Humanitär begleitet, rechtlich begutachtet, moralisch umstritten

Israels Gaza-Krieg – Herausforderung an die Mächte und die Moralisten der imperialistischen Welt

Israels Gaza-Krieg gegen den Staatsgründungsterrorismus der Hamas kommt voran. Also gehen immer mehr Lebensbedingungen der Bevölkerung und geht diese selbst immer mehr kaputt, weil sie von Israel mit diesem Krieg als Sumpf des Terrors definiert und behandelt wird. Immer mehr in Fahrt kommt parallel dazu das Gezerre um die Frage, welche der Grausamkeiten dieses Krieges notwendig sind – und welche eher überflüssig und Israel daher als Verstoß gegen die guten Sitten beim staatlichen Töten und Zerstören angelastet werden müssten. Vorläufiger Höhepunkt in diesem Zusammenhang ist der Vorwurf „Völkermord“, weil sich so etwas ja laut einschlägigen Gesetzestexten endgültig für niemanden gehört. An der offensichtlich für alle Beteiligten so erbaulichen Debatte darüber, ob Israels Gaza-Terrorvernichtungswerk noch im grünen Bereich völkerrechtlich erlaubter militärischer Gewalt stattfindet oder schon kriminell ist, beteiligt sich der GegenStandpunkt nicht. Er klärt stattdessen darüber auf, wie auch in diesem Krieg Zweck und Mittel zusammengehören; ferner über den imperialistischen Gehalt der Legalitätsbedenken und Mahnungen der Unterstützerstaaten sowie über Fehler und Leistung der öffentlichen wie privaten moralischen Stellungnahmen zum laufenden Krieg.

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Humanitär begleitet, rechtlich begutachtet, moralisch umstritten
Israels Gaza-Krieg – Herausforderung an die Mächte und die Moralisten der imperialistischen Welt  [1] 

1. UNRWA und ihr Skandal: Von den aktuellen Tücken der traditionsreichen humanitären Betreuung der israelischen Dauerstaatsgründung gegen die Palästinenser

Irgendwann im Laufe des Krieges beschuldigt Israel die UNRWA, die wichtigste für die Betreuung palästinensischer Flüchtlinge zuständige UN-Unterorganisation habe in ihren Reihen ein paar – oder mehr als ein paar – bekennende Anhänger und sogar praktizierende Mitglieder der Hamas. Die umgehende Suspendierung des vom Vorwurf betroffenen Personals und die Ankündigung eingehender interner Ermittlungen durch die UNRWA schützen diese weder vor den immer massiveren Forderungen Israels, die Organisation als Ganze endlich einzustampfen, noch vor den prompt in die Praxis umgesetzten Drohungen der wichtigsten – westlichen – Geberländer, ihre Beiträge einzustellen. Die UNRWA ist empört und spricht von Sippenhaft und Vorverurteilung. Sie bekommt erwartungsgemäß Unterstützung vonseiten der mehr oder weniger offiziellen Palästinenservertreter, von den arabischen und nicht nur den arabischen Staaten sowie den Aktivisten anderer internationaler Hilfsorganisationen. Gestritten wird um den Grad der Involviertheit bzw. um die Notwendigkeit oder Unmöglichkeit der Trennung zwischen der Tätigkeit der UNRWA und dem Terror, gegen den sich Israel nach internationaler Mehrheitsmeinung zur Wehr setzen muss und darf. Diese Trennung ist angesichts der Sache, die da ‚on the ground‘ seit Jahrzehnten abläuft, notwendigerweise schwer zu haben.

a)

Die fortwährende israelische Politik der Verhinderung einer palästinensischen Staatsgründung hat den Gründungszweck der UNRWA verstetigt bzw. ihren Existenzgrund über die Jahrzehnte reproduziert. Gegönnt hatte sich die in der UNO versammelte Weltgemeinschaft diese exklusiv für die Betreuung der Palästinenser zuständige Organisation, weil ihr Plan zur Gründung eines jüdischen und eines arabisch-palästinensischen Staates im vormals britischen Mandatsgebiet Palästina – auch dieses war schon eine völkerrechtlich, nämlich per Völkerbund abgesegnete Einrichtung – erstens nur zur Hälfte aufgegangen war: Die Überführung des britisch-zionistisch-arabischen Streits um die Zukunft des Landstücks in eine schiedliche Doppelstaatsgründung hatte bei beiden staatsgründerisch aktiven Streitparteien nämlich den Willen zur kriegerischen Durchsetzung gegen die jeweils andere Seite nicht saturiert, sondern angestachelt; mit dem bekannten sehr einseitigen Ergebnis, dass der Staat Israel im Jahr 1948 nicht nur offiziell ausgerufen wurde, sondern sich tatsächlich als staatliche Entität westlich des Jordan etablieren konnte. Dies zweitens mit einer Gewalt, wie sie für Staatsgründungen typisch ist, was auf arabischer Seite nicht nur einen Staat verhindert, sondern hunderttausende Vertriebene produziert hat. Die sind entweder auf dem für den Palästina-Staat vorgesehenen Gebiet untergekommen oder haben sich – in mehreren Wellen – in die arabischen Staaten im Umland abgesetzt bzw. sind im Zuge diverser Auseinandersetzungen von einem in den anderen vertrieben worden. Überall und von allen einschlägigen Seiten werden sie seither nicht einfach als Flüchtlinge behandelt, sondern in dieser Eigenschaft als virtuelle Staatsbürger:des Staates Palästina eben, den es nicht gibt, aber geben soll. An ihnen halten die Vereinten Nationen durch die Praxis eines Abklatsches von sozialstaatlicher Betreuung – von der Ernährung über Gesundheits- und Schulwesen bis hin zu Berufsbildung und Förderung von Menschen mit einer Behinderung oder einer Startup-Idee – daran fest, dass ihr Beschluss von 1947 immer weiter gilt, dass also die Gründung des arabischen Staats Palästina nicht einfach ist, was sie ihrer politischen Natur nach ist: eine Gewaltfrage, die zwischen den miteinander unverträglichen Staatsgründungswillen bzw. deren Trägern vor Ort ausgetragen und entschieden wird, sondern allen Ernstes eine Frage übergeordneten Rechts.

