Weltwirtschaftsgipfel in St. Petersburg
The good and the ugly
Mitte Juli treffen sich die Großen 8 im frisch angestrichenen St. Petersburg. Ausweislich des Namens der Veranstaltung steht die Weltwirtschaft zur Befassung an; aber niemand ist sonderlich darüber erstaunt, dass dann die meiste Zeit auf den neuen Krieg im Libanon verwendet wird. Auch wenn es sich wie ein Themenwechsel anhört – der Hizbullah ist ja eine etwas andere Materie als der Dollarkurs, der Ölpreis oder die Schuldenländer –, ist der Gipfel damit nicht von seiner Hauptaufgabe abgekommen.
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Systematischer Katalog
Weltwirtschaftsgipfel in St.
Petersburg
The good and the ugly
Mitte Juli treffen sich die Großen 8 im frisch angestrichenen St. Petersburg. Ausweislich des Namens der Veranstaltung steht die Weltwirtschaft zur Befassung an; aber niemand ist sonderlich darüber erstaunt, dass dann die meiste Zeit auf den neuen Krieg im Libanon verwendet wird. Auch wenn es sich wie ein Themenwechsel anhört – der Hizbullah ist ja eine etwas andere Materie als der Dollarkurs, der Ölpreis oder die Schuldenländer –, ist der Gipfel damit nicht von seiner Hauptaufgabe abgekommen. Denn wenn die Mächtigen über die Weltwirtschaft tagen, Konditionen für ihr künftiges Geschäftemachen auf dem Globus beschließen, geht es allemal um Fragen der Macht und ihrer Anwendung, der Kontrolle über andere und ihr Benehmen, alles Fragen vom Kaliber, wer in der Staatenwelt sich was herausnehmen darf. Auch Weltwirtschaftsfragen sind ein Unterfall von Weltordnung, dem Gesamtkunstwerk, in dem sich die Machthaber ihren aktuellen Bedarf beim Gebrauch ihrer Macht genehmigen.
Insofern hat der Gipfel den üblichen Verlauf genommen,
weg von der Weltwirtschaft zu den Ordnungsfragen der
Welt. Ganz zu kurz gekommen ist der Weltmarkt dann aber
doch nicht, denn Russland, erstmals in der Rolle des
Gastgebers, hat das Thema Energiesicherheit
auf
die Tagesordnung gesetzt. Und seine Partner – die
Überprüfung des Gastgebers. Er steht auf dem Prüfstand,
seine Gäste und mit ihnen deren dienstbeflissene
Öffentlichkeit erörtern vor und während des Gipfels, ob
Russland überhaupt in das Gremium hineinpasst, dafür
qualifiziert
ist … Anstatt sich der Lesart
anzuschließen, nach der es darum gehen soll, Russland das
Regelwerk guten Regierens nahe zu bringen, empfiehlt es
sich, zwischen dem harten Stoff, der bei Treffen
dieser Art verhandelt wird, und der Form, den
diplomatischen Verballhornungen, zu unterscheiden.
Russland präsentiert seine unverzichtbaren Leistungen für die Energieversorgung der Weltwirtschaft und verlangt Respekt
Nachdem die Launen der Natur das Land mit Rohstoffvorkommen in beträchtlichem Umfang und Vielfalt ausgestattet haben und der reale Sozialismus die Potenzen zu deren industrieller Verarbeitung, bis hin zu einer kompletten Atomwirtschaft, hinzugefügt hat, verfügt es in allen Abteilungen der Energieproduktion über Voraussetzungen, um in der Welt des Kapitals mitzukonkurrieren. Dank der ordnungspolitischen Leistungen der Großen 7 ist auch die strategische Bedeutung der Ware Energie offenkundig: Die Aufmischung der Energiemärkte durch die Konkurrenz der führenden Nationen um jeweils ihre Energiesicherheit, vor allem durch die Eröffnung von Kriegsschauplätzen im Nahen Osten, haben Russland nach seinem Zusammenbruch einen Aufschwung beschert, das Land gewissermaßen in die Rolle des Krisengewinnlers versetzt; und aus der Lage will die zur Marktwirtschaft bekehrte Nation etwas machen. Das Rohstoffgeschäft soll die Mittel hergeben für die Emanzipation von der skandalösen Rolle als Rohstoffland, auf welche die frühere Weltmacht reduziert worden ist.
Und dieses Programm präsentiert Russland seinen Partnern im modernen Stil unter dem Titel „Energiesicherheit“, definiert sein Geschäft als einen Beitrag zur Weltwirtschaft, sein Interesse als eine äußerst gemeinschaftsdienliche Leistung, die die imperialistischen Partner und Konkurrenten entsprechend honorieren sollen. Es erhebt Anspruch darauf, dass daraus auch ein wachsender eigener Nutzen und von den anderen zu konzedierende Rechte zu folgen hätten. Sein Aufstiegsprogramm wird nämlich in Gestalt einer Reihe von Streitfällen mit den Partnern abgewickelt, die sich Russland weiterhin gut als Rohstoffland hätten vorstellen können, dem sie mit Kapital und Know-how aushelfen und dem sie auch die Last mit der Verwertung seiner Öldollars abnehmen. Aber entgegen ihren Lektionen über ‚Staat und Markt‘, darüber, wo überall sich ein vorbildlicher Staat ‚heraushalten‘ müsste, hat sich die russische Führung dann lieber doch genauso wenig herausgehalten wie ihre marktwirtschaftlichen Vorbilder, hat die Überführung der Rohstoffkonzerne in westliches Eigentum und unter westliche Kontrolle blockiert und damit die Grundlage für die marktwirtschaftliche Karriere ihrer Nation gesichert.
