Wie die am Balkan-Krieg der NATO beteiligten Nationen kalkulieren:
Griechenland: Rundum mit Schadensbegrenzung beschäftigt
Griechenland nimmt nicht an militärischen Aktionen teil und plädiert für eine politische Lösung. Jugoslawien war als Handelspartner wichtig, als Transitland für Handel und Tourismus von Bedeutung. Und als einziger Nato-Staat ist Griechenland tatsächlich in seiner Sicherheit angegriffen. Aber es hat begriffen, dass Bündnistreue seine erste Staatsräson ist, liefert deshalb die nötige Zustimmung in Brüssel ab und stellt bereit, was verlangt wird – an Häfen und Transportgelegenheiten.
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Länder & Abkommen
Gliederung
- Eine Absage an den Krieg aus guten nationalen Gründen
- Die unausweichliche Alternative: Bei den Siegern – oder selber „Teil des Problems“
- Versuchte Einflußnahme und ein paar Lektionen in Bündnisdisziplin
- Probleme an der Heimatfront
- Wenigstens ein voller Erfolg – im Abwehrkampf gegen illegale Zuwanderer
Wie die am Balkan-Krieg der NATO beteiligten Nationen kalkulieren:
Griechenland: Rundum mit
Schadensbegrenzung beschäftigt
Nach der Waffenstillstandsvereinbarung zwischen der NATO
und Jugoslawiens Armee faßt Regierungschef Simitis den
Erfolg seiner Politik folgendermaßen zusammen: Er habe es
geschafft, daß Griechenland nicht ein Teil des
Problems auf dem Balkan
, sondern ein Teil der
Lösung des Problems
(FAZ
12.6.) wurde. Eine recht bescheidene Bilanz für
ein langjähriges Mitgliedsland nach dem Sieg der Allianz
über Milošević – und eine ziemlich realistische.
Eine Absage an den Krieg aus guten nationalen Gründen
Griechenland verweigert sich dem Krieg seines eigenen Militärbündnisses:
„Griechenland wird an keinen militärischen Aktionen teilnehmen, weil wir freundschaftliche Beziehungen zu den Nachbarn haben wollen, und wir meinen, daß die einzig mögliche Lösung eine politische Lösung ist.“ (Simitis, Eleftherotypia, 30.3.)
Die Nation hat ihre eigenen balkanpolitischen Interessen; und die stehen seit jeher in Gegensatz zu der zersetzenden Einmischung der EU und der USA in die separatistischen Streitigkeiten in Jugoslawien und erst recht in Widerspruch zu einem westlichen Feldzug gegen Serbien. Bereits die Zerlegung des alten Tito-Staats hat griechischen Belangen geschadet. Jugoslawien war ein Handelspartner von Gewicht; außerdem und vor allem war es wichtig als Transitland für Handel und Tourismus; dafür taugt die Region nun schon seit Jahren nicht mehr. Was an Wirtschaftsbeziehungen mit Miloševićs Restjugoslawien übriggeblieben oder neu aufgebaut worden ist – Exportgeschäfte über 200 Millionen Euro im Jahr 98, Investitionen im Wert von 950 Millionen Euro –, steht mit dem Vorgehen des Westens gegen Belgrad auf dem Spiel; zusammen mit den absehbaren Ausfällen im Exportgeschäft mit den Nachbarländern, den Folgekosten der Zerstörung von Transportwegen sowie den noch gar nicht absehbaren Einbußen im Tourismus rechnet das Wirtschaftsministerium den Schaden auf ein halbes Prozent des Brutto-Inlandsprodukts – 3 statt 3,5% Wachstum für 99 – hoch. Es geht aber gar nicht bloß und nicht einmal vorrangig um Ökonomisches. Als einziger EU- und NATO-Staat ist Griechenland durch die Zerstörung seines früheren nördlichen Nachbarlandes tatsächlich in seiner nationalen Sicherheit, nach eigener Einschätzung sogar in seinem Bestand angegriffen. Die Neugründung von Staaten nach völkischen Gesichtspunkten bescherte dem Land einen neuen souveränen Nachbarn im Norden, der mit seiner gesamten frischgebackenen nationalen Symbolik – und das bedeutet nicht wenig bei einem Staatsgebilde, das