Das ist zwar einerseits ein Idealismus, wie sich gerade an dem inzwischen über 75 Jahre alten „Nahostkonflikt“ studieren lässt: Staaten sind politische Gewaltsubjekte, deren erste und entscheidende ‚Eigenschaft‘ darin besteht, sich gegen ihresgleichen durchzusetzen, das von ihnen beanspruchte Territorium und die von ihnen als Volk beanspruchten Menschen sich zuzuordnen und die anderen Staaten vom Zugriff auf beide auszugrenzen, soweit die eigene Gewalt im Vergleich reicht. Nur auf dieser Basis setzen sich diese Subjekte mit ihresgleichen ins Benehmen, erkennen einander an und lancieren ihre Interessen aneinander unter Berücksichtigung des jeweils anderen Willens, setzen also das Recht, das sie allenfalls zwischen sich gelten lassen. Der in der UNO organisierte und stur auch auf das Verhältnis von Israel und den Palästinensern angewandte völkerrechtliche Idealismus dreht das Verhältnis um, indem er darauf besteht, dass die Ko-Existenz der einander aus der Verfügung über Land und Leute ausgrenzenden und beschränkenden Gewaltmonopolisten Ausfluss eines höheren Rechts zu sein hat und ist. Dieser Idealismus wird auch an den Palästinensern per Hilfe beim Flüchtlingsdasein vollstreckt: Ein paar Millionen auf israelisch besetztem Gebiet oder in arabischen Nachbarstaaten ansässige Nichtstaatsbürger werden in dieser negativen Eigenschaft zugleich als Basis eines zukünftigen Palästina behandelt und reproduziert, auf dessen irgendwann zu vollziehender Gründung die UNO auch vermittels ihrer UNRWA ad hominem als Rechtslage und damit auf sich als Instanz der entsprechenden Rechtsprechung beharrt. Sie besteht darauf, dass die palästinensische Staatsgründung ihre Sache ist, die sie sich von keiner noch so effektiven Verhinderung durch Israel abknöpfen lässt.

Andererseits ist an der Palästina-‚Frage‘ – per UN-Resolution einst offiziell aus der Taufe gehoben, seither immer mehr mit Rechtssprüchen unterschiedlicher Verbindlichkeit umzingelt und u.a. durch die UNRWA praktisch betreut – auch der imperialistische Realismus erkennbar, der in dem völkerrechtlichen Idealismus verklärt wird.

b)

Denn dass die Staaten als UNO beinhart an ihrer Rechtsprechung festhalten, obwohl die ‚Rechtswirklichkeit‘, d.h. die gewaltsam hergestellte Realität im Land „zwischen Fluss und Meer“ dieser Hohn spricht, heißt ja umgekehrt: Diese Staaten in ihrer Eigenschaft als eigennützige, gegeneinander oder auch in wechselnden Allianzen agierende Subjekte machen sich in ihrem Vorgehen nicht von ihren kollektiven Rechtssprüchen abhängig, sondern beziehen sich sehr berechnend auf diese – je nach dem Inhalt und der Reichweite ihrer Interessen und Ansprüche sowie der Machtfülle, mit der sie die verfolgen.

Der Bezugspunkt aller Berechnungen mit der UNRWA sind die Leistungen, die diese Organisation für diejenigen erbringt, die von ihnen mit ihrer Existenz abhängig sind. Für die menschlichen Adressaten ist die Tätigkeit der Organisation Überlebenshilfe: sei es dadurch, dass sie mit sachlichen Hilfen für diejenigen einspringt, die sich mangels Geldeinkommen Grundlegendes wie Nahrung oder Medizin nicht leisten können; sei es dadurch, dass sie im Rahmen ihrer Arbeit selber Einkommen bei ihrer palästinensischen Mitarbeiterschaft stiftet; sei es dadurch, dass sie durch Schul- und sonstige Bildungs- und andere Hilfsprojekte für Bedingungen der Möglichkeit sorgt, sich womöglich selbst irgendwann ein Einkommen im Rahmen und auf irgendeiner Stufe der insgesamt elenden palästinensischen Ökonomie zu verschaffen. Und dass so mancher Palästinenser auf der Basis einer sein Überleben sichernden Tätigkeit bei der UNRWA sich auf seine Weise für die „palästinensische Sache“ einsetzt, womöglich gar ein paar Gelegenheiten nutzt, die sich im Rahmen seines Jobs ergeben, sollte nicht verwundern. Zumal er sich damit ja als Teil einer zutiefst berechtigten größeren arabischen Sache wissen darf, vertreten von Subjekten, die ihre Sache mit und an den Palästinensern verfolgen.

