„Eiserne Schwerter“ und „die Gefahr eines regionalen Flächenbrands“
Ernstfall für die Freundschaft zwischen der regionalen und der globalen Supermacht

Vom ersten Bekanntwerden des unerhörten Hamas-Überfalls auf Israel an, erst recht nach den verkündeten und prompt in die Tat umgesetzten Racheschwüren israelischer Führer hat die ganze Staatenwelt gebannt auf Amerika gestarrt: Wie stellt sich die Weltmacht dazu? Alle prüfen – manche testen aus –, wie Amerika sich verhält: Wie eindrucksvoll setzt es sich gegenüber seinen regionalen Gegnern durch, wie glaubwürdig setzt es sich gegenüber seinen regionalen Freunden, dem einen vor allem, als absolut verlässliche Schutzmacht in Szene – und wie nachhaltig geben die USA mit beidem allen sonstigen auswärtigen Mächten die Daten ihrer Kalkulationen vor? Zu Recht. Denn auch dieser Krieg ist eine Bewährungsprobe für die Weltmacht USA: für ihren Anspruch auf die Kontrolle des regionalen als Teil des globalen Gewaltgeschehens.

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„Eiserne Schwerter“ und „die Gefahr eines regionalen Flächenbrands“
Ernstfall für die Freundschaft zwischen der regionalen und der globalen Supermacht 

Vom ersten Bekanntwerden des unerhörten Hamas-Überfalls auf Israel an, erst recht nach den verkündeten und prompt in die Tat umgesetzten Racheschwüren israelischer Führer hat die ganze Staatenwelt gebannt auf Amerika gestarrt: Wie stellt sich die Weltmacht dazu? Alle prüfen – manche testen aus –, wie Amerika sich verhält: Wie eindrucksvoll setzt es sich gegenüber seinen regionalen Gegnern durch, wie glaubwürdig setzt es sich gegenüber seinen regionalen Freunden, dem einen vor allem, als absolut verlässliche Schutzmacht in Szene – und wie nachhaltig geben die USA mit beidem allen sonstigen auswärtigen Mächten die Daten ihrer Kalkulationen vor? Zu Recht. Denn auch dieser Krieg ist eine Bewährungsprobe für die Weltmacht USA: für ihren Anspruch auf die Kontrolle des regionalen als Teil des globalen Gewaltgeschehens. [1]

1. Die üblichen und die außerordentlichen Leistungen der USA für Israel

Die militärische Übermacht, mit der Israel sich seit Oktober dem neuen Kapitel seines antipalästinensischen ‚War on Terror‘ widmet, und die politische Freiheit, die es dabei genießt, beweisen zusammen eindrucksvoll, was Amerika vermag:

Israel ist seit vielen Jahrzehnten der weltweit größte Empfänger von US-Militärhilfe. Seit dem letzten diesbezüglichen Grundsatzabkommen von 2016 bezieht das Land jedes Jahr 3,3 Mrd. Dollar direkter militärischer Finanzhilfen, zusätzlich fließen pro Jahr 500 Millionen Dollar in die gemeinsam betriebene Entwicklung und Produktion von Luftabwehrsystemen. Auf diesem Feld hat es Israel zusammen mit den USA in einigen Bereichen zur Weltmarktführerschaft gebracht, auf deren milliardenteure Produkte bekanntlich auch die BRD im Zuge ihres gewaltigen Kriegsertüchtigungsprogramms gern zugreift. Insgesamt finanzieren die USA im Rahmen verschiedener Programme rund 16 % des gesamten israelischen Militärhaushalts, und was mit dessen Mitteln im Ausland beschafft bzw. im Inland produziert wird, zählt generell zum Modernsten, was die Rüstungsindustrie global zu bieten hat. Dafür sorgt nicht zuletzt der besondere Alliiertenstatus, den die USA Israel einräumen und der es nach allen streng rechtsstaatlich gefassten und geregelten Prinzipien der weltweiten amerikanischen Bündnispolitik den jeweils in Washington amtierenden Regierungen erlaubt, ihren Nahost-Verbündeten mit solchen Waffensystemen zu versorgen, die ansonsten der US-Armee bzw. den NATO-Alliierten vorbehalten sind. Eine weitere Besonderheit der amerikanischen Militärfinanzhilfen für Israel besteht darin, dass die Gelder lange Zeit nur zu 75 % bei amerikanischen Herstellern ausgegeben werden mussten und zu 25 % in die Entwicklung der lokalen Rüstungsindustrie fließen durften. Zusätzlich zu diesen umfassenden Beiträgen der USA zur Entwicklung Israels zur militärtechnologisch führenden Schutz- und Trutzburg seiner jüdischen Bürger unterhalten die USA in Israel eigene große Waffenarsenale. Die dienen zum einen als Reserve für den Bedarf der in der Region weiträumig verteilten, stets einsatzbereiten US-Truppen, bewähren sich aber naturgemäß auch für alle möglichen anderen Bedarfslagen – jüngst haben die USA damit gewisse Engpässe bei der Ausstattung ihres ukrainischen Stellvertreters kompensiert. Zum anderen aber und vor allem sind diese Arsenale periodisch dafür gut, die Bestände der israelischen Armee immer dann rasch neu aufzufüllen, wenn die sich im Rahmen der immer wiederkehrenden größeren Kriegskampagnen zu leeren beginnen.

Diese Befähigung Israels auch zu seinem Anti-Terror-Krieg neuen Typs ergänzen die USA ebenfalls von Beginn an um die Abschirmung ihres Verbündeten und seiner umfassenden Vernichtungsaktion. Diplomatisch tun sie dies durch die zahlreichen Stellungnahmen in Sachen unverbrüchlicher Solidarität mit Israel seitens aller relevanten Vertreter der US-Staatsmacht daheim oder auf Staatsbesuch in Israel sowie durch die Verhinderung jeder Resolution in der UNO, die auch nur den kleinsten Zweifel bezüglich der Schuld der Hamas an jedem einzelnen der zahlreichen Opfer aufkommen lässt, welche das Wirken der IDF kostet, und das uneingeschränkte Recht Israels auf alles, was es als Selbstverteidigung definiert, relativieren könnte.

Dies ist die diplomatische Begleitung zu einer Abschirmung ganz anderer Art: Amerika warnt jeden Akteur davor, sich in den Krieg Israels einzumischen; in den Worten des US-Präsidenten: „Let me say again – to any country, any organization, anyone thinking of taking advantage of this situation, I have one word: Don’t. Don’t.“ Zum Zeitpunkt dieser Warnung war schon der größte und modernste Flugzeugträger in Richtung östliches Mittelmeer auf Kurs; insgesamt haben die USA zwei Flugzeugträger samt Begleitflotten sowie amphibische Landungsschiffe in die Region verfrachtet. Im Zuge dessen haben sie ihre bestehenden Truppenstandorte [2] mit Gerät verstärkt und auch personell aufgestockt, sodass sie auf dem Höhepunkt ihrer Abschreckungsmission mit ca. 45 000 Mann im Nahen Osten präsent sind.

2. Zweck, Grund und Leistung der unbedingten Solidarität Amerikas mit Israel

Am Zweck all dessen lässt Amerika keinen Zweifel: Israel soll seinen Feldzug gegen die Hamas erfolgreich führen können, unbeeindruckt und definitiv unbehelligt von regionalen Akteuren, die den antiisraelischen Staatsgründungszweck der Hamas teilen bzw. die Kräfteanspannung, die Israel zum Zwecke der ultimativen Bekämpfung der Hamas im Gazastreifen unternimmt, nutzen könnten, um ihre eigenen feindseligen Ambitionen gegen Israel voranzutreiben. Darüber, wer damit vor allem gemeint ist, besteht so viel Klarheit, dass die amerikanische Führung es bei der anonymen Drohung belassen kann: Adressaten sind die anderen palästinensischen Freischärler, die libanesische Hisbollah, die in Syrien und im Irak aktiven Milizen, die sich mit den letzten militanten Aktivisten der ‚palästinensischen Sache‘ solidarisieren, und vor allem die staatliche Macht Iran.

Dass ein Teil der offiziellen Begründung des amerikanischen Aufmarsches lautet, die USA müssten ihre schon vor Ort befindlichen Truppen nun vor erwartbar vermehrten Angriffen schützen, geht insofern in Ordnung: Mit der Vorwegnahme der Einmischung regionaler antiisraelischer Akteure, zu deren Abschreckung dieser Aufmarsch unerlässlich sei, machen die USA die regionale Dimension des israelischen Vorgehens gegen die Hamas praktisch zu ihrer Sache, indem sie jede potenzielle Aktion auf sich, ihre Verbotsansage und ihre militärische Präsenz vor Ort beziehen. Mit der erneuerten Präsenz dieser schlagkräftigsten regionalen Militärmacht hat jeder Israelgegner zu tun und zu kalkulieren. Praktisch ist damit die Duldung des israelischen Kriegs in eins gesetzt mit dem Respekt vor dem amerikanischen Verbündeten Israels, der diese Gleichung mit seiner militärischen Übermacht erzwingt.

a)

Diese von Washingtons Führern vorgenommene Identifikation israelischer Unversehrtheit beim überlegenen Kriegführen mit amerikanischer Kontrollhoheit über die Region ist so wenig neu wie selbstlos. Die USA erneuern damit die spezielle Allianz mit Israel, die sich immer wieder an ihren Gegnern bewährt, als solche aber gar nicht in einem zeitlich beschränkten und bedingten Zweckbündnis gegen diese aufgeht. Dass die USA auch im aktuellen Fall so massiv als Schutzmacht Israels agieren, beweist vielmehr, dass vom Standpunkt der amerikanischen Macht der israelische Staat als solcher ihren machtvollen Schutz verdient.

