Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Götz Werners ‚bedingungsloses Grundeinkommen‘ gegen Armut und Arbeitslosigkeit:
Sorgen um den rechten Geist des Kapitalismus
Götz Werner ist schon ein außergewöhnlicher Mann: Der ‚Selfmade-Milliardär‘ hat sich als Kritiker eben der marktwirtschaftlichen Verhältnisse einen Namen gemacht, in denen er als Chef einer Drogeriemarktkette Milliarden gemacht hat. Werner belässt es freilich nicht bei Kritik. Er offeriert so etwas wie ein Patentrezept, wie man Armut und Arbeitslosigkeit loswird, ohne die Marktwirtschaft, deren Produkt sie sind, in Frage zu stellen. Von einem ‚bedingungslosen Grundeinkommen‘ für alle Bürger und dem Ersatz aller Steuern durch eine ‚Konsumsteuer‘ verspricht er sich die Behebung aller Übel und erwartet von ihnen sogar, das Land zu ganz neuen Ufern zu führen. Das macht ihn für die einen zum ‚Heilsbringer‘, für andere zum ‚Spinner‘. Die Öffentlichkeit wundert sich, dass dem „Wanderprediger“ in Zeiten, die nicht gerade für Kritik und Protest bekannt sind, eine „geradezu gläubige Begeisterung entgegenschlägt. Mehrere tausend Neugierige wallfahren zu seinen Vorträgen.“ (Der Spiegel)
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- Werners Blick aufs Wesentliche: Die Missstände und die eigentlich paradiesischen Zustände
- Der kritische Befund: Das Bewusstsein passt nicht zum Sein.
- Der optimistische Befund: Für eine allgemeine Wohlfahrt ist alles schon da
- Eine Vision für eine neue Arbeitsethik: Das bedingungslose Grundeinkommen
- Eine Vision zur Hebung des Gemeinsinns: Die Konsumsteuer
- Werners Sinn fürs Reale: Wenn ein Kapitalist humanistisch wird
Ein ‚bedingungsloses Grundeinkommen‘
gegen Armut und Arbeitslosigkeit:
Sorgen um den rechten
Geist des Kapitalismus
Götz Werner ist schon ein außergewöhnlicher Mann: Der ‚Selfmade-Milliardär‘ hat sich als Kritiker eben der marktwirtschaftlichen Verhältnisse einen Namen gemacht, in denen er als Chef einer Drogeriemarktkette Milliarden gemacht hat. Werner belässt es freilich nicht bei Kritik. Er offeriert so etwas wie ein Patentrezept, wie man Armut und Arbeitslosigkeit loswird, ohne die Marktwirtschaft, deren Produkt sie sind, in Frage zu stellen. Von einem ‚bedingungslosen Grundeinkommen‘ für alle Bürger und dem Ersatz aller Steuern durch eine ‚Konsumsteuer‘ verspricht er sich die Behebung aller Übel und erwartet von ihnen sogar, das Land zu ganz neuen Ufern zu führen. Das macht ihn für die einen zum ‚Heilsbringer‘, für andere zum ‚Spinner‘. Die Öffentlichkeit wundert sich, dass dem „Wanderprediger“ in Zeiten, die nicht gerade für Kritik und Protest bekannt sind, eine „geradezu gläubige Begeisterung entgegenschlägt. Mehrere tausend Neugierige wallfahren zu seinen Vorträgen.“ (Der Spiegel)
Werners Blick aufs Wesentliche: Die Missstände und die eigentlich paradiesischen Zustände
Werner, der regelmäßig unter den reichsten Unternehmern
Deutschlands gelistet wird, wird gerne drastisch, wenn er
Not und Elend am anderen Ende der sozialen Skala anklagt:
So weist er etwa auf den Zynismus hin, dass immerzu die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit versprochen wird, diese
aber in Begriffen wie ‚Sockelarbeitslosigkeit‘ oder
‚Bodensatzarbeitslosigkeit‘ längst als fester Bestand des
Standorts abgehakt ist. Die armselige Existenz der
Hartz-IV-Empfänger stuft er als offenen Strafvollzug
in gesellschaftlicher Isolation
(Götz W. Werner, Einkommen für alle, Köln 2007,
S. 10. Alle Zitate daraus) ein, der einem
Vegetieren näher ist als einem menschenwürdigen
Leben
(95). Dabei müsste
all dies nicht sein! Unermüdlich weist er in seinen
Vorträgen und Büchern darauf hin, dass es in Zeiten der
großen Industrie für Armut jeder Art keine materiellen
Gründe gibt. Mit immer weniger Aufwand kann immer mehr
produziert werden, so dass für alle mehr als genug da
ist: Was in hochproduktiven Industriegesellschaften
beinahe ständig wächst, ist der materielle Wohlstand. Und
was unter normalen Umständen beinahe ständig schrumpft,
ist das zu seiner Schaffung nötige Arbeitsvolumen.
(26) Das macht ihn kritisch
gegen eine Welt, in der es immer mehr Menschen am
Nötigsten fehlt: Trotz steigender Produktivität und
Versorgungsfähigkeit nehmen Armut und soziale
Ungleichheit zu. Die Folgen des technischen Fortschritts
scheinen paradox.
Wer wollte ihm da widersprechen?!
Alles, was die Menschen brauchen, ist reichlich
vorhanden. Die schöne weite Warenwelt existiert jedoch
weitgehend getrennt von bestimmten Schichten. Und die
Ersparnis an Arbeitsaufwand erspart den Arbeitern
keineswegs Mühen; sie vergrößert lediglich die Zahl der
Arbeits- und Einkommenslosen. Mit wachsender
Produktivität und ‚steigender Versorgungsfähigkeit‘
nehmen deren Existenzängste daher zu: Jubel über den
Fortschritt
geht verrückterweise einher mit
Entsetzen über den Arbeitsplatzabbau
(71).
Welche Form von Armut Werner auch immer thematisiert,
immerzu stößt er darauf, dass Geld zwischen den Waren und
ihrem Konsum steht: Fast alles ist prinzipiell für
jeden verfügbar, wenngleich nicht unbedingt bezahlbar.
