Zu einigen Neuerungen der Ära „America first!“
Das aktuelle Stichwort: Sanktionen
Sanktionen kennt der politisch mitdenkende Deutsche – bislang – als „Maßnahmen“, die der eigene Staat im Verein mit anderen verhängt; gegen auswärtige Gewalten, denen man Verstöße gegen Ordnung und Moral der zwischenstaatlichen Verhältnisse nachsagt; Einschränkungen auf dem Gebiet des freizügigen Verkehrs von Waren und Geld, Kapital und Personen, wie er ansonsten und bis zur Verhängung von Sanktionen auch für die sanktionierte Nation gilt; „Maßnahmen“, die den davon betroffenen Staat unter Druck setzen und so zur Änderung seiner Politik nötigen sollen. Dass es sich bei diesen „Maßnahmen“ um erpresserische Gewaltakte handelt, die ungefähr von gleicher Art sind wie die Verstöße gegen die internationale Geschäftsordnung, die man den sanktionierten Machthabern vorwirft, verschwindet in der politischen Wahrnehmung der sanktionierenden Länder hinter dem Rechtsbewusstsein, mit dem sie verhängt werden – Taten zum Schutz der zwischenstaatlichen Ordnung gelten als Rechtsakte und brauchen sich ihre Übergriffigkeit nicht vorhalten zu lassen –, sowie hinter dem zivilen Charakter des Vorgehens – solange „die Waffen schweigen“, gilt die gerechte Schädigung anderer Nationen nicht als Gewalt in dem Sinn, wie die sanktionierenden Staaten sie ja durchaus auch anwenden könnten. Dass Sanktionen gleichwohl als erpresserische Gewaltakte gemeint sind und vom mitdenkenden öffentlichen Selbstbewusstsein der sanktionierenden Staaten auch so gewusst und gewürdigt werden, wird spätestens an der Frage klar, die solche „Maßnahmen“ stets begleitet: der Frage nach ihrer Wirksamkeit. Unter dem Gesichtspunkt erscheint der „Verzicht“ auf direkten Zwang als Schwäche.
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Zu einigen Neuerungen der Ära
„America first!“
Das aktuelle Stichwort: Sanktionen
kennt der politisch mitdenkende Deutsche – bislang – als „Maßnahmen“, die der eigene Staat im Verein mit anderen verhängt; gegen auswärtige Gewalten, denen man Verstöße gegen Ordnung und Moral der zwischenstaatlichen Verhältnisse nachsagt; Einschränkungen auf dem Gebiet des freizügigen Verkehrs von Waren und Geld, Kapital und Personen, wie er ansonsten und bis zur Verhängung von Sanktionen auch für die sanktionierte Nation gilt; „Maßnahmen“, die den davon betroffenen Staat unter Druck setzen und so zur Änderung seiner Politik nötigen sollen. Dass es sich bei diesen „Maßnahmen“ um erpresserische Gewaltakte handelt, die ungefähr von gleicher Art sind wie die Verstöße gegen die internationale Geschäftsordnung, die man den sanktionierten Machthabern vorwirft, verschwindet in der politischen Wahrnehmung der sanktionierenden Länder hinter dem Rechtsbewusstsein, mit dem sie verhängt werden – Taten zum Schutz der zwischenstaatlichen Ordnung gelten als Rechtsakte und brauchen sich ihre Übergriffigkeit nicht vorhalten zu lassen –, sowie hinter dem zivilen Charakter des Vorgehens – solange „die Waffen schweigen“, gilt die gerechte Schädigung anderer Nationen nicht als Gewalt in dem Sinn, wie die sanktionierenden Staaten sie ja durchaus auch anwenden könnten. Dass Sanktionen gleichwohl als erpresserische Gewaltakte gemeint sind und vom mitdenkenden öffentlichen Selbstbewusstsein der sanktionierenden Staaten auch so gewusst und gewürdigt werden, wird spätestens an der Frage klar, die solche „Maßnahmen“ stets begleitet: der Frage nach ihrer Wirksamkeit. Unter dem Gesichtspunkt erscheint der „Verzicht“ auf direkten Zwang als Schwäche.