Erstens: Israel braucht ihn, weil es permanent den Kampf um seine schiere Existenz führt, die es ebenso permanent als bedroht definiert. Denn Israel ist, definiert sich und agiert als Fremdkörper inmitten einer staatlichen Umwelt, zu der es nur unter der Bedingung totaler, jederzeit kriegerisch handhabbarer Gewaltüberlegenheit überhaupt zu zivilen Beziehungen bereit ist. Und auch wenn es solche eingeht, dann haben die – die Fälle Ägypten und Jordanien beweisen es – nie einen anderen Charakter als den einesFriedens im ganz nackten Sinne des Nicht-Kriegs angenommen. Die Kehrseite dieser Selbstdefinition Israels besteht darin, dass es alle arabischen Staaten als Feinde definiert – das wiederum in einem sehr grundsätzlichen Sinne, also getrennt davon, was die in Sachen wirklich praktizierter Feindschaft überhaupt vermögen. Dass sich Israel ihrer Feindschaft so sicher sein kann, machen sich dessen Führer und Gefolgsleute samt befreundetem Anhang im Ausland gern an der Entstehung des Staates Israel klar, was durchaus passend ist. Denn die bestand in der Verpflanzung eines nach westlichem Vorbild erdachten und organisierten Staatswesens in den kolonial besetzten Orient mit seinen ganz anders – „vormodern“ – verfassten autochthonen Gemeinwesen, deren Vertreter die Gründung eines neuen Staates auf ihre Kosten vergeblich zu verhindern suchten; samt einer ebenfalls vor allem aus dem bürgerlichen Europa importierten Bevölkerung, die mit der ansässigen arabischen Bevölkerung im ganz Wesentlichen vor allem das eine anfangen konnte und kann: nichts. Darauf, dass sich dieser Charakter des importierten Fremdkörpers bis heute nicht verflüchtigt hat, besteht Israel selbst vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass sein Volk zwar, das Alte Testament lehrt es, das unbestreitbare Recht auf Ansiedlung dort hat, aber gar kein dortiges, sondern ein vor allem überall – und wiederum vor allem im Westen – verstreutes ist: Das mit Verfassungsrang versehene „Recht auf Rückkehr“ erstreckt Israel auf alle heute lebenden und auch auf die künftig erst noch zu gebärenden Juden überall auf der Welt. Für die und die schon Anwesenden versteht sich der Staat als Zufluchtsstätte, die „mit Gewehr und Pflug“ erobert wurde, weiter permanent zu erobern und gewaltsam abzusichern ist: gegen die dort lebenden Araber, die genauso grundsätzlich als staats- und volksfremde Bevölkerung, als Fremdkörper innerhalb der noch unfertigen jüdischen Heimstatt definiert und behandelt werden; und gegen die arabischen Staaten, die sich jeden Umgang gefallen zu lassen haben, den Israel mit ihrenpalästinensischen „Brüdern und Schwestern“ pflegt. Sicherheitsfragen siedelt Israel daher niemals unterhalb der alles entscheidenden Existenzfrage an, deren Virulenz praktisch damit bewiesen wird, dass es sie selber permanent aufwirft – und vor allem damit, mit welcher kompromisslosen Gewalt es sie ‚beantwortet‘. Dieser permanente Existenzkampf als total überlegene Staatsgewalt braucht ein Ausmaß an Unterstützung und gewaltbewehrtem Schutz, das nur die Weltmacht Amerika zu leisten vermag. [3]

Dass die diese Leistung für Israel auch erbringt, hat wiederum in Amerikas Natur und Standpunkt als Garantiemacht der Weltordnung seinen Grund. Israel als Produkt und Teil der modernen postkolonialen Weltordnung von lauter souveränen Staaten trifft mit seinem andauernden gewaltsamen Durchsetzungsbedarf bei den USA darauf, dass die ihrerseits – auch – im Orient einen permanenten Gewaltbedarf haben. Der verdankt sich zwar – anders als bei Israel – dem Bedarf nach der Durchsetzung und Sicherheit der regionalen Staatenordnung unter amerikanischer Regie, dient also der Glaubwürdigkeit und Produktivität ihres Status als global abschreckende Ordnungsinstanz, richtet sich aber im Wesentlichen auf die gleichen Objekte: In der je nach imperialistischer Schwerpunktsetzung ein bisschen anders umgrenzten und benannten Region gab und gibt es haufenweise Staaten oder Staatsprojekte, die ihre Souveränität entweder falsch verwenden oder, fast noch schlimmer, unter einem Mangel an richtiger Souveränität leiden; mitunter auch solche, die über die an sich erwünschte Herrichtung zum Beiträger für Amerikas kapitalistische Welt und ihren Energiebedarf zu solchem Reichtum kommen, dass sie zu viel an Ambitionen entwickeln... Jedenfalls sind alle anderen Staaten der Region in der einen oder anderen Hinsicht Ordnungs-, Sorgen- oder zumindest Aufsichtsfälle für die amerikanische Macht. Und auch die Staaten, die die USA nach Kräften per Krieg kaputtgemacht haben, wollen sich partout nicht zu Inseln proamerikanischer Prosperität und Stabilität entwickeln und bleiben Hotspots des Terrorismus. In dieser Region von mehr oder weniger unzuverlässigen bis feindseligen Staaten bzw. unbrauchbar kaputten und darin mehr oder weniger störenden Quasi- bzw. Nicht-mehr-Staaten ist Israel der Stützpunkt, von dem aus Amerika seine Kontrollgewalt über die Region ausübt, wobei es den jeweiligen Konjunkturen der globalen amerikanischen Strategie geschuldet ist, worauf bzw. gegen wen die sich speziell richtet. Die positive Seite dieser permanent kriegerischen anti-anti-amerikanischen Ordnungsstiftung besteht darin, dass die USA ihre arabischen Verbündeten in möglichst umfassende Beziehungen mit Israel zu verwickeln versuchen: Die amerikanische Politik definiert von sich aus eine wie vage auch immer gefasste proamerikanische Regionalordnung als Netz von Beziehungen mit Israel als Zentrum, [4] dem die USA auch gegenüber den mittlerweile von ihrer Feindschaft gegen Israel abgebrachten Staaten einen dauerhaften strategischen Vorsprung formell zugesichert haben und materiell verschaffen. [5] Wie richtig Washington mit dieser proisraelischen Generallinie liegt, bekommen die amtierenden Präsidenten von ihren jeweils aktuellen Gegnern in der Region zurückgespiegelt: Tatsächlich gibt es keinen Amerika-Feind vor Ort, der nicht auch Israel-Feind ist.

Zweitens: Israel verdient sich Amerikas Solidarität – nämlich unter dem amerikanischsten aller Gesichtspunkte: Erfolg. Mit dem sorgt Israel dafür, dass der Aufwand zu seiner Unterstützung sich für Amerika imperialistisch lohnt, was die Allianz endgültig so „ironclad“ macht, wie sie immer beschworen wird. Israel hat sich nicht nur irgendwie gegen seine arabischen Gegner behauptet, sondern es zum Status einer regionalen Supermacht gebracht, die die von ihr souverän definierten Essentials nationaler Sicherheit zum verbindlichen Maßstab dafür gemacht hat, was andere Gewalten in der Region dürfen und was nicht – und zwar so erfolgreich, dass sich außer der iranischen keine andere funktionierende Staatsmacht in der Region mehr eine substanzielle Feindschaft gegen Israel leisten will. Gegen seine nichtstaatlichen Gegner vermag Israel sich militärisch immerhin so effektiv abzuschirmen, dass bei allen offenen Gewaltfragen und periodisch fälligen Waffengängen in seinem Innern eine bürgerliche Zivilgesellschaft staatsnützlich gedeiht.