Armut ist ein finanzielles, kein materielles Problem
(30f). Es ist schon eine
nicht geringe Leistung, angesichts dieser Einsicht
nicht auf den Verdacht zu kommen, dass es in der
marktwirtschaftlichen Art des Produzierens und Tauschens
einen immanenten Grund für die Vorrangstellung des Geldes
und seiner Vermehrung gegenüber den Gütern und ihrem
Genuss – man kann auch sagen: für den Gegensatz zwischen
Tauschwert und Gebrauchswert – geben könnte. Werner
weigert sich jedoch kategorisch, so einen Gedanken auch
nur in Erwägung zu ziehen. Diese Art geistiger
Souveränität verdankt sich seiner Manier, die Welt
gnadenlos im Modus des Eigentlichen zu reflektieren:
Ich behaupte, dass wir eigentlich längst in
paradiesischen Zeiten leben und alle daran teilhaben
könnten.
(9) Mit dem
kleinen Wörtchen ‚eigentlich‘ sowie die in seinen
Gedankengängen allgegenwärtigen Synonyme wie ‚an sich‘,
‚im Prinzip‘, ‚in Wahrheit‘, ‚im Grunde‘ und dergleichen
verlässt der forsche Gesellschaftskritiker seine mitunter
erfrischende Bestandsaufnahme heutiger Zustände, um
phantasiereich ein beglückendes, aber noch verborgenes
Wesen des Kapitalismus zu ergründen. Damit ist der
Gegenstand seiner aufklärerischen Aktivitäten gesetzt:
Sie deuten die beklagten Erscheinungen als
Abweichung vom eigentlich guten Wesen ‚unserer‘
Gesellschaft, um letzterem zum Durchbruch zu verhelfen.
Der kritische Befund: Das Bewusstsein passt nicht zum Sein.
Warum also leben wir in ‚paradiesischen Zeiten‘ und die wenigsten haben was davon? Soviel steht schon mal fest: Einen Grund in ‚unserem‘ Wirtschaftssystem kann es nicht geben, bringt dieses doch den paradiesischen Reichtum auf den Markt. Die Erkenntnis, dass Geld – ein zentrales Element eben dieses Wirtschafssystems – viele vom Zugang zur Warenwelt ausschließt, passt da nicht so recht ins Bild. Das motiviert Werner zu tiefer schürfenden Betrachtungen:
„Man wüsste dabei nur zu gerne, wo das Problem liegt. Wachsender Wohlstand mit immer weniger Arbeit – das sind doch in Wahrheit paradiesische Zustände! Der Sündenfall hat uns einst zur Arbeit verdammt. Mit der Industrialisierung haben wir nun endlich den Rückweg zum Hintereingang des Paradieses gefunden, doch immer noch glauben wir, wir müssten im Schweiße unseres Angesichts unser Brot verdienen. Die letzte Nachwirkung des Sündenfalls ist der Irrglaube, Einkommen könnte nur aus Erwerbsarbeit stammen.“ (26)
Dabei haben schon längst Maschinen einen Großteil der
Arbeit übernommen. Welcher Rechnungsweise deren Einsatz,
welchen Bedingungen die Arbeit an ihnen und welchen
Eigentumsverhältnissen ihr Ausstoß unterliegt, ist für
Werners menschheitsgeschichtlichen Entwurf nicht so
wichtig. Er fasst Eigentümer von Produktionsmitteln, die
eifersüchtig auf ihren privaten Vorteil bei der
gesellschaftlichen Arbeitsteilung bestehen, staatliche
Stellen, die dies bis ins kleinste Detail regeln und
garantieren, sowie lohnabhängige Leute, die unter diesen
Verhältnissen wenig zum leben und viel zu arbeiten haben,
großzügig zum Kollektivsubjekt eines unterschiedslosen
‚Wir‘ zusammen. Dieses figuriert in seinem Weltbild als
Urheber und – eigentlicher – Nutznießer der
Industrialisierung. Dumm nur, dass ‚wir uns‘ lauter
irrige Gedanken zu den Segnungen des Fortschritts machen
und ohne Not vor den Genuss von Gütern die Mühen der
Arbeit bzw. den Erwerb von Geld stellen. Die
politökonomischen Verhältnisse des Privateigentums und
seiner Vermehrung, die die meisten dazu zwingen, ihr
Leben weitgehend dem Gelderwerb zu widmen und sich dabei
für die Geldvermehrung der Unternehmen nützlich zu
machen, sind damit als Resultat einer unpassenden
Einstellung zu diesen Verhältnissen gedeutet:
‚Unser‘ aller verkehrtes Denken und Glauben pervertiert
die ‚an sich‘ segensreichen Zustände. Damit landen
Werners systematische Gedankenschritte
(152) dort, wo sie nach allen
Regeln des kulturkritischen Moralisierens hingehören:
beim Menschen. Während Werners Blick, sagen wir einmal:
‚konsequent‘, auf der schönen weiten Welt der
Gebrauchswerte ruht, erscheint ihm die moderne Menschheit
in ihrem manischen Starren auf Geld
(156) als mental verirrt: Statt auf die
arbeitsteilig erbrachten Leistungen einer modernen
Industriegesellschaft zu vertrauen, denken die Leute
immer nur an sich und ihren Geldbeutel. Das hat schlimme
Folgen: Mit ihrer grenzenlosen Geldgier
(153) bringen sie sich
selbst um die Früchte der
‚Wohlstandsgesellschaft‘. Die ökonomische Misere schnurrt
auf einen fundamentalen Denkfehler
(72) zusammen. Das Paradox, dass der
reale Reichtum an Gütern dem abstrakten Reichtum in
Geldform untergeordnet ist, vergeistigt sich zu einem
Widerspruch zwischen Sein und Bewusstsein.
Wie aber konnte es zu diesem luftigen Widerspruch kommen?