sonst noch kaum über Mittel verfügt – eine Zuständigkeit für Bevölkerungsteile und Landschaften in Nordgriechenland beansprucht. Was die hiesige Öffentlichkeit nur als kleinlichen Namens- und Flaggenstreit zwischen der „FYROM“ – englische Abkürzung für ‚Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien‘ – und Griechenland belächeln kann, wirft immerhin das heikelste aller zwischenstaatlichen Probleme, nämlich eine Souveränitätsfrage auf. Dann ging der Bosnien-Konflikt los; der Westen nahm überparteilich Partei für die muslimische Seite und deren Staatsgründungsprojekt; und wie befürchtet, brachte sich prompt die Türkei als Schutzmacht aller drangsalierten Muslime auf dem Balkan ins Spiel, also im Norden Griechenlands politisch in Stellung. Im Umfeld der jugoslawischen Teilungskriege ging nebenbei der albanische Nachbar kaputt; das bedeutete eine unsichere Grenze mehr, Existenzunsicherheit für die griechische Minderheit im Nordepirus, mehr unerwünschte albanische Zuwanderer und wachsende nationalistische Aufgeregtheit in der Albaner-Gemeinde im eigenen Land. In all den Zwistigkeiten und Problemen, die da entstanden, blieb dem griechischen Staat nur ein Partner mit ungefähr gleichgearteten Anfechtungen und Frontstellungen: der Belgrader Reststaat. Mit dem verbündete Athen sich, so gut es unter den Bedingungen des vom Westen verhängten Boykottregimes gegen Serbien ging, gegen die befürchtete „muslimische Dominanz“ auf dem Balkan; die in der Presse immer wieder zitierte Solidarität mit den orthodoxen Brüdern ist der ideologische Überbau hierzu. Diesen letzten guten Nachbarn und in allen anstehenden Konfrontationen gleichgesinnten Partner setzt die NATO nun buchstäblich auf ihre Abschußliste – ein Schlag gegen die Generallinie der griechischen Balkanpolitik, mit dem das Land sich überhaupt nicht arrangieren, dem es überhaupt keinen noch so abgeleiteten positiven Gesichtspunkt abgewinnen kann. Zudem durchkreuzt die NATO mit ihrem strategischen Zugriff auf Griechenlands unmittelbare nördliche Nachbarn alle Arrangements, die Athen mit denen getroffen bzw. um die es sich mit Angeboten zu wirtschaftlicher und sogar militärischer Kooperation in Konkurrenz zu Italien und der Türkei bemüht hat. Sicher kann die Nation sich nur darüber sein, daß die Neusortierung der Völkerschaften im Norden und der Streit um allgemein akzeptierte Staatsgrenzen in der Region gerade erst neu losgeht und lauter Unsicherheiten mit sich bringt; nicht bloß für ihren grenzüberschreitenden politischen Einfluß, sondern auch für ihre „inneren Angelegenheiten“. Denn natürlich läßt die türkische Regierung sich die Gelegenheit nicht entgehen, anläßlich der großherzigen NATO-Aktion zur Rettung eines unterdrückten Allah-gläubigen Minderheitenvölkchens ihre Zuständigkeit für die auch ziemlich unterdrückte muslimische Minderheit in Westthrakien nachdrücklich in Erinnerung zu bringen…
Die griechische Regierung hat also viele und handfeste Gründe, sich dem Krieg der eigenen Allianz gegen Restjugoslawien zu widersetzen. Und das Echo von unten bestätigt diese Haltung, bekräftigt sie sogar ziemlich radikal: Bei Meinungsumfragen sprechen sich 96% der Befragten gegen die Luftangriffe aus; knapp 70% sind dafür, Clinton als Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen. In den großen Städten kommt es zu vielen Großdemonstrationen gegen den Krieg; die Kommunistische Partei, KKE, organisiert Blockaden von NATO-Militärtransporten; selbst die rechte Opposition spricht von den USA als „Besatzungsmacht“.
Doch trotz alledem: Die Absage an den Krieg bleibt nicht Athens letztes Wort.