Die existiert nämlich – drittens – als erfolgreicher nationaler Kapitalismus, der auch in dieser Hinsicht sehr amerikanisch ist: Mit US-Hilfe und -Kredit hat Israel seinen außergewöhnlichen Kriegsbedarf in Form einer High-Tech-Rüstungsindustrie und ihrer Derivate ökonomisch lohnend gemacht. Damit reproduziert Israel nicht nur wesentliche Momente seiner militärischen Stärke autonom und auf eigene Rechnung, sondern leistet zugleich einen schönen Beitrag zum weltweiten Dollarkapitalismus im Allgemeinen, dem amerikanischen Finanzmarkt im Besonderen und – über die finanzkapitalistisch vermittelte Zusammenarbeit zwischen amerikanischen und israelischen Firmen – zur Überlegenheit der amerikanischen Rüstungsindustrie im ganz Speziellen. Zugleich verwickelt die israelische Staatsgewalt mit dieser kapitalistisch bewerkstelligten Symbiose zwischen Reichtumsproduktion und -zerstörung den größten Teil ihres Volkes in eine bürgerliche Existenz, die ihm das Interesse an einem dafür funktionalen Staat aufnötigt und für ein patriotisches Interesse an seinem Erfolg sorgt, das sich in reger Anteilnahme der Bürger an allen politischen Belangen niederschlägt. – Und dies wiederum erfüllt aus amerikanischer Sicht geradezu vorbildlich den imperialistischen Verlässlichkeitsanspruch, der bei Amerikas sendungsbewussten Weltmachtkommandeuren in Form der idealen Gleichung von nationaler Volksherrschaft und Proamerikanismus existiert, der im Volk und in seiner Führung gleichermaßen verankert ist. Insgesamt ist Israel für die USA damit der Glücksfall eines Bestandteils ihrer Weltordnung, der deren Prinzip – Nützlichkeit, Verfügbarkeit, Verlässlichkeit für Amerika aus nationalem Eigennutz – entspringt und entspricht und ihm qua Erfolg nützt.  [6]

Und weil das so ist, verkraftet die amerikanische Patenschaft für die jüdische Staatsmacht auch so manche Belastung, die notwendig damit einhergeht, dass die auf den amerikanischen Paten nun einmal wegen ihrer autonomen Unanfechtbarkeit setzt. Denn die Partnerschaft mit den USA stellt für die israelische Seite die strategische Absicherung für ihren Fundamentalismus dar, sich in den als existenziell definierten Bedrohungslagen ausschließlich auf sich selbst zu verlassen: Permanent ringt Israel im Verhältnis zu den USA um Definitionshoheit darüber, gegen wen genau und wie sich die Zweierallianz zu bewähren habe. Dass der Standpunkt und die Praxis autonomer Feinddefinitionen durch Israel sich immer wieder einmal nicht mit dem decken, was Amerika in der Region von seiner übergeordneten Warte aus vorhat, nehmen dessen Führer aufs Ganze gesehen als Preis dafür in Kauf, dass Israel die entscheidende Stütze und das Zentrum ihrer regionalen Macht-‚Projektion‘ und darauf gründenden Ordnungsvorhaben ist. Zumal gerade der mitunter an Unhandlichkeit grenzende israelische Standpunkt, sich ganz autonom und demonstrativ als der „tollwütige Hund“ aufzuführen, vor dem sich in der Region alle fürchten müssen, die Rolle Amerikas gegenüber allen anderen noch extra glaubwürdig macht: Die müssen ihrerseits um gute Beziehungen mit Amerika bemüht sein, um in Washington um ein bisschen Einhegung von Israels Gewalt nachsuchen zu können.

b)

Es ist dieses Prinzip amerikanisch-israelischer Freundschaft, das sich in der aktuellen Lage bewährt:

Die Hamasist nicht nur der unmittelbare Gegner Israels, sondern wird auch von den USA als Terrorverein eingestuft und behandelt. Was die gemeinsame Feindschaft nach dem Überfall der Hamas auf Israel zu leisten hat, definiert dessen Führung autonom und bekommt darin von Amerika Recht: Diesmal soll es um die wirkliche und endgültige Vernichtung des Gegners gehen. Der Logik seines Anspruchs an die Allianz treu bleibend, richten Israels Oberkommandierende ihre Kriegführung nur an diesem unbedingt verfolgten Zweck aus. Das schließt ein, dass sie die überlegenen Gewaltmittel, über die sie verfügen, von Anfang an überstrapazieren und darauf setzen, dass ihnen Amerika alles zur Verfügung stellt, was sie darüber hinaus brauchen. Die USA bleiben ihrerseits der Logik ihrer Solidarität mit Israel treu und liefern aus ihren vor Ort vorhandenen Arsenalen sowie per schleunigst organisierter Luftbrücke alles, was Israel an Nachschub benötigt. Aber das Ausmaß an Zerstörung, das notwendig dazu gehört, dass Israel die im Gazastreifen eingegrabene, in der dortigen Bevölkerung verankerte Hamas physisch eliminieren will, überrascht selbst die amerikanischen Verbündeten. [7] Denen ist zwar grundsätzlich nicht die Einsicht in die Notwendigkeit von Gewalt samt allfälligen Kollateralschäden fremd, und dem speziell israelischen Gewaltbedarf in seiner existenziell definierten Unbedingtheit gilt ja ihre grundsätzliche und bedingungslose Solidarität. Die kompromisslose Konsequenz, mit der das israelische Militär die Einstufung des Hamas-Angriffs als versuchten Genozid an Juden – „der schwärzeste Tag für die Juden seit dem Holocaust“ – per Kriegführung praktisch vollzieht, kommt dann allerdings nicht nur manchen amerikanischen Militärs in ihrer bornierten Professionalität ein bisschen übertrieben vor; vor allem vermissen ihre Kollegen aus der zivilen Führung der Weltmacht die politische Perspektive des nicht enden wollenden Kriegs. Vom amerikanischen Weltmachtstandpunkt aus hat letztlich auch dieser Krieg bloß das Mittel für eine „Nachkriegsordnung“ zu sein, was idealiter im Krieg selber und an den Arten, ihn zu führen, sicherzustellen ist. Weil Israel so gar keine Anstalten macht, den amerikanischen Anspruch anzuerkennen, sehen sich die Israel-Freunde in Washington zu entsprechenden Klarstellungen veranlasst: Sie lassen zwar an der Verlässlichkeit ihrer fortlaufenden Unterstützung für Israel keinen Zweifel aufkommen, ohne die nach wenigen Tagen die IDF ihre Munition komplett verschossen hätte. [8] Aber sie begleiten Israels Krieg inzwischen mit freundlichen Ermahnungen, die sich vorzugsweise aus den gemischten Erfahrungen speisen, die amerikanische Strategen mit ihren eigenen Zerstörungswerken im Nahen Osten sammeln durften. Die haben sie schon länger in die rückblickende Vorstellung übersetzt, mit ein bisschen mehr „Rücksicht auf die unschuldige Zivilbevölkerung“ hätten sie wohl ihren terroristischen Gegnern von Afghanistan bis Irak viel erfolgreicher die einheimische Unterstützung abgegraben und die politisch gesetzten Kriegsziele erreichen können. Weil das aber eben eine ganz immanente Kriegskalkulation und auf keinen Fall ein grundsätzlicher Einwand gegen den Kriegszweck ist, kann Israel mit solchen Einwürfen genauso gut leben wie Amerika damit, dass sich Israel nicht um sie schert. Weil weder Israel von der Radikalität seines Vernichtungswillens gegen die Hamas noch Amerika von seinem Anspruch auf den Krieg als Auftakt zu einer von ihm zu administrierenden Nachkriegsordnung lässt, werden die hässlichen Töne zwischen beiden Seiten mit der Dauer des Krieges zwar lauter. Aber die sich darin äußernde Differenz zerstört nicht das beiderseitige Einvernehmen: Mit leicht zu habenden Demonstrationen des Willens zur Scheidung zwischen Zivilbevölkerung und islamistischen Kombattanten gibt sich die US-Führung regelmäßig zufrieden. Kriegsregierungschef Netanjahu gibt jedenfalls ganz den Staatsmann und überlässt die hämische Feier wachsender Todeszahlen unter palästinensischen Zivilisten und die religiös untermalten Phantasien über anstehende Massendeportationen und die jüdische Wiederbesiedlung des Gazastreifens nachgeordneten Ministern und Parlamentariern der Regierungskoalition. Das reicht den Humanisten in Washington ebenso regelmäßig als Beweis dafür aus, dass auch in diesem Krieg die stattfindende Gewalt sich ausschließlich dem souveränen Recht und der imperialistischen Vernunft des befreundeten Staates verdankt, also zu ihrer eigenen passt.