Woher stammt der verhängnisvolle ‚Irrglaube‘? Aus der
Vergangenheit! Den Irrglauben gibt es, weil er sich schon
vor langer Zeit eingebürgert hat. Werner erklärt ihn als
‚Nachwirkung‘ ferner Feudalzeiten, in denen Geld zwar
noch keine oder keine große Rolle spielte, das Denken
über Güter bzw. Geld jedoch so nachhaltig geprägt wurde,
dass die Menschheit fürderhin mit dem Fortschritt in
Richtung Arbeitsteilung mental nicht Schritt halten
konnte. Das Hinterherhinken des Verstandes hinter der
gesellschaftlichen Entwicklung – man fragt sich, welchem
Verstand diese sich verdankt – verdankt der heutige
Mensch seinem vorindustriellen Vorfahren, dem bäuerlichen
‚Selbstversorger‘, der – so imaginiert Werner diesen
Idealtyp eines autarken Eigenbrötlers zumindest – mit der
Faustregel: ‚denk daran, schaff Vorrat an‘ alles selbst
und immer nur für sich selbst und nicht arbeitsteilig zum
Nutzen aller produzierte und bis heute im Oberstübchen
der modernen – zu eigenen Gedanken offenbar unfähigen –
Menschheit herumgeistert. Die Mentalität des
Selbstversorgers
(50) ist
damit als Grund allen Übels ausgemacht: Sie passt nicht
in die totale Fremdversorgung
, auf die heute jeder
angewiesen
ist und auf die jeder fundamental
vertrauen
(177) muss.
Diese längst etablierten Verhältnisse sieht die mental
befangene Menschheit freilich durch einen
Geldschleier
(166).
Ein kollektiver Realitätsverlust ist zu konstatieren:
Der Überfluss ist Realität, aber diese Realität ist in
unserem Bewusstsein noch nicht richtig angekommen. Wir
halten den rein nominalen Wert des Geldes für etwas
Reales. Entgegen der Warnung des Indianerhäuptlings
Seattle von 1854 glauben wir irgendwie doch, dass man
Geld essen kann.
(43f)
Mit dieser volkstümlichen Fassung des Geldfetischismus
lastet Werner sein eigenes Nicht-Wahr-Haben-Wollen der
rauen Funktionsweisen ‚unserer Gesellschaft‘ seinen im
undurchdringlichen Gehäuse ihrer
Selbstversorgermentalität einsitzenden Zeitgenossen als
mentalen Defekt an. Die negativen Abziehbilder seines
Idealismus geraten denn auch regelmäßig zur Karikatur
eines falschen Bewusstseins: In ihrem
Onkel-Dagobert-Denken
(165) merken die begriffsstutzigen
Geldfresser noch nicht einmal, dass sie längst in der
marktwirtschaftlichen ‚Wohlstandsgesellschaft‘ angekommen
sind und geben zu ihrem eigenen Schaden immer noch den
Feudalidioten. Davon will Werner sie erlösen.
Der optimistische Befund: Für eine allgemeine Wohlfahrt ist alles schon da
Wenn die beklagten Elendserscheinungen auf ein
allgemeines Bewusstseinsproblem zurückgeführt sind, ist
nebenbei ein genereller Befund über ihre Natur gewonnen:
Alles nur Missstände, die auf Missverständnissen beruhen!
Die marktwirtschaftlichen Instrumentarien und
Funktionsweisen mitsamt den in ihnen
institutionalisierten Profitinteressen der
Kapitalbesitzer sind damit von jedem Verdacht
freigesprochen, etwas mit der Armut bestimmter Schichten
zu tun zu haben. Aufgabe einer Volkswirtschaft ist es,
die Menschen mit Gütern und Einkommen zu versorgen.
(106) Genau dafür ist der
Kapitalismus ‚eigentlich‘ da. Das Spintisieren in den
Tiefen eines unmerklichen, aber wahren Wesens zeigt im
Handumdrehen seine apologetischen Qualitäten: Nachdem
durch Wegdenken des Kapitalistischen am Kapitalismus aus
ihm eine prächtige Versorgungswirtschaft geworden ist,
erfährt man, dass zu einer perfekten Versorgung eben die
Institutionen und Instrumente, die unter der geistigen
Herrschaft des ‚Geldschleiers‘ die Leute ins Elend
stürzen, die genau richtigen sind. Mit dieser
idealistischen Dialektik manövriert sich der
Weltverbesserer in ein geradezu närrisches Paradox: Er
macht sich für die Einrichtungen stark, deren
zerstörerische Wirkung er beklagt. Erst wenn radikal
umgedacht wird, kann dasselbe Phänomen, das unser
komplexes System derzeit zersetzt, in entgegengesetzter
Richtung positive Kräfte freisetzen. Das Gute liegt
durchaus nah.
(193f) Wie
schön: Alles kann bleiben, wie es ist. Außer beim
Menschen und seinem ‚Denken‘.
So geht Werners Kritik der Geldillusion
(45) einher mit einem dicken
Lob des Geldes. Die private Verfügungsmacht über den
stofflichen Reichtum und die lebendige Arbeitskraft
entfaltet demnach nur dann, wenn sie mit der falschen
Mentalität bewirtschaftet wird, ihre verheerenden
Wirkungen. Mit seiner eigentümlichen analytischen
Gründlichkeit
fragt sich Werner demgegenüber: Was
ist eigentlich Geld?
(152) Das alltägliche Geschehen, dass
Geld den Tausch von Waren vermittelt, offenbart ihm, dass
es eigentlich nur ein nominales Zwischenäquivalent,
eine Art Depot für spätere Gegenleistungen
(215) ist. Das Geld, dem die
zeitgenössischen Selbstversorgerklone unentwegt
nachjagen, erscheint nach Werners Entschleierung als
harmloses Mittel für die Zirkulation der Gebrauchswerte:
Nichts gegen Geld! Geld an sich ist ein höchst
effektives Schmiermittel für die Erzeugung und den
Austausch von Produkten und Dienstleistungen.
(55) Diese funktionale
Wesensbestimmung erlaubt es Werner, von der trivialen
Tatsache abzusehen, dass im Tausch die
gegensätzlichen Interessen des Verkäufers an
hohen Gewinnen und entsprechenden Preisen und die des
Käufers am kostengünstigen Erwerb eines Gebrauchswerts
aufeinanderprallen. Ein Gegensatz, an dem unschwer
erkennbar ist, dass der marktwirtschaftliche Tausch das
Mittel der Vermehrung von Geld und nicht der Versorgung
mit Gütern ist. Geld vermittelt eben nur unter der
Voraussetzung ein Gut an einen Konsumenten, wenn es
gleichzeitig den Gewinn eines Produzenten versilbert.
Letzterer hat überhaupt nur einen Haufen Geld in die
Produktion gesteckt, um daraus mehr Geld zu
machen. Diese verbindliche Zweckbestimmung einer
Investition macht aus einer Geldsumme Kapital und
bezeichnet mit einem ‚…ismus‘ dahinter zu Recht die
heutige Geldvermehrungswirtschaft. All dies ordnet Werner
freilich den trüben Sphären der ‚Geldillusion‘ zu, um mit
großer Kunstfertigkeit vorzuführen, wie ganz anders man
diese Dinge sehen kann und soll.