Tatsächlich wirken Sanktionen nur so weit, wie der sanktionierte Staat im Rahmen der Abhängigkeiten, die er berechnend eingegangen ist, zu schädigen ist und über keine oder nur schlechte Alternativen verfügt. Irgendwie weiß sich eine Staatsmacht natürlich allemal – regelmäßig auf Kosten ihres Volkes – Kompensationsmöglichkeiten zu verschaffen. Umso härter müssen dann die Sanktionen ausfallen, um Wirkung zu erzielen; diese Logik der Eskalation gehört zum zivilen zwischenstaatlichen Erpressungswesen unweigerlich dazu und wirft folgerichtig nächste Fragen auf. Zum einen die, ob Sanktionen nicht womöglich „die Falschen“ treffen, nämlich mehr das Volk als dessen Machthaber, auf die die Erpressung doch zielt. Diese Unterscheidung zwischen Volk als nicht gemeintem Opfer und Herrschaft als eigentlichem Adressaten der verhängten Schädigung ist nicht einmal bloß Heuchelei; sie bestreitet den Regierenden ideell das Recht auf Herrschaft über ihr Volk und bezweckt praktisch die Aufwiegelung der Bürger gegen ihre Obrigkeit, die sich ihrerseits mit ihrem Volk agitatorisch und praktisch gerade in der Weise zusammenschließt, dass sie die Beeinträchtigung ihrer Macht als Schädigung an ihre staatseigene Manövriermasse weitergibt. Die zweite Frage, die sich mit jeder für fällig erachteten Eskalation der Sanktionsmaßnahmen immer wieder stellt, ist die nach den Kosten, die der Ausschluss einer bislang als nützlicher Partner behandelten Nation vom gewohnten zivilen Verkehr für die eigene Seite mit sich bringt. Schließlich leiden all die schönen Geschäftsbeziehungen, von denen man den anderen Staat so abhängig gemacht hat, dass der durch ihre Einschränkung Schaden nimmt. Daran schließt sich konsequent die dritte Frage an, wie sich Partner in der Partei der Guten und zunächst unbeteiligte dritte Staaten so in die verhängten Sanktionen einbinden lassen, dass deren erpresserische Wucht steigt, ohne dass die eigenen Geschäfte über Gebühr belastet werden. Folgerichtig verlangen Sanktionen ein von möglichst vielen Staaten getragenes Sanktionsregime.
Für diese Konsequenz bietet die Weltwirtschaftsordnung des 21. Jahrhunderts einzigartig günstige Bedingungen. Ein modernes
Sanktionsregime,
wie die USA es mittlerweile in etlichen Fällen praktizieren oder anstreben, beruht nämlich darauf, dass die internationale Freizügigkeit, mit deren – angedrohter – Stornierung Staaten zu erpressen sind, zur unverzichtbaren Geschäftsbedingung für das kapitalistische Wirtschaftsleben aller, vor allem aller wichtigen Nationen und damit zum kaum entbehrlichen Lebensmittel staatlicher Gewalt geworden ist. Gewiss sind Staaten auch durch die Vorenthaltung bestimmter Exportgüter oder durch spezielle Handelsbeschränkungen in Verlegenheit zu bringen; und auf mehr symbolische Akte wie Einreiseverbote für unliebsame Personen wird auch nicht verzichtet. Auf ihrer Endstufe beziehen Sanktionen ihre Wucht aber nicht aus der Schädigung einzelner Interessen einer Nation, sondern aus der prinzipiellen ökonomischen