Die unausweichliche Alternative: Bei den Siegern – oder selber „Teil des Problems“
Daß Athen in die Staatsgründungswirren und die umgebenden
Affären auf dem Balkan parteiisch involviert ist, der
Linie des Westens entgegengesetzte Interessen vertritt
und durch dessen Einmischung viel zu verlieren hat,
nehmen die Verbündeten zur Kenntnis; Einfluß auf ihre
oberhoheitliche Parteinahme räumen sie dieser
abweichenden Position nicht ein. Ungerührt übergehen sie
alle griechischen Belange, schaffen Verhältnisse, an
denen ihr südöstlicher EU- und NATO-Vasall sich
abzuarbeiten hat, und ziehen aus dem Widerstreben, auf
das sie treffen, nur den einen Schluß: Sie dringen um so
nachdrücklicher auf Linientreue. Das härteste Argument
bringt der US-Präsident ins Spiel, indem er gleich zu
Beginn der Luftangriffe von der „Möglichkeit der
Verwicklung Griechenlands und der Türkei in die
Balkankrise“ spricht: Athen wird und sieht sich von der
Führungsmacht als Problemkandidat angesprochen, der, wie
auch immer, in den Komplex hineingehört, zu dessen
gewaltsamer Regelung die NATO gerade aufbricht, und
aufpassen muß, mit seiner Ablehnung dieses Unternehmens
nicht selber zum regelungsbedürftigen Fall zu werden. Da
hilft es auch gar nichts, wenn Ministerpräsident Simitis
sich energisch gegen die Subsumtion seiner Nation unter
das Stichwort „Balkankrise“ verwahrt: Das Kosovo ist
ein eigenes Thema. Eine ganz spezielle Region ist
betroffen. Der Fall betrifft nicht die
griechisch-türkischen Beziehungen.
(I Kathimerini, 26.3.) Damit, daß die
USA den Bezug herstellen, gilt er. Die
Botschaft, die damit ergeht, ist klar; und sie wird auch
verstanden:
„Griechenland ist Mitglied der NATO, und diese Mitgliedschaft bringt Rechte mit sich, hat aber auch Pflichten zur Folge. Unsere Position in der NATO wird von dem Bestreben bestimmt, unsere Interessen zu sichern und unberechenbare Folgen für unsere Interessen abzuwenden.“ (Simitis, Eleftherotypia, 19.4.)
Jenseits aller seiner balkanpolitischen Kalkulationen und als Voraussetzung dafür, daß es solche Kalkulationen überhaupt anzustellen vermag, ist Griechenland der NATO verpflichtet; Bündnistreue ist seine erste Staatsräson und wichtiger als sämtliche Interessen, die durch die Politik der Allianz geschädigt werden mögen. Diese Grundsatzentscheidung steht unverrückbar fest. Warum, das erläutert der Verteidigungsminister knapp und schlagend so:
„Griechenland muß in der NATO sein, weil es unmöglich ist, in der EU zu sein, ohne in der NATO zu sein, weil die osteuropäischen Staaten in die NATO drängen, und schließlich weil die Türkei in der NATO ist.“ (Verteidigungsminister Tzochatzopoulos, Eleftherotypia, 19.4.)
Griechenlands territoriale Integrität hängt – angesichts der Bedrohung durch die militärisch weit überlegene Türkei – von der Mitgliedschaft in der NATO ab. Seine Wirtschaft ist in den EU-Markt integriert, die Mittel aus den EU-Strukturfonds sind wesentlicher Bestandteil seiner wirtschaftlichen Entwicklung; Grund dafür, da macht man sich in Athen nichts vor, sind seine Dienste als südöstlicher Posten in der amerikanisch-europäischen Militärallianz. Diese Dienste, auch das sieht man in Athen ziemlich realitätsnah, sind nach dem Ende der alten Containment-Strategie gegen die Sowjetmacht nicht mehr sehr viel wert und werden durch die Osterweiterung der Allianz um ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten praktisch radikal entwertet; das Land kann froh sein, daß es schon im Club drin ist, und muß darauf achten, daß es seinen Stellenwert darin einigermaßen wahrt. So kommen gleich drei Gründe für Bündnistreue zusammen, von denen einer negativer ist als der andere und die alle zusammen Griechenland keine Wahl lassen. Athen ist zwar weiterhin gegen den Krieg, aber es erfüllt seine Bündnispflicht, liefert die benötigte Zustimmung in Brüssel ab und stellt bereit, was – an Häfen und Transportgelegenheiten vor allem – verlangt wird.