Auch in Bezug auf die Gewalt gegen Westbank-Palästinenser, die Israel während des laufenden Gaza-Kriegs forciert, funktioniert die amerikanisch-israelische Allianz mit dem ihr immanenten Widerspruch. Das neue Ausmaß an israelischer Gewalt in der Westbank mag im Einzelnen mit einem verstärkten Aufstandsgeschehen begründet werden, passt aber vor allem in den generellen Zweck Israels, den Netanjahu immer wieder verkündet: Er rühmt sich nicht nur dafür, als Israels Langzeit-Premier die Gefahr der Gründung eines palästinensischen Staates erfolgreich gebannt zu haben, sondern sieht auch den derzeitigen Krieg als Teil der Bemühung, jede Aussicht auf einen solchen Staat in jedem Teil des Landes zwischen „Fluss und Meer“ ein für allemal zu vernichten. Also ist die „verschärfte Sicherheitslage“ der willkommene Anlass zu neuen Vertreibungen und sonstigen Schikanen aller üblichen Art und nicht so üblichen Größenordnung im Westjordanland, der Genehmigung neuer Siedlungen und neuer Rechte für Siedler usw. Das wollen die amerikanischen Partner mit ihrer Kriegsunterstützung nicht umstandslos decken, zumal sie den dort residierenden PA-Chef Abbas weiter als ihr Maskottchen für die „Zwei-Staaten-Lösung“ behandeln, an der sie unbeeindruckt von allen israelischen Widerworten und Zerstörungstaten als „Friedensperspektive“ auch nach diesem Krieg festhalten. Den daraus entspringenden Streitereien, die den Krieg begleiten, mit dem Israel Fakten schafft, widmen sich die beiden Alliierten entsprechend: Die USA nutzen die gut funktionierende demokratische Verfassung Israels dafür, sich offen in die politische Entscheidungsfindung einzumischen, die auch während des Krieges als Machtkonkurrenz stattfindet; demonstrativ treffen sich US-Repräsentanten mit den politischen Größen in Israel, die sie für zugänglicher halten als Netanjahu und seine radikalen Koalitionspartner, um den weiter amtierenden Premier unter Druck zu setzen. Umgekehrt nutzen israelische Politiker und proisraelische Lobbyisten die Instanzen und Gepflogenheiten der amerikanischen Demokratie nicht zuletzt mit Blick auf den laufenden Präsidentschaftswahlkampf, um sich der amerikanischen Unterstützung für den weiteren Kriegsverlauf zu versichern. Und als die US-Administration die Option ins Spiel bringt, sie könne einen palästinensischen Staat anerkennen, ohne das mit Israel abzustimmen – der Sache nach ein Beleg dafür, welch weitgehende Mitspracherechte sie Israel im Prinzip einräumt –, wiederholt Netanjahu nicht nur seine entschiedene Ablehnung eines solchen Zwangs, sondern holt sich per Abstimmung über eine entsprechende Resolution in der Knesset die demokratische Beglaubigung und Legitimation dafür, die auch dem demokratischen Werte- und strategischen Kriegspartner Amerika ein- und heimleuchten soll. Sogar zum scharfen Schwert der Finanzsanktionen greift die amerikanische Politik, deren Vertretern die israelische Gewalt im Westjordanland allmählich zu heftig, nämlich zu kontraproduktiv und ihnen gegenüber endgültig ein bisschen zu frech vorkommt. Aber sie verstehen es ihrem Schützling gegenüber, den es ja lediglich freundschaftlich zu ermahnen gilt, dieses Schwert sehr nadelstichartig einzusetzen: Zunächst trifft es lediglich handverlesene vier Siedler, die fortan ihre Geldgeschäfte persönlich nur noch in bar abwickeln können. Die als gemäßigt geltenden Politiker Israels erhalten damit die von ihnen prompt ergriffene Gelegenheit, sich von den Siedlerextremisten zu distanzieren. Das wird von ihnen zugleich deutlich genug als politische Legitimation aller nicht inkriminierten Gewalttaten in Judäa und Samaria ausgedrückt, die Siedler dem Abrahamsbund und das israelische Militär dem Schutz Israels vor dem eliminatorischen Terror feindseliger Araber schuldig sind. Und die Ende Februar seitens der israelischen Regierung ergehende Ankündigung des Baus Tausender neuer Siedlerwohnungen auf dem okkupierten palästinensischen Boden erntet vom Außenminister der Weltmacht ein herzhaftes „Ich bin enttäuscht.“

Auch Ägypten und Jordanien, die arabischen Nachbarstaaten, mit denen Israel offizielle Friedensverträge geschlossen hat, werden von Israels Krieg betroffen gemacht: Israelische Regierungs- und Oppositionspolitiker bringen die Vertreibung von Palästinensern Richtung Süden bzw. Osten offen ins Spiel; und vor allem führt Israel im Gazastreifen praktisch eine Notsituation für die dort Lebenden herbei, die potenziell geeignet ist, einen solchen Exodus zu erzwingen. Das führt den in Kairo und Amman Regierenden vor, dass Israel in seinem Mehrfrontenkrieg auf ihre souveränen Belange keine Rücksicht nimmt. Vor ihren nationalistisch und religiös aufgewühlten Völkern müssen sie sich für ihren Opportunismus und ihre Unterwerfung unter Israel rechtfertigen, als welche die Friedensverträge ja tatsächlich immer mehr kenntlich werden. Entsprechend wächst die Schwierigkeit der Regenten, des volksmäßigen Unmuts Herr zu werden, abgesehen davon, dass die regionale Kriegslage ihre ökonomisch ohnehin ziemlich gebeutelten Nationen zusätzlich schädigt. Auch diese Schadensfälle des israelischen Selbstverteidigungsrechts sind im Prinzip von der israelisch-amerikanischen Allianzversicherung gedeckt: Der amerikanische Außenminister Blinken bietet sich gern als Adressat für alle Beschwerden über die israelische Rücksichtslosigkeit an, versichert den ägyptischen und jordanischen Beschwerdeführern auch, sich bei Israel gegen jede unnötige Gewalt starkzumachen, kann er doch gerade in diesen an ihn gerichteten Beschwerden registrieren, dass seine arabischen Kollegen anerkennen, was der einzig zulässige Umgang mit ihren im Verlauf des Krieges wachsenden Nöten, wer nämlich der einzig berufene Adressat für ihren herrschaftlichen Kummer ist. Um sie darin zu bestärken, dankt er ihnen zugleich für ihre aus dringendem Eigeninteresse unternommenen Anstrengungen zur humanitären Begleitung des laufenden Gemetzels im Gazastreifen und zur Unterdrückung antiisraelischer und antiamerikanischer Umtriebe bei sich daheim als schöne Beiträge zu ausgerechnet der Sache, über die sie sich bei ihm beklagen. Unterfüttert werden die amerikanischen Gratulationen zu ihrer konstruktiven Rolle mit ein paar Hilfen, die nötig sind, damit die beiden Länder auch weiter aushalten, was Israel ihnen zumutet und Amerika ihnen dankt. Parallel mahnen amerikanische Politiker ihre israelischen Freunde, dass eine Vertreibung der Gazawis auf den Sinai nicht infrage komme. Auch das verdankt sich neben allerlei konkreten Überlegungen vor allem dem amerikanischen Standpunkt einer Staatenordnung für die Region. Und weil das so ist, wissen alle, die es angeht, wie solche Aussagen aus dem Mund regierender amerikanischer Israel-Freunde zu nehmen sind und wie nicht: Verlangt ist auch mit solchen Äußerungen vor allem der Respekt, den auch Israel dem einzigen Punkt zu zollen hat, der für die USA an dieser regionalen Ordnung überhaupt handfest gilt: ihrem übergeordneten Status als Instanz dieser Ordnung. Dieser Respekt ist von Israel genau so zu haben, wie er gemeint ist: prinzipiell, also verbunden mit der Freiheit, allein mit den USA auszuhandeln, was das Prinzip im Einzelnen heißt. Folgerichtig sind die US-Politiker entsprechend flexibel, was ihre konkreteren Forderungen angeht, die sie selbst nicht als rote Linien meinen und die kein anderer so versteht: Die Aufforderung, von einer Ausweitung des Anti-Hamas-Krieges auf die an Ägypten grenzende Stadt Rafah abzusehen, verwandelt sich sehr schnell in die „Erwartung“, dass Israel gerade bei Aktionen in und um Rafah „noch mehr“ Rücksicht auf Zivilisten nehmen wird; und zur Wiederbesetzung des Philadelphia-Landkorridors in Südgaza, auf dessen Räumung sich Ägypten und Israel im Zuge ihres Friedens einmal geeinigt hatten, lässt Blinken vernehmen, dass Israel nichts tun soll, ohne es mit Ägypten abzusprechen. Auch dessen Politiker wissen die amerikanischen Ansagen in Richtung Israel entsprechend zu deuten und verfallen keinen Moment lang dem Irrtum, es könnte sich bei denen um so etwas wie Schutzzusagen vor einer israelischen Vertreibungsaktion handeln: Also bauen sie die Schutzwälle und sonstigen Abwehrvorkehrungen auf ihrer Seite der Grenze aus und bereiten parallel dazu schon einmal ein erstes Auffanglager vor. Ihrem Souveränitätsanspruch und der Handhabung ihres teils propalästinensisch, teils flüchtlingsfeindlich aufgewiegelten Volks sind sie es schuldig, das eine oder das andere oder beides zu dementieren, während sie weiter zunehmend heftig auf ihre amerikanischen Partner einreden, die mögen ihren Einfluss auf Israel geltend machen, um das Schlimmste zu verhindern.

So bewährt sich die amerikanisch-israelische Allianz gegenüber den palästinensischen Gegnern und Opfern Israels sowie den in Mitleidenschaft gezogenen arabischen Friedenspartnern: Sie verschafft Israel einen neuen Fortschritt in seiner antipalästinensischen Staatsräson und sichert den USA die Kontrollhoheit über das Geschehen. Ihre eigentliche Wucht entfaltet diese wundervolle Freundschaft freilich auf einer etwas anderen Ebene: als Abschreckung des gemeinsamen regionalen Hauptfeinds Iran und seiner Verbündeten.

3. Der Hauptfeind der USA und Israels in der Region: Iran und seine nukleare Autonomie

Alles, was die amerikanisch-israelische Allianz ihrem Grund, ihren Leistungen und ihren Funktionsprinzipien nach ausmacht, spitzt sich in dem feindseligen Verhältnis zu, das die beiden Alliierten zur Islamischen Republik Iran haben.

a)

Die ist die letzte staatliche Bastion des politischen Antiamerikanismus in der Region und damit der Gleichung von Amerika- und Israel-Feindschaft. Die Beseitigung der Schah-Herrschaft 1979 durch die schiitischen Revolutionäre war von denen gemeint und wurde praktiziert als die Beendigung der proamerikanischen Ausrichtung Irans, die sie für alle Übel verantwortlich machten, unter denen Volk und Nation unter dem Schah zu leiden hatten. Seine aus der Schah-Herrschaft übernommenen und die neu erworbenen Machtmittel setzt Iran seither für seinen Aufwuchs als Macht ein, die sich der amerikanischen Hegemonie entzieht und allen feindseligen Versuchen, sie auf einen anderen Kurs zu zwingen, widerstehen kann. Das schließt für die frommen iranischen Führer vom Zweck her wie als Mittel ein, sich als Partner und als Schutzmacht aller anderen antiamerikanischen Bestrebungen in der Region zu betätigen. Also war für die Teheraner Revolutionäre von Beginn an klar, dass es Israel als Bastion Amerikas in der Region zu bekämpfen gilt, die der „große Satan“ dafür nutzt, alle ihm missliebigen Regungen unter den islamischen Völkern zu unterdrücken.