Das sind zum einen die Organisationen des palästinensischen Staatsgründungswillens. Denen hilft die UNRWA ganz praktisch dabei, diejenigen materiell zu betreuen, die sie für den von ihnen angestrebten Staat als Volk vorsehen und in den besetzten Gebieten entweder als international anerkannte „Autonomiebehörde“ oder als nicht anerkannte, sondern verfemte Hamas ja tatsächlich auch schon regieren, soweit die Machtmittel reichen. Die reichen aber eben nicht sehr weit, und von daher sind sie in ihrem praktischen Status als Quasi-Staatskörperschaften darauf angewiesen, dass ihnen die UNRWA einen Teil der humanitären Lasten abnimmt. Von immer größerer Bedeutung ist das darum, weil Israel in der Westbank durch die fortgesetzte Landnahme, durch alle möglichen begleitenden Schikanen gegenüber der Bevölkerung und die finanzielle Ausblutung der von ihm offiziell so gerade noch anerkannten Autonomiebehörde jedwede Erwerbsmöglichkeit immer mehr ruiniert hat. Den Gazastreifen unter dem Regiment der Hamas hat es offiziell unter Quarantäne gestellt und dort für noch schlimmere Verheerungen an den sowieso elenden ökonomischen Verhältnissen gesorgt, sodass immer mehr der dortigen Bewohner offiziell auf Hilfen der UNRWA angewiesen sind und diese auch erhalten haben. Mit dieser praktischen Unterstützung sehen sich Hamas und die Palästinensische Autonomiebehörde, die einen Teil der Gewalt des noch nicht vorhandenen Staates auf einem Teil des für ihn vorgesehenen Territoriums vorwegnehmend ausüben, auch in ihrem politischen Rechtsanspruch auf ordentliche und endliche Gründung bestätigt, also logischerweise auch in ihrem Unrechtsbefund über die fortgesetzte Obstruktionspolitik Israels, den sie ihrem Volk und dessen Nachwuchs nahelegen und im Falle der Hamas auch selbst militant-kämpferisch praktizieren.

Wo die UNRWA im arabischen Umland lebende Flüchtlinge in ihren teils zu regelrechten Kleinstädten ausgewachsenen Lagern betreut, da hilft sie den betreffenden Staaten – Jordanien, Libanon, Syrien – dabei, mit der zum größten Teil toten wirtschaftlichen Last umzugehen, die die Palästinenser für sie und die von ihnen regierten Ökonomien darstellen. Auch diese Dienstleistung ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, weil sich der Zustand dieser drei Länder, die noch ganz andere Flüchtlingspopulationen beherbergen, aus diversen Gründen extrem verschlechtert hat, sodass sich schon die eigene Bevölkerung zu größeren Teilen nicht in einem Erwerbsleben umtreibt, das sie ernährt und dem Staat als Steuerbasis dient. Zugleich bestätigt ihnen die UNO dadurch, dass sich die UNRWA um die Palästinenser kümmert, wie richtig sie damit liegen, diese auch gar nicht ins eigene Volk ‚integrieren‘ zu wollen: Auch nach Jahrzehnten und in der x-ten Generation ermöglichen sie denen keine Einbürgerung, sondern behandeln sie als den millionenfachen lebenden Berufungstitel für ihren politischen Einspruch gegen Israel, gegen das sie um ausschließende Ansprüche auf Territorium und demgemäß um die Bedingungen für einen Frieden kämpfen. Auf dieser Basis waren die bei ihnen untergekommenen Palästinenser und ihre jeweiligen politischen Fraktionen als Pool und Hebel für ihre Einmischung in innerpalästinensische Machtkämpfe ganz gut brauchbar und insofern Bruder-und-Schwester-mäßig willkommen und besungen und teilweise auch besoldet. Davon ist nicht mehr viel übrig – außer dem negativen Standpunkt, dass die Palästinenser nicht zum eigenen Volk gehören, tendenziell und akut eher stören; die Betreuungstätigkeit des Staatenkollektivs ist darum willkommen und wichtiger denn je.