Versuchte Einflußnahme und ein paar Lektionen in Bündnisdisziplin
Die griechische Regierung fügt sich dem Bündnis – und nutzt die Freiheit, die sie sich dadurch verschafft zu haben meint, zu Versuchen, den Schaden für ihre Balkanpolitik in Grenzen zu halten. Sie bietet sich als Vermittler zwischen der NATO und Jugoslawien an, läßt hochrangige Politiker und Diplomaten zwischen Belgrad, Moskau, Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten, der UNO und Washington hin und her pendeln und – ganz gegen die Bündnislinie – zweitrangige Prominenz öffentlich bei Milošević auftreten; sie versucht eine südosteuropäische Friedenskonferenz – „Athener Kongreß“ – zu organisieren etc. Mit all ihren Bemühungen trifft sie im Westen freilich auf keine Gegenliebe – in der freiheitlichen Weltöffentlichkeit wird das meiste davon noch nicht einmal zur Kenntnis genommen. Beim kriegführenden USA-Euro-Club besteht einfach kein Bedarf an Vermittlung, und wenn, dann würde gewiß nicht Griechenland damit betraut – tatsächlich wird es nicht einmal bei der abschließenden EU/G7-Mission nach Belgrad herangezogen. Die Regierung macht sich im Gegenteil mit ihren Vorstößen im Kreise ihrer Partner nur mißliebig. Sie zieht sich im Brüsseler Hauptquartier und bei der Führungsmacht den Verdacht auf abweichendes Verhalten zu, wenn sie die fortdauernde Anerkennung der Souveränität Belgrads betont, medizinische Hilfsgüter nach Serbien liefert und die Beziehungen zu Rußland pflegt. Wiederholt und nachdrücklich muß sie sich von den obersten Chefs, Clinton und Albright, darauf hinweisen lassen, daß griechische Vermittlungsversuche definitiv nicht erwünscht sind:
„Ein derartiges Unterfangen würde dem einheitlichen Auftreten der Nato Schaden zufügen.“ (Athener Zeitung, 2.4.)
Da muß Ministerpräsident Simitis dann auf einmal Schadensbegrenzung in ganz anderer Richtung betreiben und den USA gegenüber ebenso nachdrücklich und wiederholt versichern, daß Griechenland selbstverständlich treu auf NATO-Linie bleibt; man möge nur Verständnis dafür haben, daß er als Führer eines Balkanlandes keine feindlichen Beziehungen zu den Nachbarstaaten haben wolle und darum nicht anders handeln könne…
Wie kein anderes westliches Land ist Griechenland daher erleichtert, als nach Miloševićs Kapitulation der Bombenkrieg tatsächlich eingestellt wird. Und so wenig wie ihre Alliierten zögert die Regierung, das Kriegsende sich als besonderes griechisches Verdienst zuzuschreiben:
„Griechenland hat eine europäische und eine balkanische Identität. Dieses Verständnis hat sich in der Kosovo-Krise bewährt. Unsere anfangs viel kritisierte Vermittlerrolle wird inzwischen allgemein anerkannt. Sie hat mit dem Ende der Feindseligkeiten erste Früchte getragen. Jetzt muß diese Mission erst recht weitergehen.“ (Außenminister Papandreou, Athener Zeitung, 18.6.)