Das Programm, das Rohstoffgeschäft für den Aufbau einer imperialistischen Geschäftsgrundlage zu funktionalisieren, ist auch in seinen weiteren Etappen eine Frage der Durchsetzung gegen die auf dem Weltmarkt etablierten Interessen: Die Mittel aus dem Rohstoffhandel sollen weniger in internationale Geldanlagen „flüchten“, stattdessen in den weiteren kapitalistischen Aufbau der Nation geschleust und für die kapitalistische Inbetriebnahme der industriellen Grundlagen in Russland nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig soll sich das Rohstoffgeschäft als Hebel zur Durchsetzung des Rubel als anerkanntes Geschäfts- und Kreditmittel bewähren, die Einrichtung russischer Rohstoffbörsen die lieben Geschäftspartner zum Gebrauch des russischen Geldes animieren und darüber dessen „Einflusszone ausdehnen“[1] – gegen das amerikanische Weltgeld, das sich bislang den Energiehandel als seine „Einflusszone“ reserviert hat. Die russischen Rohstoffkonzerne, v.a. Gasprom, sollen sich zu bestimmenden Akteuren auf dem Weltmarkt aufbauen, die sich mit den etablierten Energieriesen messen können und ihrem politischen Hüter Gewicht verschaffen: Auf Grundlage der elementaren Bedeutung des Geschäfts mit der Energie und der Dimensionen, mit denen man in diesem Handel aufwarten kann, will sich Russland in den Rechnungen der jeweiligen ‚Verbraucher‘ als eine nicht hintergehbare Größe festsetzen, so dass die nicht umhinkommen, russische Interessen zu berücksichtigen, z.B. bei der Entscheidung über Bedingungen des Geschäfts, über die Regelung der Zulassung zu anderen Geschäftssphären, in die Russland vordringen möchte, oder in anderen politischen Fragen, bei denen Russland in den anderen Hauptstädten bislang vergebens versucht hat, sich Gehör zu verschaffen.
Aus russischer Sicht ist auf dem Weltmarkt mit seiner wunderbaren Marktordnung, die andere geschaffen haben, manches überhaupt nicht in Ordnung. Russland muss z.B. einen Kampf um Zulassung auf den europäischen Märkten führen, Europa soll sich „öffnen“; Russland liegt im Streit mit den USA, die als letzte Nation ihre Zustimmung zur Aufnahme Russlands in die WTO verweigern.
„‚Die Antwort des Westens auf die Zulassung westlicher Unternehmen zur russischen Energiewirtschaft muss symmetrisch sein. Unsere Freunde ersuchen uns um einen Zugang zum Herzen der russischen Wirtschaft. Die Energiewirtschaft ist für Russland von heute eine überaus wichtige Branche. Dann sollten auch Sie uns Zugang zu den wichtigsten Sektoren Ihrer Wirtschaft verschaffen. Die Antwort muss symmetrisch sein.‘ In diesem Zusammenhang äußerte Putin Befremden darüber, dass gegenüber Russland immer noch überholte Listen gültig sind, die den Zugang von Hochtechnologien zum russischen Markt einschränken. ‚Der Kalte Krieg ist schon längst vorbei, aber die Einschränkungen sind immer noch gültig‘…
Putin verwies darauf, dass Russland aufgerufen werde, sich der Energiecharta anzuschließen. ‚Hierbei geht es um den Zugang zu zwei Infrastrukturen: Förderung und Fernleitungen für den Transport von Kohlenwasserstoffen. Es erhebt sich die Frage: Wir lassen Sie zu. Aber wo werden Sie uns zulassen? Wo sind Lagerstätten, zu denen uns Zugang verschafft wird? Es gibt sie nicht. Der Beitritt zur Energiecharta wäre eine einseitige Entscheidung Russlands…‘
Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Kritik an die Adresse Russlands zurückgewiesen, dass das Land als Energielieferant unzuverlässig sei. ‚Der Versuch, diese Fragen zur Sprache zu bringen, wird von uns als ein Hebel dazu aufgefasst, uns zur Annahme einseitiger Beschlüsse zu bewegen, die unseren Partnern zugute kommen und den Interessen der russischen Wirtschaft keine Rechnung tragen würden.‘ Das sei eine Methode des Konkurrenzkampfes… ‚Wir wollen nichts aufzwingen. Wir haben Ressourcen, die wir anbieten, weil Sie darauf angewiesen sind‘, sagte Putin.“ (Putin bei einem Treffen mit den Leitern der führenden Nachrichtenagenturen der G8-Länder, RIA Novosti, 2. Juni 2006)
In der Marktwirtschaft zu spät gekommen und vom ‚Leben‘ bestraft, d.h. umgeben von Weltwirtschaftsmächten, die den Verkehr zu ihren Gunsten regeln und deshalb bei jedem russischen Korrekturbedarf „Finger weg vom Markt!“ schreien, macht Russland keinen Hehl daraus, dass seine Konkurrenz mit den anderen Wirtschaftsmächten ein Kampf ist, um solche Bedingungen der Konkurrenz herzustellen, die für die russischen Rechnungen taugen. Als Parvenü auf dem Weltmarkt zu reüssieren, Russland zu einer auf Energiegeschäfte gegründeten Weltmacht aufzubauen, ist ohne einen Angriff auf die bereits etablierten Nationen nicht zu haben. Und gegen deren Vorhaltungen, Russland verstoße gegen die Sittlichkeit der Marktwirtschaft und die Freiheitsrechte des Kapitals – nämlich ihrer überlegenen Kapitalmacht – nimmt der oberste Russe mittlerweile gerne Zuflucht zum Klartext: dass die Herstellung von Geschäften dieses Kalibers der Schacher von Nationen ist; dass es um Lebens-, Überlebens-, Statusfragen von Nationen geht… – alles Banalitäten, die bloß deswegen seltener zur Sprache kommen, weil die Subjekte des Weltmarkts gewohnt sind, ihre Nutzenkalkulationen ganz hinter dem zu deren Durchsetzung erlassenen Regelwerk verschwinden zu lassen und sich als vorurteilslose Schiedsrichter über Anstand und Wohlverhalten zu präsentieren.
Zu seiner Durchsetzung greift auch Russland zum Mittel der Erpressung und setzt eine Beteiligung bzw. den Ausschluss von Rohstoffprojekten als Angebot/Druckmittel gegenüber den imperialistischen Abnehmern ein, damit diese umgekehrt Russland Geschäftsmöglichkeiten auf ihren Märkten einräumen.[2] Es bahnt Beziehungen zu anderen Lieferanten an, mit Angeboten zur Kooperation, bei der Förderung, beim Ausbau von Transport- und Verarbeitungskapazitäten, und zu einer gemeinsamen Vertriebspolitik mit Perspektive einer Gas-OPEC – als Antwort der Lieferländer auf das Kampfprogramm der Diversifizierung, mit dem die Abnehmerländer aufwarten. Bei einem flächendeckend von den westlichen Multis und den westlichen Staaten beherrschten Weltmarkt eröffnet der Anti-Amerikanismus in der Staatenwelt Russland Gelegenheiten, um Fuß zu fassen. Es knüpft Geschäfte und Beziehungen an mit Kandidaten wie dem Iran, Venezuela, Bolivien. Und da Russland seine neuen Völkerfreundschaften auch noch mit einer anderen interessanten Warenkategorie unterfüttern kann, die Ausstattung mit Waffen höherer Qualität im Angebot hat und für die Anbahnung solcher Völkerfreundschaften auch gute politische Gründe kennt – die sich in der Ablehnung einer unipolaren Welt zusammenfassen –, sind hässliche Töne im Verhältnis zur Weltmacht Nr. 1 unvermeidlich.
