, beides Instrumente, um in den verschiedenen Weltordnungsaffären auf russische Gefügigkeit zu dringen.[6] Verschönert wird diese Maßnahme zur erzieherischen Bestrafung Russlands durch demonstrative Ungleichbehandlung in Gestalt von Forderungen, wie sie gegenüber anderen Kandidaten nicht erhoben werden; vor allem aber durch das langjährige Hinhalten Russlands, der Vormacht auf dem Gebiet der GUS, im Unterschied zur Pflege der von Präsident Bush ernannten Leuchttürme der Demokratie: Georgien mit seiner sagenhaften Nationalökonomie ist schon längst in die WTO aufgenommen, und die Ukraine sollte als Belohnung für die Orange Revolution schleunigst aufgenommen werden.

Daneben kultivieren die USA andere Hebel, die sich im Handel mit Russland zur Herstellung fühlbarer Nachteile einsetzen lassen: Die Cocom-Listen aus den Zeiten des Kalten Kriegs, die den Zugang zu als kriegstauglich verdächtigten Hightech-Produkten erschweren, sind unvermindert weiter in Funktion. Vor dem Gipfel wird der Fall Yukos wieder aufgewärmt, indem eine Handvoll amerikanischer „Privatleute“ vom Schlage ehemaliger Präsidenten-Berater einen Feldzug gegen den Börsengang der russischen Firma Rosneft startet.[7] So werden die bekannt feinfühligen Finanzmärkte auf ein Geschäftsrisiko hingewiesen, das mit Russenfirmen einhergeht – wer sich Yukos-Vermögensbestandteile aneignet, wird mit einem sogenannten „Prozessrisiko“ ausgestattet – und das die von russischer Seite angebahnten Geschäfte zumindest beeinträchtigt und Russland bei seiner Geldbeschaffung seine vergleichsweise noch nicht besonders solide finanzielle Verfassung spüren lässt. Vorschriften über Transparenz bei der Börsenzulassung in Amerika, die russische Firmen schlecht erfüllen können, versperren denen ein bisschen den Zugang zum großen amerikanischen Markt. Solche Einwände aus Amerika leisten ihre Dienste bei der Beeinträchtigung des geschäftlichen Rufs russischen Kapitals, wie z.B. im Fall Arcelor.[8] Die Warnung bei der geschäftlichen Durchmusterung der Russenfirmen will sagen, dass man es hier mit undurchsichtigen Oligarchen zu tun bekommt, hinter denen letztlich der russische Staat steckt, operiert also mit dem Hinweis auf den besonderen staatlichen Rückhalt, den diese Firmen genießen – was woanders ein erstklassiges, d.h. positives Indiz für Spekulanten abgeben würde, hier aber nicht, weil die Geschäftswelt weiß, dass dieser Souverän bei der den Weltmarkt beherrschenden Nation nicht so gut angeschrieben ist, dass man bedingungslos auf seine Wertpapiere setzen sollte.

Dabei ist es nicht so, dass die USA Russland nun, wo es auf dem Weltmarkt reüssieren will, von diesem verbannen wollten. Aber die nachdrückliche Erinnerung daran, wer der Hüter dieser Märkte ist, um wessen politisches Wohlwollen man sich folglich bemühen muss, wenn man dort erfolgreich sein will, soll schon sein. Zumal Amerika der Auffassung ist, dass sich Russland noch gar nicht in die weltpolitische Rolle hineingefunden hat, die ihm zukommt.

Amerika bietet einen Handel an: Rechte im internationalen Atomgeschäft gegen Folgsamkeit in der Iran-Affäre

Angesichts der Tatsache, dass sich Russland nicht davon abhalten lässt, andere Nationen mit atomarem Material und Atomtechnologie auszustatten, und damit dem amerikanischen Bedürfnis in die Quere kommt, über das gerechte Ausmaß der Verteidigungsfähigkeit anderer Nationen zu befinden, sinnt die US-Politik auf Wege, das russische Treiben zum Zweck besserer Kontrolle „einzubinden“ und unterbreitet vor dem Gipfel ihr Angebot einer dosierten Beteiligung. Bush bittet Putin zur Gemeinsamen Erklärung:

„Die Vereinigten Staaten und die Russische Föderation glauben, dass die Verstärkung ihrer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Nuklearenergie im strategischen Interesse beider Länder liegt.“