Alle diese eher machtlosen oder mit politischer Macht gesegneten Interessenten an der Existenz und den Leistungen der UNRWA beziehen sich darauf, dass die großen internationalen Geber ihrerseits ein geldwertes Interesse an der fortgesetzten Tätigkeit der Organisation haben; auch das ist doppelter Natur. Zum einen und ganz grundsätzlich machen sich diese finanzschweren, politisch bedeutsamen Mächte eben die völkerrechtliche Beschluss- und Rechtslage zur nationalen Sache. Ihrem Status und Selbstverständnis als Mitglieder der Staatenelite sind sie es schuldig, ihre Macht in den Dienst des Völkerrechts, Abteilung Palästina, zu stellen, weil das gleichbedeutend mit dem betätigten Anspruch auf Mitdefinition und -bestimmung der wirklichen Machtkonstellation vor Ort ist. Zum anderen sind gerade sie als diese Mächte, die in den völkerrechtlichen Regeln bezüglich der Palästinenser ihr Zugriffs- und Ordnungsinteresse auf die Region verrechtet haben und anerkannt sehen wollen, eben auch praktisch daran interessiert, dass ‚ihre‘ Nahost-Region irgendwie kontrollierbar geordnet ist, gerade wenn die eine entscheidende Staatsfrage permanent ‚offenbleibt‘. Die Betreuung der über die Region verteilten palästinensischen Population durch die UNRWA trägt dazu bei, die gewaltträchtigen und gewaltsamen Gegensätze, die damit einhergehenden Momente von Massenverelendung und Staatszerfall in einem Rahmen zu halten, der aus der Warte von Weltmächten noch akzeptabel ist im Sinne ihres Zugriffs auf die und des Umgangs mit den Staaten der Region. Von denen hat z.B. Ägypten diplomatisch für den Fall einer Vertreibung der Gazawi auf den Sinai angedeutet, dass es sein Problem damit zu einem westlichen machen werde – in Form von neuen Flüchtlingswellen übers Mittelmeer, die es dann nicht mehr so effektiv verhindern könne wie bisher; Jordanien warnt vor seiner weiteren Staatszerrüttung, falls der Krieg nicht irgendwann endet und die Palästinenser danach einer wirklichen Eigenstaatlichkeit zugeführt werden; usw. Dass sie mit ihrer UNRWA zugleich einen Beitrag zu den ruinösen Auseinandersetzungen um die Palästinenser und ihre Staatsperspektive liefern, ist den so angesprochenen Mächten ganz sicher nie entgangen – entsprechend kritische Stimmen zu deren Finanzierung hat es in jedem westlichen Geberland mindestens in Gestalt proisraelischer Lobbyisten immer gegeben –, aber ihre Gesamtabwägung hat es letztlich immer angezeigt sein lassen, den Verein weiter zu bezahlen. Die Frage nach dessen Beziehungen zur Hamas und überhaupt zu dem palästinensischen Widerstand musste sich die UNRWA immer schon gefallen lassen, einfach automatisch war ihre Arbeit nie gesichert. Immer schon war die zeitliche Begrenzung ihres Mandats und die Notwendigkeit von dessen periodischer Erneuerung die Verlaufsform, die die Gebermächte ihrem Hin und Her zwischen Prinzipien- und Opportunitätsabwägungen gegeben haben. Und die haben mit dem ultimativ angelegten Schlag der Hamas und dem ebenfalls ultimativ gemeinten und betriebenen Gegenschlag Israels ein neues Datum bekommen.

Im Lichte des von ihnen im Prinzip gebilligten und fortgesetzt unterstützten israelischen Krieges, mit dem Israel seine Unverträglichkeit gegenüber jeder autonomen palästinensischen Regung eskaliert, bewerten die imperialistischen Paten und Ausstatter die nun ruchbar gewordene Verquickung ihrer UN-Organisation mit der auch von ihnen als eliminierungswürdig eingestuften Hamas als nicht hinnehmbar. Wie sehr es sich dabei um eine Neubewertung längst bekannter Fakten handelt – Israel legt jedenfalls Wert darauf, dass es selbst die UNRWA schon immer für einen Helfershelfer der Hamas gehalten und dahingehend auch seine westlichen Partner mit denunziatorischen Fakten versorgt hat – oder ob nun tatsächlich etwas ‚ans Tageslicht gekommen‘ ist, braucht nicht zu interessieren: Die Geber halten es für angemessen, der UN-Truppe vorübergehend das Geld zu streichen, und wie sehr es hier auf den politischen Standpunkt ankommt und wie wenig auf die längst bekannte, vorher unbekannte oder auch frei erfundene ‚Faktenlage‘, das machen die entscheidenden Subjekte auch im Weiteren hinlänglich klar. Sie eskalieren nun ihren Widerspruch im Verhältnis zu den Palästinensern: Einerseits wollen sie mit dem autonomen Staatsgründungswillen, den die Hamas militant gegen Israel praktiziert, definitiv nichts tun haben – den geben sie ja gerade zur Vernichtung durch Israels Armee frei. Aber das stempelt andererseits von ihrem Zuständigkeits- und Ordnungsstandpunkt aus die betroffenen palästinensischen Menschen umso mehr zu absolut Bedürftigen, denen in dieser Eigenschaft der bis dato und absehbarerweise auch demnächst noch bzw. wieder in der UNRWA organisierte Humanismus gilt, an dem die Gebermächte zugleich mitleidlos weiter festhalten. Den gleichen widersprüchlichen Doppelstandpunkt bekommt Israel umgekehrt zu spüren. Ihrem Verbündeten gestehen sie auch weiterhin nicht die Konsequenz zu, die der Staat der Juden seit langem fordert, nämlich die komplette, dauerhafte und ersatzlose Abwicklung der UNRWA. Insoweit bestehen sie auch gegenüber diesem Staat, den sie zugleich in seinem antipalästinensischen Anti-Terror-Krieg unterstützen, darauf, dass auch er nicht bestimmt, was im Heiligen Land das letztlich gültige Recht der Gewalt ist und was nicht. Dem Drängen Israels, die vor Jahrzehnten oder wann auch immer vertriebenen Palästinenser oder deren Nachkommen nicht mehr als Flüchtlinge und damit als lebenden Einspruch gegen die von Israel angestrebte Einstaatslösung zu behandeln, geben sie darum nicht nach, sondern behalten sich mit Verweis auf die weiteren Untersuchungen oder auch auf das Palästinenserelend, das irgendwie handhabbar bleiben soll, neue, nur von ihnen zu treffende Entscheidungen vor, die dann eben der Stand des Rechts sein werden.