Der Fortgang der Mission rückt dann freilich die schöne Erfolgslüge gleich wieder zurecht. Beteiligt wird Griechenland mit vorerst 1500 Mann für die NATO-Truppe, die im deutschen Sektor im Südosten des Kosovo stationiert werden. Ob und inwieweit das Land darüber hinaus an der „Stabilisierung“ der Region mitwirken oder gar an deren Wiederaufbau mitverdienen kann, bleibt eher fraglich. Mit ihren schon wieder ein wenig abweichenden eigenen Vorstellungen über hilfreiche Einmischung in Serbien jedenfalls –
„Es steht außer Frage, daß humanitäre Soforthilfe nicht an Vorbedingungen geknüpft werden darf, sei es politischer oder sonstiger Art. Vor dem nächsten Winter müssen die Wasser- und Stromversorgung, die Fernheizwerke, die zerstörten Verkehrswege und der blockierte Donau-Weg wiederhergestellt werden, wenn wir nicht auf eine humanitäre Katastrophe zusteuern wollen – wenn auch Jugoslawiens umfassender wirtschaftlicher Wiederaufbau mit seinem demokratischen Umbau Hand in Hand gehen muß.“ (Papandreou, ebd.) –
stellt sich die Regierung gleich wieder ins Abseits: Genau die befürchtete „humanitäre Katastrophe“ halten die USA für das geeignete Mittel, um auf die Serben Druck auszuüben, damit sie Milošević die Gefolgschaft versagen; darum definieren sie den Großteil dessen, was Papandreou „humanitäre Soforthilfe“ nennt, verbindlich als „wirtschaftlichen Wiederaufbau“, der den Serben, solange sie sich von Milošević regieren lassen, strikt verweigert wird. Mit seinen Anträgen, im großmächtig angekündigten „Marshall-Plan für Südosteuropa“ eine Rolle zu spielen, kommt Athen gleichfalls nicht zum Zug. Die Besetzung der wichtigen Posten machen die Großen unter sich aus; mit ihren Einwänden gegen den Deutschen Hombach als „Koordinator“ des „Wiederaufbaus“ bleiben die Griechen allein mit den Österreichern, die wenigstens mit einem neuen Job für ihren Chefdiplomaten Petritsch abgefunden werden. Mit Mühe können sie gerade einmal durchsetzen, daß die Aufbau-Agentur wenigstens nominell ihren Sitz in Thessaloniki nimmt; der Chef des Ladens gedenkt jedoch hauptsächlich in Brüssel zu residieren, und vor Ort werden die Projekte in Pristina „koordiniert“ – wenig Chancen, daß von der versprochenen „Hilfe zur Selbsthilfe“ nennenswerte Beträge in Griechenland hängenbleiben…
Probleme an der Heimatfront
Von seinen Verbündeten in Europa und Amerika wird Griechenland mit seinen nationalen Sonderinteressen rücksichtslos übergangen, ohne Nachsicht auf Bündnistreue festgelegt und, obwohl es sich fügt, als Problemfall behandelt und mit einigem Argwohn bedacht. Die Versuche der Regierung, sich in dem Widerspruch zwischen den Anforderungen der Allianz und den balkanpolitischen Interessen der Nation einigermaßen zu behaupten und die Schäden an beiden Seiten zu begrenzen, bleiben ohne überzeugenden Erfolg. Stattdessen handelt sie sich im Innern einige Probleme ein, die ihr auch wieder außenpolitisch das Leben schwer machen.
Die Regierenden in Athen haben es mit einer Nation zu
tun, die sich aus Gründen ihrer patriotischen Weltsicht
und entsprechend grundsätzlich gegen den NATO-Krieg
sträubt und ihrer Führung das vom Bündnis kompromißlos
eingeforderte Ja dazu gründlich übel nimmt. Von links bis
rechts sind sich die Oppositionsparteien einig in der
Verurteilung der Bombenangriffe als Kriegsverbrechen –
die orthodoxe Kirche gibt zu dieser Einschätzung ihren
Segen dazu – und im Vorwurf an Simitis und Genossen, sie
spielten in der EU und in der NATO die peinliche Rolle
des „gehorsamen Kindes“ und hätten Griechenland in
eine Kolonie der Vereinigten Staaten und der anderen
westlichen Großmächte verwandelt
(FAZ, 12.6.). Diesem lautstarken
beleidigten Nationalismus setzt der Ministerpräsident im
Parlament als letztes und härtestes Argument ein
Stückchen ungeschminkter Wahrheit über die Ohnmacht und
Alternativlosigkeit Griechenlands entgegen:
„Gibt es in diesem Haus irgend jemanden, der glaubt, Griechenland hätte die eigenen Interessen und die Interessen der Region besser vertreten, wenn es die Verbindungen zu seinen Partnern und Verbündeten gekappt hätte?“ (ebd.)
Gibt es natürlich nicht; im Hohen Haus der nationalen Verantwortungsträger findet sich kaum jemand, der nicht wüsste, dass alles, was der griechische Staat heute darstellt, nicht mit seinen guten Beziehungen zum serbischen Nachbarn, sondern mit seiner EU- und NATO-Mitgliedschaft steht und fällt. Beliebt macht sich die Regierung aber nicht, wenn sie nationale Unterwürfigkeit als Staatsräson vertreten muss: Bei den Europawahlen, die in Griechenland – im Unterschied zu anderen Ländern – gerade wegen der umstrittenen Haltung zu den westlichen Führungsnationen und deren Krieg wochenlang das beherrschende Thema in den Medien sind, verliert die Regierungspartei.
