Anmerkungen zur Kündigung des Atomabkommens mit Iran durch D. Trump

Der US-Präsident kündigt den Atomdeal mit Iran, der auch und gerade in Deutschland als Meisterwerk europäischer Diplomatie und Vermittlungskunst gefeiert wird. Im Artikel klären wir darüber auf, dass dieser Vertrag ein durch und durch imperialistisches Machwerk war, mit dem von Beginn an alle Parteien komplett entgegengesetzte Interessen verfolgt haben. Der Artikel beantwortet außerdem nicht nur, was Trump an diesem Deal so abgrundtief schlecht findet. Er erklärt zugleich, was die europäischen Mächte an Trumps Kündigung so stört: Trump weist – einmal mehr – ihren Anspruch zurück, an der Seite der USA als „der Westen“ den Globus zu ordnen.

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Anmerkungen zur Kündigung des Atomabkommens mit Iran durch D. Trump

Der Inhalt des Atomdeals

Der JCPOA – Joint Comprehensive Plan of Action –, vereinbart zwischen den fünf ständigen UNO-Sicherheitsratsmitgliedern, Deutschland, der EU und Iran, enthält eine Reihe von Bestimmungen, die den atom-industriellen Komplex Irans auf einem Niveau halten bzw. darauf zurückstutzen sollen, auf dem Iran seine zivilen Kapazitäten garantiert nicht militärisch ausnutzen kann. Das betrifft im Kern

  • einerseits die technologischen Fähigkeiten: Anzahl und technologisches Niveau der UF6-Zentrifugen sind laut JCPOA beschränkt; alle darüber hinausgehenden Kapazitäten muss Iran zerstören, rückbauen, einmotten ...  ; gleiches gilt für die Wiederaufbereitungskapazitäten, Schwerwassertechnologie usw. ;
  • zum andern den Zugriff auf und die Verfügung über die stofflichen Grundlagen (spaltbares Material unterschiedlicher Reinheitsgrade, das notwendige Vorprodukt Uranerz, schweres Wasser): Iran muss vorgeschriebene Mengen von Brennmaterial ins Ausland abführen, die Menge von schwerem Wasser, die Iran haben darf, wird ebenfalls beschränkt.

Um die Einhaltung der Auflagen sicherzustellen, verpflichtet das Abkommen Iran, seine Atomanlagen, alle damit im Zusammenhang stehenden oder auch nur vermutlich für sein Atomprogramm benutzten Anlagen kontrollieren zu lassen, was insbesondere auch einschließt, internationalen Inspektoren Zugang zu militärischen Objekten zu gewähren, wenn sie der Meinung sind, dort könne sich Relevantes im Zusammenhang mit iranischen Nuklearprogrammen abspielen.

Im Gegenzug werden die gegen Iran praktizierten Sanktionen aufgehoben, deren Rechtsgrund das von den Mächten der Gegenseite missbilligte, weil als Atomwaffenprogramm definierte Nuklearprogramm Irans war. Dazu gehört die Regelung, dass im Falle einer – auch nur durch einen einzigen Staat der Gegenseite – als relevant eingestuften Verzögerung oder Verletzung der Bestimmungen egal in welcher Etappe und sachlichen Abteilung der Umsetzung des „Plans“ die Sanktionen sofort und vollumfänglich wieder in Kraft treten (snap back mechanism). Alle anderen Sanktionen gegen Iran, insbesondere seitens der USA, zu einem geringeren Teil auch seitens der EU, die mit Verweis auf das iranische Raketenprogramm, Terrorunterstützung usw. beschlossen worden sind, bleiben von dem Atomdeal ausdrücklich unberührt, also weiter in Kraft.

Politischer Gehalt und imperialistischer Zweck des Atomdeals

Dem Iran geht es in seinem Bemühen um die technologische Beherrschung und industrielle Ausnutzung der Kernenergie erklärtermaßen nicht um den Besitz einsatzbereiter Atomwaffen. Bloß um ein bisschen Atomstrom und radiomedizinisch verwendbare Isotope geht es ihm aber auch nicht. Angestrebt sind – bzw. waren – die technischen Voraussetzungen und materiellen Mittel für die autonome Entwicklung und Herstellung der ultimativen Abschreckungswaffe. Und das aus denkbar triftigem Grund.