Abhängigkeit, in die die Staaten der Welt sich hineingewirtschaftet haben; von dem Wirtschaftsgut schlechthin nämlich, mit dem sie sich zum Reichtum der ganzen Welt ins Verhältnis setzen: dem US-Dollar, der überall als Zahlungsmittel fungiert, als Bezugsgröße für die Bewertung und als Mittelglied für den Austausch aller anderen nationalen Gelder. Auf Verfügung über dieses Geld kommt es an. Und das nicht nur für einen Außenhandel, den die Nationen neben ihrer inländischen Warenproduktion und -zirkulation auch noch betreiben und der sich auf ein paar Überschüsse und intern nicht zu befriedigende Bedürfnisse beschränken würde. Wenn die US-Regierung mit dem Ausschluss irgendwie verdächtiger Firmen vom US-Markt, auswärtiger Kreditinstitute vom amerikanischen Finanzmarkt oder am Ende ganzer Nationen vom Gebrauch des US-Dollar überhaupt droht und damit Wirkung erzielt, dann wird offenbar, dass die Nationen der modernen Welt als Kapitalstandorte, welchen Kalibers auch immer, nurmehr als integrale Bestandteile eines Weltkapitalismus funktionieren, der seinerseits auf einer entscheidenden Prämisse beruht: Er wird in Gang gehalten von einem international agierenden Finanzgewerbe, das den Vorschuss für Arbeit und Reproduktion des Reichtums der Nationen schafft, den Überschuss akkumuliert und damit weiteres Wachstum stiftet, und zwar unter Einsatz des Kreditgelds amerikanischer Denomination oder von anderen nationalen Kreditgeldern, die in ihrer Austauschbarkeit gegen den US-Dollar die unverzichtbare letzte Gewähr für ihre unbedingte Werthaltigkeit haben, ohne diesen Bezug jedenfalls nicht als universelles Geschäftsmittel zirkulieren.[1] Ökonomisch lebt die Staatenwelt mittlerweile also erstens von der Lizenz der USA, die einer Aufforderung an Kapitalisten wie Staaten gleichkommt, ihren Dollar weltweit für die Akkumulation von Kapital wie als finanzielles Lebensmittel staatlicher Gewalt zu gebrauchen; zweitens von der zur praktischen Selbstverständlichkeit gewordenen Wahrnehmung dieser Lizenz und Befolgung dieser Aufforderung durch Kreditschöpfer und -benutzer in aller Welt, die eben damit dem amerikanischen Kreditgeld seinen Rang als Weltgeld schlechthin, dem Kredit der USA seine unzweifelhafte Anerkennung als Geldkapital verschafft haben.
Aufgrund dieser Abhängigkeit sind Staaten durch Wirtschaftssanktionen fundamental angreifbar; nicht bloß über bestimmte ökonomische Notwendigkeiten, deren Nicht-Erfüllung ihnen „weh tut“, sondern in den elementaren Funktionsbedingungen ihrer kapitalistischen Ökonomie und damit der materiellen Basis ihrer Macht. Sanktionen, die sich darauf richten, nötigen eine Staatsgewalt nicht bloß zu Schadensrechnungen und zu der Abwägung, wie viele Nachteile ihnen die Fortsetzung ihrer inkriminierten Politik wert ist. Ein solches Sanktionsregime greift mit der ökonomischen Basis der Staatsmacht deren Souveränität selbst an.
So etwas, das ist klar, ist ohne Amerika nicht zu machen; Sanktionen dieser härtesten Art sind ein
Monopol der USA.