Aber das ist noch nicht alles. Die Staatsmacht bekommt es nicht bloß mit enttäuschten Wählern zu tun, sondern mit einem Wiederaufleben des Terrorismus im Land: Die Bewegung „17. November“ und andere anarchistische Gruppierungen nehmen die antiamerikanische und Anti-EU-Stimmung im Lande zum Anlaß, mit Pistolen und Panzerfäusten auf Banken und Botschaftseinrichtungen der USA und der europäischen Länder, auf Luxushotels und auf Büros der regierenden PASOK zu schießen. Mehrere Bombenattentate richten erheblichen Sachschaden an; Bombendrohungen – im April und Mai allein 300 – halten die Polizei in Atem. Dabei ist die innere Unruhe an sich noch nicht einmal die größte Sorge der Regierung; die Staatsschutz-Behörden sind sich ziemlich sicher, den „harten Kern“ anarchistischer Zirkel weitgehend zu kennen und ihn isolieren und unschädlich machen zu können. Viel ernster muß die Regierung die Rückwirkungen der Attentate aufs Außenverhältnis nehmen. Die USA dringen nicht bloß im normalen Rahmen auf Aufklärung – immerhin sind auch US-Einrichtungen betroffen –, sondern konfrontieren Griechenland gleich wieder mit ihrem Mißtrauen in seine unbedingte Zuverlässigkeit als Bündnispartner. Ihre Diplomaten werden in einer Weise vorstellig, die einer Disziplinierungsmaßnahme gleichkommt: US-Vertreter präsentieren nicht nur eigene Listen von Verdächtigen, sondern verlangen von Athen gleich ein neues Antiterrorgesetz, vergleichbar dem, das Italien in der Moro-Ära gegen die Roten Brigaden erlassen hatte. Damit nicht genug:
„Die USA wollen mit Griechenland einen Anti-Terror-Vertrag schließen… In Verbindung damit drängen die USA auf die Errichtung und die Arbeit einer Task Force zur Ausschaltung des Terrors zwischen den (sc. griechischen) Antiterror-Dienststellen und der FBI-Abteilung in Athen.“ (To Vima, 4.7.)
Als wäre auf griechische Behörden – sei es auf ihre Fähigkeiten, sei es auf ihren Willen zu konsequenter und erfolgreicher Terrorismusbekämpfung – kein Verlaß, erhebt Amerika den Anspruch, sich wie in Dritt-Welt-Ländern oder bei den Palästinensern auch in Griechenland unmittelbar in die Kontrolle der inneren Sicherheit einzumischen. Und wie nicht anders zu erwarten, ergreift die türkische Regierung gleich die günstige Gelegenheit zu einer eigenen, berechnend an die USA adressierten Kritik an Athen als Helfershelfer des Terrorismus:
„‚Wir wissen seit Jahren, nicht erst seit den Erklärungen Öcalans, daß es in Griechenland verschiedene Lager gibt, in denen Terroristen, die in der Türkei aktiv werden wollen, eine militärische Ausbildung erhalten. Das ist das größte Hindernis für die Erreichung guter und enger Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei.‘ Ecevit berief sich darauf, daß amerikanische Würdenträger ihm die Existenz solcher Lager bestätigt hätten.“ (Eleftherotypia, 17.6.)
Diese Behauptung weist der US-Botschafter in Athen, Burns, zwar ausdrücklich und in aller Form zurück. Allerdings ist auch gleich klar, warum: Mit seinem Ansinnen, US-Behörden Kontrollbefugnisse über Griechenlands innere Sicherheitsverhältnisse einzuräumen, will Amerika sich nicht auf das Niveau der griechisch-türkischen Querelen herabbegeben, sondern sein Regime als bündnispartnerschaftliche Führungsmacht über den fragwürdigen Alliierten stärken. So verstehen das natürlich auch die griechischen Politiker: als einen unzumutbare Eingriff in ihre Souveränität. Dennoch halten sie es nicht für opportun, Amerikas „Angebot“ als Zumutung zurückzuweisen. Ihre Reaktion ist so zurückhaltend, wie es dem Status ihrer Macht entspricht: Sie beteuern, ihre Terroristen seien von viel harmloserem Kaliber als die der Roten Brigaden und ihr Staatsschutz habe den Terrorismus im Lande ohnehin bereits im Griff. Höflich stellen sie den Antrag, die USA sollten es doch bitte bei der Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe für ihre Polizei belassen. Für die USA ist das Thema damit freilich noch längst nicht erledigt.