Immerhin sieht sich Iran seit Jahrzehnten militanter amerikanischer Feindschaft ausgesetzt, durch die sich einst der später zum Hauptfeind der USA mutierte irakische Präsident zu seinem langjährigen Krieg gegen das Reich der Mullahs ermutigt fand. Alte und neue regionale Rivalen werden von Amerika aufgerüstet, führen direkt oder per Stellvertreter den einen oder anderen Krieg gegen iranische Kräfte und Schützlinge. Amerikanisches Militär ist selbst massiv in der Region präsent und abschreckend aktiv. Inneriranische Oppositionskräfte werden ausgerüstet und zu subversiven Aktionen ermuntert. Und vor allem belegen die USA das Land erfolgreich mit weitreichenden Wirtschaftssanktionen, die von noch viel weiter reichenden Drohungen begleitet werden. Ihr Ziel ist die Brechung des Selbstbehauptungswillens der iranischen Staatsmacht durch Einschüchterung sowie durch Zersetzung und Zerstörung ihrer Machtmittel. Dieses Szenario nimmt die iranische Führung ernst genug, um sich zumindest die Option auf das ultimative Mittel gewaltsamer Abschreckung als Garantie ihrer Souveränität zu erarbeiten.

Eben diese Defensive haben die USA, nicht erst unter Obama, zum zusätzlichen Hauptposten ihrer Feindschaft gegen Iran gemacht. Ausdrücklich und kompromisslos bestehen sie darauf, dass es dem Regime auf keinen Fall gelingen darf, eine militärische Atommacht zu werden oder diesem Status auch nur in dem Maße näher zu kommen, wie es der – vom Iran ratifizierte – Atomwaffensperrvertrag (NPT) seinen Mitgliedern gestattet. Irans Beharren auf seinem – NPT-konformen – souveränen Recht auf eine nationale Kernenergie-Industrie ist für Amerika der schlagende Beweis, wie notwendig und berechtigt also alle Maßnahmen zur Eindämmung dieses Regimes und zur Sabotage und Verhinderung seines nuklearen Aufstiegs sind. An denen lässt die Aufsichtsmacht es daher auch nicht fehlen. Immerhin hat sie – gemeinsam mit der verbündeten De-facto-Atommacht Israel – mit dem Einsatz des „Stuxnet-Virus“ gegen iranische Uran-Zentrifugen ein erstes Exempel praktischer Cyberkriegführung statuiert. Ein „klassischer“ kriegerischer Angriff auf nukleare Kapazitäten droht jederzeit von Israel und wird von den USA selbst bei Bedarf als Option, die dauernd „auf dem Tisch“ liegt, in Erinnerung gebracht.

Als Alternative dazu, als un- oder vorkriegerisches Äquivalent zu einem regelrechten Überfall hat die Obama-Administration den „Plan of Action“ ins Spiel gebracht. Von der Feindschaft gegen den Staat, vom kompromisslosen Willen zur substanziellen Schwächung seiner Macht und seines Selbstbehauptungswillens, nehmen die Verhandlungen zwischen dem Kollektiv der Imperialisten und dem Iran und die schließlich erzielte Übereinkunft nichts zurück. Sie spiegeln die Einschätzung der Obama-Regierung wider, dass es eine Chance gebe, aber auch eine gewisse Notwendigkeit bestehe, dem Ziel einer Neutralisierung der iranischen Bemühungen um eine strategische Defensiv-Option auf einem anderen Weg als mit den bis dato angewandten Erpressungsmethoden näher zu kommen.

Eine Chance folgt für Obama aus dem Erfolg, nämlich der Wirkung in Iran und auf seine Regierung, die die Drangsalierung des Landes durch die USA und unter ihrer Führung immerhin gebracht hat. Tatsächlich ist der Staat von militanten Feinden umgeben, in kriegerische Aktionen verwickelt, weltpolitisch ausgegrenzt. Seine Ökonomie leidet massiv unter den amerikanischen bzw. amerikanisch initiierten Sanktionen, von denen insbesondere die Haupteinnahmequellen des Landes, der Verkauf von Öl und Gas, betroffen sind. Sein Wirtschaftsleben organisiert der iranische Staat nicht zufällig unter dem Titel „Resistance Economy“; seine Außenbeziehungen leben derweil sämtlich davon, wie viel Argwohn bis Feindschaft Amerikas die jeweiligen Partner als tragbar kalkulieren. Auf der Basis, so das amerikanische Kalkül, muss dem Regime schon die mehr oder weniger vage Aussicht auf die Stornierung wenigstens der kollektiv verhängten, mit seinem Kernenergieprogramm begründeten Sanktionen attraktiv genug erscheinen, um von diesem Teil seiner Selbstbehauptungspolitik abzulassen.

