Das Forschungsergebnis – die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer – ist wirklich nichts Neues und wird auch von keiner Seite ernsthaft bestritten. Im Gegenteil: Löhne runter und Profite rauf ist das erklärte Kampfprogramm, mit dem die regierenden Sachverständigen für Wirtschaft den Standort an die Weltspitze führen wollen. Nach 4 Jahren Studium und 370 Seiten landen die regierungsunabhängigen Sachverständigen für Armut bei haargenau der gleichen Therapie. Fragt sich nur, wie?
Im Gefolge der Debatte um die Essener Tafel kommen in der Republik leise Bedenken auf, die Lage an den Tafeln der Republik würde Versäumnisse des deutschen Sozialstaats ans Licht bringen. Kaum wird der Vorwurf geäußert, der Staat würde seiner Fürsorgepflicht nicht nachkommen, durch Hartz IV sogar selbst die Armen in Armut halten, sieht der neue Gesundheitsminister Jens Spahn sich herausgefordert, diese Errungenschaft des deutschen Sozialstaats vorwärts zu verteidigen.
Die „volkswirtschaftliche Gesamtrechnung“ des Arbeitsministeriums erregt Aufsehen, die u.a. ein durchschnittliches Nettorealeinkommen der Arbeitnehmer von 1320,24 Euro pro Monat für 2006 bilanziert. Die Presse klärt auf, was die Statistik zu bedeuten hat.
Die Frechheit, mit der Magazine und Features davon künden, dass die Wirtschaft nur funktionieren kann, wenn die Arbeitskräfte dem Hunger nahe sind, verrät vor allem eines: Die Autoren haben keine Scheu, eine Wahrheit auszuplaudern, die eigentlich das stärkste Argument gegen die famose freie Marktwirtschaft ist.
Anlässlich des regierungsamtlichen „Entwurfs des 4. Armuts- und Reichtumsberichts“ widmen sich gleich vier Talkshows der Sache: „High Society oder Hartz IV: Wer sind die wahren Asozialen?“ (Maischberger) „Mittelschicht in Abstiegsangst – Bleiben die Fleißigen auf der Strecke?“ (Will) „Die Zukunft ist grau: Leben die Alten auf Kosten der Jungen?“ (Plasberg) „Wer kann noch in Wohlstand leben?“ (Jauch) So die Themen, die sich um ein und dieselbe Frage drehen: Geht die Verteilung von Armut und Reichtum hierzulande in Ordnung?
Götz Werner ist schon ein außergewöhnlicher Mann: Der ‚Selfmade-Milliardär‘ hat sich als Kritiker eben der marktwirtschaftlichen Verhältnisse einen Namen gemacht, in denen er als Chef einer Drogeriemarktkette Milliarden gemacht hat. Werner belässt es freilich nicht bei Kritik. Er offeriert so etwas wie ein Patentrezept, wie man Armut und Arbeitslosigkeit loswird, ohne die Marktwirtschaft, deren Produkt sie sind, in Frage zu stellen.
Es ist schon interessant, was den Autoren kritischer Leitartikel alles so ganz selbstverständlich aus der Feder fließt. Welche Stichworte sie zitieren, die ohne jedes weitere Argument ganze staats- und sozialpolitische Theorien abrufen, für die ganz offensichtlich nicht mehr agitiert werden muss, sondern mit denen man argumentiert. Und zwar schlicht und einfach dadurch, dass man sie erwähnt, an sie erinnert wie an lauter unhinterfragbar gültige Weisheiten, ohne die ein vernünftiges Urteil über den Lauf der Welt einfach nicht zu haben ist.
„Kinder sind unsere Zukunft.“ Diesem Motto der derzeit so kontroversen Familienministerin Lisa Paus widerspricht kein Politiker von ganz links bis ganz rechts. Warum auch? Politiker sind darin geübt, sich per 1. Person Plural innigst mit den Bürgern zusammenzuschließen, über die sie regieren.
Seit eh und je wird der Kapitalismus mit wohlmeinenden Verbesserungsvorschlägen bedacht. Idealisten der Marktwirtschaft erscheinen die modernen Formen der Armut, die der Kapitalismus bei sich beherbergt, eingedenk der beeindruckenden Reichtümer und Produktivkräfte moderner Gesellschaften als überkommen und eigentlich überflüssig und sie vermuten, dass die aufgeklärte Menschheit das Zeug dazu hätte, es zu allerlei Wahrem, Schönem, Gutem zu bringen, wenn man sie nur aus ihren elementarsten Existenzsorgen und -nöten entlassen würde.