Natürlich ist auch in Werners gebrauchswertfixierter
Betrachtungsweise das alltägliche Phänomen, dass Geld
bzw. Kapital zu seiner gewinnbringenden Verwertung da
ist, nicht zu übersehen. Was ein gestandener Idealist
ist, versteht sich jedoch darauf, die Verhältnisse
denkerisch seiner guten Meinung über sie anzupassen:
Gewinn muss sein. Realwirtschaftlich gesehen ist er
aber Mittel zum Zweck der Erfüllung der Aufgabe eines
Unternehmens – das Angebot immer besserer und günstigerer
Waren und Dienstleistungen für die Kunden – und nicht das
Ziel unternehmerischer Tätigkeit.
Gewinne dienen
denen, die sie bezahlen! ‚Realwirtschaftlich gesehen‘
sind sie nämlich zur Reinvestition – nicht in eine
erneute Gewinnerzielung, sondern – in eine immer
billigere und bessere Versorgung da. Der eigentliche
Sinn von Rationalisierungen
ist, den Menschen von
Arbeiten zu entlasten
(71) – also das genaue Gegenteil dessen,
wozu Produktivitätsfortschritte unter dem Kommando des
Kapitals dienen: Verringerung der Lohnkosten durch
Einsparung bezahlter Arbeitskräfte. Gewinne haben eben
nur dann böse Wirkungen, wenn es wegen einer nimmersatten
Gier bloß um sie geht. Ökonomischen Phänomenen
gesteht Werner nie einen bestimmten, ihnen immanenten
Zweck zu; dieser hängt in seiner Sicht der Dinge gänzlich
von der – guten oder schlechten – Zwecksetzung der
Subjekte ab. Das macht es ihm so kinderleicht,
respektable Begriffsbestimmungen für die Grundelemente
des Kapitalismus zu ersinnen.
Unter dem Gesichtspunkt, für welche menschenfreundlichen
Anliegen das Kapital eigentlich gut sein könnte, kommt
Werner auch hier zu einer bahnbrechend neuen Wertung: Es
ist nur in geldverschleierten Gesellschaften auf seine
stetige Selbstverwertung durch die Anwendung rentabler,
mit hoher Leistung und geringen Kosten kalkulierter
Arbeit festgelegt. Ein Sinnbild aus dem unverdorbenen
Feld des Ackerbaus enthüllt demgegenüber das Eigentliche
des Kapitals: Im Grunde ist es so etwas Ähnliches wie
Saatgut
, das die Möglichkeiten, etwas für andere
zu produzieren, bzw. zu leisten, erweitert
(155f). ‚Realwirtschaftlich
gesehen‘ ist es ja in der Tat so, dass ein Unternehmer im
Unterschied zum Selbstversorger die Produkte seiner Firma
nicht selbst konsumiert. Also – so Werners Kurzschluss
daraus – wird er überhaupt nur im Interesse anderer
tätig. Aus der exorbitanten Flughöhe solcher
Abstraktionen erscheint das kapitalistische System der
privaten Reichtumsvermehrung als idealkapitalistische
Idylle eines permanenten Prozesses des
Füreinanderleistens
(177). Kapitalismus als der Allgemeinheit
dienendes System zur Wohlstandsmehrung
(162). Geldvermehrung und
Güterversorgung sind damit miteinander versöhnt. Und als
wollte er noch exemplarisch vorführen, wie irrwitzig ein
Urteil über die Welt ausfallen kann, wenn sich das
Urteilen aus moralischen Überzeugungen speist, macht er
schließlich den Kapitalisten höchstselbst zum
dienstfertigen Wohltäter seiner Kundschaft: Ein
Produzent ist nur dann ein guter Produzent, wenn er ein
Altruist (sic!) ist: Je mehr sich ein Produzent an den
Bedürfnissen seiner Kunden und je weniger er sich an
seinen eigenen Bedürfnissen orientiert, desto
erfolgreicher wird er sein.
(50f) Ungereimtheiten stellen sich
freilich ein, wenn sich unter den schönen Schein des
Ideals Kriterien des kapitalistischen Realismus mischen:
Der Unternehmer denkt hier selbstlos an seine
selbstsüchtige Kundschaft, um selbst möglichst
‚erfolgreich‘ zu sein. Wobei sich dieser Erfolg
selbstredend in den Renditeprozenten der üblichen
Kapitalrechnung bemisst.
Werners Art, immerzu ‚den Menschen‘ und seine ‚einfachen Bedürfnisse‘ zur Referenz für seine Wesensbestimmungen zu machen, mag ja auf viele Menschen unmittelbar einleuchtend und wahnsinnig sympathisch wirken. Richtiger werden seine Sinnstiftungen dadurch nicht. Sie sind vielmehr leicht als landläufige Idealisierungen der kapitalistischen Prosa wiederzuerkennen, wie sie in der volkswirtschaftlichen Forschung und Lehre, in politischen Sonntagsreden und journalistischer Erwachsenenbildung fester Bestandteil des geistig-moralischen Überbaus sind. Versorgung und allgemeine Wohlfahrt gelten da als die wahren Zwecke des Kapitalismus. Die zivilisatorischen Leistungen der ‚Sozialen Marktwirtschaft‘ ermöglichen da – wenn alles mit rechten Dingen zuginge – ein materiell gesichertes Leben von der Wiege bis zur Bahre. Und die Konkurrenzgesellschaft als Ganzes erscheint als arbeitsteiliges Gemeinschaftswerk, in dem die Klassengegensätze längst in eine solidarische Sozialpartnerschaft überführt sind. Während kapitalistisch geerdete Bürger die bürgerliche Wirklichkeit und ihre beschönigende Überhöhung routinemäßig auseinanderhalten können, traut sich der gute Mann aus dem Drogeriegeschäft das himmelstürmende Unternehmen zu, diese Differenz im wirklichen Leben zu beseitigen. Er will die von ihm enthüllte eigentliche Wahrheit des Kapitalismus wirklich wahr werden lassen. Mit seinem – gemessen am hohen Zweck – erstaunlich simplen Rezept eines ‚bedingungslosen Grundeinkommens‘ und einer ‚Konsumsteuer‘ lässt er die Genialität des Weltverbesserers aufblitzen, der weiß, wie die Welt grundsätzlich zu verbessern ist, ohne Grundsätzliches an ihren ökonomischen und politischen Institutionen zu verändern. Die gedankliche Anpassung dieser Institutionen an seine Wunschvorstellungen in Form ihrer ‚eigentlichen‘ Zweckbestimmungen zahlt sich nun aus: Es müssen nur noch ‚der Mensch‘ und seine unterentwickelte Mentalität auf das hohe Niveau von Werners gesellschaftlichen Idealen gehoben werden.