Für eine derartige, in den USA heftig umstrittene „Angebotspolitik“ spricht für die Obama-Regierung die andere Seite der Bilanz aus Jahrzehnten der Ausgrenzung, Schädigung und Drangsalierung der „Mullah-Herrschaft“: Aller amerikanische Druck hat den iranischen Feind eben doch nicht dazu gebracht, wenigstens seinen Anspruch auf eine nationale Atomindustrie mit allen dazugehörenden Kapazitäten und Dual-use-Fähigkeiten aufzugeben. Der Kampf gegen Amerika und seine Übergriffigkeiten auf standhafte Völker wie das persische ist für Iran nicht eine kalkulierte Option, sondern Staatsräson; und zu der gehört – nach Lage der Dinge in der herrschenden militärischen Weltordnung – die Fähigkeit, sich per Atomwaffe Respekt verschaffen zu können. Darin haben die Jahrzehnte der US-Feindschaft die Iraner eher bestärkt. Und immerhin haben sie für diese ultimative Defensivstrategie – wie bedingt und wenig verlässlich auch immer – tatsächlich die notwendigen Partner gefunden – aus Sicht der USA ein zusätzliches, nicht auf Dauer hinnehmbares Ärgernis: Offensichtlich haben sie es mit ihrer totalen Iran-Feindschaft nicht vermocht, die entscheidenden dritten Mächte soweit hinter sich zu versammeln, dass es zur Strangulierung des islamischen Outlaws als einem international anerkannten Ordnungsanliegen gereicht hätte.

Die Obama-Regierung hat es deswegen unternommen, in beiden Hinsichten Abhilfe zu schaffen. Dem Iran wurde das Angebot gemacht, als Verhandlungspartner respektiert zu werden – aus Sicht der Weltmacht allein schon eine große Vorleistung – und sein Recht auf Ausschöpfung der Lizenzen des NPT für die Entwicklung atomindustrieller Kapazitäten gegen die Stornierung derjenigen Wirtschaftssanktionen einzutauschen, die zusätzlich zu den einseitigen amerikanischen wegen „Terrorunterstützung“, Raketenbewaffnung und anderer Unbotmäßigkeiten kollektiv zwecks Verhinderung eines nuklearen „break out“ verhängt oder angedroht worden waren. In die Verhandlungen wurden die drei großen europäischen Partner sowie die offiziellen Atommächte China und Russland einbezogen – aus amerikanischer Sicht auch schon eine große Konzession an die imperialistischen Rivalen –; mit dem Ziel, den Iran von jedem potentiellen Rückhalt bei namhaften Mächten abzuschneiden; zugleich im Sinne der imperialistischen Generallinie, die Staatenwelt und insbesondere ihre wichtigsten Mitglieder am Regime der USA über sie zu beteiligen, also dafür zu funktionalisieren. In diesem weltordnungspolitischen Sinn und zugleich als wichtiges Moment im Angebot an den Iran, sich im Austausch gegen ein wenig Anerkennung und Erleichterung dem amerikanischen Entmachtungsprogramm zu fügen, wurde mit dem Abkommen den regionalen Hauptfeinden der islamischen Republik, Israel gegen dessen erbitterten Protest sowie Saudi-Arabien, Zurückhaltung in ihrer Kriegsbereitschaft auferlegt – bei gleichzeitiger Garantie der Supermacht, Israels militärische Überlegenheit für jeden Kriegsfall sicherzustellen.