Wenn sich nämlich Russland anständig benimmt, könnte sich Amerika noch viel besser vorstellen, wie es den Zugang anderer Nationen zu einer wirtschaftlichen, umweltfreundlichen und friedlichen Nutzung der Nuklearenergie regelt. Deshalb wird Russland damit belohnt, dass seine Wissenschaftler jetzt auch unter amerikanischer Obhut mitforschen dürfen.[9] Die Amerikaner erklären Russland außerdem für geeignet zur Abnahme von internationalem Atommüll, entweder zur Wiederaufarbeitung oder zur Endlagerung. Nicht nur in dem Sinn, dass das Land so groß ist, dass es kaum auffällt, wenn größere Teile davon verstrahlt werden. Vielmehr wird der seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nachdrücklich angemeldete Verdacht, dass mit dem gefährlichen Müll etwas Amerika-Widriges angestellt werden könnte, entweder von Seiten russischer Instanzen oder – mangels russischer Fähigkeit zu effizienter Kontrolle – von Seiten irgendwelcher Schurken, etwas relativiert. Die Drohung, Russland wegen seiner unsicheren Anlagen in die Kategorie der Aufsichtsobjekte einzusortieren, wird abgeschwächt, die USA stellen eine gewisse Aufwertung in Aussicht, die zum graduell Beteiligten an ihrem Aufsichtsregime. Über die jeweils angebrachte Mischung von Beteiligung und Kontrolle im Rahmen der gemeinsamen globalen Initiative zur Bekämpfung von Nuklearterrorismus entscheiden die USA –, im Gegenzug müsste sich Russland aber auf aktive Kooperation (SZ, 10.7.06) bei der Behandlung des Iran verpflichten, d.h. sich im Sicherheitsrat hinter die USA stellen, das von denen gewünschte Vorgehen nicht mehr bremsen, dafür also auch seine vielfältigen nützlichen Beziehungen zum Iran aufs Spiel setzen. Es hat eben seinen Preis, wenn man an der Seite der USA an deren Ordnungsprogramm mitwirken darf. Zur Unterstreichung ihres Rechts auf russisches Wohlverhalten verhängt die US-Regierung direkt im Anschluss an den Gipfel wieder einmal Sanktionen gegen russische Rüstungsfirmen, diesmal gegen den Waffenexporteur Rosoboronexport und den Flugzeugbauer Suchoj; sie sollen Ausrüstungen und Technologien an Iran geliefert haben, die potenziell zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen sowie von ballistischen bzw. Flügelraketen beitragen könnten (RIA Novosti, 7. August). Die Beförderung Russlands zum Mitmacher in Sachen Aufsicht ist ohne die Verpflichtung zur Übernahme der Definition des Iran als zu beseitigender Schurkenstaat und ohne tatkräftige Mithilfe bei seiner dementsprechenden Behandlung nicht zu haben.

Indem die USA den angebotenen Deal öffentlich bekannt machen und zu verstehen geben, dass sich Russland seinen Widerstand gegen die Eskalation im Umgang mit dem Iran mit ein paar Atomgeschäften abkaufen lässt, vermitteln die Bush-Leute eine weitere diplomatische Botschaft: Ihr guter Freund Putin ist Chef einer immer noch wenig respektablen Macht, die sich im Zweifelsfall kaufen lässt. In Frage kommende Schurkenstaaten sollten sich also besser nicht auf die Solidität solcher anti-amerikanischen Freundschaften verlassen.

Amerika reklamiert mehr Werte in Russland

Amerika schlägt aber noch eine ganz andere Tonart an, wirft nämlich regelrecht die Frage nach der Berechtigung auf, ob Russland überhaupt als Mitmacher zum Kreis der mächtigsten Nationen zuzulassen und nicht eher als Angeklagter vorzuladen wäre.