Eine Vision für eine neue Arbeitsethik: Das bedingungslose Grundeinkommen
Mit Leuten, die in oder außerhalb eines
Arbeitsverhältnisses gänzlich mit ihrem Kampf ums
Überleben beschäftigt sind, ist das nicht zu machen. Der
moderne Zeitgenosse muss zunächst von den übelsten
sozialen Drangsalen befreit und materiell zu Höherem
befähigt werden. Mit der monatlichen Überweisung eines
‚bedingungslosen Grundeinkommens‘ von ungefähr 1.500,- €
an jedermann will Werner dem Paradies auf Erden Tür und
Tor öffnen. Auch ohne Arbeitsplatz kann damit jeder seine
Grundbedürfnisse befriedigen und als intakter Bürger am
gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben.
Genug Geld
ist ja da, es ist bloß nicht
gleichmäßig an alle verteilt
(46). Dieser entspannte Umgang mit dem
Allerheiligsten des Kapitalismus hat den ‚Querdenker‘
bekannt gemacht – und ihm barschen Widerspruch beschert:
‚Wer soll das bezahlen?‘, lautet allenthalben der
entrüstete Einspruch, dem regelmäßig der Beweis folgt,
dass das beim besten Willen ‚nicht geht‘: Herr Werner,
Sie sind verrückt.
(Stern) Der Reichtum ist eben nicht für
den ‚bedingungslosen‘ Massenkonsum da! Das Durchrechnen
von Werners humanistisch motiviertem Geldsegen in harter
Währung kann hier getrost fachkundigen Finanz- und
Steuerspezialisten anheimgestellt bleiben. Werner selbst
setzt sich jedenfalls locker über solche Rechenexempel
hinweg. Er macht Ernst mit der Ideologie vom Geld als
bloßem ‚Schmiermittel‘ des Warentausches: Weil jedes
Gut im Prinzip mit Geld hinterlegt ist
(46), sieht er kein Problem darin,
entsprechend viel Geld zu drucken und an die Menschen
zu verteilen
, um die Waren an den Verbraucher zu
bringen. Auch Hinweise, dass dies den Wert bzw. die
Kaufkraft des Geldes und damit so manche von ihm gerühmte
Leistung des Kapitalismus untergräbt, kümmern Werner
wenig. Seine bedingungslose Verteilung von Geldmitteln
zielt auf Höheres. Und zwar auf die Überwindung des
Grundübels unserer Zeit, der ‚Selbstversorgermentalität‘.
Wenn sich etwas von Grund auf zum Guten wenden soll,
müssen nun einmal die hinter dem ‚Geldschleier‘
herumirrenden Leute Werners Wissens um das ‚Eigentliche‘
des Kapitalismus teilhaftig werden. Das bedingungslose
Grundeinkommen soll nicht nur jedermann mit dem Nötigsten
versehen und Probleme wie Arbeitslosigkeit und deren
Begleiterscheinungen wie Kriminalität und Aufsässigkeit
obsolet machen, sondern auch den ‚Geldschleier‘ lüften,
sprich: das Wesen des Geldes als bloßes Schmiermittel
einer arbeitsteiligen Versorgung bewusst machen.
Der ‚Geldillusion‘ geschuldete mentale Deformationen
wären damit überwunden.
Das ist jedoch nur die halbe Miete. Wo eine Mentalität
verschwindet, ist eine neue gefragt. Auch und
insbesondere dafür ist das Grundeinkommen bestimmt:
Hinter der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens
steht nichts weniger als ein gesellschaftlich-sozialer
und vor allem kultureller Paradigmenwechsel
(74). Damit der richtig
rüberkommt, ist es so wichtig, dass alle das
gleiche Grundeinkommen erhalten – auch wenn es
für bessere Kreise nur die Bedeutung eines zusätzlichen
Taschengeldes hat. Die symbolisch-demonstrative
Gleichbehandlung der Klassen soll das Eigentliche des
Kapitalismus als arbeitsteiliges Gemeinschaftswerk zur
Versorgung aller sinnfällig machen. Und Arbeitsteilung
unterstellt immer noch, dass jeder sich gebührend an der
Arbeit beteiligt. Der durch das freie und gleiche
Grundeinkommen angestoßene Kulturimpuls
(74) zielt darauf, in der
Bürgerschaft ein völlig neues Wir-Gefühl zu kultivieren.