Trumps Kritik am Atomdeal und ihr objektiver Gehalt

Den Test darauf, wie weit das „Mullah-Regime“ sich sein intransigentes Selbstbehauptungsprogramm abhandeln und zu der Einsicht nötigen lässt, dass Widerstand gegen die amerikanische Staatsgewalt sich auf keinen Fall lohnen kann, hat der neue Präsident abgebrochen. Schließlich hat Trump schon bei der Aushandlung des „Plans“ gewusst und in seinem Wahlkampf mit der Erkenntnis geworben, dass dieser Deal grundverkehrt – the worst deal ever – sei. Dass der JCPOA seit über zwei Jahren hält, hat ihn in dieser Einschätzung nur bestätigt.

Vor allem anderen hält Trump es für ein Unding, dass ein erklärter Feind der USA es überhaupt jahrzehntelang schafft, quasi ungestraft, nämlich überhaupt irgendwie davonzukommen. Das kann er sich – ganz amerikanischer Präsident – nur so erklären, dass Amerika ihn hat davonkommen lassen. Für Trump ist die Fortexistenz des Problem- und Störfalls Iran mit allem, was die USA diesem Staat an Verbrechen anlasten, der Beweis dafür, dass die amerikanische Weltmacht ihr Potenzial zur Bereinigung dieses Falles schlicht nicht in Anschlag gebracht hat. Stattdessen haben seine Vorgänger offenbar gemeint, kalkulierend mit der Macht Irans und dann auch noch mit den Betroffenheiten und Berechnungen anderer umgehen zu müssen, was Obama auf den Gipfel getrieben hat: Der hat dem Feind nicht nur ein bedingtes Existenzrecht eingeräumt, sondern ihm offiziell den Missbrauch des Weltölmarkts zur Beschaffung schöner amerikanischer Dollars für seine anti-amerikanische Terrorherrschaft erlaubt und ihm dafür sogar noch die in Amerika eingefrorenen iranischen Gelder geschenkt („in cash!!“). Eben den Kern des Abkommens: die Abtrennung der Atomfrage vom Rest dessen, was die USA an Iran stört, auf der der Vertrag beruht, geißelt Trump als dessen wesentlichen Mangel; dass die Raketenfrage, die Frage von Irans Regionalpolitik etc. nicht auch zum Gegenstand des Vertrages gemacht wurden, dass Iran damit also etwas anderes zu unterschreiben erlaubt wurde als seine umfassende Kapitulation, ist für Trump der Webfehler des JCPOA.

In der Sache zielt diese Fundamentalkritik – einmal mehr – auf das Moment des traditionsreichen amerikanischen Führungs-Imperialismus, dass der den Geführten als guten Grund für ihre Unterordnung einigen Respekt und einige Freiheit für ihren nationalen Eigennutz konzediert; nämlich darauf, dass Iran und die anderen Partner des Abkommens eben dies auf ihre Weise je für sich ausgenutzt haben.

Iran hat sich – unter einigem Streit innerhalb der politisch-religiösen Eliten – auf den „Plan“ eingelassen, um sein Programm ökonomischer Entwicklung zum Zwecke der Selbstbehauptung als ambitionierte Regionalmacht voranzubringen. Als Auftakt zu einer Abkehr von ihrer Staatsräson der religiös legitimierten Führungsmacht in der Region haben die Verantwortlichen in Teheran ihre Unterschrift nie verstanden; vielmehr als Chance, ihrer von den USA betriebenen weltpolitischen Ächtung entgegenzuwirken und die ökonomische Basis ihrer Macht zu stärken. Dementsprechend liefern sie mit ihrer ehrgeizigen, insbesondere auf den Konkurrenten Saudi-Arabien und den Feind Israel gerichteten Politik in der Region tatsächlich alle Belege, die Trump für seine radikale Verurteilung des Atomabkommens gerne zitiert. Was durch die oppositionelle Fraktion innerhalb der iranischen Politik nur noch bestätigt wird, die ihrerseits das Abkommen schon immer skeptisch bis komplett ablehnend betrachtet, weil sie es für einen Ausverkauf an den Erzfeind hält.