Und darum stellen sich die im Verlauf der Angelegenheit zu registrierenden unterschiedlichen ‚Reaktionen‘ auch nicht einfach ein, sondern sind Produkt feiner Abwägungen, die sich alle aus dem Prinzip der politischen Handhabung des zielgerichtet großgeredeten ‚UNRWA-Skandals‘ ergeben. Die Vorgabe machen, wie es sich gehört, die USA mit ihrem sofortigen Geldentzug, der schon vom Umfang her die entscheidende Rolle spielt. Vom amerikanischen Standpunkt aus ist der ‚Skandal‘ eine auf jeden Fall auszunutzende Gelegenheit dafür, ausnahmsweise einmal nicht mit Geld, das man zahlt, sondern spart, die Israelis der vorbehaltlosen Solidarität Amerikas zu versichern und zugleich allen anderen Nationen vorzuführen, wie sich für Amerika das aktuelle Verhältnis von Antiterrorismus und Humanismus im Land von Milch und Honig buchstabiert. Das ist der entscheidende Bezugspunkt für alle anderen in der Sache relevanten Mächte: Wie viel demonstrative Differenz zu den USA traut man sich zu, wie viel ist man sich schuldig? Wie sehr will man Israels Standpunkt recht geben, dass sich jede internationale Bezugnahme an den israelischen Sicherheits-, Gefahren- und Terrorismusdefinitionen zu orientieren hat, wie sehr will man demonstrativ Israel in dieser Frage in die Schranken weisen? Wie sehr ist einem europäischen Staat die Sache ein bisschen demonstrative Absetzung innerhalb der EU vom radikal proisraelischen Kurs Baerbocks und von der Leyens wert? Usw. usf. Und das alles zusammen will noch gegengerechnet sein gegen die ja keinesfalls entfallenden ordnungspolitischen Nutzenerwägungen in Bezug auf die UNRWA. Was sich dann nach sorgfältiger nationaler Abwägung als praktisches Resultat ergibt, sind Varianten von Finanzierungsstreichung unter variablen Bedingungen und auf variable Zeiträume hin – verbunden mit Vorschlägen zu endgültigen oder temporären Alternativen zur UNRWA. Denn dass die eigentlich gerade jetzt viel mehr zu tun hat als normalerweise schon, ist allgemeiner Konsens unter diesen Mächten.

2. Kriegshunger, Hungerhilfe und das Gezerre darum: Vom Irrsinn eines humanitär begleiteten Terrorismusvernichtungskrieges

Der international gültige Standpunkt, dass den Palästinensern ein eigener Staat zusteht und darum die internationale Gemeinschaft diesen von Israel im Zustand der Staatenlosigkeit gehaltenen Leuten eine überbrückende Caritas schuldet, die diesen politischen Standpunkt humanitär bekräftigt, sieht sich angesichts des Gaza-Krieges in besonderer Weise herausgefordert.

a)

Mit der verkündeten Losung ‚Wir bekämpfen und eliminieren eine vor Ort eingehauste Terrortruppe‘ hat Israel sich zur Aufgabe gemacht, seinen palästinensischen Gegner nicht etwa in die Kapitulation zu treiben, sondern der Vernichtung zuzuführen. Es hat sich also das Recht ausgestellt, das Operationsgebiet dieses Gegners, den Gazastreifen, in Gänze als dessen infrastrukturellen Sumpf zu behandeln und auszutrocknen. Damit wendet Israel in aller Konsequenz die Logik einer anti-terror-polizeilichen Liquidierungsaktion auf einen Gegner an, der praktisch über den Status eines bloß grimmig-idealistischen Staatsgründungsvereins hinaus ist, weil er es innerhalb der letzten 20 Jahre zur Herrschaft über ein Stück Land und die darauf lebenden Leute gebracht hat, die darum eben auch abhängig von den quasistaatlichen Organisations- und Betreuungsleistungen der Hamas gemacht worden sind.

Das macht den Krieg zu dem bekannt desaströsen Unternehmen, denn mit der Bekämpfung der Hamas enthauptet Israel notwendigerweise jede Form, jedes Moment, jeden Ansatz der Organisation des Überlebens des Gazawi-Kollektivs, es macht sie zu einer Masse von rund 2,5 Millionen elendig um ihr Überleben kämpfenden Individuen und erklärt sich ausdrücklich für unzuständig, sich um sie in dieser Eigenschaft zu kümmern. Ganz in dem Sinne und im Rahmen dieser speziellen Kriegslogik wurde gleich zu Kriegsbeginn der Beschluss verkündet und vollzogen, jegliche Versorgung des Streifens mit allem Lebensnotwendigen zu unterbinden – mit Blick darauf, dass dies alles der Hamas in ihrem Kampf gegen Israel nützt oder nützen könnte, also rücksichtslos dagegen, dass dieses Landstück neben seiner Eigenschaft als Operationsbasis der Hamas auch noch der Lebensraum der Araber ist, die nun zu Zehntausenden sterben bzw. die radikale Vernichtung ihrer sachlichen Lebensgrundlagen zu erdulden haben. Als einzige Möglichkeit, dem Schicksal von massenhaften Kollateralschäden seiner gründlichen Terroristenjagd wirklich sicher zu entkommen, hat Israel den Massenexodus der Gazabewohner Richtung Sinai offiziell ins Spiel gebracht, begleitet von Angeboten bezüglich der Finanzierung an Ägypten.