Das bedeutet allerdings nicht, dass sie auf Anordnung durch die US-Regierung schon ganz von selbst, automatisch, ihr Werk tun. Ein einzelner derart sanktionierter Staat kann zwar, auf sich gestellt, dagegen nicht wirklich standhalten. Etliche Weltwirtschaftsmächte gibt es aber, die es – nicht gegen und auch nicht ohne die USA, doch – innerhalb des vom US-Kredit beherrschten Weltkapitalismus und als dessen Aktivisten immerhin zu einer autonomen Schöpfung weltweit benutzten Kredits und anerkannten Kreditgelds gebracht haben. Die sind zwar durchaus nicht in der Lage, das System der globalen Dollar-Ökonomie zu ersetzen; schon deswegen nicht, weil sie auch schon für den Versuch ihre Konkurrenz untereinander sistieren müssten; und auch dann – wenn sie also den direkten Austausch ihrer Kreditgelder beschließen und mit Drittländern Zonen der freien Verwendung ihrer Währungen vereinbaren würden – wäre die so fraglos allgemeine Geltung von US-Kredit und Dollar nicht erreicht, mit der Kapitalisten und Staaten in aller Welt fest rechnen. Im Prinzip sind sie aber durchaus fähig, für Sanktionsopfer der USA unter teilweiser Umgehung des Geldes und der Machtworte aus Amerika eine gewisse Teilhabe am internationalen Geschäftsverkehr zu organisieren. Deswegen benötigen die USA für den wirksamen Gebrauch ihres Monopols, i.e. für den Ausschluss eines Staates von den Segnungen der kapitalistischen Weltwirtschaft, der dessen Souveränität effektiv zerstört, die Bereitschaft dieser Mächte – also ihrer alten Partner und neuen potenten Rivalen –, dabei mitzumachen. Das überlassen sie selbstverständlich nicht dem freien Ermessen der Herren über Euro, Pfund, Yen oder Yuan. Wenn und in dem Maß, in dem die US-Regierung es ernst meint, werden diese Kollegen zur Beteiligung nicht bloß diplomatisch eingeladen, sondern ihrerseits unter Druck gesetzt. Und zwar mit eben der Abhängigkeit von einem funktionierenden Weltgeschäft mit US-Kredit und US-Dollars, die gegen das sanktionierte Land in Anschlag gebracht wird – und die für die großen Weltwirtschaftsmächte von anderem, aber keineswegs geringerem Gewicht ist als für Staaten ohne eigenes brauchbares Weltgeld.
So machen die Deutschen im Fall Iran die für sie in dieser drastischen Form neue Erfahrung, dass sie gar nicht per se auf der Seite der Guten zu Hause und auf die Rolle des Mit-Urhebers erpresserischer Sanktionen gegen Störer der Weltordnung und ihrer guten Sitten abonniert sind, sondern selber mit der Drohung, Firmen vom US-Markt, Geldinstitute vom Dollargebrauch und Banken vom amerikanischen Finanzmarkt auszuschließen, auf Linie gebracht werden. Was Deutschland da erlebt – und beim Erdgasgeschäft mit Russland, das dem US-Präsidenten gar nicht gefällt, zeichnet sich die nächste derartige Erfahrung ab –, das ist nicht einfach die Behinderung einzelner hübscher Geschäfte, sondern ein Eingriff in die Macht und das in keiner Weise zur Disposition stehende Recht der deutschen Staatsgewalt, nach ihrem Ermessen Beziehungen zu anderen Staaten einzugehen oder abzubrechen und ihren Kapitalisten den regelkonformen, in dem Rahmen aber freien Gebrauch ihres Eigentums und die Sicherheit ihrer Geschäfte vor fremder Willkür zu garantieren. Im Prinzip nicht weniger als die eigentlichen Adressaten der amerikanischen Sanktionspolitik sind die Deutschen – und die übrigen Europäer, Japan, die VR China ... – durch Amerikas ultimativen Anspruch auf Helfershelferdienste und die dazu vorgebrachten Sanktionsdrohungen mit einem
Angriff auf ihre Souveränität
konfrontiert: eine vollkommen logische Konsequenz des amerikanischen Sanktionsregimes in seiner harten Fassung.