Seit dem vorletzten G8-Gipfel sieht sich Russland einer US-Kampagne zur Androhung der Verschlechterung der Beziehungen gegenüber. Im Winter fordert der republikanische Senator McCain einen Boykott des Gipfels; andere Stimmen verlangen, Russland wieder auszuschließen; das Pentagon verfertigt eine Studie, nach der Russland die irakische Führung während des Krieges mit Geheimdienstmaterial versorgt haben soll, was von Rice als sehr ernster Fall deklariert wird, für den sie russische Aufklärung verlangt; russische Regierungsvertreter werden mit gerichtlichen Vorladungen im Fall Yukos verfolgt. Diverse amerikanische think tanks und NGOs sekundieren, veröffentlichen ihre Rating-Listen, nach denen Russland in Sachen Bruttosozialprodukt und Demokratie blamabel weit hinten rangiert. Der Gipfel soll demzufolge als Gelegenheit dienen, um den Gastgeber weltöffentlich zur Rede zu stellen bezüglich seiner Reform-Defizite, aber auch zu Themen wie Tschetschenien oder den weißrussischen Wahlen. Anhand dieser Hinweise auf das Klima des Treffens spekuliert die Presse erwartungsvoll auf Bildmaterial mit Gewaltorgien der russischen Staatsmacht gegenüber Globalisierungsgegnern, ungefähr solchen wie damals in Genua, oder auf andere formschöne Unterdrückungsakte gegenüber Menschenrechtlern, die sich dem westlichen Publikum vorführen lassen. Nachdem die US-Diplomatie der russischen Führung die verschiedensten Möglichkeiten in Aussicht gestellt hat, womit man ihr die Gipfelfeierlichkeiten versauen könnte, wenn man wollte, erhebt dann der amerikanische Vizepräsident die wuchtigsten Anklagen höchstpersönlich und beschuldigt die Putin-Mannschaft folgender Vergehen: die Rechte des russischen Volkes in Fragen der Demokratie ungerecht und inkorrekt zu beschränken, außenpolitisch Erdöl und Gas als Instrument zur Erpressung und Einschüchterung einzusetzen sowie die territoriale Integrität eines Nachbarlandes zu unterminieren oder sich in demokratische Bewegungen einzumischen.

„Amerika und auch alle Europäer wollen Russland in der Kategorie gesunder, lebendiger Demokratien sehen. Aber im heutigen Russland versuchen Reformgegner, die Fortschritte der letzten Dekade zurückzudrehen. Russland muss sich entscheiden… Niemand von uns glaubt, dass Russland dazu bestimmt ist, ein Feind zu werden. Ein Russland, das in zunehmendem Maß die Werte dieser Gemeinschaft teilt, kann ein strategischer Partner und zuverlässiger Freund werden, wenn wir auf gemeinsame Ziele hinarbeiten. In diesem Geist werden die führenden Industrienationen Russland auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg verpflichten.“ [10]

So ist dann alles vorbereitet für einen wunderbaren Dialog auf dem G8-Gipfel: Russland präsentiert sein Aufstiegsprogramm, tritt in so harten strategischen Konkurrenzaffären an wie dem Schacher auf dem Weltenergiemarkt, und die anderen Mächte machen daraus eine Frage der Zulassung. Russland ist längst mit im Geschäft, Banken- und Firmenchefs gehen in Moskau aus und ein, weil dort so viele interessante Entscheidungen fallen, und dann bekommt es von den anderen Staatschefs zu hören, dass es eigentlich nicht qualifiziert sei mitzureden, ein ungeeigneter Kandidat für diese hohe Stellung in der Staatenwelt. Bei allen Interessen an der Benutzung russischer Reichtumsquellen möchten sie dem russischen Staat hinreiben, dass er nicht geeignet, nicht legitimiert ist, um von Gleich zu Gleich über den Weltmarkt mitzuentscheiden. Das Verfahren ist das altbekannte, das Staaten bei der Behandlung von Konkurrenzaffären praktizieren: Um das Interesse der anderen Seite zurückzuweisen, wird ein Regelverstoß reklamiert, womit die etablierten Mächte sich zur Zulassungsbehörde erklären.

Eröffnet wird die gegen Russland angeführte Beschwerdeliste mit den Kinderweisheiten über ‚Staat und Markt‘ – zu hören von denselben Staatssubjekten, die tags darauf die Doha-Runde scheitern lassen, ohne dass den USA und den Europäern, die dort die Verhandlungen über die Fortschritte des Welthandels blocken, das Dogma von wegen zu viel Staat entgegengeschmettert würde. Zu hören ist der Vorwurf, die Russen würden ihre marktwirtschaftlichen Potenzen nicht marktgerecht einsetzen, sondern als Instrument zur Erpressung und Einschüchterung – von Seiten der USA, die ihre Welt mit Wirtschaftssanktionen ordnen. Dieselben Leute, die gewohnt sind, ihre Macht über die Märkte in Dollar und Cent zu berechnen und Russland von seiner ökonomischen Macht her für viel zu leichtgewichtig befinden, fahren andererseits gegen Russland die schwersten moralischen Geschütze auf. Sie kommen mit unseren Werten, erklären sich selber zum Maßstab für good governance im Rest der Welt, um anhand dieses Maßstabs zu befinden, dass die andere Herrschaft nicht ganz zulassungswürdig ist. Selber geht man dabei ganz interesselos zu Werk, einzig daran interessiert, dass in Russland human regiert wird und das russische Volk endlich zu seinem Recht kommt…