Der Einzelne muss merken, dass er gar kein autarker
Eigenbrötler ist, sondern ein kleines Rädchen im
Getriebe der totalen Fremdversorgung
(49). Entsprechend hat er sich zu
begreifen und zu betragen. Das Grundeinkommen wird zwar
‚bedingungslos‘ gezahlt, setzt aber schon auf eine nicht
geringe Gegenleistung:
„Der hinter der Idee des Grundeinkommens stehenden Ethik geht es nicht nur darum, die nackte Existenz zu sichern. Die Existenzsicherung und das Kulturminimum sind nur das Fundament. Es ermöglicht einem jeden, aus sich und seinen Talenten etwas zu machen. Dazu ist er zwar nicht im rechtlichen Sinne verpflichtet, gar im Sinne einer Arbeitspflicht gezwungen. Aber er hat dazu gegenüber der Gesellschaft eine Bringschuld. Der kategorische Imperativ der Gesellschaft des bedingungslosen Grundeinkommens lautet: Du bekommst ein Grundeinkommen und lässt deine Talente zur Entfaltung kommen. Zeig, was du kannst!“ (96)
Das Grundeinkommen soll gewissermaßen den ‚guten Menschen‘ im Bürger anfüttern: Inmitten der schönsten marktwirtschaftlichen Konkurrenz soll er sich zu einer Kultur der freiwilligen Leistung erheben. Auf soviel Selbstlosigkeit will sich Werner freilich nicht restlos verlassen: Die knappe Bemessung des Grundeinkommens unterfüttert die anvisierten gemeinnützigen Motive mit einem materiellen Anreiz zur Aufnahme einer mit Geld entgoltenen Arbeit. Die Hebung der menschlichen ‚Mentalität‘, sprich Moral, bleibt gleichwohl Werners Zauberformel. Schließlich hat er von Anfang an ‚im Menschen‘ den Grund allen Übels gesucht. Der Weltverbesserer avanciert nun konsequent zum Moralapostel – und verfällt sogleich aufs Eigentliche des Menschen. Anthropologische Dimensionen tun sich auf:
„Wir müssen Spezialisten fürs Generelle werden... Freiräume zu nutzen und Eigenverantwortung zu übernehmen ist der einzige Weg, wahrhaft zu reifen und zum Menschen zu werden. Denn: Mensch ist man nicht. Mensch wird man. Der freie Mensch kann und will Verantwortung übernehmen für den Zustand seiner Umwelt – ökonomisch, ökologisch und sozial.“ (107f)
In Werners wahrem Menschentum – man kann sich des
Eindrucks nicht erwehren, als hätte in ihm eine
Humanistenmentalität klassischer Observanz überlebt –
kommen die Zwecke eines nun auch ökonomisch mündigen, das
heißt am Gemeinwohl orientierten Bürgers mit den
Erfordernissen der Gesellschaft zur schönen Harmonie. Was
einschließt, dass die bloß eigenen – egoistischen –
Interessen den niederen Trieben zugeordnet sind und im
wahren Menschentum überwunden sein müssen. Das veredelt
die herkömmliche Lohnarbeit zur neuen Arbeit
.
Deren Subjekte brauchen nicht mehr zur Arbeit angehalten
werden, sie funktionieren aus eigenen Stücken: Ein
garantiertes Einkommen würde den Bürger von seinen
dringendsten Existenzsorgen befreien – wodurch er erst
den nötigen Freiraum bekommt, um etwas für ihn selbst
Sinnvolles und für die Gesellschaft Nützliches zu
tun.
(78f) Bei der
herkömmlichen Arbeit ging es um
Einkommensmaximierung
, bei der ‚neuen Arbeit‘ geht
es um Sinnmaximierung
(88). Sinn wird zur Produktivkraft:
Wenn ich einen Arbeitsplatz habe, der diesen Namen
verdient, dann mache ich meine Arbeit, weil ich sie für
sinnvoll halte. Ich erlebe, dass meine Tätigkeit meinen
Intentionen und meinen Fähigkeiten entspricht – und vor
allem, dass sie gebraucht wird.
(64f) Werner bevölkert damit seinen
Idealkapitalismus mit einer Art Idealvolk: Dessen
futuristischer Bürgertypus will nichts lieber als in
einer arbeitsteiligen Großgemeinschaft – in der er
freilich nach wie vor als ‚abhängig Beschäftigter‘ in
Diensten eines frei kalkulierenden Privateigentümers
steht – wie ein ‚Rädchen‘ eine ‚sinnvolle‘ Tätigkeit
ausüben. 1.500,- € im Monat frei Haus soll das, was
Werner selbst als Sklavenarbeit
(21) unter der ausbeuterischen Regie und
für die dicken Bilanzen eines Kapitalisten
charakterisiert, zu einer Veranstaltung der sinnvollen
Lebensgestaltung befreien. Die ‚neue Arbeit‘ in und für
eine dergestalt zur Vernunft gekommene Gesellschaft
verheißt ihm zufolge Freude und Befriedigung.
Dienstbarkeit als Selbstverwirklichung.
Dass all das keine Utopie bleiben muss, dass das Setzen
auf das Gute im Menschen funktioniert und sich sogar
auszahlt, kann man unter Werners Anleitung schon jetzt an
der Avantgarde des freien Unternehmertums studieren. Am
besten bei ihm selbst und seinem Drogerieimperium. Viel
Raum widmet Werner unter dem Motto Zutrauen veredelt
den Menschen
den Prinzipien seiner eigenen
Erfolgsstory. Da erfährt man einiges über moderne
Personalführung. Ziel seines betont respektvollen Umgangs
mit den ‚lieben Mitarbeitern‘ ist, dass der Kollege
sich aus freien Stücken mit dem Unternehmen
identifiziert
(140). Die
beeindruckenden Bilanzen der dm-Kette werden von daher
ganz von selbst zum Beweis, wie gut Moral und
Verantwortung sich geschäftsnützlich einspannen lassen:
Je mehr die Menschen eigenverantwortlich erkennen
können, was gefordert ist, desto unternehmerischer denkt
und handelt der einzelne Mitarbeiter
(118). Das ist Sozialpartnerschaft in
Vollendung: Dem einen gehört das Unternehmen, die anderen
denken und handeln wie Unternehmer. Wer das nicht
schafft, kapiert nicht den Geist dieser Firma und passt
mentalitätsmäßig nicht hinein! Mit diesem praktizierenden
Humanismus ist der ‚Anti-Schlecker‘ fast so reich
geworden wie der Schlecker selbst! Der alternative
Drogeriediscounter als Modell für einen
geistig-moralischen Kurswechsel im nationalen Maßstab.
Eine Vision zur Hebung des Gemeinsinns: Die Konsumsteuer
Damit auch das erfrorene und erstarrte Denken der
Manager und Unternehmer
(107) aus dem ‚Geldschleier‘
herausfindet, sich über den anachronistischen Egoismus
der Selbstversorgermentalität erhebt und mitten in der
Konkurrenz um Marktanteile und Gewinnchancen
Brüderlichkeit
als Ordnungsprinzip des
Wirtschaftslebens
beherzigt, hat Werner speziell auf
sie gemünzte Anreize im Angebot. Die fiskalische
Beschränkung auf eine – entsprechend erhöhte –
Mehrwertsteuer soll das Steueraufkommen unterm Strich
nicht erhöhen, der Staat soll sich aber nur noch am Ende
einer wirtschaftlichen Tätigkeit am Konsum bedienen.
Daher der Name ‚Konsumsteuer‘. Während das herkömmliche
Steuersystem nach Werners fachkundigem Urteil auf das
unternehmerische Produzieren für die Gesellschaft als
Initiativbremse
(208)
wirkt, setzt seine Steuerumstrukturierung unsere
Wirtschaft
(186) in den
Stand, ihren ‚altruistischen‘ Aufgaben immer besser
nachzukommen.