Russland – als Sicherheitsratsmitglied Unterzeichnerstaat des JCPOA – hat sich zwar konstruktiv in die vertraglich festgeschriebene nukleare Enteignung Irans eingebracht, aber dies gerade nicht, um damit bei der schrittweisen Zerstörung der islamisch-revolutionären Staatsverfassung Irans mitzuwirken. Es besteht hier vielmehr auf seinem Status als zweitgrößte Atommacht der Welt, die in Fragen nuklearer Ausstattung von Staaten ein Mitsprache- und Mitregelungsrecht hat. Alle weitergehenden Feindschaftsgründe Amerikas gegen Iran sind nicht die seinen, im Gegenteil: Eine starke iranische Regionalmacht erscheint Russland als wirksames Mittel gegen den totalen Vormachtanspruch der USA in dieser Region, den die mithilfe ihrer Alliierten und Vasallen verfolgen. Also rüstet es Iran mit Waffen aus, kooperiert in entscheidenden petroindustriellen Bereichen und sucht – selber Objekt zunehmender amerikanischer Finanzsanktionen – zusammen mit Iran nach Wegen, die Hermetik des amerikanischen Sanktionsregimes dadurch zu relativieren, dass man gemeinsame Finanzstrukturen jenseits des Dollarfinanzmarkts, auch als Vorbild für und Angebot an andere Betroffene, aufbaut. Mit seinem Beitrag zur friedlichen „Lösung des Problems“ – es übernimmt alles nukleare Material, auf das Iran verzichten muss – wird Russland insofern zum Teil des größeren Problems, dass Amerikas erpresserische Durchgriffsmacht nach wie vor auf respektable Hindernisse stößt.

China sieht sich ebenfalls in seinem Anspruch bestätigt, als atomwaffenbestücktes Sicherheitsratsmitglied darüber mitzuentscheiden, ob und unter welchen Bedingungen einem Drittland, Iran in dem Fall, die Benutzung von Nukleartechnologie zusteht. Dass diese Frage mit den dafür dem Anspruch und der Sache nach entscheidenden Mächten in einem Abkommen geregelt wird, soll nach Pekinger Willen die Basis dafür sein, Iran umfassend in das chinesische Projekt „Neue Seidenstraße“, also des ökonomischen und strategischen Ausgriffs Chinas ins mittlere und westliche Asien bis nach Europa, einzubauen, der alles andere als ein konstruktiver Beitrag zur Verwirklichung amerikanischer Ordnungsvorstellungen im Mittleren Osten und überhaupt ist, eher das Gegenteil bewerkstelligen soll. So betreibt China denn auch – vor und nach Abschluss des JCPOA – den Ausbau seiner Beziehungen zu Iran: Es treibt nicht nur in zunehmendem Umfang Handel mit dem Land, sondern bringt sich in immer mehr Bereichen, sogar seine Währung ausdrücklich als Alternative für die Geschäfte ins Spiel, die Iran nicht mehr und noch nicht wieder mit westlichen Staaten bzw. innerhalb der Dollarsphäre abwickeln kann. Für China sind diese Beziehungen ein willkommenes Experimentierfeld und Vorbild für wirtschaftlichen und politischen Einfluss außerhalb des Zugriffs der Dollarmacht.

Die europäischen Mächte nehmen die Gelegenheit, die ihnen der Atomdeal bietet, gerne wahr, sich als strategische Partnermächte der USA aufzubauen, auf deren konstruktives Wirken die große Weltmacht nicht verzichten kann; sie halten sich bisweilen sogar zugute, die eigentlichen Erfinder dieses Deals zu sein, die die USA sozusagen mit ins Boot geholt haben. Sie feiern den Vertrag dafür, dass er die leidige, von den USA zum potenziellen Kriegsgrund erklärte Nuklearfrage fein säuberlich von allen sonstigen Fragen in der Causa Iran abtrennt und von daher für sie im Verhältnis zu Iran wie zu Amerika perspektivisch berechenbar macht. Für sie ist das die Grundlage für einen Wiederauftritt als überlegene Partner Irans, für die Stiftung neuer Abhängigkeiten, die nicht nur ihre Handelsbilanzen vergolden: In einer Vermittlerrolle zwischen der geächteten Regionalmacht und der Ordnungsmacht Amerika rechnen sie sich neue Chancen für ihren Zugriff auf den so konfliktreichen, deswegen für Einmischung und weltordnerisches Mitmischen so interessanten Mittleren Osten aus. Iran soll – als nunmehr auch durch die USA zumindest teilweise rehabilitierte Macht – in eine regionale ‚Ordnung‘ eingebaut werden, die europäischen Vorstellungen ganz grundsätzlich schon dadurch besser entspricht, dass Europa sie prominent mit gestaltet.