In der Verfolgung dieser antiamerikanischen und antiisraelischen Räson sind die frommen Führer in Teheran damit konfrontiert, dass ihnen die gleichartig gesinnten Bündnis- und Ansprechpartner in der nahöstlichen Staatenwelt abhandengekommen sind. Der letzte veritable Staat, den sie auf dieser Linie unterstützen konnten, war Syrien, dessen Regime bis dato die Okkupation seiner Golanhöhen nicht anerkennt, auch darum Feind Israels, also Amerikas und deswegen Verbündeter Irans bleibt. Nicht zuletzt deshalb wird es von den USA seit langer Zeit bekämpft und ist aus Washington anlässlich des ‚Arabischen Frühlings‘ endgültig zum Abschuss freigegeben worden, was dank russischer Unterstützung für seinen Partner in das Dauergemetzel eingemündet ist, das in allgemein durchgesetzter Unsachlichkeit „Syrischer Bürgerkrieg“ genannt wird. In dessen Resultat regiert Teherans Verbündeter Assad nurmehr über zwei Drittel seines angestammten Herrschaftsbereiches, und auch ansonsten sind die Alliierten Irans in der Region höchstens quasi-, aber faktisch nichtstaatlicher Art. Insbesondere die letzten Palästinenser-Fraktionen, die für ihr Staatsprojekt noch auf gewaltsamen Widerstand gegen Israel setzen, können sich der Hilfe Irans sicher sein, zumal die ehemaligen arabischen Unterstützerstaaten entweder aufgehört haben zu existieren oder politisch lieber nicht mehr in Bemühungen investieren, die Israel mit Hilfe und Rückendeckung Amerikas regelmäßig zunichte- und ihnen zum Vorwurf macht.

Im Laufe der Jahrzehnte ist es Iran gegen diesen Doppeltrend des Zerfalls amerikafeindlicher Staaten und der proamerikanischen und proisraelischen Domestizierung der verbliebenen funktionierenden arabischen Staaten gelungen, sich nicht nur als Staat zu erhalten, sondern sich auch als regional agierende Militärmacht zu stärken. Trotz aller Sanktionen der USA, die die mehr oder weniger erfolgreich auch allen anderen Staaten zur Vorgabe zu machen versuchen – Trumps „strongest sanctions in history“ sind bekanntlich noch immer in Kraft –, verfügt Iran heute über ein hohes Maß an militärtechnischer und industrieller Autarkie auch im Bereich anspruchsvoller ziviler und militärischer Technologien und vor allem im strategisch wichtigen Segment der Luft- und Raketenabwehr – und damit strategischer Autonomie. Auf dieser Basis, mit diesen Mitteln beweist Iran denen, die darauf spechten, dass Widerstand gegen Amerikas Hoheit über die Region immer noch und mehr denn je nötig und möglich ist, dass Widerstand gegen Israels Supermachtrolle in der Region und seine fortgesetzte Landnahme möglich ist und – dies vor allem – dass beides nur zusammen gelingt. Den militanten palästinensischen Gegnern Israels verschafft Teheran die Mittel für ihren hinhaltenden Widerstand, der nicht nur den totalen Überlegenheits-„Nimbus“ Israels, sondern damit zugleich die auf „Verständigung“ und „friedliche Lösungen“ zielenden Bemühungen ihrer innerpalästinensischen Konkurrenten blamiert. Den Oppositionen in den zur Versöhnung mit Israel gewendeten Staaten verschafft es Anschauungsmaterial für erfolgreiche Gegenwehr, dass also die Versöhnungspolitik schwächlich, unarabisch und unislamisch ist; und den Regierenden verschafft es neben einigen inneren Ordnungsproblemen ein paar diplomatische Argumente für ihr Bemühen, im „Normalisierungsprozess“ eigene Bedingungen gegenüber Israel geltend zu machen, um ihn nicht als komplette Unterordnung abzuwickeln.

Insbesondere sein durch kein Sanktionsregime erledigtes, durch gezielte Sabotageaktionen lediglich immer wieder gestörtes und verzögertes Atomprogramm, das der Staat inzwischen zur autarken Bewirtschaftung der gesamten nuklearen Technologiekette ausgebaut hat, verschafft ihm eine Potenz, die weder von Israel noch von Amerika zu dulden ist: Israel verknüpft seit Jahrzehnten seinen Anspruch auf eine regionale Sonderrolle – „Existenzsicherheit“ genannt – mit einem Vetorecht gegenüber jeder nuklearen Ambition in der Region. Dass gerade und ausgerechnet Iran sich dem erfolgreich widersetzt, dass dieser Feindstaat zusätzlich zu seiner erfolgreich verteidigten autonomen Verfügung über immer mehr Bestandteile eines auch militärisch einsetzbaren atomindustriellen Komplexes auch noch über immer mehr immer modernere potenzielle Trägermittel und IAMD-Komponenten verfügt, ist für Israel eine nicht hinnehmbare Bestreitung seines regionalen Supermachtstatus.

Alles zusammen ergibt – jedenfalls für den israelischen Premier, der es wissen muss – die Diagnose, dass Iran für 95 % aller Bedrohungen der Sicherheit Israels verantwortlich ist. Die politische Botschaft dieser punktgenauen Prozentangabe ist klar: Israel kann unmöglich mit, neben dieser Macht Iran leben. Tatsächlich verschafft Iran sich mit seiner Selbstausstattung zur militärisch schlagkräftigen Territorialmacht, die perspektivisch zu nuklearer Abschreckung fähig ist, erstens die Position, seine regionalen Verbündeten für deren Gewaltaktionen gegen Israel und die USA auszustatten; umgekehrt verschafft er sich damit, dass er seine Verbündeten gegen die überlegene amerikanisch-israelische Allianz kampffähig hält, in dieser „Achse des Widerstands“ ein entscheidendes Mittel für seinen Abwehrkampf gegen die antinuklearen Einschnürungs- und Frontbildungsanstrengungen der USA und Israels gegen ihn. Zweitens ist er selbst als Quelle dieser ärgerlichen Unterstützung nicht mehr angreifbar ohne die Bereitschaft zu einer Eskalation der Gewalt zu einem Krieg, den die Region bisher so noch nicht erlebt hat. Und drittens muss jeder, der über seine Verbündeten herfällt, das Risiko einkalkulieren, dass Iran sich offensiv zu deren Schutz einmischt, also seinerseits das Gewaltgeschehen entscheidend eskaliert. Und darum steht auch für die USA schon lange fest, dass Iran mit seinem Antiamerikanismus nicht nur ihr größtes, sondern mit seinen autonomen, insbesondere den nuklearen Potenzen ihr eigentliches Problem in der Region ist. Darum kulminiert am Iran und seiner erfolgreichen Behauptung als nicht zu übergehende Macht in der Region die besondere Waffenbrüderschaft zwischen Amerika und Israel.

Der Krieg Israels gegen die Hamas ist – in mehrfacher Hinsicht – Bestandteil dieser übergeordneten regionalen Auseinandersetzung zwischen den USA und Israel auf der einen, Iran auf der anderen Seite. Das ist die Wahrheit des Geredes vom „Flächenbrand“, den es zu verhindern gelte.

b)

Wem Bidens mehrfaches „Don’t!“ gegolten hat, war also von Anfang an klar: Die USA verteidigen die israelische Kriegsfreiheit gegen Iran. Denn diese Macht „steht hinter“ der Hamas, heißt: Sie teilt deren Anliegen einer antiisraelischen Staatsgründung, und sie hat sie dafür mit Mitteln ausgestattet, deren Effektivität und Resilienz gegen den israelischen Vernichtungsfeldzug nach Aussagen von dessen Vertretern auch das israelische Militär- und Geheimdienstestablishment überrascht.

Der Aufmarsch der USA soll Iran – und seine Verbündeten – dazu zwingen, ohne eingreifende Gegenwehr hinzunehmen, dass Israel dessen wichtigste palästinensische Bündnispartner in seinem von einem Blitz- zu einem Dauerkrieg ausgearteten Vorgehen Stück für Stück eliminiert. Irans entsprechende Drohungen, von dessen Führern als Warnung vor ebendem „Flächenbrand“ vorgetragen für den Fall, dass Israel es wagt, seine Hamas-Vernichtungs-Pläne wirklich bis zum bitteren Ende zu eskalieren, lassen die USA und Israel ins Leere laufen – so viel trauen sie ihrer abschreckenden Drohung zu, dass sie dem Iran nicht zutrauen, dass er mit seiner ernst macht. Diese mit dem Krieg im Gazastreifen praktisch vollzogene Negation der iranischen Gegenabschreckung komplettieren sie diplomatisch: Zwar sind es gerade die USA und Israel, die Iran pausenlos als Hintermann und Strippenzieher für jede Aktion seiner Verbündeten verantwortlich machen, ihn also als ihren eigentlichen Feind definieren, der sie über seine Stellvertreter und den sie an ihnen bekämpfen. Aber die von ihm auch in Form von offiziellen Vermittlungsangeboten beanspruchte Position als anerkannter Verhandlungspartner gestehen sie ihm nicht zu. Alle Fragen bezüglich Gefangenenaustausch und Waffenstillstand bzw. Kriegsende und Kriegsverhinderung an der israelischen Nordfront wickeln Israel und die USA vollständig mit den von ihnen als ‚Partner‘ – also minderbemittelt – eingestuften arabischen Mächten ab; und wenn die ihrerseits in ziemlich regem diplomatischen Austausch mit Iran über solche Fragen stehen, dann wird das geflissentlich übergangen: Diplomatie mit Iran findet allein in Form von öffentlichen Drohungen und Warnungen statt.