„Da gab es Momente einer Sieben-gegen-einen-Konstellation am Konferenztisch. Denn Putins halbautoritäres Russland ist politisch ein Fremdkörper im Kreise der anderen gefestigten Demokratien.“ (FAZ, 18.7.2006)[11]

Die Weltwirtschaft der gefestigten Demokratien, dieses Ensemble aus Spekulation und Hungersnöten, Gewinnexplosionen der Pharmaindustrie und Seuchen, Massenarbeitslosigkeit, Konkurrenz um die schäbigste Bezahlung und die prächtigsten schwarzen Zahlen – ein einziges Reich des Guten. Wir als Westen sind einfach gut, wir haben ‚Werte‘. Bush und Cheney, Praktiker der Demokratie, was Spendensammeln, Parteiintrigen, Propagandashows mit Soldaten angeht, die vor allem eines beherrschen: Demokratie als Argument für ihr weltweites Zuschlagen, geben gegenüber Russland die Schiedsrichter über moralisch einwandfreies Regieren, predigen über Schuld und Sühne. Die strategischen Ambitionen Russlands sind verwerflich, aber die umgekehrten Operationen, welche die russische Nachbarschaft in die Nato überführen, um Russland einzuzäunen, und dazu passend die Einrichtung von US-Stützpunkten rund um die Russische Föderation herum – das passiert alles nur wegen der Demokratie, nur damit die USA weltweit die Rechte der Wähler schützen können.

Dass der amerikanische Vorwurf von wegen Zurückdrehen der Reformen ausgerechnet den Staatsruin der Jelzin-Phase als Vorbild an Demokratie zitiert, die Koinzidenz, bei der Amerika genau in dem Maße Rückschritte der russischen Demokratie erkennt, wie Russland Fortschritte bei seiner staatlichen Konsolidierung erzielt – Wiedererrichtung der Autokratie in Rußland (Mc Cain, FAZ, 11.06.06), „Freedom House hat Rußland in die Gruppe der unfreien Länder eingestuft… Russland sei systematisch von dem 1991 gewählten Weg zur Demokratie abgewichen. Als Hauptverantwortlicher wird Präsident Putin genannt…“ (FAZ, 17.6.06) –, kennzeichnet das amerikanische Anspruchsniveau, was das Regieren in Russland betrifft: Man hätte gerne Beides, eine stabile russische Staatsmacht, die ihren Herrschaftsbereich unter Kontrolle hat und für jeden erdenklichen Zugriff brauchbar macht, kombiniert mit der vorhergehenden Verfassung russischer Macht, mit einem Trottel an der Spitze, der sich seine Tagesbefehle aus Washington abholt.[12]

Er lässt sich auch die Retourkutsche nicht nehmen, dass die USA bei ihrer Versorgung des Irak mit Demokratie zur Zeit nicht gerade Werbung für diese Staatsform machen: Bush: ‚Ich habe mit ihm über meinen Wunsch gesprochen, institutionelle Veränderungen in Teilen der Welt wie dem Irak zu fördern, wo es eine freie Presse und die Freiheit der Religion gibt. Ich habe ihm gesagt, dass viele Leute in meinem Land hoffen, dass Russland das Gleiche tut.‘.. aber Putin hatte schon eine Antwort parat, mit der er den Saal zum Lachen brachte: ‚Wir hätten sicher nicht gerne die gleiche Art von Demokratie wie im Irak.‘ (FAZ, 17.7. Da können dann auch die Deutschen mitlachen.) Vor und neben dem Gipfeltreffen hat der US-Präsident daher viel zu tun mit anderen Staatsbesuchen und -empfängen, um das Recht Amerikas auf die Einsetzung des passenden Regierungspersonals in dieser Weltgegend geltend zu machen, schließlich muss er seinen Demokratie-Leuchttürmen in der russischen Nachbarschaft und in Moskau – den mutigen Dissidenten nämlich – das öffentliche Forum und politische Gewicht verschaffen, das Putin ihnen nicht gönnt.