Wenigstens ein voller Erfolg – im Abwehrkampf gegen illegale Zuwanderer
So fragwürdig die Ergebnisse ihrer Politik der
Schadensbegrenzung auch ausfallen: Einem
Schadensfall sieht die Staatsmacht sich gewachsen, und
den bewältigt sie mit ihrer überlegenen Gewalt prompt und
mit Bravour. Seit Beginn der Kosovo-Krise sieht sie sich
und ihren kostbaren Volkskörper von der Gefahr einer
Invasion albanischer Flüchtlinge bedroht. Um diese
Heimsuchung abzuwenden, scheut die Regierung keine
Kosten: In großem Stil beteiligt sie sich am Aufbau von
Flüchtlingslagern in Albanien. Zugleich verschärft sie
die Überwachung der Grenzen zu Albanien und Mazedonien.
Auch diplomatisch wird sie aktiv: Gleich nach Beginn des
Bombardements schließt Simitis mit seinem albanischen
Amtskollegen ein Abkommen, das Tirana verpflichtet, nicht
mehr als 5000 Flüchtlinge in den Süden Albaniens zu
verlegen. Das dient dem Schutz der griechischen
Minderheit in Nordepirus vor dem Schicksal, noch
minderheitlicher zu werden, und sorgt zugleich für den
nötigen Abstand zwischen den Kosovo-Vertriebenen und
Griechenlands Nordgrenze. Dennoch steigt die Zahl der
illegalen Einwanderer – ein „Sicherheitsproblem“, das die
Regierung schon vor der Kosovo-Krise ausgerufen und mit
der Einführung der „Grünen Karte“ Anfang 1998, deren
Besitz einzig zum Aufenthalt und zur Arbeit in
Griechenland berechtigt, nur sehr mangelhaft in den Griff
bekommen hat. Wie es sich in solchen Fälle für eine reife
demokratische Öffentlichkeit gehört, nimmt die Hetze
gegen die „Albaner-Mafia“ dementsprechend, also
unverhältnismäßig zu. So kann die Regierung endlich
einmal ganz souverän und autonom Entschlossenheit und
Tatkraft beweisen und sich bei ihrem Volk ins rechte
Licht rücken: Ab Anfang Juli läuft die sogenannte
„Skoupa-(Besen-)Aktion“. Der Verteidigungsrat beschließt,
die rund 300000 illegal im Lande lebenden Einwanderer
aufzuspüren und abzuschieben. Die Sicherheitsbehörden
werden angewiesen, die Zielvorgabe von 3500 Kontrollen
und 1000 Ausweisungen pro Tag zu erreichen
(Athener Zeitung, 9.7.). Die
Grenzpolizei wird nochmals um 1500 Mann verstärkt. Nach
deren Angaben werden bereits in den ersten fünf Tagen der
Aktion 5000 Albaner über die Grenze abgeschoben.
Natürlich beschwert sich der betroffene Nachbar:
„Der albanische Außenminister Milo protestierte in scharfer Form gegen die unmenschlichen Umstände der Aktion. Vor der Auslandspresse wandte er sich gegen die griechische Pauschalisierung, wonach jeder illegal anwesende Albaner ein potentieller Verbrecher sei.“ (NZZ 10.7.)
Doch da kann Athen endlich einmal genauso gelassen reagieren, wie es sonst immer seine Alliierten tun, wenn sie über griechische Proteste hinweggehen und Proteste aus Athen ignorieren:
„Außenminister Papandreou dankte den albanischen Arbeitern für ihren Beitrag an Griechenlands Bauwesen und sprach die Hoffnung auf eine baldige Integration beider Völker im Rahmen des neuen Stabilitätspakts für den Balkan aus.“ (ebd.)
So gelingt es der atheniensischen Staatsmacht doch noch, wenigstens an den ohnmächtigsten Figuren der ganzen Affäre ein Exempel dafür zu statuieren, wie dringlich es wäre, daß Griechenland eine mitentscheidende Rolle bei der Lösung der „Stabilitätsprobleme“ der Region spielen darf.