Die libanesische Hisbollah spielt in diesem wechselseitigen Hantieren mit Drohung und Gegendrohung in Bezug auf den währenddessen immer weiter tobenden Gaza-Krieg eine prominente Rolle. Der von ihr kontrollierte südliche Libanon bildet Israels Nordfront. Alle Welt geht davon aus, dass sich dieser mit Iran verbündete Verein noch viel mehr als die palästinensische Hamas mit iranischen Waffen und unter iranischer Anleitung inzwischen auch mit eigenen Waffen eingedeckt hat. [9] Seine vagen Drohungen, den palästinensischen Brüdern mit einem eigenen Krieg zu Hilfe zu eilen, wie Israel ihn noch nicht erlebt habe, untermauert er mit gezielten, aber begrenzten Grenzscharmützeln. Israel beantwortet diese Angriffe mit Gegenangriffen, die inzwischen immer tiefer in das libanesische Territorium hineinreichen, und begleitet das wiederholt mit der überhaupt nicht vagen Drohung, mit Libanon notfalls gemäß der „Dahiya-Doktrin“ zu verfahren, die sich darin zusammenfassen lässt, dass der Libanon hinterher so aussehen wird wie der Gazastreifen jetzt. Ausdrücklich ist in diesem Zusammenhang von israelischer Seite von „Unverhältnismäßigkeit“ die Rede, was die strategische Botschaft klarmacht: Auch und gerade für diesen Gegner, der viel stärker ist als die Hamas, existiert keine Berechenbarkeit israelischer Gewaltanwendung, auch wenn der andauernde Anti-Hamas-Krieg Israel schon deutlich strapaziert. Mit Angriffen auf Ziele in Beirut unterstreicht Israel, dass es „rote Linien“ allenfalls für seine Gegner zieht, sich aber selbst unter keinen Umständen solche ziehen lässt. Die USA komplettieren das israelische Abschreckungsszenario zum einen durch ihren eigenen Aufmarsch vor der libanesischen Küste, eigene Warnungen in Richtung Hisbollah und die Entsendung von Diplomaten, die sich in Beirut danach erkundigen, wie gut die bilaterale Drohung mit dem „regionalen Flächenbrand“ angekommen ist, die eben keine gegen Israel, sondern gegen dessen Gegner ist. Und die verfängt zumindest soweit, dass auch im fünften Monat von Israels Töten und Zerstören im Gazastreifen die Hisbollah sich im Wesentlichen außen vor hält und umgekehrt zuschaut, wie Israel zu immer größer angelegten Gewaltaktionen in ihrem Libanon schreitet. Parallel ergehen immer neue Mahnungen in Richtung Iran, seine libanesischen Verbündeten im Zaum zu halten. Dass die iranische Führung immer wieder betont, dass die Hisbollah keine Befehle aus Teheran entgegennimmt und auch keine solchen bekommt, wird dabei in Amerika und vor allem in Israel absichtsvoll überhört: Diese Anwürfe sind ja keine Theorien über die innerschiitischen Befehls- und Kommunikationsketten, sondern Ausdruck erstens des Willens, sich die Freiheit zum antipalästinensischen Krieg nicht ausgerechnet von der Macht relativieren zu lassen, die als Hauptfeind im Visier ist und durch diesen Krieg mit geschwächt werden soll; zweitens des Willens, diesen Krieg auch als Auftakt zur Bereinigung der libanesischen Front zu führen; und drittens der Entschlossenheit, Iran mit Eskalationsdrohungen dazu zu erpressen, auf seine Verbündeten so einzuwirken, dass Israels Krieg ungestört seinen Gang gehen und sein Ziel erreichen kann. Weil das nun einmal die einzige Möglichkeit ist, die Israel für die „Verhinderung eines regionalen Flächenbrandes“ vorsieht.

In Syrien weitet Israel seine Angriffe aus; die werden nun auch immer mehr ohne Rücksicht auf den Unterschied zwischen iranischen oder syrischen Stellungen und ziviler Infrastruktur Syriens bzw. in Damaszener Wohnvierteln geführt und erfolgen inzwischen auch tagsüber und auch ohne jede bis vor einer Weile noch gepflegte Absprache mit dem immer noch präsenten russischen Militär. Zugleich werden Angriffe auch immer weiter im Osten des Landes bis an die oder auch jenseits der Grenze zum Irak geflogen. Im Westen Syriens schert sich Israel immer weniger um die Regelungen bezüglich der jahrzehntelang eingefrorenen militärischen Entflechtung auf den Golanhöhen. Den von ihm besetzten Teil betrachtet und behandelt es sowieso als ureigenes Territorium – Raketen, die dort niedergehen, beantwortet es, wie es sich gehört, mit Vergeltungsaktionen gegen die mutmaßlichen Akteure oder gegen irgendwelche iranischen oder proiranischen Einrichtungen in Syrien. Um die Regelungen zur Demilitarisierung kümmert es sich dabei immer weniger und dringt mitunter auch mit Bodentruppen auf das demilitarisierte Gelände vor.

Für seinen amerikanischen Schutzpatron spielt die bürokratische Unterscheidung zwischen Irak und Syrien schon seit 10 Jahren keine Rolle mehr: Die USA haben in beiden Ländern ihre Truppen stationiert, offiziell für den „Kampf gegen den Terror“, also der Sache nach für alle Bedarfslagen, die sich aus wechselnden Fronten und Gegnern ergeben. Im Moment wird der Bedarf durch das Abschreckungsszenario gegen Iran definiert und durch das demonstrative Vorgehen gegen dessen auf syrischem und irakischem Boden operierende Verbündete exekutiert. Wenn letztere Angriffe auf US-Truppen versuchen oder tatsächlich unternehmen, entscheiden die US-Führer ganz frei, ob sie eine und welche rote Linie sie überschritten sehen, bestehen also demonstrativ auf der Unberechenbarkeit ihrer Militärmacht für ihre regionalen Gegner. Wenn sie zuschlagen, tun sie das „zu einer Zeit, an einem Ort und mit Mitteln unserer Wahl“, über die der Rest der Welt dann im Nachhinein in Kenntnis gesetzt wird. Begleitet werden diese Schläge in Syrien und Irak regelmäßig von der Versicherung, dass eine direkte Konfrontation mit Iran in Form eines Krieges auf dessen Territorium nicht vorgesehen sei. Das wird nur von den klugen öffentlichen Köpfen für ein Zeichen der Zurückhaltung, gar eines amerikanischen Dilemmas gehalten; deren parteiliche Expertise geht komplett darin auf, das Ideal totaler Unangreifbarkeit Amerikas hochzuhalten, das sie verletzt sehen, sobald irgendeine ortsansässige Miliz amerikanische Soldaten bedroht oder beschießt, ohne dass sofort danach Iran der Krieg erklärt wird. Im Unterschied dazu wissen die wirklichen, in Teheran ansässigen Adressaten der demonstrativen Unberechenbarkeit der amerikanischen Gegenschläge, wie die zu verstehen sind: Die haben inzwischen tatsächlich ihren Verbündeten zu Vorsicht und Zurückhaltung bei der Konfrontation mit den US-Truppen geraten, was zusammen mit der Presse vor allem die eigentlich Angesprochenen mitbekommen sollten, die in Washington sitzen: Es ist die im Westen als böse, radikal und kriegstreiberisch beschimpfte iranische Führung, die eine weiter eskalierende Konfrontation mit der vereinigten Militärmacht der USA und Israels verhindern will, also insofern zu erkennen gibt, dass die Abschreckung dieser beiden Mächte wirkt...

Und schließlich machen die USA auch noch im Jemen und vor dessen Küste klar, wie weit ihre regionale Abschreckung reicht. Die jemenitischen Militärs deklarieren ihre Angriffe auf den Schiffsverkehr vor ihrer Küste ausdrücklich als Solidaritätsaktion für ihre islamisch-arabischen Brüder im Gazastreifen, verlangen einen umgehenden und dauerhaften Waffenstillstand in Palästina und kündigen an, so lange israelische, für Israel bestimmte bzw. israelischen Bündnismächten zugeordnete Schiffe anzugreifen, wie ihre Forderung nicht erfüllt wird. Politisch kommt ein Eingehen auf diese Unverschämtheit für die USA natürlich keine Sekunde infrage; moralisch wird das mit der Beschimpfung begleitet, dass die Solidaraktion nur eine angebliche und das eigentliche Ziel der Angriffe bloß die weitere Destabilisierung der Region sei; diplomatisch wird jede Verknüpfung mit dem Geschehen im Gaza-Krieg von Amerika und seinen Verbündeten verweigert. Stattdessen bringen die USA auch in diesem Fall eine eigene Verknüpfung ins Spiel: die mit Iran. Der wird als eigentlich Schuldiger für die Überfälle hingestellt, was ihm in Form der freundlichen Zusicherung mitgeteilt wird, dass er auch angesichts dieser jüngsten von ihm zu verantwortenden Gewalteskalation nicht direkt zum Ziel eines amerikanischen Krieges werden soll. Dafür hat er aber alles zu unternehmen, um seine jemenitischen Verbündeten in den Griff zu bekommen, andernfalls muss er zusehen, wie Amerika deren militärische Potenzen zerstört.