Vom völkerrechtlich gebotenen, durch die Internationale anständiger Staatsgewalten vertretenen Standpunkt aus war und ist beides tabu: Massenhafte Vernichtung der Palästinenser in Gaza sollte und soll ebenso wenig sein wie Massenflucht aus dem Streifen – dafür, dass aus Letzterem nichts wird, sorgen insbesondere die praktischen Anstrengungen der ägyptischen Macht, die souverän über das Gebiet herrscht, das Israels Strategen in aller Freiheit als Auffangbecken für fliehende Gazawi ins Auge gefasst haben. Und darin wird Ägypten von allen anderen relevanten Mächten unterstützt, die eine territoriale Entsorgung der Palästinenser verhindern wollen, weil sie die damit verbundene Entsorgung der palästinensischen Staatsperspektive nicht wollen und / oder weil sie – wie v.a. europäische Mächte – eine Verschärfung ihres Flüchtlingsproblems befürchten, die ihnen Ägypten ja auch prompt in Aussicht gestellt hat. Die demnach weiter im Gazastreifen festzuhaltenden Palästinenser aber einfach nur der israelischen Rücksichtslosigkeit auszuliefern, kommt vom übergeordneten Standpunkt der zuständigen internationalen Instanzen gleichfalls nicht infrage. Und damit ist der Anspruch in der Welt, dass Israel seinen Krieg, der auf Eliminierung aller seiner bewaffnet aktiven Gegner und darüber hinaus auf die Vernichtung aller Bedingungen der Möglichkeit zukünftiger Gegnerschaft gerichtet ist, zwar führen darf, aber dabei zugleich auf die Zivilbevölkerung und deren Versorgung Rücksicht nehmen muss. Den israelischen Rechtstitel der Terrorbekämpfung legen sie daher genau andersherum aus, als Israel ihn meint, nämlich im Sinne einer einzuhaltenden Beschränkung, „bloß!“ die Hamas zu bekämpfen, die Zivilisten und die elementaren sachlichen Bedingungen ihres physischen Überlebens aber zu verschonen – soweit möglich. Diese gemessen am Kriegszweck Israels absurde Trennung und Beschränkung hat die militante Schutzmacht aller Juden beiihrem Vorgehen, das selbst manch abgebrühte Gemüter erstaunt, zu respektieren; jedenfalls hat sie zu demonstrieren, dass sie die nicht komplett ignoriert.

Und Israel ist – auf der Basis, dass Vertreibung einstweilen ein wirkliches Tabu bleibt – noch nicht einmal gänzlich abgeneigt, diesem Ansinnen stattzugeben. Von Opportunitätserwägungen das unmittelbare Kriegsgeschehen betreffend abgesehen [2] verbindet dieser Staat nämlich sein kompromissloses Durchsetzungs- und nun eben Vernichtungsansinnen gegen die Militanz der Hamas (und ihres volksmäßigen Anhangs) mit der Selbstsicherheit, dass die Praxis dieses höchsten Rechts, das er sich selbst zuspricht, vom Rest der Welt nicht nur hingenommen werden muss, sondern auch anerkannt werden kann, ja im Prinzip zu begrüßen ist.Er hält sich nämlich nach allen allgemein anerkannten Maßstäben für ein Vorbild in Sachen nicht nur extrem erfolgreicher, sondern auch absolut berechtigter Gewalt, die nicht nur dem jüdischen Volk seine Heimstatt erschließt und sichert, sondern auch einen zivilisatorischen Segen für den Rest der Welt darstellt: Negativ wird das dadurch herausgestrichen, dass Israel seine Gegner auch in diesem Krieg als die Feinde alles irdisch Anständigen in Szene setzt. Positiv hat das in der Floskel sein fertiges Sprachdenkmal gefunden, dass Israels bewaffnete Kräfte „die moralischste Armee der Welt“ (Netanyahu) sind, die zivile Opfer wirklich und ehrlich nur dann produziert, wenn die sich gar nicht vermeiden lassen und damit nicht Israel, sondern seinen terroristischen Gegnern aufs Unrechtskonto zu schreiben sind. Das ist die bzw. eine Art, in der Israel nicht nur defensiv akzeptiert, dass seine antipalästinensische Gewalt eine internationale Angelegenheit ist: Es verlangt offensiv von den anderen staatlichen Gewalten die politische Anerkennung seiner gewaltsam vorangetriebenen Staatsgründung, wenn es auf den Nachvollzug der moralischen Absolution für seinen Gewaltauftritt dringt, die es sich selbst erteilt. Damit ist aber auch klar, dass es seinen Krieg nicht von konzedierter oder verweigerter Anerkennung abhängig macht – und dieser Widerspruch heißt auf der Ebene der Moral, dass es sich kategorisch weigert, sich von anderen darüber belehren zu lassen, was die passende Anwendung des Maßstabs humanitärer Kriegsführung ist, den es gemäß dem Anspruch der Weltgemeinschaft erfüllen soll und den es vom eigenen Standpunkt aus per definitionem immer schon erfüllt.

b)

Sich um die Versorgung der von seinen Militärschlägen betroffenen Gazabewohner auch noch selber zu kümmern, will keines der weltpolitisch relevanten Subjekte Israel zumuten. Aber aus den Pflichten einer Kriegs- und Besatzungsmacht entlassen wollen sie das mehr oder weniger befreundete Israel auch nicht. Das ergibt in Kombination die Anforderung an den Humanismus der humanistischsten Armee der Welt, Anlieferung und Verteilung von Hilfsgütern durch andere zuzulassen. Diese Versorgungsaktivitäten – wo es geht, mit viel Presserummel begleitet – haben damit von Beginn an eine dreifache Bedeutung: Sie versorgen erstens in dem Maße, wie sie praktisch stattfinden, tatsächlich die Palästinenser; sie führen zweitens Israel vor, was eigentlich seine durch das Völkerrecht definierte Aufgabe als Kriegs- und Okkupationsmacht wäre; und sie entlasten drittens Israel von der praktischen Erfüllung ebendieser Pflichten und helfen ihm damit im Resultat bei der Wahrung und Wahrnehmung seiner Kriegsfreiheit.