Eben dieses Konkurrenzprogramm sagt der jetzige Präsident
mal mehr und mal weniger höflich auf und erwartet von den
G8-Kollegen eine konstruktive Stellungnahme. Die
imperialistischen Kollegen sollen überhaupt die Botschaft
zur Kenntnis nehmen, dass sie mit Russland als einer
Macht zu rechnen haben, mit der man nicht mehr wie zu
Jelzins Zeiten umspringen kann, was durch ein paar
Klarstellungen auf anderen Gebieten untermauert
wird.[3] Wenn
die Partnerländer Russland immerzu mit den
Marktprinzipien nerven, um die Schlagkraft ihrer
Kapitalmassen auf russischem Boden zur Enteignung und
Unterwanderung der russischen Hoheit wirksam werden zu
lassen, kontert Russland mit seinen unverzichtbaren
Leistungen zur Herstellung ihrer „Energiesicherheit“.
Nach guter demokratischer Sitte hat sich der russische
Präsident noch vor dem Gipfel ein Gesetz der Duma
bestellt, das dem nationalen Konzern Gasprom das Monopol
auf den Gasexport zuspricht, ihm also einfach die Hände
bindet.[4]
Außerdem dringt Putin auf die Unterlassung der üblen
Nachrede, Russland sei ein unzuverlässiger
Lieferant
– schließlich weiß jeder, wo das Gas damals
geblieben ist und was mit der Beschwerde gemeint ist,
neulich wäre das Gas mitten im Winter nicht angekommen:
das Quidproquo, bei dem Russland der Versuch verübelt
wird, seine Druckmittel gegen die Ukraine auszuspielen.
Auch in dem Fall redet der russische Präsident Klartext,
dass der Gaskrieg mit der Ukraine natürlich strategische
Qualität hat – nämlich schon längst, und zwar aufgrund
der entsprechenden Beteiligung der USA:
„Die Hysterie, die mit den Gaslieferungen an die Ukraine und dem Bau der Ostseepipeline verbunden war, hat den US-Interessen in Europa gedient… Die Vereinigten Staaten unterhalten besondere Beziehungen zu einigen osteuropäischen Ländern, die sie unterstützen wollen. Die Amerikaner beschlossen aber, nur auf ein bestimmtes politisches Spektrum zu setzen und wollen dieses unbedingt unterstützen, so auch mit billigen Energielieferungen aus Russland… Wenn jemand bestimmte politische Kräfte unterstützen will, bitte schön, aber nicht auf unsere Kosten.“ (RIA Novosti, 13. Juli 2006)
Russland hat aber auch Angebote zu machen: Bei seinen großformatigen Erschließungsvorhaben, dem Ausbau der Weiterverarbeitung und der Transportwege in alle Himmelsrichtungen wäre auswärtige Kapitalbeteiligung erwünscht, Beteiligungen an Geschäften der Extraklasse wären zu haben – das aber unter der Bedingung, dass die russische Kontrolle nicht in Frage gestellt wird. Auch Russland kennt die Kategorie politischen Wohlverhaltens im Geschäftsverkehr mit anderen Nationen, entscheidet demgemäß über die Zulassung auswärtiger Konzerne und verlangt von deren Vaterländern, ihre Angriffe auf die ökonomischen Instrumente Russlands einzustellen und ihrerseits die weitergehende Zulassung russischen Kapitals zum Weltmarkt zu genehmigen.
Am Ende des Gipfels vermeldet der russische Veranstalter
als Erfolg, dass man gemeinsam zu einer neuen
Definition
von Energiesicherheit
gefunden
habe, wonach darunter die Sicherheit von Lieferung
und
Verkauf, von Verbrauch und
Versorgung
zu verstehen ist. Er will auch das Verständnis der
Partner dafür gefunden
haben, dass sich um die
Sicherheit der Energie-Infrastruktur
gekümmert
werden muss und dabei die Rolle des Staates
nicht
zu verachten ist. (Presseerklärung
im Anschluss an den G8-Gipfel, President.
kremlin.ru) Die anderen haben ihm diese Formeln
unterschrieben, er seinerseits denen wieder einmal ihre
Marktprinzipien. Mit der Würdigung der Rolle des
Lieferanten und seiner Infrastruktur ist ein Stück
Anerkennung des russischen Konkurrenzprogramms in den
Abschlussdokumenten verankert, so dass auch einem
außerordentlich gemeinsamen Wert nichts mehr im Wege
steht: dem der Interdependenz
, auf den sich
Russland und Europa schon bei ihrem letzten Treffen als
Formel für den Komplex ihrer Interessengegensätze und
-gemeinsamkeiten geeinigt haben.
„Russland ist an der ‚zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Produzenten-, Transit- und den Verbraucherländern‘ interessiert. Anders ausgedrückt: Die Sicherheit der Energieverbraucher ist nicht weniger wichtig als die Sicherheit der Energieproduzenten, und die Zuverlässigkeit der Lieferungen ebenso bedeutend wie auch eine garantierte langfristige Nachfrage.“ (G8-Treffen: Neue Sicht auf die globale Energiesicherheit, Andrej Kolesnikow, RIA Novosti, 19. Juli 2006)
Während Europa gewohnheitsmäßig sein Recht auf Kontrolle
über den ganzen Energiesektor daraus ableitet, dass es
sonst einer unerträglichen einseitigen Abhängigkeit von
seinen Lieferanten ausgesetzt wäre, hat sich Russland
eine konstruktive Fortschreibung der Sprachregelung in
diesem Energiedialog einfallen lassen: Es präsentiert
Europa seine Gegenrechnung, dass ein Lieferant mindestens
ebenso abhängig ist, und drückt seinen Anspruch darauf,
als in diesem Energiesektor maßgeblicher Player anerkannt
zu werden, kongenial so aus, dass es an der
zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeit interessiert
ist.
Die amerikanische Antwort
Bush ist gekommen, und das war auch schon das hauptsächliche Entgegenkommen gegenüber dem Gastgeber. Viel mehr an Eintracht ist im amerikanisch-russischen Verhältnis nicht zu erzielen.