Die anderen 6 von den G8, die es schließlich auch noch gibt, haben zu alledem selbstverständlich ihre eigene Meinung, die sich zwischen ‚Problemfall Russland‘ und ‚gar nicht so unwichtiger Beiträger zu unserer Weltordnung‘ bewegt. Die Sicht der deutschen Nation z.B., die sich von Russland als Energie- und Modernisierungspartner einen erheblichen Nutzen verspricht, hat bei Frau Merkel den Glauben daran wachsen lassen, dass auch der Russe zur Besserung fähig ist: Rußland könne schrittweise an westliche Werte herangeführt werden. (FAZ, 15.7.06)

Was die USA als Sachwalter der Weltordnung an Russland auszusetzen haben

Russland ist ein immer brauchbarerer Bestandteil des Weltmarkts, es gibt zunehmend an ihm zu verdienen. Das Ärgerliche aus amerikanischer Sicht ist aber, dass das Land eben damit zugleich auch die zielstrebige Restauration seiner Macht bestreitet und daraus Mittel zur Behauptung eines Eigenwillens zieht. Der amerikanische Vorwurf an die russische Adresse, Energie als politische Waffe einzusetzen, ist ja ein interessanter Vorwurf von Seiten der Macht, die seit Jahren im Rahmen des sogenannten ‚great game‘ damit befasst ist, die Energieströme und Transportlinien so zu organisieren, dass die russischen Machtquellen beschnitten werden, die also mit der Ein- und Herrichtung der Energiemärkte über die politische Statur der Beteiligten entscheiden will. Insofern auch eine klare Auskunft, dass Amerika sich diese politische Waffe vorbehalten möchte und für Russland eine Art Imperialismusverbot vorgesehen hat: Wer die Umsetzung von Geschäftserfolgen in politisches Gewicht betreibt, aus dem Rohstoffhandel politischen Einfluss herauswirtschaften will – zumal in der Größenordnung, in der Russland antritt –, steht unter schärfstem Verdacht, dass er damit in die Amerika vorbehaltene Zone der Ordnungsstiftung einbricht.

Die russische Bereitschaft zum Mitmachen in der Weltordnung wird gewürdigt und anerkannt, gerät aber noch lange nicht zur amerikanischen Zufriedenheit. Russland streitet sich immer noch hartnäckig um so etwas wie eine eigene Einflusssphäre, missbraucht seine Freiheit zu anti-amerikanischen Freundschaften, möchte glatt die Kollateralschäden des amerikanischen Weltordnens ausnützen und mit Staaten, die sich in der amerikanischen Weltordnung nicht gut aufgehoben vorkommen, Sonderbeziehungen knüpfen, zwar überhaupt nicht mehr als alternative Weltmacht, aber sehr wohl für seinen Konkurrenzerfolg und als Hebel für seine Geltung. Es will sich nicht in die Rolle eines Erfüllungsgehilfen für die USA hineinfinden, betont stattdessen seine Vorbehalte, baut sich auf als eine Instanz, die berücksichtigt sein will, und macht sich als Bremse im Sicherheitsrat hinderlich bemerkbar. Es errichtet auch noch bei sich zu Hause Hindernisse gegen die wohlwollenden Versuche Amerikas, in seinem Innenleben auf den Wandel zum Besseren einzuwirken. Wo sich Amerika rührend um das Recht des russischen Volkes kümmert, sich durch die richtigen Propagandaministerien und Charaktermasken zum korrekten Meinen und Wählen anleiten zu lassen, will der russische Gewaltmensch die Finanzquellen der NGOs verstopfen, die ihm Amerika spendiert. Insofern sind weitere Erziehungsakte zur Erzeugung von Kooperationsbereitschaft erfordert, Erpressungen, Drohungen, Angebote – eben Überprüfungen des russischen Willens und der russischen Fähigkeit zur Demokratie.