So machen die USA im Zuge der Unterstützung Israels jedes Moment des von ihnen dominierten Gewaltgeschehens zum Moment ihrer Anti-Iran-Linie und fordern Iran zugleich auf, sich das in jedem Einzelfall gefallen zu lassen. Das letzte Argument dafür haben sie Anfang November im Suezkanal auftauchen lassen und ein entsprechendes Foto samt Kommentar per Twitter verbreitet: ein atomkraftgetriebenes und atomwaffenfähiges U-Boot der Ohio-Klasse, das nun unter dem Befehl des CENTCOM agiert. Ungefähr zur selben Zeit wird ein braver Zionist im Range des israelischen Ministers für Kulturerbe, der es nur gut gemeint hat, von seinem Chefminister energisch zurückgepfiffen, nachdem er den Abwurf einer israelischen Atombombe über dem Gazastreifen als Option zumindest nicht ausgeschlossen hat, was er im Januar meinte wiederholen zu müssen. An beidem wird die entscheidende Grundlage namhaft, auf der das ganze Gewaltszenario beruht, das Israel und die USA in der Region entfalten.

c)

In alles bisher Gesagte geht der Umstand ein, der gerechterweise im Zuge von Israels Krieg und Amerikas antiiranischem Abschreckungsregime immer wieder thematisiert wird: Die Freiheit, die sich Israel für sein nicht endendes, immer weiter voranschreitendes Staatsgründungsprogramm nimmt – eingeschlossen darin die Erweiterung seines Territoriums und die Aussonderung der als nicht-israelisch definierten Bewohner –, beruht auf der von Amerika abgesicherten Überlegenheit seines Gewaltpotenzials gegenüber jedem anderen regionalen Akteur, die seit über einem halben Jahrhundert seine exklusive Verfügung über Atomwaffen einschließt.

Der Dauerregierungschef Israels macht diese Verknüpfung an seiner Person deutlich: Er lobt sich – wie oben erwähnt – zum einen unentwegt dafür, bisher in all seinen Amtszeiten dafür gesorgt zu haben, einen palästinensischen Staat verhindert zu haben und die Grundlagen für eine solche Perspektive effektiv zu zerstören. Zum andern erklärt er es immer wieder zu seiner Lebensaufgabe, Israel vor der iranischen Gefahr zu beschützen, die in der Perspektive besteht, dass dieser Feindstaat sich eine Atombombe verschafft. Und wo er recht hat, hat er recht: „Die Bombe“ in den Händen Irans wäre die entscheidende Relativierung der israelischen Abschreckungsmacht, die in der Fähigkeit gipfelt, ein regionales Nuklearschlagsdesaster anzurichten, letztlich sogar ohne Blick darauf, ob überhaupt und wie Israel aus einem solchen hervorgehen würde. Der Krieg gegen die Gaza-Palästinenser benutzt und strapaziert ebendiese nukleare Abschreckungsmacht. Darum ist es passend, wenn der israelische Oberkommandierende von der bekämpften Hamas auf ihre iranische Unterstützermacht und von der auf die Notwendigkeit zu sprechen kommt, jede Möglichkeit zu verhindern, dass die in den Besitz einer nuklearen Gegenabschreckungsfähigkeit gelangt. Noch Ende September ’23 – zwei Wochen vor dem Hamas-Angriff auf Israel – äußert er sich vor der UN-Generalversammlung im Zusammenhang mit der Verhinderung einer iranischen Nuklearbewaffnung so:

„Above all – above all – Iran must face a credible nuclear threat. As long as I’m prime minister of Israel, I will do everything in my power to prevent Iran from getting nuclear weapons.“ 

Und im Januar 2024 stellt dieser demokratisch gewählte Schutzpatron aller Juden noch einmal klar: „Who says we aren’t attacking Iran? We are attacking Iran.“ Auf diese Weise beschwört Netanjahu den Krieg gegen den palästinensischen Feind und dessen regionales Unterstützernetzwerk als Anwendungsfall der installierten israelischen Abschreckungsmacht und zugleich als Auftrag und Auftakt dazu, deren Unversehrtheit durch die Verhinderung einer nuklearen iranischen Gegenabschreckung zu bewahren – und sei es um den Preis des kriegerischen Vollzugs der Zerstörungsdrohung, über die Israel mit seinem atomaren Vernichtungspotenzial gebietet.

Damit praktiziert Israel vorbildlich die verrückte Logik dieser Waffe: Deren Nutzen besteht in der glaubwürdigen Entschlossenheit, sie – ausdrücklich ohne Rückbezug auf die eigenen Überlebensperspektiven – auf jeden Fall einzusetzen, wenn es sein muss, um diesen Fall so sicher wie möglich zu verhindern. [10] Alle inzwischen ausgearbeitete Szenarien ihres Einsatzes im Sinne des wirklichen Abwurfs leiten sich genauso irrsinniger-, aber eben konsequenterweise aus diesem ultimativen Armageddon ab und folgen allesamt dem doppelten Ideal, die Zerstörungsperspektive für den Gegner nicht nur total zu machen, sondern auf dieser Basis zu vervielfachen, und andererseits sich selbst vor diesem Schicksal möglichst weitgehend abzuschirmen. Darum verlangt auch im Falle Israels die strategische Glaubwürdigkeit und die auf dieser beruhende politische Wirksamkeit der Atomwaffe nach deren beständiger rüstungstechnischer Vervollkommnung: Inzwischen verfügt auch Israel über die „nukleare Triade“ – die Fähigkeit, weitreichende Atomwaffen vom eigenen Territorium, aus der Luft oder von U-Booten aus abzufeuern –, also die nukleare Zerstörung seiner Gegner notfalls auch nach dem eigenen Untergang sicherzustellen; es hat sich durch immer weiter entwickelte Trägertechnologien in die Lage versetzt, auch über die Region hinaus – im Prinzip überall auf dem Globus – zuschlagen zu können; und sein Vorrat an waffenfähigem Material reicht offensichtlich für ein Vielfaches der schon vorhandenen Sprengköpfe. Auf der Grundlage dieser Vervielfältigung und Diversifizierung des israelischen Atomwaffen- und Trägerarsenals gelingt seinen Strategen und deren wissenschaftlichen Übersetzern das für ihren Berufsstand übliche, den normalen Menschenverstand einigermaßen strapazierende Kunststück, lauter total realistische Kriegsszenarien auszuarbeiten, die allesamt darauf zielen und das auch so angeben, ihren kriegerischen Vollzug selber zu überholen, also dadurch überflüssig zu machen, dass sie ihrem Vollzug die Perspektive einer Nicht-„Samson“-mäßigen Machbarkeit verleihen, also bis ins Kleinste ausbuchstabieren, wie genau – nämlich wie tödlich für den Gegner – ein preemptiver oder auch präventiver Erstschlag bzw. ein Zweit- oder Drittschlag innerhalb eines konventionell begonnenen oder gleich nuklearen Kriegsgeschehens aussehen wird. Über die entscheidende Aporie kommen auch israelische Strategien nicht hinweg, was – der Krieg gegen die Hamas und seine Weiterungen lehren es – nichts macht, weil die keine theoretische, sondern eine praktische und damit praktisch zu handhabende ist: Erfolg besteht darin, dem Gegner glaubwürdig vorzuführen, dass der als Ernstfall definierte Vollzug seiner Drohungen mit quasi automatischer Notwendigkeit seine Vernichtung zur Folge haben wird.