Amerika befindet über Ausschluss und Zulassung auf dem Weltmarkt
Statt der kurz vor dem Gipfel hoffnungsvoll angekündigten Einigung über die Aufnahme Russlands in die WTO erfolgt die erneute Absage, so dass auch die ewige Zusage einer Aufhebung des Jackson-Vanick-Amendments von neuem vertagt wird.[5] Zu allerletzt sollen die WTO-Verhandlungen daran gescheitert sein, dass „die amerikanische Seite darauf bestanden hatte, dass Russland ein Zertifikat für die Fleischlieferungen ohne entsprechende Überprüfung des amerikanischen Systems der Veterinärkontrolle erteilt.“ Es ist eher unwahrscheinlich, dass die US-Wirtschaft dadurch schwer geschädigt wird, wenn Russland sich beim Import von US-Ware eine eigene veterinärmedizinische Kontrollbefugnis vorbehält – die Lächerlichkeit des Punkts, an dem die USA ihre Zustimmung diesmal scheitern lassen, demonstriert, dass es ihnen viel mehr auf die Beibehaltung des Druckmittels selbst ankommt. Man möchte vorerst weder auf das Verfahren der alljährlichen Genehmigung der Meistbegünstigung verzichten noch auf die Position, sich das Ja zum WTO-Beitritt abhandeln zu lassen, beides Instrumente, um in den verschiedenen Weltordnungsaffären auf russische Gefügigkeit zu dringen.[6] Verschönert wird diese Maßnahme zur erzieherischen Bestrafung Russlands durch demonstrative Ungleichbehandlung in Gestalt von Forderungen, wie sie gegenüber anderen Kandidaten nicht erhoben werden; vor allem aber durch das langjährige Hinhalten Russlands, der Vormacht auf dem Gebiet der GUS, im Unterschied zur Pflege der von Präsident Bush ernannten Leuchttürme der Demokratie: Georgien mit seiner sagenhaften Nationalökonomie ist schon längst in die WTO aufgenommen, und die Ukraine sollte als Belohnung für die Orange Revolution schleunigst aufgenommen werden.
Daneben kultivieren die USA andere Hebel, die sich im Handel mit Russland zur Herstellung fühlbarer Nachteile einsetzen lassen: Die Cocom-Listen aus den Zeiten des Kalten Kriegs, die den Zugang zu als kriegstauglich verdächtigten Hightech-Produkten erschweren, sind unvermindert weiter in Funktion. Vor dem Gipfel wird der Fall Yukos wieder aufgewärmt, indem eine Handvoll amerikanischer „Privatleute“ vom Schlage ehemaliger Präsidenten-Berater einen Feldzug gegen den Börsengang der russischen Firma Rosneft startet.[7] So werden die bekannt feinfühligen Finanzmärkte auf ein Geschäftsrisiko hingewiesen, das mit Russenfirmen einhergeht – wer sich Yukos-Vermögensbestandteile aneignet, wird mit einem sogenannten „Prozessrisiko“ ausgestattet – und das die von russischer Seite angebahnten Geschäfte zumindest beeinträchtigt und Russland bei seiner Geldbeschaffung seine vergleichsweise noch nicht besonders solide finanzielle Verfassung spüren lässt. Vorschriften über Transparenz bei der Börsenzulassung in Amerika, die russische Firmen schlecht erfüllen können, versperren denen ein bisschen den Zugang zum großen amerikanischen Markt. Solche Einwände aus Amerika leisten ihre Dienste bei der Beeinträchtigung des geschäftlichen Rufs russischen Kapitals, wie z.B. im Fall Arcelor.[8] Die Warnung bei der geschäftlichen Durchmusterung der Russenfirmen will sagen, dass man es hier mit undurchsichtigen Oligarchen zu tun bekommt, hinter denen letztlich der russische Staat steckt, operiert also mit dem Hinweis auf den besonderen staatlichen Rückhalt, den diese Firmen genießen – was woanders ein erstklassiges, d.h. positives Indiz für Spekulanten abgeben würde, hier aber nicht, weil die Geschäftswelt weiß, dass dieser Souverän bei der den Weltmarkt beherrschenden Nation nicht so gut angeschrieben ist, dass man bedingungslos auf seine Wertpapiere setzen sollte.
Dabei ist es nicht so, dass die USA Russland nun, wo es auf dem Weltmarkt reüssieren will, von diesem verbannen wollten. Aber die nachdrückliche Erinnerung daran, wer der Hüter dieser Märkte ist, um wessen politisches Wohlwollen man sich folglich bemühen muss, wenn man dort erfolgreich sein will, soll schon sein. Zumal Amerika der Auffassung ist, dass sich Russland noch gar nicht in die weltpolitische Rolle hineingefunden hat, die ihm zukommt.
Amerika bietet einen Handel an: Rechte im internationalen Atomgeschäft gegen Folgsamkeit in der Iran-Affäre
Angesichts der Tatsache, dass sich Russland nicht davon abhalten lässt, andere Nationen mit atomarem Material und Atomtechnologie auszustatten, und damit dem amerikanischen Bedürfnis in die Quere kommt, über das gerechte Ausmaß der Verteidigungsfähigkeit anderer Nationen zu befinden, sinnt die US-Politik auf Wege, das russische Treiben zum Zweck besserer Kontrolle „einzubinden“ und unterbreitet vor dem Gipfel ihr Angebot einer dosierten Beteiligung. Bush bittet Putin zur Gemeinsamen Erklärung:
„Die Vereinigten Staaten und die Russische Föderation glauben, dass die Verstärkung ihrer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Nuklearenergie im strategischen Interesse beider Länder liegt.“
Wenn sich nämlich Russland anständig benimmt, könnte sich
Amerika noch viel besser vorstellen, wie es den Zugang
anderer Nationen zu einer wirtschaftlichen,
umweltfreundlichen und friedlichen Nutzung der
Nuklearenergie
regelt. Deshalb wird Russland damit
belohnt, dass seine Wissenschaftler jetzt auch unter
amerikanischer Obhut mitforschen dürfen.[9] Die Amerikaner erklären
Russland außerdem für geeignet zur Abnahme von
internationalem Atommüll, entweder zur Wiederaufarbeitung
oder zur Endlagerung. Nicht nur in dem Sinn, dass das
Land so groß ist, dass es kaum auffällt, wenn größere
Teile davon verstrahlt werden. Vielmehr wird der seit dem
Zusammenbruch der Sowjetunion nachdrücklich angemeldete
Verdacht, dass mit dem gefährlichen Müll etwas
Amerika-Widriges angestellt werden könnte, entweder von
Seiten russischer Instanzen oder – mangels russischer
Fähigkeit zu effizienter Kontrolle – von Seiten
irgendwelcher Schurken, etwas relativiert. Die Drohung,
Russland wegen seiner unsicheren Anlagen in die Kategorie
der Aufsichtsobjekte einzusortieren, wird
abgeschwächt, die USA stellen eine gewisse Aufwertung in
Aussicht, die zum graduell Beteiligten an
ihrem Aufsichtsregime. Über die jeweils
angebrachte Mischung von Beteiligung und Kontrolle im
Rahmen der gemeinsamen globalen Initiative zur
Bekämpfung von Nuklearterrorismus
entscheiden die USA
–, im Gegenzug müsste sich Russland aber auf aktive
Kooperation
(SZ, 10.7.06)
bei der Behandlung des Iran verpflichten, d.h. sich im
Sicherheitsrat hinter die USA stellen, das von denen
gewünschte Vorgehen nicht mehr bremsen, dafür also auch
seine vielfältigen nützlichen Beziehungen zum Iran aufs
Spiel setzen. Es hat eben seinen Preis, wenn man an der
Seite der USA an deren Ordnungsprogramm mitwirken darf.