„Mit dem Grundeinkommen lassen wir die Menschen in Ruhe arbeiten, nämlich frei von Existenzangst. Mit der Konsumsteuer lassen wir das Kapital in Ruhe arbeiten, nämlich frei von Zugriffen, bevor die Wertschöpfung in konsumfähige Leistungen für die Gesellschaft zu Ende gekommen ist.“ (178)
Mit dem – zu seiner Rede vom Kapital als ‚Saatgut‘
trefflichst korrespondierenden – Bild eines
Knospenfrevels
propagiert Werner den Sinn dieser
Maßnahme: Man darf seine Äpfel nicht pflücken, bevor
sie reif sind.
(184) Wie
wahr! Werner hat einen weiteren – kreuz und quer
schwadronierend bombardiert er seine lesende Kundschaft
fortwährend mit metaphorischen Anleihen aus
Naturwissenschaften, Versatzstücken aus der
Volkswirtschaftslehre, philosophischen Plattitüden,
Stories aus der Drogistenbranche und scheut auch keine
originellen Bibelexegesen – schlagenden Treffer gelandet.
Der scheint bloß nicht so recht zur Sache, die er
beleuchten soll, zu passen: Schon im nächsten Atemzug
räumt er ein, dass die herkömmliche Besteuerung die
Unternehmen gar nicht behindert und seine Konsumsteuer
gar kein substantiell neuer Vorschlag
(189) ist: Steuern werden nämlich – auch
das ein Hinweis aus dem reichen Erfahrungsschatz des
Unternehmers – wie alle anderen Kosten eingepreist, sind
also immer schon im Preis versteckt
und vom
Endverbraucher zu tragen Das aber verschleiert unser
System von Ertrags- und Einkommenssteuern
systematisch
(190). Noch
ein Schleier! Auch dieser umnachtet die Leute: Sie
kriegen gar nicht mit, dass zum Beispiel reiche
Prasser
(212) – die
werfen auch in Werners Idealwelt mit ‚Schmiermittel‘ um
sich – mit ihrem Luxuskonsum die größte Steuerlast
tragen. Aufgrund dieser beschränkten Wahrnehmung
unterstellen sie den marktwirtschaftlichen Verhältnissen
viel Ungerechtigkeit und bringen keinen tätigen
Gemeinsinn auf die Beine. Auch diese tragische
Begriffsstutzigkeit will Werner aus der Welt schaffen.
Wie es beim Grundeinkommen nur vordergründig um eine
Befreiung von Not geht, geht es auch hier nicht wirklich
um eine Befreiung des Kapitals von steuerlichen
Hindernissen. Es geht um eine Bewusstseinsfrage. Die
Konsumsteuer ist vor allem ein Bewusstsein schaffender
Kulturimpuls. Das heißt: Wir versuchen zum einen, die
Anteile von Individuum und Gesamtgesellschaft an unserem
wirtschaftlichen Wohlstand, zum anderen unser aller
Angewiesensein auf die Leistungen Dritter angemessen zu
beschreiben.
(208) Eine
transparente Darstellung der Steuergerechtigkeit soll ein
wachsendes Wir-Gefühl beflügeln: Wer sich vom
arbeitsteilig geschaffenen Gemeinschaftswerk mehr
leistet, zahlt auch mehr an die staatlichen Organe. Das
ist gerecht und versöhnt die Klassen miteinander. Dass
die dergestalt finanzierten staatlichen Organe die
Verhältnisse verwalten und gewaltmonopolistisch
gewährleisten, aufgrund derer die einen viel, die anderen
wenig zu konsumieren – und zu versteuern – haben, ist für
gehobene Gerechtigkeitsfragen nicht von Belang. In
Werners Vorstellung hat das arme Würstchen vielmehr allen
Grund, sich beim ‚reichen Prasser‘ für dessen Zahlungen
an den Fiskus zu bedanken. Das steuergerechte Verhältnis
der Klassen zu ihrer Herrschaft soll ihr Verhältnis
zueinander versöhnen. Eine für Steuerfragen ungewohnt
hohe Sinngebung wird deutlich: Die Konsumsteuer als
fiskalische Übersetzung des alten Ideals der
Brüderlichkeit
(12).
Entsprechend betuliche Töne schlägt Werner an, um die
zwischenmenschlich-nationalen Effekte seiner Steuerreform
herauszustreichen: Die Beziehungen der Bürger in einer
demokratischen Ordnung werden durch ein vernünftiges,
transparentes Steuersystem in gleicher Weise befördert,
wie jene zwischen Menschen, die sich öfter Blumen
schenken.
(216) Wer dem
kapitalistischen System aus Geschäft und Gewalt
dergestalt romantische Züge abgewinnt, hat allen Grund,
auf den Vollbesitz seiner geistigen Kräfte hinzuweisen.
Dieser seltsame Zwitter aus einem hartgesottenen
Unternehmer und einem schwärmerischen Weltverbesserer
legt denn auch großen Wert darauf, dass seine Visionen
fest auf dem Boden der ‚Tatsachen‘ stehen. Werner weist
jede Nähe zu linken Sozialromantikern
(167) weit von sich und charakterisiert
sich als Realträumer
(9). Womit er nicht ganz unrecht hat:
Seine phantasiereichen Ausflüge in die Traumwelten eines
wünschenswerten wirtschaftlichen Füreinanders geraten um
so mehr zwischen die Koordinaten des stinknormalen
Kapitalismus, je mehr er ‚die Dinge‘, die er ‚bewegen‘
will, hinsichtlich ihrer ökonomischen Effizienz
verdeutlicht.