Das bereitet das Feld für die Tätigkeit auswärtiger Helfer, in denen jeder, der dies will, das absurde Ideal eines so human wie möglich ablaufenden Krieges verkörpert sehen darf, um dann angesichts der Fakten ‚on the ground‘ entsprechend enttäuscht und über die entsprechenden Bilder schockiert zu sein: Bilder eines Schlachtfelds, auf dem zugleich Menschen nach Essbarem suchen; von Helfern, die Gefahr laufen, in israelischen Beschuss zu geraten; von Lieferungen, die zum Objekt von Plünderungen werden; von Massenschlägereien und -paniken an den Verteilpunkten, die teils nur mit Waffengewalt unter Kontrolle zu bringen sind, teils von der erst ausgelöst werden usw. usf.

Politisch ist das alles – zusammen mit den Bildern von Unterernährten und den begleitenden Warnungen vor einer erst so richtig katastrophalen Hungerkatastrophe – das Material für einen Streit um die Verantwortung für die Lage und deren Perspektiven. Den führt Israel mit den interessiert am Geschehen teilhabenden Mächten. Die mögen Israel aus ihren ganz eigenen – und mit Fortdauer des Krieges offensichtlich dringender werdenden – Gründen den Vorwurf nicht ersparen, dass es in der Frage der Kriegshungerkatastrophenverhinderung noch Spielraum zur Verbesserung hat.

Sicherlich ist diesen Mächten auch aus Gründen der Handhabbarkeit der ganzen Gewaltaffäre wirklich daran gelegen, „das Schlimmste“ zu verhindern – was einen Superlativ darstellt, der auslegungsfähig ist, was die betroffenen Leute anbelangt, in Bezug auf welche die ums Humanitäre bemühten Mächte die übliche Schmerztoleranz an den Tag legen. Sensibel aber sind sie, sobald sie zu der Wahrnehmung gelangen, dass dieser Staat keinen ihrer Einsprüche gelten lässt, vielmehr seinen Krieg auf Dauer stellt unter Inkaufnahme aller Konsequenzen für ihresgleichen und damit – dies vor allem – unter kompletter Missachtung ihrer Kompetenz zur Einmischung in den Waffengang, ihrer Zuständigkeit für dessen Regelung und Beendigung. Konsequent nehmen sie immer weiter das eine fürs andere, was zu den nächsten Absurditäten führt, die gebührend in Szene gesetzt werden: Mit Israel schachern sie weltöffentlich um die technischen Details der Zulassung und Abfertigung von Hilfslieferungen – und die deutsche Außenministerin lässt sich dabei filmen, wie sie kopfschüttelnd die logistischen Umständlichkeiten begutachtet, die die ansonsten doch so effektiven Israelis ewig nicht in den Griff bekommen. Als dann die Unzufriedenheit dieser Mächte mit Israels Vorgehen in der Sache wächst und sie den Übergang machen, die ihnen von Israel erteilte Abfuhr demonstrativ als Frechheit ihnen gegenüber zu nehmen, drücken sie auch dies streng lebensmitteltechnisch dadurch aus, dass sie seinen Luftkrieg um ihren eigenen ergänzen und die Hungernden und von einem unsicheren Ort zum anderen Flüchtenden nun auch noch mit Lebensmitteln bewerfen. Das schreibt das Verhältnis der o.g. drei Momente der Überlebenshilfe und die Reihenfolge ihrer Wichtigkeit fort und bringt es deutlich auf den Punkt: Die Luftversorgung nützt erstens in Bezug auf die sich entfaltende Hungerkatastrophe nach Auskunft der Experten nicht sehr viel, ist gefährlich für die Leute, heizt den Wucher im Rahmen der Kriegselendsökonomie weiter an usw.; zweitens aber ist es eine deutliche Demonstration der Unzufriedenheit mit der Versorgung, die Israel über die Landwege nicht genug gewährleistet; und drittens geben die interessierten auswärtigen Mächte ihrer Missbilligung gleich die Form, dass sie es vermehrt selbst übernehmen, die Versorgung zu leisten, die sie den Palästinensern als Recht zugestehen – natürlich nur soweit sie von Israel die Luftraumfreigaben bekommen. Mit dem begleitenden Gerede von der Gefahr, dass die „Hungerkatastrophe außer Kontrolle geraten“ könnte, lancieren die Kriegsbeaufsichtungsmächte noch zusätzlich ihren Eindruck, dass Israel tatsächlich schon ihrer Kontrolle entglitten ist.

Unter anderem der tödliche Beschuss einer auswärtigen Helfertruppe bietet eine passende Gelegenheit dafür, die Kritik an Israel wegen seines unrechtmäßig übertriebenen, seine Versorgungspflichten ignorierenden Gewaltgebrauchs zu verschärfen. Zwischenzeitlich lassen auch Israels feste Verbündete den Eindruck aufkommen, dass ihre „Geduld mit Israel erschöpft“ sei, womit sie zum Ausdruck bringen, dass sie sich als die zuständigen Instanzen für Gewalt in ihrer Welt und den Einbau auch des israelischen Krieges in ihre Weltordnung von Israel zunehmend düpiert sehen. Dem politischen Gehalt ihrer Empörung über tote Helfer, schleppende Güterabfertigung und dergleichen entsprechend stricken diese Staatsmächte die nächsten Maschen an das Quidproquo von politischer Kriegsbegleitung und Sorge um die Ernährungslage auf dem Schlachtfeld. Auch die dabei zu registrierenden Unterschiede ergeben sich ersichtlich nicht aus den jeweiligen Gegenständen und Anlässen, sondern aus dem politischen Standpunkt, der sie für sich benutzt. Und darum ist für alle Welt selbstverständlich, dass die Unzufriedenheit mit Israel über den Tod auswärtiger Bürger sich wieder einmal an den USA orientiert: Deren immer offener kritische Kommentierung des israelischen Anti-Terror-Krieges nehmen nun auch andere Staaten als Lizenz dafür, ihre unverbrüchliche Solidarität um dosierte, völkerrechtlich-humanistisch beglaubigte Vorbehalte zu ergänzen, also ihren politischen Widerspruch bedingter Konzession israelischer Unbedingtheit den Israelis zum Vorwurf zu machen.