Trump liegt also keineswegs daneben, wenn er aus der Perspektive seines radikalen Überlegenheits-Nationalismus feststellt, dass der von seinen Vorgängern praktizierte Weltordnungs-Nationalismus lauter eigensüchtige Konkurrenten begünstigt und ins Recht gesetzt hat, die skrupellos genug sind, ausgesprochene Feinde Amerikas zu päppeln, wenn es ihrem Konkurrenzstreben nützt.

Die neue Lage nach Ankündigung der Kündigung …

Schon die Ankündigung des US-Präsidenten, die durch das Abkommen stornierten Sanktionen gegen Iran – „höchstwahrscheinlich!“ – wieder aufleben zu lassen, sich den getroffenen Festlegungen also zu entziehen, schafft für die Vertragspartner eine neue Lage.

Für Iran sowieso: Der Staat muss mit seiner erneuten und verschärften Ausgrenzung aus dem globalen Dollargeschäft rechnen und zusehen, wie er daran vorbei, im Verkehr mit den fünf anderen kapitalistischen Großmächten und Beteiligten des JCPOA sowie dem Rest der Welt, sein ökonomisches Überleben als Teilnehmer am kapitalistischen Weltmarkt bewerkstelligt. Er darf sich darauf einstellen, dass die Weltmacht alle seine Versuche, im Verkehr der Staaten eine geachtete Rolle zu spielen, nach Kräften abblockt, und dass seine regionalen Feinde, Israel und Saudi-Arabien, sich zu jedem militanten Vorgehen nicht bloß ermächtigt, sondern ermutigt bis aufgefordert finden.

Russland erleidet die Blamage seiner Einmischung als vermittelnde Macht, die den Abbau der iranischen Atomindustrie praktisch betreut, damit zwar vor allem die amerikanisch-europäische Feindschaft gegen „das Mullah-Regime“ bedient, sich aber immerhin den Status einer irgendwie anerkannten Schutzmacht des Staates erworben hat.

Die VR China wird mit der Klarstellung konfrontiert, dass der Status der offiziellen Atommacht und des ständigen Mitglieds im Uno-Sicherheitsrat überhaupt nicht bedeutet, dass die Weltmacht sie als Mit-Stifter und -Garanten des etablierten Ordnungsregimes über die Staatenwelt respektiert.

Und die drei großen Europäer sind mit einem Alleingang ihrer übermächtigen Führungsnation konfrontiert, der den Tatbestand eines flagranten Vertragsbruchs erfüllt; und das ist für sie mehr als eine weitere Ernüchterung. Immerhin haben sie zwar aus Eigeninteresse, aber doch als willige Verbündete der USA agiert, haben Amerikas Boykottdrohung gegen Iran mitgetragen und alle Erpressungen bis zum Abschluss der Verhandlungen mit ausgereizt. Jetzt werden sie in der Frage eines erneuten feindseligen Umgangs mit dem iranischen Kontrahenten nicht einmal konsultiert. Mit seiner Ansage, die Entscheidung über eine weitere Aussetzung der auf Irans Atomprogramm bezogenen gemeinsamen Sanktionen bis zuletzt offenzuhalten und sie ganz allein zu treffen, bescheinigt Trump ihnen ihre Irrelevanz in einer hochgradig kriegsträchtigen Affäre in ihrer direkten Nachbarschaft und insofern ihre bündnis- und überhaupt weltordnungspolitische Nachrangigkeit bis Bedeutungslosigkeit.