Werners Sinn fürs Reale: Wenn ein Kapitalist humanistisch wird
Vergleichsweise harmlos ist da noch sein Schwelgen, mit
dem er die menschheitsbeglückenden Auspizien seiner Ideen
hervorhebt: ‚Sinnvolle‘ Arbeit von Menschen für
Menschen
(42), von der
Kindererziehung bis zur Altenpflege, von hochgestochenen
Kulturaktivitäten bis zur gewöhnlichen Hausarbeit, würde
da in ungeahntem Ausmaß möglich, sprich bezahlbar. Schon
das würde die Gesellschaft als Ganzes auf Vordermann
bringen. Die ‚neue Arbeit‘ wäre aber insbesondere für die
harten Rentabilitätsgesichtspunkte der Unternehmen
wertvoll. So rühmt Werner das Grundeinkommen für seine
lohnsubstitutive
(101)
Wirkung, die dem Arbeitgeber völlig neue
Verhandlungsspielräume für Löhne und Gehälter, die
heute undenkbar scheinen
(100) eröffnet. Für die Reproduktion der
Arbeitskraft des ganzen Volkes ist ja schon von Amts
wegen gesorgt: Durch den Sockel des Grundeinkommens
könnten die Gehälter anteilig sinken, denn es müssten ja
nur noch frei auszuhandelnde Zusatzeinkommen
bereitgestellt werden.
Selbst hochqualifizierte
Mitarbeiter wären billig anzuheuern. Es ist durchaus
möglich, dass hochqualifizierte und attraktive Arbeit
nicht mehr unverhältnismäßig gut bezahlt würde, da ja
ihre Attraktivität, ihr Mehrwert an Sinn als Folge eines
Wertewandels deutlicher wahrgenommen und bewertet
würde.
(102) Welch
ungeahnt profitable Potenzen die Valuta Sinn eröffnet!
All das zielt auf Effekte, die in den dunkelsten Zeiten
des geldverschleierten ‚Onkel-Dagobert-Denkens‘ viel
zählen. Der Mann, der eingangs noch mit großem Trara
verkündet hat, dass die Arbeitslosigkeit ein Sieg
ist
(72) und dass der
Abbau von Arbeitsplätzen in der Produktion bejubelt
werden sollte
(71), weil
man in den ‚paradiesischen Zuständen‘ der
Industriegesellschaft einfach nicht mehr so viel arbeiten
muss, landet schließlich beim erzkapitalistischen
Anliegen, möglichst viele rentable Arbeitsplätze auf dem
deutschen Standort zu versammeln: All das hätte
deutliche Auswirkungen: Deutschland würde schlagartig
mehr Investitionen anziehen, zugleich könnten deutlich
mehr im Inland produzierte Güter zu günstigeren
Bedingungen und zu reduzierten Preisen exportiert
werden
, was summa summarum ein exponentielles
Exportwachstum erwarten
(104) ließe. Auf gut Deutsch: Mit der
Konsumsteuer und dem Grundeinkommen würde Deutschland zur
Steueroase und zum Arbeitsplatzparadies gleichermaßen.
Investitionen wären in Deutschland ungleich attraktiver
als heute.
(192)
Vorausgesetzt, die auswärtige Konkurrenz Deutschlands
verharrt weiterhin im ‚Geld- und Steuerschleier‘. Werners
‚Paradies‘ findet – zumindest fürs erste – in Deutschland
statt.
Bei soviel Konstruktivität in der Kritik kann es nicht
ausbleiben, dass der Vordenker eines ‚radikalen‘
gesellschaftlichen Paradigmenwechsels
(74) gelegentlich in Talkshows in der
Rolle des guten Kapitalisten glänzen darf. Da kann er
dann ein bisschen Idealismus & Optimismus verbreiten.
Auch in eigener Sache: Eigentlich weiß jeder, dass
sich was Grundsätzliches ändern muss.
(75) ‚Eigentlich‘ ist dieses Wissen, weil
es eigentlich ein Sammelsurium handelsüblicher Ideale
ist, aus dem auch Werners Weltbild und Weltverbesserung
zusammengesetzt sind. Damit trifft er offenbar auf eine
nicht unbeachtliche Nachfrage. Seine wachsende
Anhängerschaft sowie einschlägige Bürgerinitiativen,
Aktionskomitees und sogar akademische Symposien speisen
sich wie sein eigenes Engagement aus einer Enttäuschung
über die Zustände und Zumutungen der bürgerlichen
Gesellschaft, die sie gleichwohl unbeirrt für die beste
aller möglichen Welten halten. Solche braven Leute hören
gerne einen durch seinen immensen Erfolg im
althergebrachten Kapitalismus als sachverständig
beglaubigten Gleichgesinnten, der ihnen nicht nur
bestätigt, wie goldrichtig sie in ihrem Idealismus – dem
übrigens auch ‚der Mensch‘ und seine dürftige Moralität
als hauptverdächtige Ursache allen Übels geläufig ist –
liegen, sondern auch noch darlegt, wie locker dieser mit
ein bisschen gutem Willen in die Realität umzusetzen
wäre. Damit in der Welt ganz andere Verhältnisse
herrschen, genügt es, sie anders zu sehen, und
sich eine andere, moralisch höherwertige
Einstellung zu ihnen zuzulegen. Dafür ist in der
Tat nicht so etwas Umständliches wie eine Revolution der
Verhältnisse erforderlich; eine umfassende Steuerreform
und ein bescheidener Dauerauftrag an alle genügen als
Initialzündung eines neuen solidarischen Wir-Standpunkts.
Der Großdrogist versteht sich eben nicht nur im Geschäftsleben auf Sonderangebote. Und wie das bei Sonderangeboten so ist, erweist sich auch seine Weltverbesserung als Muster ohne Wert. Ein Zufall ist das nicht. Wo noch so gut gemeinte ‚Träume‘ von einer anderen und besseren Welt ‚realistisch‘ in die bestehende hineingeträumt werden, kommt weder ein besserer Kapitalismus noch etwas vernünftigeres anderes heraus, sondern ein Haufen heilloser Unsinn: Das Geld verrichtet in Werners ‚Realträumen‘ ohne Wert seine Dienste. Der Privateigentümer nutzt sein Eigentum nicht privat. Von den Profiten der Unternehmer profitiert die Kundschaft, weshalb Moral das Interesse als Stachel der Produktion ersetzen muss. Beim Lohnarbeiter ersetzt Sinn Teile des Lohns, weshalb auch er jede Menge Ethik & Gemeinsinn braucht, um tätig zu werden. Die Klassen existieren mitsamt ihren gegensätzlichen Interessen in Sachen Lohn und Leistung weiter, sind sich jedoch in solidarischer Arbeitsteilung freundschaftlich verbunden. Und die Marktwirtschaft folgt nicht den Konkurrenzgesetzen des Marktes, sondern den Werten der Brüderlichkeit. Nichts passt zusammen. Alles ist Quatsch.