Zur Unterstreichung ihres Rechts auf russisches
Wohlverhalten verhängt die US-Regierung direkt im
Anschluss an den Gipfel wieder einmal Sanktionen gegen
russische Rüstungsfirmen, diesmal gegen den
Waffenexporteur Rosoboronexport und den Flugzeugbauer
Suchoj; sie sollen Ausrüstungen und Technologien an
Iran geliefert haben, die potenziell zur Entwicklung von
Massenvernichtungswaffen sowie von ballistischen bzw.
Flügelraketen beitragen könnten
(RIA Novosti, 7. August). Die Beförderung
Russlands zum Mitmacher in Sachen Aufsicht ist ohne die
Verpflichtung zur Übernahme der Definition des Iran als
zu beseitigender Schurkenstaat und ohne tatkräftige
Mithilfe bei seiner dementsprechenden Behandlung nicht zu
haben.
Indem die USA den angebotenen Deal öffentlich bekannt machen und zu verstehen geben, dass sich Russland seinen Widerstand gegen die Eskalation im Umgang mit dem Iran mit ein paar Atomgeschäften abkaufen lässt, vermitteln die Bush-Leute eine weitere diplomatische Botschaft: Ihr guter Freund Putin ist Chef einer immer noch wenig respektablen Macht, die sich im Zweifelsfall kaufen lässt. In Frage kommende Schurkenstaaten sollten sich also besser nicht auf die Solidität solcher anti-amerikanischen Freundschaften verlassen.
Amerika reklamiert mehr Werte in Russland
Amerika schlägt aber noch eine ganz andere Tonart an, wirft nämlich regelrecht die Frage nach der Berechtigung auf, ob Russland überhaupt als Mitmacher zum Kreis der mächtigsten Nationen zuzulassen und nicht eher als Angeklagter vorzuladen wäre.
Seit dem vorletzten G8-Gipfel sieht sich Russland einer
US-Kampagne zur Androhung der Verschlechterung der
Beziehungen gegenüber. Im Winter fordert der
republikanische Senator McCain einen Boykott des Gipfels;
andere Stimmen verlangen, Russland wieder auszuschließen;
das Pentagon verfertigt eine Studie, nach der Russland
die irakische Führung während des Krieges mit
Geheimdienstmaterial versorgt haben soll, was von Rice
als sehr ernster Fall
deklariert wird, für den sie
russische Aufklärung verlangt; russische
Regierungsvertreter werden mit gerichtlichen Vorladungen
im Fall Yukos verfolgt. Diverse amerikanische think tanks
und NGOs sekundieren, veröffentlichen ihre Rating-Listen,
nach denen Russland in Sachen Bruttosozialprodukt und
Demokratie blamabel weit hinten rangiert. Der Gipfel soll
demzufolge als Gelegenheit dienen, um den Gastgeber
weltöffentlich zur Rede zu stellen
bezüglich
seiner Reform-Defizite, aber auch zu Themen wie
Tschetschenien oder den weißrussischen Wahlen. Anhand
dieser Hinweise auf das Klima des Treffens spekuliert die
Presse erwartungsvoll auf Bildmaterial mit Gewaltorgien
der russischen Staatsmacht gegenüber
Globalisierungsgegnern, ungefähr solchen wie damals in
Genua, oder auf andere formschöne Unterdrückungsakte
gegenüber Menschenrechtlern, die sich dem westlichen
Publikum vorführen lassen. Nachdem die US-Diplomatie der
russischen Führung die verschiedensten Möglichkeiten in
Aussicht gestellt hat, womit man ihr die
Gipfelfeierlichkeiten versauen könnte, wenn man wollte,
erhebt dann der amerikanische Vizepräsident die
wuchtigsten Anklagen höchstpersönlich und beschuldigt die
Putin-Mannschaft folgender Vergehen: die Rechte des
russischen Volkes in Fragen der Demokratie ungerecht und
inkorrekt zu beschränken
, außenpolitisch Erdöl und
Gas als Instrument zur Erpressung und Einschüchterung
einzusetzen
sowie die territoriale Integrität
eines Nachbarlandes zu unterminieren oder sich in
demokratische Bewegungen einzumischen
.
„Amerika und auch alle Europäer wollen Russland in der Kategorie gesunder, lebendiger Demokratien sehen. Aber im heutigen Russland versuchen Reformgegner, die Fortschritte der letzten Dekade zurückzudrehen. Russland muss sich entscheiden… Niemand von uns glaubt, dass Russland dazu bestimmt ist, ein Feind zu werden. Ein Russland, das in zunehmendem Maß die Werte dieser Gemeinschaft teilt, kann ein strategischer Partner und zuverlässiger Freund werden, wenn wir auf gemeinsame Ziele hinarbeiten. In diesem Geist werden die führenden Industrienationen Russland auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg verpflichten.“ [10]
So ist dann alles vorbereitet für einen wunderbaren Dialog auf dem G8-Gipfel: Russland präsentiert sein Aufstiegsprogramm, tritt in so harten strategischen Konkurrenzaffären an wie dem Schacher auf dem Weltenergiemarkt, und die anderen Mächte machen daraus eine Frage der Zulassung. Russland ist längst mit im Geschäft, Banken- und Firmenchefs gehen in Moskau aus und ein, weil dort so viele interessante Entscheidungen fallen, und dann bekommt es von den anderen Staatschefs zu hören, dass es eigentlich nicht qualifiziert sei mitzureden, ein ungeeigneter Kandidat für diese hohe Stellung in der Staatenwelt. Bei allen Interessen an der Benutzung russischer Reichtumsquellen möchten sie dem russischen Staat hinreiben, dass er nicht geeignet, nicht legitimiert ist, um von Gleich zu Gleich über den Weltmarkt mitzuentscheiden. Das Verfahren ist das altbekannte, das Staaten bei der Behandlung von Konkurrenzaffären praktizieren: Um das Interesse der anderen Seite zurückzuweisen, wird ein Regelverstoß reklamiert, womit die etablierten Mächte sich zur Zulassungsbehörde erklären.