Israel hat also wirklich die strategische Autonomie, die Hoheit über seine prinzipiell prekäre „Existenz“ erlangt. Das bedeutet nicht nur für seine Gegner, dass sie in ihre Gegnerschaft zusätzlich zu der von Israel andauernd gebrauchten überlegenen konventionellen Macht auch die nukleare Vernichtungsdrohung unbedingt einkalkulieren müssen. Dieser nukleare Kriegsmachtstatus Israels hat auch seine Bedeutung für das Verhältnis zur amerikanischen Schutzmacht. Zunächst einmal die, dass die USA – inzwischen [11] – ihre Anerkennung des permanent zu führenden und darum unbedingt überlegen zu gewinnenden Existenzkampfes Israels auch auf dessen Atombewaffnung erstrecken: Israel soll sich auch mit dem letzten Mittel, das den liebenswerten Mitgliedern der Staatengemeinschaft zwecks wechselseitiger Zerstörung zur Verfügung steht, behaupten können, eben weil dieser Staat jede Feindschaft als Existenzfrage praktiziert – das macht ihn ja so einzigartig als Schutzobjekt und Verbündeter. Gerade die nukleare Autonomie Israels macht die überlegene Solidarität Amerikas nicht überflüssig, sondern fordert sie umgekehrt auf neue und einigermaßen widersprüchliche Weise heraus: Es kann den USA auch im Falle ihres singulären Verbündeten nicht egal sein, dass der in aller Autonomie über eine Waffe verfügt und deren Einsatz durchplant, für deren Gebrauch die amerikanische Weltmacht sich das Monopol zuspricht: Das Szenario eines Atomkriegs darf es nur als Bestandteil der globalen Abschreckung geben, mit der die USA ihre weltweite Ausnahmestellung und damit die von ihnen dominierte Weltordnung absichern. Die selbstständige Durchführung eines Atomkriegs kommt daher vom amerikanischen Weltmachtstandpunkt aus auch für Israel nicht infrage. Das wäre der Verstoß gegen das amerikanische Atomkriegsmonopol und damit zugleich gegen die globale Gewaltrechtsordnung, die letztlich auf diesem beruht; aus dieser Ordnung würde sich ausgerechnet dieser besondere Verbündete der obersten Ordnungsmacht selber ausschließen. Für die USA bedeutet dies die Herausforderung, die autonome israelische Atommacht unter amerikanischer Kontrolle zu halten. Damit ist der in die unverbrüchliche Allianz eingebaute Widerspruch komplett: Israel besteht auf der nuklear fundierten Autonomie seiner Gewalt auch gegenüber Amerika und beansprucht gegenüber dem mächtigen Partner, dass der mit seiner unendlich größeren Zerstörungsmacht die eigene ergänzt und damit deren Wirksamkeit und Produktivität sicherstellt. Umgekehrt schützt und unterstützt Amerika Israel in seiner autonomen Gewaltentfaltung, stellt ihm dafür auf immer neuer Stufenleiter die Mittel zur Verfügung und deckt deren ausgreifenden Gebrauch, versichert auch höchstoffiziell immer wieder aufs Neue, dass es dem Anspruch Israels Recht gibt, „sich selbst mit eigenen Mitteln“ zu verteidigen – und besteht zugleich auf der Kontrolle über diese von ihm anerkannte und materiell beförderte Autonomie Israels und deren Konsequenzen; erst recht in Bezug auf die Entfaltung dieser Autonomie in der Sphäre der ultimativen nuklearen Gewaltmittel und der Szenarien ihrer Anwendung durch die israelische Macht.

*

Haltbar ist dieser Widerspruch – der Gaza-Krieg und die auf ihn bezogene regionale Kriegslage beweisen es –, weil er für beide Seiten nicht nur irgendwie zu ihrer Völkerfreundschaft gehört, sondern weil er für beide produktiv ist. Was umgekehrt heißt und ebenfalls durch das gegenwärtige Gewaltgeschehen und die darauf gemünzten Schönheiten multilateraler Diplomatie bewiesen wird: Weder für die feststehenden gemeinsamen Gegner noch für irgendwelche anderen weltpolitisch relevanten Subjekte bilden die Momente von Widerspruch innerhalb der amerikanisch-israelischen Allianz, die manchmal wie die Anfänge eines Zerwürfnisses aussehen, einen Ansatzpunkt, zum eigenen Nutzen einen Keil zwischen die beiden besten Freunde der modernen Staatengeschichte zu treiben. Solange die Betroffenen davon nur die elenden Palästinenser und ein paar andere nicht weiter interessierende Araber sind, ist die imperialistische Welt doch in Ordnung.

[1] Zu den Zwecken des Angriffs der Hamas und der Antwort Israels, die sich in den von beiden Seiten eingesetzten Mitteln sowie den bewusst produzierten oder einkalkulierten Konsequenzen widerspiegeln, siehe den Artikel ‚Al-Aqsa-Flut‘ und Gaza-Krieg – Hamas gegen Israel in Heft 4-23 dieser Zeitschrift.

[2] Vor allem auf der Arabischen Halbinsel – in Kuwait, Katar, Bahrain und Saudi-Arabien – hatten die USA vor der aktuellen Truppenverstärkung ca. 30 000 Mann stationiert, zu denen neben regulären Armeeangehörigen auch das Personal privater Militär- und Sicherheitsunternehmen gehört; in Syrien 900 und im Irak mehrere Tausend.

[3] Das alles lässt sich so zusammenfassen:

„Ein modernes europäisches Kolonisationsprojekt im westlichen Asien – aber nicht als Werk und zum Nutzen eines westlichen Mutterlandes, sondern gegen alle Ansprüche der modernen Gewalten, die das Gebiet längst unter sich aufgeteilt hatten; ein moderner bürgerlicher Nationalstaat – aber nicht als nationale Emanzipation eines vorfindlichen, sondern eines auf dem längst von anderen bewohnten Territorium erst anzusiedelnden und permanent von außen zu importierenden Menschenschlages; ein territorial umgrenzter, exklusiv fürs eigene Volk zuständiger Staat – aber zugleich mit dem Schutzmachtanspruch für alle auf der ganzen Welt lebenden Juden; eine Staatsgewalt, die die eigene Existenzbedrohung als nie abschließend auszuräumende definiert und entsprechend agiert – aber zugleich erfolgreich ein ziviles kapitalistisches Innenleben organisiert und als imperialistisch ambitionierte Regionalmacht Außenpolitik betreibt: das alles definiert den Gewaltbedarf dieses Staats. Der hat sein Maß im Anspruch auf autonome, darin überlegene Gewalt gegen jede wirkliche oder vorstellbare Anfeindung. Er überschreitet damit von Anfang an und bleibend alle autonomen Potenzen des israelischen Staatswesens.“ (Israel 2019: Imperialistische Musterdemokratie in zionistischer Mission, Heft 4-19 des GegenStandpunkt)

[4] So fiel und fällt z.B. der Status Ägyptens und Jordaniens als Partner Amerikas mit der Absage dieser Staaten an jede praktizierte Israel-Feindschaft unmittelbar zusammen. Neuere Beispiele dafür sind die sogenannten Abraham-Abkommen, in denen eine Handvoll weiterer arabischer Staaten unter amerikanischer Anleitung und ermuntert durch diverse Zusagen Amerikas in Sachen ökonomischer und militärischer Zusammenarbeit eine formelle Anerkennung Israels leisten.

[5] Amerikanische Politiker haben keine grundsätzlichen Einwände dagegen, sich von Israels Sicherheitsestablishment vorbuchstabieren zu lassen, welche Waffen Amerika an verbündete, durchaus Israel-freundliche Mächte aushändigen darf und welche eher nicht. Das wird von Fall zu Fall zwischen beiden ausgehandelt – immer mit gemeinsamem Blick auf den „Qualitative Military Edge“,d.h. den Vorsprung gegenüber allen anderen Staaten in der Region, dessen Aufrechterhaltung die USA Israel zugesichert haben.

[6] Auch zu dieser wirklichen Symbiose gibt es eine ideologische. Die existiert in verschiedenen Formen u.a. als Spleen evangelikaler Amerikaner mit ihrem Traum von einem Neuen Jerusalem und als lebendiges Gemeindeleben der jüdischen Diaspora in den USA und bringt neben viel ideologischer Beweihräucherung der gewaltsam hergestellten Realität auch noch ein paar schöne praktische Beiträge hervor: Kombiniert mit den Errungenschaften des amerikanischen Finanzmarkts ergeben sich in der Gestalt von Spenden und Krediten einige beachtliche Summen, die Israels Finanzmittel ergänzen, und eine effektive proisraelische Lobbyarbeit in den Washingtoner Entscheidungszentren.

[7] Die prompt nach Israel entsandten US-Berater dürfen ungefragt zusehen, wie die israelische Armee alle amerikanischen Rekorde bezüglich der Zerstörung ziviler Stadtbebauung und Tötung von Zivilisten innerhalb weniger Wochen einholt. Vor allem beeindruckt sie offensichtlich der Abwurf von Hunderten zerstörungsintensiver 900 kg-Fliegerbomben, von denen sie während des gesamten Krieges gegen den IS in Irak und Syrien nur eine einzige eingesetzt haben; usw.

[8] Das bietet ihnen nebenbei auch die Gelegenheit zu beweisen, dass ihre Potenz als Weltmacht einschließt, ihren gigantischen Abnutzungsstellvertreterkrieg in der Ukraine ohne Abstriche neben der Ausrüstung der neuartig ultimativ gemeinten und entsprechend groß dimensionierten Gewaltorgie Israels gegen die Palästinenser abzuwickeln. Dass der in den USA entbrannte Streit um die Kosten dieser doppelten Kriegslage keine Frage begrenzter amerikanischer Mittel ist, erklärt der Artikel Kriegsbedarf in Osteuropa und im Nahen Osten, ‚Chaos‘ in Washington: Eine neue Episode im Kampf zwischen ‚global leadership‘ und ‚America first!‘ in Heft 4-23 dieser Zeitschrift.

[9] Das gilt insbesondere für die Artillerie-, Raketen- und Drohnenarsenale. Ende Februar lautet die neueste Nachricht, dass auch die Hisbollah über ein weitverzweigtes, sogar noch viel größeres Tunnelsystem verfügen soll, das bis tief nach Israel und auch unter syrisches Territorium reicht.

[10] Exakt so und auf dieses Szenario gemünzt ist die israelische Atomwaffe in die Welt gekommen: als Fähigkeit zur „Samson-Option“, also zur Drohung, jeden Gegner, der sich daranmacht, Israel endgültig zu zerstören, mit in den Abgrund zu reißen, so wie einst der im Vorfeld – eine Frau war im Spiel – etwas unvorsichtige Samson, der die Philister mit sich begraben hat, als sein Tod schon feststand.

[11] Anmerkungen zur Geschichte der israelischen Atomwaffe und des Verhältnisses Amerikas dazu finden sich in dem erwähnten Artikel zu Israel in Heft 4-19.