In dieser fundamentalen Bedeutung liegt freilich zugleich die immanente Schranke – insofern der innere Widerspruch – dieser Art ziviler Erpressung. Der Gebrauch der Dollar-basierten Geschäftsordnung des globalen Kapitalismus als Waffe, die sich nicht bloß gegen einzelne Ausnahmestaaten, sondern in der Folge notwendigerweise gegen alle, insbesondere gegen die gewichtigen Teilhaber der Weltwirtschaft richtet und deren souveräne Handlungsfreiheit in Frage stellt, verstößt gegen das Prinzip, auf dem diese Ordnung beruht, nämlich gegen ihre allgemeine Gültigkeit, ihren Charakter als akzeptierte Prämisse des globalen kapitalistischen Geschäftslebens und als Voraussetzung, von der her alle Nationen als Weltmarktteilnehmer in freier und souveräner Berechnung ihre ökonomische Staatsräson festlegen und praktizieren. Dass diese Geschäftsordnung und damit der institutionalisierte Weltkapitalismus, den die USA mit ihrem Kreditgeld begründet haben und aus dem sie die grenzenlose Geltung ihres Kredits und ihre ökonomische Macht über andere Nationen beziehen, durch den polemischen Gebrauch dieser Macht untergraben werden, macht sich praktisch in der Weise geltend, dass die betroffenen und vor allem die mächtigen Staaten sich herausgefordert, ja genötigt sehen, auf eine Alternative, auf einen nationalen und internationalen Kapitalismus jenseits des Dollar-basierten Weltmarkts und des US-Weltgelds hinzuwirken, so gut sie es eben vermögen. Dass sie da nicht viel vermögen, macht diese Herausforderung, sich von der Vorherrschaft des US-Kredits zu emanzipieren, nicht ungeschehen und nicht geringer.[2] Auf jeden Fall provoziert die US-Regierung das Interesse und tatkräftige Bemühungen gerade derjenigen Mächte, die sie für den Erfolg ihrer Sanktionspolitik braucht, unter Berufung auf die formell noch nicht gekündigte Allgemeingültigkeit der etablierten Weltwirtschaftsverhältnisse – die sie weiterhin nach Kräften ausnutzen – amerikanische Vorschriften erpresserischer Art zu umgehen, zu boykottieren, ins Leere laufen zu lassen. Und daraus wird immerhin so viel deutlich: In dem Maß, in dem die Sanktionspolitik der USA die Souveränität der dafür benötigten Partner und Rivalen angreift, geht sie über das hinaus, was die zivile Weltordnung des globalen Dollar-Kapitalismus überhaupt an Erpressungsmacht her- und den USA an die Hand gibt.
Wo diese Schranke liegt, das testet die US-Regierung – absehbarerweise zunächst exemplarisch am „Fall“ Iran – praktisch aus. Vom Ergebnis, der erzwungenen Kooperationsbereitschaft der anderen großen Weltwirtschaftsmächte, macht sie die Ziele ihrer Sanktionspolitik aber nicht abhängig, weder den Iran betreffend noch erst recht generell. Schließlich verfügt sie über andere Instrumente, hantiert mit denen auch längst diplomatisch und im Bedarfsfall praktisch. Sanktionen sind für sie nur eine Option, und durchaus nicht die beste, wenn es um die Zerstörung einer störenden Souveränität geht. Dieses Mittel wird zwar bis zum Letzten ausgereizt – laut Trump mit dem wundervollsten Sanktionsregime, das die Welt je gesehen hat –; doch wenn Amerika dafür Partner braucht und die zum Mitmachen erst noch nötigen muss, dann ist dieser Weg letztlich einfach schlecht: eine kontraproduktive Konzession an den Zustand, den die Welt „Frieden“ nennt, der aber eigentlich – wiederum laut Trump – nichts anderes ist als die Preisgabe amerikanischer Machtinteressen; eine Konzession an Mächte, die sich auf Kosten Amerikas diesen unhaltbaren Zustand zunutze machen und mit ihren wohlmeinenden Warnungen vor schädlichen Rückwirkungen einer allzu weit getriebenen Sanktionspolitik nur Amerikas Schwächung betreiben.
Der Weg der zivilen Erpressung führt so in der Konsequenz zu dem Ausgangspunkt zurück, von dem aus die ökonomische Ruinierung eines ausgemachten Gegners zwar ein vergleichsweise bequemes, aber eben nur Mittel zum Zweck ist, und vorwärts zu dem Schlusspunkt, dass für diesen Zweck: die Entmachtung feindlicher und die Gleichschaltung rivalisierender souveräner Mächte, der Einsatz ziviler Erpressungsmittel nicht reicht. Die sind eben doch nur ein Ersatz, und zwar ein in letzter Instanz unzureichender, für direkten Zwang mit den Mitteln militärischer Gewalt. Und zwar, so jedenfalls das Kalkül des US-Präsidenten, mit einem derart überlegenen Gewaltapparat, dass der so angegriffene Souverän sich nur retten kann, wenn er schon angesichts der Drohung bedingungslos kapituliert.