Die Antwort der Europäer ist derart defensiv, dass sie diese brutale Statuszuweisung praktisch bestätigt. Den ostentativen Ausschluss von der Beschlussfassung der US-Regierung quittieren sie mit dem Gesuch um Gehör. Allen Bedenken, die sie geltend machen, stellen sie die Versicherung voran, dass ihnen die transatlantische Partnerschaft allemal von größerer Wichtigkeit ist als alles andere. Die Gesichtspunkte, die sie im Sinne des bestehenden Abkommens vorbringen, haben nichts von einer Warnung vor Alleingängen, geschweige denn von Drohung an sich; vorgetragen werden Hinweise auf Vorteile des „gemeinsamen Plans“, gerade für die USA und deren Weltordnungsinteressen – so wie die Europäer sie gerne hätten –, auf die der Präsident doch nicht leichthin verzichten sollte. Dabei wird den amerikanischen Anklagen, die den Ausstieg aus dem vereinbarten Regime begründen, weitestgehend recht gegeben. Die Ausklammerung des iranischen Raketenprogramms und anderer missliebiger Aktivitäten aus dem Atomabkommen, einst eine der Bedingungen für Irans Nachgiebigkeit in der Hauptfrage, wird in bemühtem Konsens mit Trump als Defizit kritisiert, um dessen Behebung man sich mit allem erpresserischen Nachdruck kümmern werde: eine vorauseilende Anpassung an amerikanische Forderungen, die die US-Regierung überhaupt nicht zum Verhandlungsgegenstand, geschweige denn zum Gegenstand einer erneuerten bindenden Abmachung zu machen gedenkt. Was die Europäer damit zu retten versuchen, hat weder mit Iran im Besonderen noch mit weltordnender Einflussnahme im Allgemeinen und in der nahöstlichen Region im Speziellen viel zu tun, ist vielmehr der Anschein weltpolitischer Bedeutung.

… und nach deren Vollzug

Die Lage und das Kräfteverhältnis zwischen USA und ihren europäischen Partnern sind insofern schon vor und erst recht mit den Washington-Reisen des französischen Präsidenten, der deutschen Kanzlerin und des britischen Außenministers eindeutig klargestellt. Dennoch bringt der Vollzug der De-facto-Kündigung des JCPOA einen wesentlichen Fortschritt. Denn damit sind die Verbündeten nicht bloß unwiderruflich ausgegrenzt aus der amerikanischen Politik für den Nahen und Mittleren Osten, sondern praktisch mit der schon hinreichend drastisch angekündigten Forderung konfrontiert, bei Strafe massiver Schädigung an der Ausgrenzung des Iran aus dem zivilen zwischenstaatlichen Verkehr und dem globalen Markt für Geld, Kredit und Waren mitzuwirken. Sie werden genötigt, Farbe zu bekennen, also sich am amerikanischen Totalboykott zu beteiligen oder mit ihrem Festhalten am Standpunkt der Vertragstreue und des Einvernehmens mit Iran sich in Washington total unbeliebt zu machen, mit allen Konsequenzen. Als direkt Gemeinte und Betroffene machen sie Bekanntschaft mit Amerikas gewalttätigem Dollar-Imperialismus: Geschäfte mit Iran, eben die im JCPOA erlaubten, werden mit dem Ausschluss engagierter Firmen aus dem Dollar-, also praktisch aus dem Weltmarkt bestraft; das Recht der Staaten, insbesondere der Verbündeten der USA, ihren Unternehmen nach eigenem Ermessen die Welt als Geschäftssphäre verfügbar zu machen, wird gebrochen durch das Recht der USA, in dieser Grundfrage imperialistischer Freiheit Ausnahmen zu dekretieren, und durch ihre Macht, dieses Recht grenzüberschreitend wirksam werden zu lassen.

Dass damit eine, wenn nicht die Grundkonstante des globalisierten Kapitalismus der letzten Jahrzehnte außer Kraft gesetzt ist, irritiert den dafür verantwortlichen Präsidenten überhaupt nicht: Genau darauf legt er es an, weil sein Land damit ja tatsächlich – zwar zugunsten eines versachlichten insgesamt proamerikanischen Regimes, aber eben doch – auf das ihm zustehende Recht des Stärksten und auf dessen rücksichtslose Vollstreckung verzichtet hat und in der Folge Macht und Reichtum der USA zwar ungeheuer gewachsen sind, die internationalen Kräfteverhältnisse sich aber gewandelt und in mancher Hinsicht zu Ungunsten des Veranstalters verschoben haben. Trump kündigt damit ein Prinzip des überkommenen US-Imperialismus. Und das tut er in einer Weise, dass damit Amerikas wichtigsten Verbündeten ein Status zugewiesen wird, der ihnen nur die Wahl lässt, als pure Erfüllungsgehilfen der freien Ermessensentscheidungen des America first!-Präsidenten ihre abweichenden Eigeninteressen freiwillig aufzugeben – oder mit erpresserischer Gewalt als Störer amerikanischen Rechts bestraft und so „auf Kurs“ gebracht oder selber ausgegrenzt zu werden.