Die wüsten Konsequenzen und die sich hinziehende Dauer des Krieges, gegen den sie als solchen nichts haben und der seine spezielle Härte der von Israel praktizierten Gleichsetzung von palästinensischen Staatsambitionen und eliminatorischem Terrorismus verdankt, werden zum Anlass genommen, dem Verbündeten die Frage nach einer ‚Exit-Strategie‘ vorzulegen. Das ist einerseits extrem konstruktiv, hält nämlich daran fest, dass Israel das ausgerufene Kriegsziel – die völlige Vernichtung der Hamas – verfolgen darf und vor dessen Erreichung den Krieg auch nicht zu beenden braucht. Und andererseits steckt in der freundschaftlich-ungeduldigen Aufforderung an Israel, über Pläne für ein Kriegsende und „den Tag danach“ nachzudenken, die Erinnerung an einen Anspruch, der von höchster Warte den Standpunkt bestreitet, mit dem Israel diesen Krieg führt: Denn damit ermahnen die westlichen Paten Israel nicht nur dazu, in seine Kriegskalkulationen die Rücksicht auf den Umstand einzubauen, dass sie sich zunehmend in moralische und wirkliche Unkosten verstrickt sehen, die ihnen unrecht sind; vor allem erinnern sie die antiterroristischen Kriegsherren daran, dass es eine auch von ihnen geteilte und vertretene international fixierte Rechtslage gibt, der zufolge Israel eine Koexistenz mit den Palästinensern nicht erspart bleibt, die auch heute noch mit dem Bild von der „Zweistaatenlösung“ ausgedrückt wird. Für deren Verwirklichung hat Israel – nicht nur mit dem laufenden Krieg – zwar jede ernsthafte Perspektive zerstört, aber eine irgendwie geartete ‚politische Lösung‘ mit den Palästinensern hat es sich damit nach dem Willen des Westens und eben auch seiner alles entscheidenden Führungsmacht nicht vom Halse geschafft. Diesen ‚Realismus‘ schuldet es nicht nur sich selbst und einem endlich ‚friedlichen Miteinander von Juden und Arabern‘, sondern ihnen als den letztinstanzlichen Richtern über ordnungsgemäße Kriegsgewalt.

Je länger der Krieg sich, genauer gesagt: Israel ihn hinzieht, desto lauter werden folgerichtig Vorwürfe in diesem Sinne: Israel nimmt sich das Recht auf eine Gewalt, die mit dem Recht, das alle Staaten für ihre kriegerische Gewaltentfaltung einzuhalten haben, nicht vereinbar ist.

3. Vorwürfe gegen Israel wegen Unverhältnismäßigkeit und Völkermord: Vom interessierten Zynismus der rechtlichen Begutachtung der israelischen Terrorvernichtungsaktion

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4. Öffentliche Anteilnahme, Proteste und Gegenproteste im Westen: Vom Fehler der moralischen Parteinahme im laufenden Krieg

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[1] Der Gegenstand des regen internationalen Interesses, also die in einen neuartigen Krieg umgeschlagene Unversöhnlichkeit israelischer und palästinensischer Staatsgründungsansprüche, wird im Artikel ‚Al-Aqsa-Flut‘ und Gaza-Krieg: Hamas gegen Israel in Heft 4-23 dieser Zeitschrift erklärt. Den entscheidenden Bezugspunkt jedes auswärtigen Interesses an dem Krieg, nämlich die Allianz der globalen Welt und Atommacht USA mit der regionalen Atommacht Israel, analysiert der Artikel ‚Eiserne Schwerter‘ und ‚die Gefahr eines regionalen Flächenbrands‘: Ernstfall für die Freundschaft zwischen der regionalen und der globalen Supermacht“ in Heft 1-24.

[2] So ganz bleibt Israel gerade wegen seines entschiedenen Willens zur Hamas-Bekämpfung die Frage nicht erspart, wie mit dem großen Rest der Gazabewohner zu verfahren ist, wenn im Zuge der Bodenoffensive immer mehr israelisches Militär immer tiefer im Gazastreifen operiert und ‚on the ground‘ mit den Menschenmassen zu tun hat. Das hat u.a. dazu geführt, dass sich zwischenzeitlich die israelischen Kriegsorganisatoren an die Scheichs im Gazastreifen ansässiger Familienverbände gewandt haben, die für ihre Distanz bzw. Feindschaft gegenüber der Hamas bekannt sind, um ihnen vorzuschlagen, dass sie gewisse Hilfeleistungen für die Logistik und die Absicherung des für nötig gehaltenen Minimums an humanitärer Betreuung übernehmen, wofür sie Israel unter Rückgriff auf den gleichfalls angefragten Geheimdienstchef der im Westjordanland sitzenden Palästinenserbehörde auch mit ein bisschen Schießgerät ausgestattet hätte.

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