Die fälligen Übergänge zur
Erpressung mit militärischen Mitteln
macht der US-Präsident, vorwärts und auch wieder rückwärts, bemerkenswert undogmatisch: Einzig und allein dem heiligen Egoismus seiner Nation verpflichtet, mischt er die versteinerten Feindschaften der imperialistischen Welt bedenkenlos auf; sogar die, auf die sein nationales Establishment ihn dann doch wieder unerbittlich festlegt, so dass auch die neu Fahrt aufnehmen.
Eine Variante des Fortgangs von der ökonomischen zur vorkriegerischen militärischen Erpressung, immerhin in Form einer Diplomatie der Vernichtungsdrohung mit Atomwaffen, mit anschließender „Entspannung“ in Gestalt einer gemeinsamen Erklärung beiderseitigen guten Willens, hat er mit Nordkorea durchexerziert.[3] Die massive Skepsis seiner Washingtoner Entourage gegen den Nordkoreaner und gegen Trumps Offensive der erdrückenden Umarmung garantiert in dem Fall eine Fortsetzung bis zur faktischen Erledigung einer eigenständigen nordkoreanischen Souveränität.
Eine andere Variante wird an der Islamischen Republik Iran durchgezogen: mit einem über zivile Nötigung längst hinausgehenden Gesamtkunstwerk aus ökonomischer Strangulierung unter Mitwirkung der restlichen Welt, speziell der EU, aus tatkräftigen Initiativen zur inneren Zersetzung und aus einer kriegerischen Vernichtungsdrohung, für deren Glaubwürdigkeit sich vorerst das Brüderpaar Israel und Saudi-Arabien engagieren darf. Im Verhältnis zu den europäischen Partnern erbringt diese Politik eine doppelte Klarstellung: Die werden mit dem großkalibrigen Sanktionsregime gegen Teheran zum Offenbarungseid darüber genötigt, wie viel souveräne Handlungsfreiheit gegenüber der transatlantischen Vormacht sie sich trauen sich herauszunehmen oder umgekehrt: wie wenig ökonomischen Druck Amerika braucht, um sie auf Linie zu bringen.[4]
Der anderen atomaren Großmacht, Russland, begegnet der neue Präsident mit einer Unbefangenheit, die in seinem Land das Establishment beider Parteien alarmiert und zu einer kriegerischen Einheitsfront zusammenschweißt. Die treibt im Parlament den Ausschluss des neuen russischen Kapitalismus vom Dollar-Geschäft massiv voran. Und während die Allianz mit den ungeliebten Europäern in Gestalt von NATO-Manövern und gemeinsamen Unvereinbarkeitsbeschlüssen gegen ein Russland mit eigenen imperialistischen Interessen auflebt, kündigt der Präsident die Kündigung eines schönen alten Atomraketen-Abrüstungsabkommens zwischen den USA und der UdSSR an, das aus seiner Sicht von den Russen sowieso nicht eingehalten wird und bloß den Chinesen die Freiheit lässt, sich mit Atombomben-bestückten Mittelstreckenraketen auszurüsten, was aus nicht weiter erwähnenswerten Gründen nun überhaupt nicht in Frage kommt. Dem zusätzlichen Atomkriegsszenario, das Trump mit der Neuauflage eines Wettrüstens mit Mittelstreckenraketen für den europäischen Schauplatz eröffnet, gewinnt der US-Präsident eine weitere Perspektive amerikanischer Überlegenheit ab: Den Russen, den Chinesen und allen, die sich sonst noch angesprochen fühlen möchten, teilt er mit, er hätte für seine Aufrüstung mit solchem Gerät – und außerdem für ein Arsenal, das seinem Land die militärische Dominanz im erdnahen Weltraum sichert – auf alle Fälle so viel mehr Geld als sie, dass ihnen mit Sicherheit gar nichts anderes übrig bleibt als am Ende „zur Vernunft zu kommen“. Ein echt überzeugender Zusammenschluss von ökonomischer und militärischer Erpressung des militärischen und des ökonomischen Hauptrivalen; dazu nämlich, sich ohne großes Getue mit dem Status hoffnungsloser Unterlegenheit gegenüber der Supermacht abzufinden.[5] Zugleich ein nettes Angebot, so friedlich zu kapitulieren, dass Donalds Männerfreundschaft mit den Kollegen in Moskau und Peking gar keinen Schaden nehmen muss.