Eröffnet wird die gegen Russland angeführte
Beschwerdeliste mit den Kinderweisheiten über ‚Staat und
Markt‘ – zu hören von denselben Staatssubjekten, die tags
darauf die Doha-Runde scheitern lassen, ohne dass den USA
und den Europäern, die dort die Verhandlungen über die
Fortschritte des Welthandels blocken, das Dogma von wegen
zu viel Staat entgegengeschmettert würde. Zu hören ist
der Vorwurf, die Russen würden ihre marktwirtschaftlichen
Potenzen nicht marktgerecht einsetzen, sondern als
Instrument zur Erpressung und Einschüchterung – von
Seiten der USA, die ihre Welt mit Wirtschaftssanktionen
ordnen. Dieselben Leute, die gewohnt sind, ihre Macht
über die Märkte in Dollar und Cent zu berechnen und
Russland von seiner ökonomischen Macht her für viel zu
leichtgewichtig befinden, fahren andererseits gegen
Russland die schwersten moralischen Geschütze
auf. Sie kommen mit unseren Werten
, erklären sich
selber zum Maßstab für good governance im Rest der Welt,
um anhand dieses Maßstabs zu befinden, dass die andere
Herrschaft nicht ganz zulassungswürdig ist.
Selber geht man dabei ganz interesselos zu Werk, einzig
daran interessiert, dass in Russland human regiert wird
und das russische Volk endlich zu seinem Recht kommt…
„Da gab es Momente einer Sieben-gegen-einen-Konstellation am Konferenztisch. Denn Putins halbautoritäres Russland ist politisch ein Fremdkörper im Kreise der anderen gefestigten Demokratien.“ (FAZ, 18.7.2006)[11]
Die Weltwirtschaft der gefestigten Demokratien, dieses Ensemble aus Spekulation und Hungersnöten, Gewinnexplosionen der Pharmaindustrie und Seuchen, Massenarbeitslosigkeit, Konkurrenz um die schäbigste Bezahlung und die prächtigsten schwarzen Zahlen – ein einziges Reich des Guten. Wir als Westen sind einfach gut, wir haben ‚Werte‘. Bush und Cheney, Praktiker der Demokratie, was Spendensammeln, Parteiintrigen, Propagandashows mit Soldaten angeht, die vor allem eines beherrschen: Demokratie als Argument für ihr weltweites Zuschlagen, geben gegenüber Russland die Schiedsrichter über moralisch einwandfreies Regieren, predigen über Schuld und Sühne. Die strategischen Ambitionen Russlands sind verwerflich, aber die umgekehrten Operationen, welche die russische Nachbarschaft in die Nato überführen, um Russland einzuzäunen, und dazu passend die Einrichtung von US-Stützpunkten rund um die Russische Föderation herum – das passiert alles nur wegen der Demokratie, nur damit die USA weltweit die Rechte der Wähler schützen können.
Dass der amerikanische Vorwurf von wegen Zurückdrehen der
Reformen ausgerechnet den Staatsruin der Jelzin-Phase als
Vorbild an Demokratie zitiert, die Koinzidenz, bei der
Amerika genau in dem Maße Rückschritte der
russischen Demokratie erkennt, wie Russland
Fortschritte bei seiner staatlichen
Konsolidierung erzielt – Wiedererrichtung der
Autokratie in Rußland
(Mc Cain,
FAZ, 11.06.06), „Freedom House hat Rußland in
die Gruppe der unfreien Länder eingestuft… Russland sei
systematisch von dem 1991 gewählten Weg zur Demokratie
abgewichen. Als Hauptverantwortlicher wird Präsident
Putin genannt…“ (FAZ,
17.6.06) –, kennzeichnet das amerikanische
Anspruchsniveau, was das Regieren in Russland betrifft:
Man hätte gerne Beides, eine stabile russische
Staatsmacht, die ihren Herrschaftsbereich unter Kontrolle
hat und für jeden erdenklichen Zugriff brauchbar macht,
kombiniert mit der vorhergehenden Verfassung russischer
Macht, mit einem Trottel an der Spitze, der sich seine
Tagesbefehle aus Washington abholt.[12]
Er lässt sich auch die Retourkutsche nicht nehmen, dass
die USA bei ihrer Versorgung des Irak mit Demokratie zur
Zeit nicht gerade Werbung für diese Staatsform machen:
Bush: ‚Ich habe mit ihm über meinen Wunsch gesprochen,
institutionelle Veränderungen in Teilen der Welt wie dem
Irak zu fördern, wo es eine freie Presse und die Freiheit
der Religion gibt. Ich habe ihm gesagt, dass viele Leute
in meinem Land hoffen, dass Russland das Gleiche tut.‘..
aber Putin hatte schon eine Antwort parat, mit der er den
Saal zum Lachen brachte: ‚Wir hätten sicher nicht gerne
die gleiche Art von Demokratie wie im Irak.‘
(FAZ, 17.7. Da können dann
auch die Deutschen mitlachen.) Vor und neben dem
Gipfeltreffen hat der US-Präsident daher viel zu tun mit
anderen Staatsbesuchen und -empfängen, um das Recht
Amerikas auf die Einsetzung des passenden
Regierungspersonals in dieser Weltgegend geltend zu
machen, schließlich muss er seinen
Demokratie-Leuchttürmen in der russischen Nachbarschaft
und in Moskau – den mutigen Dissidenten nämlich – das
öffentliche Forum und politische Gewicht verschaffen, das
Putin ihnen nicht gönnt.
Die anderen 6 von den G8, die es schließlich auch noch
gibt, haben zu alledem selbstverständlich ihre eigene
Meinung, die sich zwischen ‚Problemfall Russland‘ und
‚gar nicht so unwichtiger Beiträger zu unserer
Weltordnung‘ bewegt. Die Sicht der deutschen Nation z.B.,
die sich von Russland als Energie- und
Modernisierungspartner
einen erheblichen Nutzen
verspricht, hat bei Frau Merkel den Glauben daran wachsen
lassen, dass auch der Russe zur Besserung fähig
ist: Rußland könne schrittweise an westliche Werte
herangeführt werden.