[1] Dass der Rubel wirklich konvertibel wird, hängt zum großen Teil von seiner Attraktivität als Instrument für Geldanlagen und Sparen ab. Vor allem muss der Rubel viel mehr zum Mittel für internationale Anlagen werden und sollte schrittweise seine Einflusszone ausdehnen. Zu dem Zweck müssen wir auf russischem Boden Börsen für Öl, Gas und andere Waren einrichten, die ihre Transaktionen in Rubel abwickeln. Unsere Güter werden auf den Weltmärkten gehandelt, aber warum werden sie nicht hier in Russland gehandelt? (Putin, Botschaft an die Nation, 2006)

[2] Wenn die USA bei Verhandlungen über den Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation (WTO) auf weiteren Forderungen bestehen, die gegenüber anderen Ländern nicht gestellt wurden, kann Russland seine ebenfalls neuen Forderungen an solche US-Unternehmen nicht ausschließen, die sich am Stockmann-Projekt beteiligen wollen. (Schuwalow, Putins G8-Beauftragter, RIA Nowosti, 1.Juni 2006) Russland lässt nach einem mehrjährigen Verhandlungsclinch Eon erst dann zur Förderung zu, als die deutsche Firma umgekehrt Gasprom Anteile an einem Gasverteiler in Ungarn überlässt; gegenüber der englischen Regierung, die den Verkauf der Gasvertriebsgesellschaft Centrica an Gasprom verhindern wollte, operiert man mit der Drohung, BP von neuen Projekten auszuschließen; Italien, dessen ENI den effektiven Marktzugang von Gasprom erfolgreich hintertrieben hat, wird mit der Drohung konfrontiert, dass sich seine beiden wichtigsten Gasversorger, Russland und Algerien, zusammenschließen.

[3] Vor dem Gipfel legt die russische Führung ein paar Beweise vor, was ihre „Qualifikation“ für das Gremium der Großen Sieben betrifft: 2 erledigte Tschetschenenanführer, darunter der Hauptfeind Nr. 1, Bassajew, ein russischer Erfolg in Sachen Anti-Terror-Kampf, sowie eine weitere Portion Schuldenabbau. Russland tilgt schon wieder einen Teil seiner finanziellen Verbindlichkeiten vorfristig, erlässt seinerseits einigen HIPC-Ländern Schulden, führt also vor, wie es sich aus dem Status des Schuldnerlandes auf die Seite der Gläubigerländer hinüberwirtschaftet. Mittlerweile sind die Schulden im Rahmen des Pariser Clubs komplett getilgt, und Russland empfiehlt sich der Welt als Kreditgeber. Demonstrativ wird vorgeführt, dass es mit dem kaputten Russland der Phase Jelzin endgültig vorbei ist, für den feinen Geschmack des „Spiegel“ etwas zu aufdringlich: Ein bisschen sehr forsch im Ton kommt das neue Moskau vor dem G8-Gipfel daher, ‚halbstark‘ beinahe, dabei unverhohlen um Augenhöhe werbend. (10.7.06) Beim „Spiegel“ reserviert man sich die Komplimente für gelungenes Auftreten offensichtlich für die Ganz-Starken.

[4] Passend dazu der Einfall von einem der Verfasser des Gesetzentwurfs, das Erdgas sollte schon lange als strategischer Rohstoff anerkannt werden. Sein Verkauf muss umfassend vom Staat kontrolliert werden, wie es mit dem Waffenhandel der Fall ist (RIA Novosti, 7. Juni), wo ja die westlichen Partner immerzu nach staatlicher Kontrolle schreien.

[5] Ein US-Gesetz aus dem Jahr 1974, das den Status der Sowjetunion als Handelspartner Amerikas, die Gewährung der Meistbegünstigungsklausel, an eine jährliche Überprüfung knüpft, ob Juden ungehindert auswandern dürfen. Das dürfen sie zwar schon längst, sie dürfen auch schon in großen Mengen für Israel Krieg führen, aber die USA mögen das Instrument einfach nicht missen.

[6] Die Schäden, die russischen Firmen durch Strafzölle entstehen, rechnen russische Experten auf jährlich einige Milliarden Dollar hoch. Ein Weltmarktteilnehmer, der bei einem Handelspartner, der kein Mitglied der WTO ist, unlautere Konkurrenz entdecken will, muss den Vorwurf von Dumping-Preisen nicht erst beweisen. Umgekehrt ist Russland als Nicht-Mitglied auch vom dort vorgesehenen Rechtsweg ausgeschlossen.