Mit all diesen Initiativen wird den Europäern auch ein Bescheid erteilt. Nämlich der, dass ihre ökonomischen Interessen wie ihre militärischen Sicherheitsbedürfnisse und strategischen Mitspracherechte in der US-Weltpolitik keine Beachtung finden, eher als Störelemente rangieren.[6] Immerhin wird ihnen über die transatlantische Allianz die Möglichkeit eröffnet, sich als regionales Gegengewicht zu Russland nützlich zu machen und an Amerika Geld zu zahlen, von dem Trump zwar mehr hat als alle Feinde und Problemfälle der Welt zusammen, aber das die Europäer ihm schon aus Gründen der Fairness schulden. Und zwar in Zukunft mehr als bislang schon. Denn – von allem anderen zu schweigen –: Welchen Schutz hätten sie sonst vor den russischen Atomraketen mittlerer Reichweite, deren vertragliche Abschaffung Trump gerade aufkündigt?
Nein, die „Rückkehr zum Kalten Krieg“ ist das nicht. Eher der Anbruch der ersten
Vorkriegszeiten des 21. Jahrhunderts
– nicht in dem Sinn, dass mehr und größere als die ohnehin schon „ausgebrochenen“ „Militäraktionen“ zu prognostizieren wären. Festzustellen ist vielmehr, dass die US-Administration vom Rest der Welt einfordert, Amerika gegenüber den Standpunkt bedingungsloser Kapitulation einzunehmen; dass sie dafür die Macht ihres globalisierten Dollar-Kapitalismus als Waffe einsetzt; dass es in der Logik dieser Erpressung liegt, den Übergang zum Einsatz militärischer Zwangsgewalt auf die Tagesordnung zu setzen; und dass dieser Übergang definitiv nicht mehr als ausgeschlossene Alternative, sondern als gar nicht abwegige Perspektive erscheint.
[1] Systematisches dazu in: Das Finanzkapital (Peter Decker, Konrad Hecker, Joseph Patrick, Gegenstandpunkt Verlag, München 2016) sowie in diversen in unserer Zeitschrift erschienenen Artikeln, u.a.: Der Dollar-Imperialismus des 21. Jahrhunderts – oder: Die westliche Wertegemeinschaft in Aktion, Heft 3-14; Im Jahr 9 nach Amerikas Hypothekenkrise: Weltkapitalismus im Krisenmodus, Heft 3-16; Donald Trump und die Welt, Heft 2-17
[2] Den Tenor gibt eine
Überschrift im Wirtschaftsteil der FAZ vom 23.8.18 –
dezent, aber sehr passend – wieder: Die Macht des
Dollars wird zum Ärgernis
.
[3] GegenStandpunkt 4-17: Nordkorea – USA: Fortschritte in Sachen Souveränität und Weltmacht
[4] GegenStandpunkt 2-18: Anmerkungen zur Kündigung des Atomabkommens mit Iran durch Trump
[5] GegenStandpunkt 3-18: Trump und Putins Russland; GegenStandpunkt 2-18: Die amerikanische Weltmacht und ihr kongenialer chinesischer Widerpart: Trump macht ernst – Xi auch
[6] GegenStandpunkt 1-18: Der Westen nach einem Jahr Trump: Amerika macht ernst – Europa zeigt Wirkung