(FAZ,
15.7.06)
Was die USA als Sachwalter der Weltordnung an Russland auszusetzen haben
Russland ist ein immer brauchbarerer Bestandteil des Weltmarkts, es gibt zunehmend an ihm zu verdienen. Das Ärgerliche aus amerikanischer Sicht ist aber, dass das Land eben damit zugleich auch die zielstrebige Restauration seiner Macht bestreitet und daraus Mittel zur Behauptung eines Eigenwillens zieht. Der amerikanische Vorwurf an die russische Adresse, Energie als politische Waffe einzusetzen, ist ja ein interessanter Vorwurf von Seiten der Macht, die seit Jahren im Rahmen des sogenannten ‚great game‘ damit befasst ist, die Energieströme und Transportlinien so zu organisieren, dass die russischen Machtquellen beschnitten werden, die also mit der Ein- und Herrichtung der Energiemärkte über die politische Statur der Beteiligten entscheiden will. Insofern auch eine klare Auskunft, dass Amerika sich diese politische Waffe vorbehalten möchte und für Russland eine Art Imperialismusverbot vorgesehen hat: Wer die Umsetzung von Geschäftserfolgen in politisches Gewicht betreibt, aus dem Rohstoffhandel politischen Einfluss herauswirtschaften will – zumal in der Größenordnung, in der Russland antritt –, steht unter schärfstem Verdacht, dass er damit in die Amerika vorbehaltene Zone der Ordnungsstiftung einbricht.
Die russische Bereitschaft zum Mitmachen in der Weltordnung wird gewürdigt und anerkannt, gerät aber noch lange nicht zur amerikanischen Zufriedenheit. Russland streitet sich immer noch hartnäckig um so etwas wie eine eigene Einflusssphäre, missbraucht seine Freiheit zu anti-amerikanischen Freundschaften, möchte glatt die Kollateralschäden des amerikanischen Weltordnens ausnützen und mit Staaten, die sich in der amerikanischen Weltordnung nicht gut aufgehoben vorkommen, Sonderbeziehungen knüpfen, zwar überhaupt nicht mehr als alternative Weltmacht, aber sehr wohl für seinen Konkurrenzerfolg und als Hebel für seine Geltung. Es will sich nicht in die Rolle eines Erfüllungsgehilfen für die USA hineinfinden, betont stattdessen seine Vorbehalte, baut sich auf als eine Instanz, die berücksichtigt sein will, und macht sich als Bremse im Sicherheitsrat hinderlich bemerkbar. Es errichtet auch noch bei sich zu Hause Hindernisse gegen die wohlwollenden Versuche Amerikas, in seinem Innenleben auf den Wandel zum Besseren einzuwirken. Wo sich Amerika rührend um das Recht des russischen Volkes kümmert, sich durch die richtigen Propagandaministerien und Charaktermasken zum korrekten Meinen und Wählen anleiten zu lassen, will der russische Gewaltmensch die Finanzquellen der NGOs verstopfen, die ihm Amerika spendiert. Insofern sind weitere Erziehungsakte zur Erzeugung von Kooperationsbereitschaft erfordert, Erpressungen, Drohungen, Angebote – eben Überprüfungen des russischen Willens und der russischen Fähigkeit zur Demokratie.
[1] Dass der Rubel
wirklich konvertibel wird, hängt zum großen Teil von
seiner Attraktivität als Instrument für Geldanlagen und
Sparen ab. Vor allem muss der Rubel viel mehr zum
Mittel für internationale Anlagen werden und sollte
schrittweise seine Einflusszone ausdehnen. Zu dem Zweck
müssen wir auf russischem Boden Börsen für Öl, Gas und
andere Waren einrichten, die ihre Transaktionen in
Rubel abwickeln. Unsere Güter werden auf den
Weltmärkten gehandelt, aber warum werden sie nicht hier
in Russland gehandelt?
(Putin,
Botschaft an die Nation, 2006)
[2] Wenn die USA bei
Verhandlungen über den Beitritt Russlands zur
Welthandelsorganisation (WTO) auf weiteren Forderungen
bestehen, die gegenüber anderen Ländern nicht gestellt
wurden, kann Russland seine ebenfalls neuen Forderungen
an solche US-Unternehmen nicht ausschließen, die sich
am Stockmann-Projekt beteiligen wollen.
(Schuwalow, Putins
G8-Beauftragter, RIA Nowosti, 1.Juni 2006)
Russland lässt nach einem mehrjährigen
Verhandlungsclinch Eon erst dann zur Förderung zu, als
die deutsche Firma umgekehrt Gasprom Anteile an einem
Gasverteiler in Ungarn überlässt; gegenüber der
englischen Regierung, die den Verkauf der
Gasvertriebsgesellschaft Centrica an Gasprom verhindern
wollte, operiert man mit der Drohung, BP von neuen
Projekten auszuschließen; Italien, dessen ENI den
effektiven Marktzugang von Gasprom erfolgreich
hintertrieben hat, wird mit der Drohung konfrontiert,
dass sich seine beiden wichtigsten Gasversorger,
Russland und Algerien, zusammenschließen.
[3] Vor dem Gipfel legt
die russische Führung ein paar Beweise vor, was ihre
„Qualifikation“ für das Gremium der Großen Sieben
betrifft: 2 erledigte Tschetschenenanführer, darunter
der Hauptfeind Nr. 1, Bassajew, ein russischer Erfolg
in Sachen Anti-Terror-Kampf, sowie eine weitere Portion
Schuldenabbau. Russland tilgt schon wieder einen Teil
seiner finanziellen Verbindlichkeiten vorfristig,
erlässt seinerseits einigen HIPC-Ländern Schulden,
führt also vor, wie es sich aus dem Status des
Schuldnerlandes auf die Seite der Gläubigerländer
hinüberwirtschaftet. Mittlerweile sind die Schulden im
Rahmen des Pariser Clubs komplett getilgt, und Russland
empfiehlt sich der Welt als Kreditgeber.
Demonstrativ wird vorgeführt, dass es mit dem kaputten
Russland der Phase Jelzin endgültig vorbei ist, für den
feinen Geschmack des „Spiegel“ etwas zu aufdringlich:
Ein bisschen sehr forsch im Ton kommt das neue
Moskau vor dem G8-Gipfel daher, ‚halbstark‘ beinahe,
dabei unverhohlen um Augenhöhe werbend.