[7] Verklagt wurden Russland, Gasprom, Gaspromneft, Rosneft und Rosneftegas sowie Top-Manager dieser Unternehmen und ranghohe russische Beamte, u.a. der Energieminister, der Finanzminister, der Chef der Präsidialverwaltung, der stellvertretende Ministerpräsident… Die Inhaber der ADR-Papiere glauben, durch ‚gesetzwidrige Steuerexekution und eine Umwandlung von Aktiva in Staatseigentum‘ drei Millionen Dollar verloren zu haben. Sie fordern dafür eine Entschädigung in Höhe von neun Millionen Dollar. (RIA Novosti, 17. Juli 2006)

[8] Der europäische Stahlmulti Arcelor lädt den russischen Stahlproduzenten Sewerstal zur Fusion ein, um einer feindlichen Übernahme durch den indischen Stahlgiganten Mittal zu entgehen – und die Wirtschaftsseiten erörtern die Frage, wer jetzt das kleinere Übel, wer europäischer bzw. „transparenter“ ist, ein Inder oder ein Russe? Der Russe wird, nachdem die Rufschädigungs-Kampagne auf Aktionärsebene Erfolg hatte, dann wieder ausgeladen.

[9] „Die USA hatten es bislang nicht eilig gehabt, Russland zur Teilnahme an dem von Washington initiierten Projekt der globalen Partnerschaft in der Atomwirtschaft einzuladen, das gemeinsame Forschungen in sechs aussichtsreichen Richtungen der Sparte zum Inhalt hat. Jetzt haben die Amerikaner es sich anders überlegt. Nachdem die USA, die Länder der Europäischen Union (EU) und noch zehn weitere Staaten Mitglieder des Internationalen Forums Generation IV wurden, hat Washington Russland nun endlich aufgefordert, in das Forum einzusteigen.“ (RIA Novosti, 24. Juli 2006). Andererseits nach dem Gipfel die Botschaft an Russland: Die amerikanischen Behörden haben am Mittwoch beschlossen, den Anfang der 90er Jahre eingeführten 115,8-prozentigen Zoll für die Einfuhr von russischem Uran für mindestens weitere fünf Jahre zu belassen. (RIA Novosti, 20. Juli)

[10] Rede des Vizepräsidenten auf der Konferenz in Wilna, 4.5.06, beim Gipfeltreffen der Ostsee- und Schwarzmeerstaaten, das er zur Gründung eines antirussischen Bündnisses einberufen hat.

[11] Stellt sich nur die Frage, wie ein so unpassendes Mitglied wie Russland denn überhaupt in das Gremium hineingekommen ist, welche die amerikanischen Fachleute für Politik ganz unbefangen mit den damaligen strategischen Rechnungen beantworten: Erst einmal wurde Präsident Jelzin 1994 zur „+1“ befördert, um ihn bei der Auflösung der Sowjetunion und der Vernichtung ihrer strategischen Mittel auf Kurs zu halten und beim ersten Krieg gegen den Irak zum Stillhalten zu bewegen; 1998 erfolgte die Beförderung zur Nummer 8 als Belohnung für seine Hinnahme der Osterweiterung der NATO. „Is Russia qualified for the G8?“ – diese Qualitätsprüfung der russischen Herrschaft war damals also klar mit den strategischen Zugewinnen beantwortet, die sie ihren Partnern verschafft hatte.

[12] Auch bei dem Thema nimmt sich der russische Präsident gelegentlich die Freiheit zu kontern, indem er die imperialistische Zielsetzung seiner guten Freunde bei ihrem selbstlosen Einsatz für die demokratischen Verfahren beim Namen nennt: ‚Ich denke, die ständigen Nörgeleien wegen angeblicher Probleme mit Demokratie und Pressefreiheit werden als Instrumente der Einmischung in die Innen- und Außenpolitik Russlands missbraucht, und zwar mit dem Ziel, Einfluss zu gewinnen‘, sagte der russische Präsident in einem Interview für den kanadischen Fernsehsender CTV… ‚Es gibt nur noch wenig Möglichkeiten, auf Russland Einfluss zu nehmen‘, stellte der Präsident fest, wobei er daran erinnerte, dass es derartige Möglichkeiten zu Beginn der 1990er Jahre gegeben hatte, als Russland am Abgrund seiner Staatlichkeit taumelte. Trotzdem, so der Staatschef, würden einige Partner dem Wunsch nachjagen, Druckmittel aufzuspüren. ‚Den Wunsch, die Lage in Russland und die russische Außenpolitik zu beherrschen und zu kommandieren, verspüren einige unserer Partner noch immer. Es begann eine fieberhafte Suche nach Druckmitteln und Marionettenfäden‘. (Wladimir Putin schließt fremde Kontrolle über Russland aus, RIA Novosti, 12. Juli 2006)