Die Reaktion der Europäer fällt genau so aus, wie die Amerikaner es in ihren Drohungen mit Sanktionen gegen Firmen und Länder, die mit Iran weiterhin Geschäftsbeziehungen unterhalten wollen, schon vorweggenommen haben. An dem Abkommen mit Iran, erklären sie, halten sie fest; die Erklärung sind sie – nicht den Iranern, nicht den beiden anderen Vertragspartnern, sondern – sich schuldig: ihrem unveräußerlichen Anspruch, als imperialistische Mächte den eigenen Interessen Respekt zu verschaffen. Der Partnerschaft mit den USA, das erklären sie ebenso, geben sie nach wie vor den Vorrang vor allen sonstigen Beziehungen und Verpflichtungen. Sie tun mit aller Gewalt so, als ginge es um eine zwar wichtige, irgendwo auch exemplarisch bedeutsame, aber letztlich doch um nicht mehr als eine Frage des Umgangs mit dem auch von ihnen anerkannten „Sicherheitsproblem“ Iran. Die Kündigung jedes imperialistischen Respekts durch den US-Präsidenten können und wollen sie nicht zurückweisen; das, was sie wirklich trifft, die blamable Statuszuweisung durch die Supermacht, machen sie gar nicht zum Thema; sie flüchten sich in den Ausweg, den Ukas aus Washington schlicht nicht als solchen nehmen zu wollen. Ihre Ohnmacht, ihr Unvermögen, der US-Regierung mit so etwas wie einer Gegenerpressung zu begegnen, gestehen sie mit der auch schon ziemlich in die Jahre gekommenen zukunftsfrohen Parole ein, Europa müsse sich jetzt aber wirklich und endgültig zum eigenständig mitmischenden Gestalter des an Konflikten so überreichen Weltgeschehens aufbauen. Ihre feste Absicht, sich der Trump-Linie weder unterzuordnen noch sie zu konterkarieren, geben sie mit der Absichtserklärung kund, dem Iran alles, was die USA schon immer, außer dem Atomprogramm, an dieser Macht gestört hat – letztlich ihre Existenz als nicht zu ignorierende Kraft in der Region, mit Einfluss, Sympathisanten und Waffen in ihrer Umgebung –, auf friedlichem Wege wegzunehmen; so wollen sie sich als Ordnungsmacht, vor Ort und überhaupt, im Spiel halten. Die US-Regierung sieht darin das, was es ist, nämlich ein einziges berechnendes Ausweichmanöver vor ihrer America first!-Politik; deswegen ihre harten Drohungen gegen fortgesetzte Geschäftsbeziehungen mit dem geächteten Land. Dagegen erinnern die Europäer, behutsam und ohne allzu viel Ernst, an ihr beschlossenes Recht, EU-Firmen Fügsamkeit gegenüber amerikanischen Verboten zu verbieten, gleich auch schon an die – begrenzten! – Geldmittel, mit denen sie allenfalls von Strafmaßnahmen der USA betroffenen Firmen Verluste ersetzen könnten. Gleichzeitig erinnern sie auch daran, dass in der wunderbaren Welt der kapitalistischen Freiheit niemand einen Unternehmer zwingen könne, irgendwelche Geschäfte, gemeint sind solche mit Iran, zu machen, wenn die nicht wollen. Und dass Europas Unternehmen nach einer kurzen Abwägung zwischen dem iranischen und dem amerikanischen Markt eher gar nicht wollen, geben deren Sprecher freimütig zu Protokoll.

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Viel Ehre für die Mullahs: Am Ärgernis nicht ihres Atomprogramms, sondern ihres berechnenden Verzichts darauf treibt die neue US-Präsidentschaft die Kündigung der alten, im verklärenden Rückblick „regelbasiert“ genannten Art von US-Imperialismus und ihre Ersetzung durch das Recht der universellen bilateralen Überlegenheit Amerikas ein gutes Stück voran; sie zerstört den imperialistischen Widerspruch namens „der Westen“ und degradiert Europa auf einen Rang zwischen Irrelevanz und Störung.