(10.7.06) Beim „Spiegel“
reserviert man sich die Komplimente für gelungenes
Auftreten offensichtlich für die Ganz-Starken.
[4] Passend dazu der
Einfall von einem der Verfasser des Gesetzentwurfs,
das Erdgas sollte schon lange als strategischer
Rohstoff anerkannt werden. Sein Verkauf muss umfassend
vom Staat kontrolliert werden, wie es mit dem
Waffenhandel der Fall ist
(RIA
Novosti, 7. Juni), wo ja die westlichen Partner
immerzu nach staatlicher Kontrolle schreien.
[5] Ein US-Gesetz aus dem Jahr 1974, das den Status der Sowjetunion als Handelspartner Amerikas, die Gewährung der Meistbegünstigungsklausel, an eine jährliche Überprüfung knüpft, ob Juden ungehindert auswandern dürfen. Das dürfen sie zwar schon längst, sie dürfen auch schon in großen Mengen für Israel Krieg führen, aber die USA mögen das Instrument einfach nicht missen.
[6] Die Schäden, die russischen Firmen durch Strafzölle entstehen, rechnen russische Experten auf jährlich einige Milliarden Dollar hoch. Ein Weltmarktteilnehmer, der bei einem Handelspartner, der kein Mitglied der WTO ist, unlautere Konkurrenz entdecken will, muss den Vorwurf von Dumping-Preisen nicht erst beweisen. Umgekehrt ist Russland als Nicht-Mitglied auch vom dort vorgesehenen Rechtsweg ausgeschlossen.
[7] Verklagt wurden
Russland, Gasprom, Gaspromneft, Rosneft und Rosneftegas
sowie Top-Manager dieser Unternehmen und ranghohe
russische Beamte
, u.a. der Energieminister, der
Finanzminister, der Chef der Präsidialverwaltung, der
stellvertretende Ministerpräsident… Die Inhaber der
ADR-Papiere glauben, durch ‚gesetzwidrige
Steuerexekution und eine Umwandlung von Aktiva in
Staatseigentum‘ drei Millionen Dollar verloren zu
haben. Sie fordern dafür eine Entschädigung in Höhe von
neun Millionen Dollar.
(RIA
Novosti, 17. Juli 2006)
[8] Der europäische Stahlmulti Arcelor lädt den russischen Stahlproduzenten Sewerstal zur Fusion ein, um einer feindlichen Übernahme durch den indischen Stahlgiganten Mittal zu entgehen – und die Wirtschaftsseiten erörtern die Frage, wer jetzt das kleinere Übel, wer europäischer bzw. „transparenter“ ist, ein Inder oder ein Russe? Der Russe wird, nachdem die Rufschädigungs-Kampagne auf Aktionärsebene Erfolg hatte, dann wieder ausgeladen.
[9] „Die USA hatten es
bislang nicht eilig gehabt, Russland zur Teilnahme an
dem von Washington initiierten Projekt der globalen
Partnerschaft in der Atomwirtschaft einzuladen, das
gemeinsame Forschungen in sechs aussichtsreichen
Richtungen der Sparte zum Inhalt hat. Jetzt haben die
Amerikaner es sich anders überlegt. Nachdem die USA,
die Länder der Europäischen Union (EU) und noch zehn
weitere Staaten Mitglieder des Internationalen Forums
Generation IV
wurden, hat Washington Russland
nun endlich aufgefordert, in das Forum einzusteigen.“
(RIA Novosti, 24. Juli
2006). Andererseits nach dem Gipfel die
Botschaft an Russland: Die amerikanischen Behörden
haben am Mittwoch beschlossen, den Anfang der 90er
Jahre eingeführten 115,8-prozentigen Zoll für die
Einfuhr von russischem Uran für mindestens weitere fünf
Jahre zu belassen.
(RIA
Novosti, 20. Juli)
[10] Rede des Vizepräsidenten auf der Konferenz in Wilna, 4.5.06, beim Gipfeltreffen der Ostsee- und Schwarzmeerstaaten, das er zur Gründung eines antirussischen Bündnisses einberufen hat.
[11] Stellt sich nur die Frage, wie ein so unpassendes Mitglied wie Russland denn überhaupt in das Gremium hineingekommen ist, welche die amerikanischen Fachleute für Politik ganz unbefangen mit den damaligen strategischen Rechnungen beantworten: Erst einmal wurde Präsident Jelzin 1994 zur „+1“ befördert, um ihn bei der Auflösung der Sowjetunion und der Vernichtung ihrer strategischen Mittel auf Kurs zu halten und beim ersten Krieg gegen den Irak zum Stillhalten zu bewegen; 1998 erfolgte die Beförderung zur Nummer 8 als Belohnung für seine Hinnahme der Osterweiterung der NATO. „Is Russia qualified for the G8?“ – diese Qualitätsprüfung der russischen Herrschaft war damals also klar mit den strategischen Zugewinnen beantwortet, die sie ihren Partnern verschafft hatte.
[12] Auch bei dem
Thema nimmt sich der russische Präsident gelegentlich
die Freiheit zu kontern, indem er die imperialistische
Zielsetzung seiner guten Freunde bei ihrem selbstlosen
Einsatz für die demokratischen Verfahren beim Namen
nennt: ‚Ich denke, die ständigen Nörgeleien wegen
angeblicher Probleme mit Demokratie und Pressefreiheit
werden als Instrumente der Einmischung in die Innen-
und Außenpolitik Russlands missbraucht, und zwar mit
dem Ziel, Einfluss zu gewinnen‘, sagte der russische
Präsident in einem Interview für den kanadischen
Fernsehsender CTV… ‚Es gibt nur noch wenig
Möglichkeiten, auf Russland Einfluss zu nehmen‘,
stellte der Präsident fest, wobei er daran erinnerte,
dass es derartige Möglichkeiten zu Beginn der 1990er
Jahre gegeben hatte, als Russland am Abgrund seiner
Staatlichkeit taumelte. Trotzdem, so der Staatschef,
würden einige Partner dem Wunsch nachjagen, Druckmittel
aufzuspüren. ‚Den Wunsch, die Lage in Russland und die
russische Außenpolitik zu beherrschen und zu
kommandieren, verspüren einige unserer Partner noch
immer. Es begann eine fieberhafte Suche nach
Druckmitteln und Marionettenfäden‘.
(Wladimir Putin schließt fremde Kontrolle über
Russland aus, RIA Novosti, 12. Juli 2006)